Lehramtsstudium abbrechen - absolutes Motivationstief

  • Hallo zusammen,


    ich studiere aktuell Lehramt für Realschulen in Bayern und bin im 4. Semester. Meine Fächer sind Schulpsychologie und Englisch.
    Dieses Semester bin ich in einem extremen Motivationstief und habe wiederholt Studiumsabbruchgedanken - ich fühle mich auch richtig "disconneted" von meinem Studium bzw. Berufsziel und merke, dass ich mich innerlich stark davon distanziere bzw. ein "ist-mir-egal-Gefühl" entwickle.

    Aus diesem Grund wollte ich Euch nach Tipps, Ratschlägen und vielleicht auch bisschen Aufmunterung fragen.


    Ich bin eine sehr motivierte und engagierte Studentin - zumindest melden mir das die Dozenten zurück. Unterm Semester halte ich meine Präsentationen, gebe meine Hausaufgaben ab und bleibe richtig am Ball. Meine Fächer studiere ich eigentlich auch gerne. Also an der Fächerwahl kann mein Motivationstief nicht liegen. Zumindest schließe ich das bisher aus.


    Nun zu meinem Problem: ich lerne seit zwei Jahren psychologische, sprachwissenschaftliche, literaturwissenschaftliche und auch erziehungswissenschaftliche Theorien auswendig und wende sie dann in Klausuren an. Ich bin mittlerweile an einem Punkt, wo ich die Augen verdrehe, wenn ich meine Notizen aufschlage und mir eine weitere Theorie zu Gemüte führe. Ich habe von mir selbst den Eindruck, dass ich gegenüber diesen Theorien eine sehr starke Abneigung entwickelt habe. Die letzten zwei Jahre konnte ich mich immer wieder dadurch motivieren, indem ich mir selbst gesagt habe, dass ich natürlich erst Fachwissen aufbauen muss und theoretisches Grundlagenwissen aufbauen muss, um dann auch unterrichten zu können.
    Diese Motivationsstrategie hilft mir mittlerweile nicht mehr, weil ich ja schon seit zwei Jahren auswendig lerne und mein Wissen (in Klausuren) anwende und ich das Gefühl entwickelt habe, dass es einfach nicht aufhört. Obwohl mich die Inhalte grundsätzlich interessieren, tue ich mir zunehmend schwer, weitere Theorien zu lernen. Ich bekomme auch richtig Bauchschmerzen bei dem Gedanken, dass ich zu den Staatsexamen ja wieder die Inhalte lerne (in Schulpsychologie wollen sie Theorien mit Jahreszahlen und wer die Theorien aufgestellt hat).


    Ich habe schon zwei Praktika in der Schule gemacht. Die Rückmeldungen waren durchaus positiv (mit Verbesserungsvorschlägen beim Unterrichten/Methoden). Aber grundsätzlich wurde mir gesagt, dass ich im Klassenzimmer sehr präsent bin. Weder ich, noch mein Freundeskreis denkt, dass ich ein unpassendes Berufsziel anstrebe.


    Eigentlich will ich das Studium nicht abbrechen. Mir fällt es mittlerweile einfach nur noch schwer.


    Ein zweiter Punkt, der mich total stresst ist die Studiums- bzw. Prüfungsorganisation. Ich hab jeweils zwei Prüfungen an einem Tag (mit einmal 15 Minuten Pause dazwischen und einmal 2 Stunden Pause dazwischen). Ich denke, das liegt einfach daran, weil ich an drei verschiedenen Lehrstühlen/Fakultäten (Psychologie, Anglistik und Pädagogik) studiere und die Absprachen zwischen den Lehrstühlen sich darauf reduziert, dass sie die Prüfungen nicht zum gleichen Zeitpunkt schreiben. Ich kann mich im Grunde gar nicht vernünftig mit den Inhalten beschäftigen, sondern ich muss einfach schauen, dass ich das Zeug (Modelle) irgendwie schnell, schnell lerne und dann jeweils die Prüfungen bestehe.


