Wirbel um Inklusions-Gutachten

  • Eher nicht. Der Aufwand für ein AOSF-Verfahren ist so hoch, dass man das eher zu wenig als zu viel macht.

    So sehe ich das hier bei uns auch. Dazu kommen die geringen Aussichten auf Erfolg. Im letzten SJ haben wir ein AOSF geschrieben, in diesem 2. Alle für Kinder, die, jetzt nach 3 Jahren Eingangsstufe und ausschöpfen aller Möglichkeiten, nicht lautgetreu lesen und schreiben können, sowie den Zahlenraum bis 20 nicht erfasst haben.

    Da wir keine GL Schule sind, bekommen wir nicht Mal zusätzliche Mittel o.ä. durch erhöhen der Anzahl der Gutachten bzw. vermehrte Etikettierung der Kinder.

  • Im Artikel geht es ja zunächst um NRW. Zitat:


    "Weiter heißt es: „Die sogenannten ‚AO-SF-Verfahren‘ sind reine Gutachter-Verfahren. Die Schüler werden von Sonderpädagogen begutachtet und anschließend wird der Antrag von der Schulaufsicht nach Aktenlage entschieden. Was die Wissenschaftler jetzt vorgefunden haben, offenbart eine Praxis, die keine Vorkehrungen gegen Willkür kennt. Die Verfahren werden nicht nach einheitlichen Kriterien durchgeführt und fast hundert Prozent der Anträge führen zum Bescheid. Die Wissenschaftler entdeckten reihenweise Unregelmäßigkeiten. So wurde unter anderem Schülern eine sonderpädagogischer Förderbedarf bestätigt, auch wenn sie nicht getestet werden konnten, weil sie sich etwa verweigerten. In vielen Fällen gibt es keine Angaben, welche Fördermaßnahmen die Schule im Vorfeld eines Antrags vorgenommen hat. Das entsprechende Feld im Vordruck war einfach nicht ausgefüllt. Genehmigt wurde der Förderbedarf in diesen Fällen trotzdem.“


    1. Wenn ein Kind komplett verweigert, kann es ein weiteres Zeichen dafür sein, dass es einen Förderbedarf hat. Förderbedarf heißt ja nicht "festgestellte Behinderung" etwa, eine Diagnose, wie sie ein Arzt vornehmen würde, sondern dass das Kind Unterstützung braucht, daran ist nichts unseriös.

    2. Wenn die Gutachten von Förderschulen erstellt werden und die Behörde dem Vorschlag der Förderschule zustimmen muss, ist es gerade kein Zeichen dafür, dass die Regelschule, die das Gutachten beauftragt hat, einen Förderbedarf vorgaukeln will, um an Stunden zu kommen.


    Was natürlich stimmt, ist die Schwammigkeit der Kriterien bei den Förderbedarfen "Lernen" und "sozial-emotional". Ist nicht viel anders als bei den Übertrittsempfehlungen der Grundschulen. Am Ende entscheiden Kolleginnen und Kollegen aufgrund dessen, was sie an Problemen vorfinden und empfehlen das, was sie für das Kind am besten halten.


    Wie das eine Wissenschaftskommission beurteilen will, weiß ich nicht, denn diese können letztlich auch nur den Entscheidungsvorschlag der Gutachterin oder des Gutachters anhören und den Einzelfall beurteilen. Selbst der (über-) durchschnittliche IQ kann im Einzelfall kein Prädiktor für Schulerfolg sein, wenn das Kind sich wegen einer Angststörung nicht konzentrieren kann und schlechte Noten schreibt o.ä.

  • Weiter dazu:


    KMK:

    "Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Schülerinnen und Schülern anzunehmen,

    die in ihren Bildungs-, Entwicklungs- und Lernmöglichkeiten in einer Weise beein-

    trächtigt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule ohne sonderpädagogi-

    sche Unterstützung nicht hinreichend gefördert werden können. Dabei können auch

    therapeutische und soziale Hilfen weiterer außerschulischer Maßnahmeträger not-

    wendig sein.

    Sonderpädagogischer Förderbedarf ist immer auch in Abhängigkeit von den Aufga-

    ben, den Anforderungen und den Fördermöglichkeiten der jeweiligen Schule zu defi-

    nieren. Zudem muss eine Bestimmung des sonderpädagogischen Förderbedarfs das

    Umfeld des Kindes bzw. Jugendlichen einschließlich der Schule und die persönlichen

    Fähigkeiten, Interessen und Zukunftserwartungen berücksichtigen. Teilweise beglei-

    ten förmliche Feststellungsverfahren Einschulungen und Übergänge an verschie-

    dene Schulformen.

    Die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs umfasst die Ermittlung des

    individuellen Förderbedarfs sowie die Entscheidung über den Bildungsgang und in

    einigen Ländern auch über den Förderort. Sie findet meist in Verantwortung der

    Schulaufsicht statt, die entweder selbst über eine sonderpädagogische Kompetenz

    und ausreichende Erfahrungen in der schulischen Förderung von Kindern und Ju-

    gendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verfügt oder fachkundige Bera-

    tung hinzuzieht.

