Verstehe ich deine These richtig, ist der mangelnde Patriotismus eine unabwendbare Folge aus unserer Geschichte, der wir nicht entfliehen können?
Ersteres ja, letzteres nein. Faktisch sind die Deutschen die einzige Nation auf diesem Planeten, die uneingeschränkt die Verantwortung für begangene Kriegsverbrechen übernimmt und bis heute eine aktive Erinnerungskultur pflegt. Grundsätzlich finde ich das sowohl bemerkenswert als auch eine Kollektiveigenschaft, die Vorbild für alle anderen Nationen, die sich ähnliche Stiefel anziehen können, sein sollte. Der kollektive Denkfehler ist nun meiner Wahrnehmung nach, dass Deutschland viel zu sehr von sich auf andere schliesst. Die historische Verantwortung zu übernehmen ist richtig und wichtig, die Annahme, dass der Rest der Welt das alles genau so sehen müsste, ist naiv bis mittlerweile gefährlich.
Die US-Amerikaner sind nicht halb so sehr daran interessiert zu bedauern, wie es Millionen von Vietnamesen und Irakern heute so geht. Unter anderem. Die USA weigern sich bis heute anzuerkennen, dass in Vietnam immer noch Kinder mit schwersten Missbildungen geboren werden, weil das Land infolge des Krieges mit Dioxin verseucht ist. Die USA haben im Irakkrieg Munition aus abgereicherten Uran eingesetzt, auch hier geht man von schwersten gesundheitlichen Folgen für die irakische Bevölkerung aus und auch hier weigern sich die USA jegliche Verantwortung zu übernehmen. Das sind nur zwei Beispiele für massive und weitreichende Kriegsverbrechen, die du bei deinem Whataboutism-Verteidigungsversuch der USA im Vergleich zu Stalin-Russland oder Mao-China vor ein paar Seiten mal gepflegt unter den Tisch hast fallen lassen. Dabei erinnere ich gerne daran, dass sich die USA selbst als freiheitlich-demokratisch bezeichnen.
Deutschland hat sich hingegen seit dem 2. WK die Finger nicht mehr schmutzig gemacht und es wäre an der Zeit, das kollektiv anzuerkennen. Auch müsste man längstens anerkennen, dass die deutsche Politik durchaus in der Lage ist zu differenzieren, in welche Konflikte man sich einmischt oder eben nicht. Die Bundeswehr war nicht im Irak, in die Ukraine sollte sie aber bei Bedarf auf jeden Fall gehen. Ob es richtig war, sie nach Afghanistan zu schicken, weiss ich nicht, da tendiere ich eher zu nein. Die USA führen Kriege für Öl und Einflussnahme, für Deutschland stehen moralische Gründe tatsächlich im Vordergrund. Bei Frankreich z. B. bin ich mir da auch nicht so sicher, siehe Mali. Ich denke schon, dass man sich mit diesem Bewusstsein langfristig von den USA emanzipieren muss.