Lehramtsstudium abbrechen - ja oder nein?

  • Hallo zusammen,

    vorab ein paar Infos: Ich werde im Sommer 20 (Abi '22), komme aus Bayern (hätte also StEx als Uni-Abschluss) und studiere derzeit im 4. Semester Realschullehramt mit der Fächerkombi Deutsch/Geographie.


    Wie im Titel ersichtlich überlege ich derzeit, mein Lehramtsstudium abzubrechen.


    Meine Gedanken:


    - Hauptgrund meiner Gedanken ist eigentlich die Angst vor dem weiteren Bildungsweg bzw. daran kaputt zu gehen. Ich werde Stand jetzt noch mindestens 4 Semester eines Studiengangs studieren, der mit der Praxis nicht viel zu tun zu haben scheint, um dann Staatsexamen zu schreiben. Da dieser eben nicht im Bachelor/Mastersystem ist, muss ich mit dem 1. StEx eigentlich ins Ref gehen, über das ich bisher ausschließlich Gruselgeschichten (enormer Stress, unfaire Bewertung, enormer Kulturschock nach dem Studium usw.) gehört habe. Wenn ich das bestehe, muss ich mir erst einmal ein Arsenal an guten Unterrichtsstunden aufbauen, woran ich die ersten Jahre auch erst einmal Tag und Nacht sitzen werde. Das ist ein sehr langer und steiniger Weg im Vergleich zu anderen Studiengängen oder Ausbildungen.


    - Eigentlich wollte ich immer Lehrer werden. Zuletzt war ich im pädagogisch-didaktischen Praktikum und habe mich dort auch recht aktiv eingeschaltet, viel mit meinen Kids interagiert (hatte hauptsächlich Hospitationen in 4 Klassen) und auch fleißig Unterrichtsstunden gehalten, bei deren Erstellung mich mein Onkel (selbst pensionierter Realschullehrer) unterstützt hat und die nach ein paar didaktischen Bauchklatschern zu Beginn auch ganz vernünftig gelaufen sind. Würde ich dem Spaßfaktor eine Note geben, wäre das so in etwa eine 2-. Mit den Kindern bin ich größtenteils gut ausgekommen - ich hatte den Eindruck, das beruhte auch meist auf Beidseitigkeit - und auch das Unterrichten hat mir Spaß gemacht, allerdings bin ich meistens vollkommen ausgepowert heimgekommen und habe mich dann erstmal hingelegt, dazu gab es auch Tage, an denen ich froh war, aus meiner Lehrerpersönlichkeit rauszukommen und wieder voll ich selbst zu sein. Eine Euphorie a la "Das macht so unfassbar Spaß, ich kann es kaum abwarten, morgen wieder dort hinzugehen" hat sich also nicht eingestellt, und das, obwohl ich die unangenehmeren Teile wie nervige Eltern, Kontakt mit der Schulleitung z.B. aufgrund von schlechten Prüfungen oder ewige Korrekturen gar nicht mitbekommen habe. Dazu kamen auch einige Lehrkräfte (aller Altersstufen), deren Abgekämpftheit und Demotivation man ihnen deutlich angemerkt hat.



    - Ich arbeite derzeit im Nebenjob in der IT-Branche, ein klassischer Bürojob. Der macht mir sehr viel Spaß. In den Semesterferien machen wir SHKs dort Blockschichten, also mehrere Wochen am Stück in Vollzeit. Und ich muss gestehen, dass es mir schon sehr gefällt, um 8 ins Büro zu gehen, um 5 heimzukommen und dann bis auf Sachen wie den Haushalt freizuhaben.

    Ich bin zwar nie mit der Einstellung rangegangen "Um 13 Uhr ist Schulschluss, also Feierabend", allerdings habe ich die Sorge, vor allem im Ref oder spätestens den ersten Jahren im Beruf irgendwann den Anschluss zu verlieren, weil daheim immer mehr Sachen liegen bleiben. Ich bin übrigens bekennender Prokrastinateur.



    Über all diese Gründe denke ich derzeit viel nach. Die Ausbildung ist sehr lang und recht hart. Lohnt sich das alles wirklich dafür, dass das Risiko, am Ende nicht so richtig zufrieden zu sein, nicht allzu gering ist?