    Das Verfahren zur Feststellung sonderpädagogischen Förderbedarfs kann von den Er-

    ziehungsberechtigten, den Schülerinnen und Schülern selbst, der Schule und ggf. von

    anderen zuständigen Diensten beantragt werden und sollte die Kompetenzen der an

    der Förderung und Unterrichtung beteiligten bzw. zu beteiligenden Personen auf ge-

    eignete Weise einbeziehen."


    Passt also alles.

  • Dein Hinweis auf fehlende Zusatzbedarfsstunden ist falsch. In Niedersachsen erhalten die Schulen sogenannte 403-er Stunden (Std. für Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern mit dem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung im Förderschwerpunkt ES). Weiterführende Schule erhalten pro Schüler mit einem Förderbedarf drei zusätzliche Förderschulstunden. Ob die erteilt werden können, steht auf einem anderen Blatt. Um Unterrichtsversorgung geht es hier aber nicht.

    Die Zusatzbedarfe kann man beantragen, wenn man entsprechende Schülerzahlen vorweisen kann. Man bekommt mit entsprechendem Einzugsgebiet auch welche, also 1-2 pro Woche pro Schule. Wie viel hilft das und wie viele Stunden bleiben davon übrig? Zusatzbedarfe werden bei Lehrkräftemangel ersatzlos gestrichen.

    Um die Unterrichtsversorgung geht es somit auch immer: wenn Stunden nur auf dem Papier stehen, die Inklusion aber ohne umgesetzt werden muss, ist das die Realität und zeigt die Wertschätzung oder die Wichtigkeit von Inklusion.


    Dass weiterführende Schulen pro Kopf Stunden bekommen müssten, wird nicht der Grund sein, weshalb Lehrkräfte in Klasse 2 unbedingt endlich die Überprüfung ansetzen. Warum sollte ich mir diese Arbeit für ein scheinbares Gutachten mit gefälschten Angaben machen, wenn ich doch gar nichts davon hätte?

    Dieser Etikettierungs-Kram ist völlig aus der Luft gegriffen, ein simpler Erklärungsansatz auf dem Rücken der Lehrkräfte, um nicht auf die reellen Verhältnisse schauen zu müssen und Verbesserungen erwirken zu müssen.


    Als Grundschullehrkraft sieht man keine Stunde mehr, die Kinder aber verbleiben zu großen Teilen an den Schulen, ESE-Schulen sind selten, LE-Klassen gibt es schon lange keine mehr, generell müssen die Eltern zustimmen, wählen aber häufig erst einmal die Grundschule, warten ab, wie es läuft und orientieren sich zur 5. Klasse neu.

    Der Grund für eine Meldung ist immer, dass das Kind über lange Zeit große Schwierigkeiten hat, die mit den Maßnahmen der Schule nicht aufzufangen sind und die ab Klasse 3 das Aussetzen der Note bedingen (Lernen) und den zeildifferenten Unterricht genehmigen.


    ESE-Gutachten kann man zuvor stellen, hat aber auch da keine zusätzliche Förderung zu erwarten, allerdings sind auch die Bewilligungen von I-Hilfen immer wieder an Bedingungen geknüpft, die nicht immer transparent sind ( benötigt man einen schulischen ESE-/GE-Bescheid?)

    • Offizieller Beitrag

    Könnt ihr das bestätigen?

    Nein. Im Gegenteil. Die Anträge werden immer schwieriger, komplizierter und länger. Der IQ, der nötig ist für "Lernen" oder "GE" wurde um 5 Punkte nach unten gesetzt. "Emotional-soziale Entwicklung" wird nur noch bei Selbst- oder Fremdgefährdung vergeben.

    Inzwischen ist der Bereich von 80 - 84 zumindest wieder ein Graubereich, in dem wieder "Lernen" vergeben werden kann, wenn zu Hause niemand ist, der mit dem Kind so viel übt, dass es den Mindeststandard so einigermaßen erreicht und wenn die Lehrkraft entsprechend bettelt und tagelang Ausführungen schreibt. Ich habe vor 2 Jahren für ein Kind aus desolaten Verhältnissen, das in Klasse 3 den Zahlenraum bis 10 nicht sicher erfasst hatte und kaum schreiben konnte, massiv gebettelt. Die Beratungslehrkraft war dann der Meinung, das das Kind innerhalb von 2 Jahren wieder in den Regelschullehrplan hineingeführt werden könnte - ohne zusätzliche Ressourcen.


    An meiner alten Schule wurden die Ressourcen gedeckelt, sodass pro Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Durchschnitt 0,8 Stunden zur Verfügung standen. Und auch mit höheren Hürden wurden es nicht weniger Kinder mit einem IQ im Bereich "Lernen".

    SCHOKOEIS!


    Ich lese und schreibe nach dem Paretoprinzip.

  • Der IQ, der nötig ist für "Lernen" oder "GE" wurde um 5 Punkte nach unten gesetzt. Emotional-soziale Entwicklung wird nur noch bei Selbst- oder Fremdgefährdung vergeben.

    Unglaublich, wie unterschiedlich das in den verschiedenen Bundesländern gehandhabt wird. Solche Vorgaben gibt es hier nicht. Vielleicht täte die KMK gut daran, sich auf einheitliche Standards zu einigen und diese dann anzuwenden.

