Meine Neffen und das amerikanische Schulsystem

  • Mein Bruder ist vor 2 1/2 Jahren vorübergehend mit seiner Frau in die USA ausgewandert.

    Er arbeitet als Expat für einen Betrieb im Ausland.

    Was als 2 1/2 Jahresvertrag anfing scheint sich nun aber zu verlängern.

    Von Anfang an hatte meine Familie sehr große Zweifel.

    Meine Neffen sind jetzt 5 und 10.

    Für den Großen würde normalerweise im deutschen Schulsystem in einigen Wochen der Start auf einer weiterführenden Schule beginnen.

    Für den Kleinen der Eintritt in die Grundschule.

    Mein Bruder ist fest davon überzeugt eigentlich den Vertrag um mindestens 2 1/2 Jahre zu verlängern.

    Mein ältester Neffe wäre dann fast 14 und aus Lehrersicht wäre in unserem Schulsystem damit nicht mehr viel zu retten.

    Zumindest dann, wenn man Abitur machen oder studieren möchte.

    Er hat jetzt schon große Lücken im mathematischen Bereich.

    Bis zu drei Mal kann man wohl verlängern, möglicherweise auch länger und die ganze Familie redet nun mit Engelszungen auf die beiden ein, dass sie sich das im Sinne der Kinder überlegen mögen.

    Ich war selbst in meinen letzten Herbstferien für 2 Wochen drüben und ich muss sagen, ich war doch sehr geschockt vom schlechten Bildungsstand, der so gar nicht mit unserem vergleichbar ist.

    Hat jemand von euch schon mal ähnliches erlebt und wie ging es bei euch aus?

    War danach überhaupt noch ein Schulabschluss möglich?
    Ich nehme an, eine Klassenstufe müsste mindestens wiederholt werden?

  • Also so pauschal ist das schwer zu sagen.

    Ich hatte in meinem Auslandsjahr in den USA Mathematikunterricht, der anspruchsvoller war als in DE.

    Bin dann ohne Wiederholung wieder in meinen alten Jahrgang in den Matheleistungskurs...


    Die größeren Schwierigkeiten sehe ich bei den Fremdsprachen.

  • Wir haben an unserer Schule immer wieder mal SuS, die aus dem Ausland (mehrfach: USA) zu uns kommen, weil die Eltern dort mehrere Jahre gearbeitet haben. In der Regel klappt der Übergang recht problemlos. Über ein Wiederholen würde ich da erst einmal nicht nachdenken. Selbst bei einem Wechsel von einer Stadt zur anderen innerhalb von Deutschland kann es sein, dass Inhalte in anderer Reihenfolge an den Schulen vermittelt werden und man deshalb etwas nacharbeiten muss (oder etwas voraus ist - in den USA wird Bruchrechnen oft ~1 Jahr früher eingeführt als bei uns).


    Eine "Hürde" gibt es jedoch: Für den Eintritt in die gymnasiale Oberstufe benötigt man den erweiterten Sek I Abschluss - oder den High School Schulabschluss (nach der 12. Klasse) aus den USA. Findet die Rückkehr nach Deutschland recht spät statt, müsste ggf. erst die 10. Klasse erfolgreich absolviert werden, um dann in die 11. Klasse (G9) einsteigen zu dürfen. (Regelung aus NDS; in anderen Bundesländern wird es ähnlich sein.)

    Bei Anabin kann man sonst auch recherchieren, ob/wie man mit einem amerikanischen High School Abschluss in Deutschland studieren darf.

  • Wenn die Kinder jetzt erst 5 und 10 Jahre alt sind, würde ich mir noch gar keine Gedanken um Abitur und Studium machen. Das erzeugt nur unnötig Stress. Vielleicht möchten sie später auch gar kein Abitur ablegen, sondern nach Abschluss der Sek I eine Ausbildung absolvieren :) .

  • Mein ältester Neffe wäre dann fast 14 und aus Lehrersicht wäre in unserem Schulsystem damit nicht mehr viel zu retten.

    Das klingt für mich ein bissl arg dramatisch. Kann ich mir nicht vorstellen und ich würde die Familie in Ruhe ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen statt mit Engelszungen auf sie einzureden.

  • Mein ältester Neffe wäre dann fast 14 und aus Lehrersicht wäre in unserem Schulsystem damit nicht mehr viel zu retten.

    Zumindest dann, wenn man Abitur machen oder studieren möchte.

    In Deutschland kannst du jederzeit noch dein Abitur machen und auch ein Studium aufnehmen, ich sehe daher diese Probleme nicht an. Die Kids sollen das genießen, dass sie zweisprachig aufwachsen und wertvolle Erfahrungen mitnehmen.


    Ja mei, am Ende wiederholen sie vielleicht eine Klasse falls nötig, aber ich sehe das Problem nicht.

  • Das amerikanische Schulsystem ist extrem differenziert und viel stärker als hier von den lokalen Gegebenheiten abhängig. Eine gute Vorstadt-Highschool mit bildungsinteressierten Eltern ist sicherlich vergleichbar mit einem guten Gymnasium, eine Kleinstadt-Highschool mit starkem Sportfokus kann gut oder schlecht sein, eine Innenstadt-Highschool mit mehrheitlich unterprivilegierten Familien ist je nach lokaler politischer Landschaft auf dem Bildungsniveau von Haupt- oder Förderschulen.