    Auf der anderen Seite habe ich das Gefühl, mit dem Abbruch des Studiums einen lange gehegten Traum zu begraben, vor allem, da mir das Umfeld Schule ja Spaß macht, ich gern mit Kindern arbeite und mir die Studieninhalte (trotz mangelnder Praxistauglichkeit) Spaß machen.


    Wie seht ihr die Situation? Kann man mir anhand der obigen Erläuterungen Ratschläge geben?


    Ich entschuldige mich vorab schon mal für die Wall of Text, würde mich aber trotzdem sehr freuen, wenn es einige lesen und mir Resonanz zukommen lassen.


    LG und einen schönen Restsonntag


    PS: Alternativoption wäre entweder ein Journalistikstudium oder wahrscheinlicher eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration.

  • Könntest du dir vorstellen, deinen bisherigen Nebenjob über eine passende Ausbildung/ ein passendes Studium weiter zu professionalisieren?


    Warum genau wolltest du „immer“ Lehrer werden? Was hat sich an diesen Gründen geändert basierend auf deinen Erfahrungen im Praktikum?


    Ganz gleich, welchen Weg du für dich gehen möchtest solltest du dir in jedem Fall bewusst machen, dass die Professionalisierung in jedem Berufsfeld mehrere Jahre Einsatz erfordert und ein durchaus harter Weg sein kann, aber längst nicht durchgehend sein muss (oder sollte).

    Ebenso solltest du mit bedenken, dass es nicht dauerhaft so erschöpfend bleiben muss im Schuldienst. Ich erinnere mich auch noch, wie erschlagen ich in den Praktika oder auch noch zu Beginn des Refs war, weil es so unglaublich viel Neues zu lernen galt einerseits und andererseits ich ungeachtet meiner vorherigen Arbeit im pädagogischen Bereich nicht daran gewöhnt war in diesem Umfang auf die Bedürfnisse anderer Menschen kontinuierlich angemessen reagieren zu müssen als Dauerfeuer, während ich gleichzeitig noch x weitere Aufgaben hatte. Das ist etwas, was heutzutage definitiv nicht mehr gleichermaßen anstrengend ist, weil ich mehr Situationen bereits durchlaufen habe, ein breiteres Repertoire an Lösungsansätzen zur Verfügung habe, gelassener geworden bin.


    Gruselgeschichten übers Ref sollten jedenfalls keine Basis deiner Entscheidung sein. Die meisten Lehrpersonen erleben letztlich ein zwar anspruchsvolles Ref, dass sie durchaus auch mal an die Grenzen bringen kann, aber abgesehen davon einfach eine recht normale Ausbildungssituation mit weitestgehend fairen und unterstützenden Mentorinnen und Mentoren oder auch Seminaren. Die Gruselgeschichten sind nur einerseits immer die Geschichten, die besonders hängen bleiben und andererseits auch die Geschichten, die am ehesten erzählt werden. Darüber hinaus hat manche vermeintliche Gruselgeschichte mindestens zwei Seiten, weil gar nicht mal so selten die Person, die diese erzählt vor allem an sich selbst gescheitert war im Ref, nicht etwa an den bösen Mitmenschen.

    Mist kann man in jeder Ausbildungssituation und auch bei jedem Arbeitgeber erleben. Das ist kein Privileg des Referendariats. Also mach dich frei von Gruselgeschichten aller Art bei einer Entscheidungsfindung.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace


  • Warum genau wolltest du „immer“ Lehrer werden? Was hat sich an diesen Gründen geändert basierend auf deinen Erfahrungen im Praktikum?



  • Die Entscheidung kann dir wohl niemand abnehmen. Jede/r schreibt wahrscheinlich, wie er selbst dazu steht.

    Ich persönlich würde dir wahrscheinlich dazu raten, etwas anderes zu machen, wenn du schon so zweifelst. Die Contraargunente sind in den letzten Jahren einfach immer mehr geworden. Allen voran sehe ich momentan die Anspruchshaltung von Eltern und fehlenden Grundfähigjeiten (eigentlich Selbstverständlichkeiten) von Kindern. Die anderen Dinge, eher bürokratischer Art, die mich ärgern, möchte ich gar nicht erst aufzählen.