    Ich würde mich über Rückmeldungen von Euch freuen - kleine Motivationsstupser, Realitätschecks, Tipps und Ratschläge - und vielen lieben Dank schon mal!

  • Kannst du dein Studium strecken und parallel mit ein paar Stunden in der Schule arbeiten? Das würde vielleicht den Prüfungsstress reduzieren und du könntest Theorie und Praxis besser miteinander verknüpfen.

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Vielen lieben Dank für den Tipp! In der letzten Schule, in der ich ein Praktikum gemacht habe, haben sie mich gefragt, ob ich Lust hätte Förderunterricht in Englisch zu geben und erste kleine Praxiserfahrungen zu sammeln. Ich werde bei der Schule einfach nochmal vorbeischauen und nachfragen, ob das Angebot noch steht. Ich hoffe sehr, dass mir das wieder einen kleinen Aufschwung gibt.

  • Du scheinst ein bisschen Pech zu haben. Ich musste zwar auch immer mal wieder Theorien und ihre Entstehungsgeschichte lernen, aber den größeren Teil bildeten Fallstudien und Seminararbeiten, wo die Theorien zwar auch eine Rolle spielten, aber wo es eher um konkrete Anwendungsbeispiele und Theoriekritik ging. Das war natürlich deutlich spannender und man konnte innerhalb gewisser Grenzen eigene Themenschwerpunkte wählen. Je weiter man fortgeschritten war im Studium, umso mehr ging es um eine eigenständige Auseinandersetzung und Vertiefung. Evtl. startet das in Deinem Studium etwas spät, aber kommt bald (4. Semester war ja früher Ende des Grundstudiums)?

  • Ich stolpere beim Lesen darüber, dass du Theorien "auswendig lernst". Und du hast keine Lust, noch mehr davon auswendig zu lernen.


    Verstehe ich. Ich kann mir nur gar keine Theorie vorstellen, die man "auswendig" lernt. Man durchdenkt Theorien, vergleicht sie, und klar, ein paar Sachen muss man sich auch merken. Aber auswendig lernen, so wie man als Mediziner die Knochen des Innenohrs auswendig lernen muss? Hm.


    Da würde mir auch die Motivation wegbleiben. Denk mal drüber nach, ob du weniger "auswendig" lernst, sondern eher "inwendig", eher "verstehend", "interessiert", "mit anderen im Gespräch" etc.


    Keine Zeit dafür, zu viel Prüfungen? Hm. Ich glaube nicht, dass einen das davon abhalten sollte, sich ernsthaft mit den Inhalten zu beschäftigen, statt nur auf die Klausuren zu starren.


    Mit anderen reden würde sehr helfen. Wir haben das zu Studienzeiten so gemacht. Immer. Für fast ausnahmslos jede Prüfung hatte ich eine Vorbereitungsgruppe und wir haben uns die Köpfe heißgeredet. Das hat geholfen und solche Gedanken, wie du sie schilderst, kamen gar nicht auf. Allerdings hatte ich im Studium auch keine Klausuren, nur mündliche Prüfungen und von denen auch nicht sehr viele. Dieses Bulemielernen ist wirklich schrecklich.

  • Das ist genau das, was ich gerne machen würde! Und so naiv und idealistisch bin ich auch ins Studium gestartet.