    Lehrkräfte werden lokal bezahlt, Ausstattung sowieso, Lehrpläne sind stark ideologischen Wünschen unterworfen, auch in MINT-Fächern. Also: Schaut euch die Schulen und das School Board an.


    Der Fokus in manchen Fächern ist definitiv ein Anderer als in Deutschland, aber das heißt nichts automatisch Schlimmes. Ich war überrascht, wie sehr man sich am Dreikörper-Problem (Physik) aufhält und dafür andere Sachen vernachlässigt, die Amis würde wahrscheinlich Anderes irritieren.


    Die Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte drüben sind zum Teil sehr prekär, das kann Unruhe reinbringen. Außerdem sind gerade "bessere" High Schools sehr an "Ruhe" interessiert. Aber auch da: Vorsicht, sehr unterschiedliche Bedingungen, großes Land, starke Unterschiede zwischen Bundesstaaten!


    Ich würde wahrscheinlich, so langfristig die Rückkehr angepeilt wird, eine Auslandsschule besuchen und von der Firma bezahlen lassen. Deutscher Lehrplan, deutsche Lehrkräfte, deutsche Abschlüsse.

  • Man muss in US-Schulsystem definitiv wissen, was man tut und aktiv darauf achten, eine passende Schule zu besuchen und die richtigen Kurse zu belegen, wenn man irgendwann in der deutsche System zurück wechseln will. Es ist auf jeden Fall möglich, den Highschool-Abschluss zu machen, ohne in Mathematik irgendetwas zu machen, was mit dem Stoff der deutschen gymnasialen Oberstufe vergleichbar wäre.

    Einfach nur in der örtlichen Highschool anmelden und sich dann um nichts mehr kümmern, kann also tatsächlich tödlich sein, wenn dann irgendwann in Deutschland Abitur gewünscht will. (Und ich hatte gerade in meiner letzten 11 einen Schüler, der zum Halbjahr zurückgekehrt ist und den fehlenden Stoff aus dem 1. HJ schon nicht aufarbeiten konnte, obwohl er sonst ein relativ guter Schüler war.)

    Die Möglichkeiten, den Schulbesuch so zu organisieren, dass die Inhalte einigermaßen passen, gibt es aber durchaus. In der Regel wird man dazu Schulgeld in die Hand nehmen und eine private Highschool besuchen müssen, außerdem muss man besonders in Mathe die vertiefenden Kurse auf erhöhtem Niveau belegen.

  • Mein ältester Neffe wäre dann fast 14 und aus Lehrersicht wäre in unserem Schulsystem damit nicht mehr viel zu retten.

    Was müsste denn "gerettet" werden?

  • Wenn die eh irgendwann nach Deutschland zurück kommen, dann gibt es im Zweifel noch die Möglichkeit der Externenprüfung. Unter dem Strich bin ich davon überzeugt, dass sich ansonsten dieser Auslandsaufenthalt sehr positiv auf die Kinder auswirkt und unser Schulsystem ist so durchlässig, dass nichts verloren ist. Selbst, wenn Ehrenrunden gedreht werden.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

  • Ich stimme dir absolut zu, amerikanische High Schools unterscheiden sich noch mehr als deutsche. Ich war ein Jahr in Michigan auf einer ländlichen Schule (Klasse 12), nicht privat und das Niveau in manchen Kursen war trotzdem höher als hier (vor allem in Chemie und Physik, täglich jeweils 60 Minuten) . Außerdem durften besonders begabte Schüler Kurse am College belegen (z. B. Analysis). Andere dagegen machten eine Kfz-Mechanikerlehre während der Highschoolzeit. Es ist halt Gesamtschule auf sehr unterschiedlichem Niveau.


    Davon abgesehen, Timbu, auch ein Umzug innerhalb Deutschlands kann ein Schuljahr kosten, ich hatte in meiner letzten 10. Klasse gleich 2 Schülerinnen bzw. Schüler, die es betraf. Einer schaffte die 10. Klasse nicht, angeblich verlangen wir in einigen Fächern mehr als sein altes Bundesland, die andere musste in Klasse 10 statt 11, weil wir noch G8 haben und man nicht 10 Monate Kursstufe überspringen kann.


    Wir haben übrigens auch regelmäßig Schülerinnen und Schüler anderen Ländern, wer sich Mühe gibt, schafft es.

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Die Kinder sind 5 und 10. Gibt eigentlich kaum ein besseres Alter, als jetzt, um im Ausland zu leben.

    Wenn sie zurückkommen, ist selbst der Große ja maximal 14, wie es heißt. Da hat er ja immer noch ein paar Jahre am Gymnasium vor sich, bevor es ans Abi geht. Und man muss bedenken, dass regelmäßig auch Schüler von Mittel- und Realschule aufs Gymnasium wechseln und dort am Ende Abi machen, also wenn die das schaffen, dann sollte es ein 14jähriger, der in den USA zur Schule ging, wohl auch schaffen, vorausgesetzt natürlich immer, das Gymnasium ist die richtige Schulform für ihn. Zur Not eben mit einem Wiederholungsjahr, da kräht am Ende doch kein Hahn danach.