  • - Ich arbeite derzeit im Nebenjob in der IT-Branche, ein klassischer Bürojob. Der macht mir sehr viel Spaß. In den Semesterferien machen wir SHKs dort Blockschichten, also mehrere Wochen am Stück in Vollzeit. Und ich muss gestehen, dass es mir schon sehr gefällt, um 8 ins Büro zu gehen, um 5 heimzukommen und dann bis auf Sachen wie den Haushalt freizuhaben.

    Ich bin zwar nie mit der Einstellung rangegangen "Um 13 Uhr ist Schulschluss, also Feierabend", allerdings habe ich die Sorge, vor allem im Ref oder spätestens den ersten Jahren im Beruf irgendwann den Anschluss zu verlieren, weil daheim immer mehr Sachen liegen bleiben. Ich bin übrigens bekennender Prokrastinateur.


    PS: Alternativoption wäre entweder ein Journalistikstudium oder wahrscheinlicher eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Systemintegration.

    1. Weil du als SHK keine Verantwortung hast, ist es für dich lediglich ein „9-to-5“. Das Gras erscheint immer grüner auf der anderen Seite des Zauns.


    2. Beschäftige dich mit Zeitmanagement und Priorisierung; benutze die Techniken unironisch. Das „Nein“-Sagen ist eine wichtige Fähigkeit, die man häufig erst mit etwas Seniorität traut anzuwenden (meine Schwester hat es als Klinikärztin schon recht früh angefangen).


    3. Das mit dem Ref. hast du mit Hörensagen begründet und auch das Problem mit der Dauer der Ausbildung hättest du in den beiden anderen Optionen.


    4. Zweifel hat jeder Student einmal, genauso wie Frustrationserlebnisse. Ein klares „Nein“ ergibt sich nur dann, wenn ernste psychische Probleme entstehen und die Prüfungsleistungen nicht erbracht werden.


    5. Du solltest wissen, was du willst. Aus dem Post lässt sich m.A.n. eine neurotische Tendenz (nachdenklich, von den Schwächen/Risiken denkend) entnehmen, das spricht eigentlich für den Lehrberuf (und der damit einhergehenden Sicherheit).


    Über den Lehrberuf können dich die anderen Poster besser aufklären. Entscheiden musst du selbst (bleib dabei!).

    Einmal editiert, zuletzt von Theaitetos () aus folgendem Grund: Grammatikfehler bevor die Deutschlehrer*innen kommen.

  • Eine der anstrengendsten Sachen beim Lehrerberuf würde ich sagen ist, dass du in der Unterrichtssituation selbst quasi immer der Aktive bist. Du kannst dich nie "fallen lassen" und "abarbeiten" oder schauen, was kommt und dann darauf entsprechend reagieren wie es in anderen Jobs möglich ist. Du kannst es dir so vorstellen, dass du eine Art Entertainer bist, der kurz vorher seine Choreographie einstudiert, dann vor sein Publikum tritt und die Choreographie spontan auf die Bedürfnisse des Publikums anpasst. Und das entsprechend mehrfach am Tag und 5x die Woche. Ein Gegenstück im Bürojob hast du da kaum (wenn, dann noch am ehesten als selbstständiger Außendienstler o.ä.).

  • Eine der anstrengendsten Sachen beim Lehrerberuf würde ich sagen ist, dass du in der Unterrichtssituation selbst quasi immer der Aktive bist. Du kannst dich nie "fallen lassen" und "abarbeiten" oder schauen, was kommt und dann darauf entsprechend reagieren wie es in anderen Jobs möglich ist. Du kannst es dir so vorstellen, dass du eine Art Entertainer bist, der kurz vorher seine Choreographie einstudiert, dann vor sein Publikum tritt und die Choreographie spontan auf die Bedürfnisse des Publikums anpasst. Und das entsprechend mehrfach am Tag und 5x die Woche. Ein Gegenstück im Bürojob hast du da kaum (wenn, dann noch am ehesten als selbstständiger Außendienstler o.ä.).

    Und weisst du, was mich ärgert: Jetzt, wo ich schon ans Aufhören denke, ist das alles zur Routine geworden und vorher war es harte Arbeit, bzw. ist es mir schwerer gefallen. :(Manche sind vielleicht als souveräne Lehrkräfte geboren, aber ich war das nie. Auch, meine Arbeitszeit zu erfassen und mir selbst zu sagen, jetzt ist gut oder das mache ich nicht, kann ich jetzt erst. Heute fragte ich meinen Sohn, wie das eigentlich für ihn war, wenn ich immer so viel Zeit für die Schule gebraucht habe und er meinte: "Das war halt so." Ich bedauere es heute, dass ich so viel Zeit für die Schule gebraucht habe und dass die Zeit dann für meine Kinder nicht mehr da war. Dafür sind sie nicht so verwöhnt und fallen nicht gleich um, wenn ihnen nicht alles abgenommen wird oder sie sich auf etwas Neues einstellen müssen.