  • Kann ich, Quittengelee


    Ich hatte in den Beiträgen zuvor schon die Bedingungen in NDS erläutert.

    Es ist schlichtweg falsch, dass es für Gutachten in NDS keine Vorgaben gibt, dann könnte man ja jedem Kind einen Status anhängen, auch unbegründet.


    Dazu kommt, dass auch in NdS die Vorgaben für Gutachten ständig verändert werden, dabei sind sie nicht immer transparent.

    Ich muss nachweisen, dass ich als Lehrkraft das Kind über längere Zeit gefördert habe (ILE-Bogen und Förderplanung, Zeugnisse entsprechend), dass jegliche Möglichkeit ausgeschöpft wurde (ob das Kind wiederholen muss, ist umstritten), ich muss vor Beginn des Gutachtens sämtliche Dokumente auf den Tisch legen und nachweisen, was bereits geschehen ist, vorher wird das Verfahren nicht eröffnet. Inzwischen darf die LE-Meldung (wie schon vor der Inklusion) erst zum 2. Halbjahr der 2. Klasse erfolgen.

    Für das Gutachten wird zusätzlich eine (externe) Förderschullehrkraft beauftragt, es gibt eine Anamnese, medizinische Diagnosen sind hilfreich, wenn sie vorhanden sind, aber nicht notwendig.

    Das Gutachten muss bestimmte Inhalte abdecken, das wird im RZI geprüft, ist das Gutachten nicht vollständig, gibt es Nachfragen oder es kommt zurück an die Regelschule und muss überarbeitet werden. Können also die Bedingungen nicht erfüllt werden, bekommt das Kind auch keinen Unterstützungsbedarf.


    Zum einen wünscht man sich Klarheit, zum anderen muss man Kinder individuell begutachten können, aber es braucht doch Richtlinien oder Kriterien, die festgelegt sind.

  • Achso, du bezogst dich auf "in unserem Bundesland braucht es Vorgaben..." Ich dachte, es ginge dir um "die KMK sollte Vorgaben vereinheitlichen..." denn der Beitrag von Conni lässt ja durchaus für Außenstehende vermuten, dass es willkürlich verändert wird, hier 5 IQ-Punkte weniger, dort Fremdgefährdung mehr oder so.

  • Hängt das nicht zusammen?


    Die KMK könnte einen Rahmen setzen oder aber die Länder Kriterien, die dann auf 5 Jahre gelten sodass nicht gefühlt alle 3 Monate etwas anderes zu hören ist.

    Nachsteuern muss man sicher, wenn man im laufenden System Inklusion umsetzt, aber das Nachsteuern derzeit bedeutet ja nicht, dass man hinsichtlich der Ressourcen Besserungen schafft, sondern dass man die Zahl der Kinder, die Unterstützung benötigen, darüber begrenzt, dass man die Hürden ständig erhöht.


    Während Studien belegen, dass immer mehr Kinder im Vorschulalter Auffälligkeiten zeigen, sollen die Zahlen in den Schulen gleich bleiben, weil man den Veränderungen und Bedürfnissen nicht entgegenkommen will.


    Das lässt erwarten, dass Lehrkräfte in Klasse 1 zaubern können.

    Können sie es nicht, unterstellt man ihnen, sie würden Gutachten fälschen.

  • Die Kriterien sind in Berlin doch offenbar sehr konkret und Förderbedarfe werden nach IQ-Punkten vergeben, verschärft wird dann, wenn es zu viele festgestellte Förderbedarfe gibt. Wenn das nicht willkürlich anmutet, weiß ich auch nicht.

  • Dieser Beitrag zum Thema ist schon vom Februar 2023:


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  • ...und schon damals wurde dieser Beitrag als zu undifferenziert und tendenziös kritisiert. Das fängt damit an, dass Monitor in seiner Videobeschreibung die Feststellung von Förderbedarf als Zuschreibung einer Behinderung bezeichnet.

  • Ist das unzutreffend?

    Kurze Antwort: Ja! Es suggeriert bereits in der Einleitung des Videos (und damit ist die Tendenz auch klar), dass Personen (nicht existente) Behinderungen zugeschrieben würden. Desweiteren decken sich die Begriffe der Behinderung im Sinne des §2 Abs. 1 SGB IX und des sonderpädagogischen Förderbedarfs keineswegs. Ein solcher kann auch für Kinder ohne Behinderung in diesem Sinne bestehen.

  • Behauptet denn das Video irgendwo, es würde um Behinderungen im Sinne des Sozialgesetzbuches gehen und nicht vielmehr um Behinderungen im pädagogisch-schulischen Sinne?

    Ich habe beispielsweise Sprachbehindertenpädagogik und Lernbehindertenpädagogik studiert. Die wenigsten Kinder und Jugendlichen der entsprechenden Kategorien erfüllen die SGB-Definition von Behinderung und hätten Anspruch auf einen Schwerbehindertenausweis. Dennoch hießen die Studienschwerpunkte damals so und heißen sie mancherorts immer noch.

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