    Für den Kleinen, der jetzt 5 ist, ist es ja völlig egal. Der ist dann 9, wenn er zurück kommt.

  • Man muss in US-Schulsystem definitiv wissen, was man tut und aktiv darauf achten, eine passende Schule zu besuchen und die richtigen Kurse zu belegen, wenn man irgendwann in der deutsche System zurück wechseln will. Es ist auf jeden Fall möglich, den Highschool-Abschluss zu machen, ohne in Mathematik irgendetwas zu machen, was mit dem Stoff der deutschen gymnasialen Oberstufe vergleichbar wäre.

    Einfach nur in der örtlichen Highschool anmelden und sich dann um nichts mehr kümmern, kann also tatsächlich tödlich sein, wenn dann irgendwann in Deutschland Abitur gewünscht will. (Und ich hatte gerade in meiner letzten 11 einen Schüler, der zum Halbjahr zurückgekehrt ist und den fehlenden Stoff aus dem 1. HJ schon nicht aufarbeiten konnte, obwohl er sonst ein relativ guter Schüler war.)

    Die Möglichkeiten, den Schulbesuch so zu organisieren, dass die Inhalte einigermaßen passen, gibt es aber durchaus. In der Regel wird man dazu Schulgeld in die Hand nehmen und eine private Highschool besuchen müssen, außerdem muss man besonders in Mathe die vertiefenden Kurse auf erhöhtem Niveau belegen.

    Mein Bruder hat einfach die nächst beste genommen und hier liegt sicher das Problem.

    Wenn sie zurückkommen, ist selbst der Große ja maximal 14, wie es heißt.

    Wenn sie zurückkommen wird der Schock groß sein und die Defizite ebenso.

    Ich unterrichte u.a. Mathe. Der Große hat jetzt schon massive Lücken.

    • Offizieller Beitrag

    Mein Bruder hat einfach die nächst beste genommen und hier liegt sicher das Problem.

    Wenn sie zurückkommen wird der Schock groß sein und die Defizite ebenso.

    Ich unterrichte u.a. Mathe. Der Große hat jetzt schon massive Lücken.

    Woran machst Du diese Lücken fest?

    Auch an amerikanischen High-Schools gibt es "Exzellenz"-Programme und Kurse, die man anwählen kann. Ich habe das Level seinerzeit bei meinem Austausch zwar auch als eher überschaubar empfunden, gleichwohl muss man sich immer vergegenwärtigen, dass amerikanische High-Schools letztlich riesige Gesamtschulen sind

    - und dass dort auch Top-Leistungen erbracht werden können.

    - und dass auch von dort Menschen aufs College gehen und gute WissenschaftlerInnen (oder was auch immer) werden.

  • - und dass auch von dort Menschen aufs College gehen und gute WissenschaftlerInnen (oder was auch immer) werden.

    Weltweit importiert kein Land einen höheren Anteil ihrer akademischen Führungspositionen aus dem Ausland als die USA.

  • Mein Bruder hat einfach die nächst beste genommen und hier liegt sicher das Problem.

    Wenn sie zurückkommen wird der Schock groß sein und die Defizite ebenso.

    Ich unterrichte u.a. Mathe. Der Große hat jetzt schon massive Lücken.

    Die nächste beste was? Grundschule? Highschool ja wohl nicht, wenn der Junge erst 10 ist.

    Und du unterrichtest Mathe (in der Grundschule). Wo hat er denn massive Lücken? Vielleicht ist das Vorgehen dort einfach anders? Oder vielleicht ist er einfach nur nicht so gut in Mathe (und wäre es auch in Deutschland nicht)? Kann sowas sein?


    Wenn sie zurück kommen, wird der Schock natürlich groß sein, so wie bei vielen Expats, die zurück kommen. Und zwar ganz abgesehen vom Schulsystem. Es ist nicht einfach, sich wieder einzufinden in den deutschen Alltag. Hier spreche ich auch aus Erfahrung.

    Dennoch denke ich, dass du die Situation deiner Neffen überdramatisierst, und dass der Auslandsaufenthalt generell eher ein Gewinn für sie ist. Meine Meinung.

  • Mein Bruder hat einfach die nächst beste genommen und hier liegt sicher das Problem.

    Die Rede war von High Schools. Davon ist der Große noch vier Jahre entfernt.

    Zitat

    Wenn sie zurückkommen wird der Schock groß sein und die Defizite ebenso.

    Leihst du mir mal deine Glaskugel?

    Zitat

    Ich unterrichte u.a. Mathe. Der Große hat jetzt schon massive Lücken.

    Der Große ist 10. Welche Grundrechenarten bereiten ihm denn größere Schwierigkeiten?


    Welchen überragenden Bildungsstand haben deutsche 10-Jährige? Ich glaube, du bildest dir etwas zu viel auf die deutsche Bildung ein. Zudem sind es nicht deine Kinder.

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