    Ich habe bisher in der Uni noch niemanden getroffen, die/der das auch so macht oder in einer Lerngruppe gemeinsam (erarbeitet, lernt, Unterschiede herausarbeitet, diskutiert, reflketiert oder sonst irgendwas)

    Wir hatten viele Multiple Choice Tests, manchmal 60 Minuten für 100 Fragen. Diese Tests werden dann maschinell eingelesen und danach bekommt man bestanden oder nicht bestanden. Zumindest war das so beim erziehungswissenschaftlichen Grundstudium und einigen anderen Grundlagenfächern auch so. Meinen absoluten Tiefpunkt hatte ich, als ich Didaktik gelernt habe. (Multiple Choice Test). Ich hab´s irgendwie herumgebracht, aber ich musste mich tagelang (eher wochenlang) ärgern, dass ich das LEHREN mit Kreuzelfragen abgefragt wird. Wenn ich in der Uni herumgefragt habe, dann haben die meisten mit Altklausuren einfach die Fragen gelernt. Meinem Umfeld habe ich mein Gefühl so erklärt: "Stell dir vor du machst eine handwerkliche Ausbildung z.B. zum Schneider. Und dann wird in der Klausur abgefragt, wie du die Schere hälst und was beim Schere halten zu beachten ist etc.

    Total sinn- und zweckentfremdet. Ich kann´s leider nicht ändern und hoffe definitiv, dass sich, sobald ich im Seminar- oder Wahlbereich angekomme, etwas ändert.


    Ich werde definitiv auch deinen Tipp aufgreifen und mehr verstehend und zusammenhängend lernen d.h. Inhalte zu durchdenken und so weiter.

  • Was ich unbedingt noch ergänzend dazuschreiben möchte. Die Dozentinnen und Dozenten sind wirklich toll! Die haben richtig was drauf und machen tolle Vorlesungen, in denen wir aufgefordert sind aktiv mitzuarbeiten. Sie geben viele Beispiele. Haben tolle Powerpoint Präsentationen und sinnvolle Hausaufgaben. Ich sehe wirklich, was die da leisten. Einige sind an der Schule und dozieren noch ein bisschen an der Uni. Viele haben wirklich Lehrerfahrung.


    Die Testformate sind halt unsinnig und beeinflussen möglicherweise die Art und Weise, wie unter den Studenten gelernt wird.

  • Ich habe mehrfach studiert, teils Vollzeit, teils berufsbegleitend, und hatte beim jüngsten Studium, das erst kürzlich endete, auch das Gefühl, dass viel mehr auf Noten geschielt wurde als früher. Was nicht klausur- oder sonstwie prüfungsrelevant war, wollten leider nur sehr wenige diskutieren oder sich sonstwie damit beschäftigen.... Einige sagen, das hätte mit der Einführung von Bachelor- und Masterprogrammen zu tun gehabt, aber im Lehramtsstudium à la Bayern hat es sich ja anscheinend (zumindest in Deinem Umfeld/ Deiner Wahrnehmung) auch geändert. Vielleicht Zeit-/Leistungsoptimierung als Zeitgeistproblematik.

  • Einige sagen, das hätte mit der Einführung von Bachelor- und Masterprogrammen zu tun gehabt, aber im Lehramtsstudium à la Bayern hat es sich ja anscheinend (zumindest in Deinem Umfeld/ Deiner Wahrnehmung) auch geändert. Vielleicht Zeit-/Leistungsoptimierung als Zeitgeistproblematik.

    Die meisten Menschen studieren nicht, um sich intensiv über mehrere Jahre mit ihren Fächer zu beschäftigen, sondern um einen besseren Job zu bekommen, als sie mit einer Ausbildung bekämen. Das Studium ist da nur Mittel zum Zweck, kein Zweck ansich. Das ist eine automatische Entwicklung und hängt nicht mit dem BA/MA System zusammen.

  • Wie seid ihr denn durch das Studium gekommen? Ihr habt ja wahrscheinlich auch ein sehr fachwissenschaftliches/theoriebezogenes Studium durchgezogen.

    Letztendlich habe ich mich und Kommilitonen in meinem Studium gefragt, wofür man den Mist braucht. Dafür bekommst du das Diplom. Also rein damit und kannst es später getrost vergessen.


    Denke immer daran, dass dir der Abschluss den Zugang zu einer interessanten und abwechslungsreichen Tätigkeit und guten Verdienstmöglichkeiten bietet. Dafür lohnt sich auch, durch Motivationslöcher durchzugehen.

    Das gilt auch für Beziehungen und im Job. Wenn's einmal nicht passt, trotzdem weitermachen. Das Studium dauert nicht ewig.

  • Die meisten Menschen studieren nicht, um sich intensiv über mehrere Jahre mit ihren Fächer zu beschäftigen, sondern um einen besseren Job zu bekommen, als sie mit einer Ausbildung bekämen. Das Studium ist da nur Mittel zum Zweck, kein Zweck ansich. Das ist eine automatische Entwicklung und hängt nicht mit dem BA/MA System zusammen.

    Das ist klar, aber dennoch finde ich die Beschreibung von hellosunshines Studium gruselig, vor allem mit den ganzen ständigen Multiple Choice Tests. Sagt sich jetzt leichter als es getan ist, aber schon mal über einen Bundeslandwechsel nachgedacht? In BaWü ist mir an meiner PH im ganzen Studium kein einziger Multiple Choice Test untergekommen, insgesamt gab's wenig Bulimie-Lernen und das Studium war ziemlich praxisorientiert.

  • Die meisten Menschen studieren nicht, um sich intensiv über mehrere Jahre mit ihren Fächer zu beschäftigen, sondern um einen besseren Job zu bekommen, als sie mit einer Ausbildung bekämen. Das Studium ist da nur Mittel zum Zweck, kein Zweck ansich. Das ist eine automatische Entwicklung und hängt nicht mit dem BA/MA System zusammen.

    Möglich. Aber warum war es dann vor gut zwanzig Jahren gefühlt anders? Meine verquere Wahrnehmung und die anderer, mit denen ich gesprochen habe, die auch den Vergleich haben? (Alles anekdotisch, natürlich).

  • Letztendlich habe ich mich und Kommilitonen in meinem Studium gefragt, wofür man den Mist braucht. Dafür bekommst du das Diplom. Also rein damit und kannst es später getrost vergessen.


    Denke immer daran, dass dir der Abschluss den Zugang zu einer interessanten und abwechslungsreichen Tätigkeit und guten Verdienstmöglichkeiten bietet. Dafür lohnt sich auch, durch Motivationslöcher durchzugehen.

    Das gilt auch für Beziehungen und im Job. Wenn's einmal nicht passt, trotzdem weitermachen. Das Studium dauert nicht ewig.

    Das stimmt total! Ich muss mich jetzt durchbeißen und damit auch Durchhaltevermögen zeigen!

  • Das ist klar, aber dennoch finde ich die Beschreibung von hellosunshines Studium gruselig, vor allem mit den ganzen ständigen Multiple Choice Tests. Sagt sich jetzt leichter als es getan ist, aber schon mal über einen Bundeslandwechsel nachgedacht? In BaWü ist mir an meiner PH im ganzen Studium kein einziger Multiple Choice Test untergekommen, insgesamt gab's wenig Bulimie-Lernen und das Studium war ziemlich praxisorientiert.

    Ich habe tatsächlich schon darüber nachgedacht, bin mir jedoch noch nicht so sicher, ob ich nicht erst zum Ref. wechsle.
    Ich glaube schon, dass ich mit einem höheren Praxisanteil im Studium grundsätzlich zufriedener wäre, weil ich dann besser nachvollziehen kann, warum ich etwas lerne.

  • Ich habe dieses Semester jetzt noch zwei Multiple Choice Tests vor mir. Danach darf ich mir im erziehungswissenschaftlichen Grundstudium zwei Seminare aussuchen. Zusätzlich dazu werde ich aber aufjedenfall noch bei der Schule vorbeigehen und meine Kontaktdaten hinterlassen, falls sie für das kommende Schuljahr jemanden für den Förderunterricht in Englisch brauchen.


    Ich hoffe, das gibt mir wieder etwas Aufschwung.

    Vielen lieben Dank für die vielen Beiträge und Anregungen!

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