    Auf alle Fälle würde ich als junge Lehrerin mehr auf meine Arbeitszeit achten und wenn ich in Teilzeit arbeite, nicht so viele Nebenjobs übernehmen wie Vollzeitkoegen.

  • - Ich arbeite derzeit im Nebenjob in der IT-Branche, ein klassischer Bürojob. Der macht mir sehr viel Spaß. In den Semesterferien machen wir SHKs dort Blockschichten, also mehrere Wochen am Stück in Vollzeit. Und ich muss gestehen, dass es mir schon sehr gefällt, um 8 ins Büro zu gehen, um 5 heimzukommen und dann bis auf Sachen wie den Haushalt freizuhaben.

    Zum Fachinformatiker für Systemintegration kann ich nichts sagen, aber 9 to 5 kann eine ziemliche Illusion sein, wenn du einen höherwertigen Informatikjob hast, vor allem wenn ein Sprint ansteht.

  • An keiner Stelle schreibst du, dass dich deine Fächer wirklich interessieren. Das ist eine ganz schlechte Voraussetzung für dein weiteres Studium und den beruflichen Alltag.


    Denk mal drüber nach, ob du bis an dein Lebensende mit deinen Fächern zu tun haben möchtest. Was du sonst so schreibst, beruht zum Teil auf Hörensagen, die Erfahrung musst du schon selbst machen.


    Aber du bist ja noch jung und kannst dich auch nochmal umentscheiden. Ich finde es sowieso sehr öde, sein ganzes Leben lang denselben Job zu machen und schon gar nicht immer nur Schule. Habe ich auch nicht gemacht, ich bin erst spät und auf Umwegen Lehrerin geworden.


    Du kannst irgendwas mit IT auch an der Schule machen und irgendwas mit Kindern auch in der Freizeit.


    Tja, wie schon geschrieben, deine Entscheidung ...

  • Eine der anstrengendsten Sachen beim Lehrerberuf würde ich sagen ist, dass du in der Unterrichtssituation selbst quasi immer der Aktive bist. Du kannst dich nie "fallen lassen" und "abarbeiten" oder schauen, was kommt und dann darauf entsprechend reagieren wie es in anderen Jobs möglich ist. Du kannst es dir so vorstellen, dass du eine Art Entertainer bist, der kurz vorher seine Choreographie einstudiert, dann vor sein Publikum tritt und die Choreographie spontan auf die Bedürfnisse des Publikums anpasst. Und das entsprechend mehrfach am Tag und 5x die Woche. Ein Gegenstück im Bürojob hast du da kaum (wenn, dann noch am ehesten als selbstständiger Außendienstler o.ä.).

    Das kann ich überhaupt nicht bestätigen. Ich bin so wenig wie möglich aktiv im Unterricht und kann viel Verwaltung und anderes während Arbeitsphasen machen. Entertainer bin schon gar nicht, auch wenn ich manchmal blöde Sprüche loslasse.

  • Ich weiß nicht, welche Unterrichtsmethoden du so abwendest, aber da es bei euch sicher euch Curricula gibst, musst ja sicher auch du die Vorgaben in Unterrichsinhalte verwandeln und diese wiederum den Schülern in irgendeiner Form präsentieren und das Ganze anleiten, oder?

  • Ich weiß nicht, welche Unterrichtsmethoden du so abwendest, aber da es bei euch sicher euch Curricula gibst, musst ja sicher auch du die Vorgaben in Unterrichsinhalte verwandeln und diese wiederum den Schülern in irgendeiner Form präsentieren und das Ganze anleiten, oder?

    "Selbstständiges Lernen" lautet hier wohl das Stichwort. Je nach Schulform - an einer beruflichen Schule würde ich sagen: je nach Bildungsgang - ist eine Lehrkraft mehr oder weniger "aktiv" im Unterricht. An unseren Fachschulen oder Fachoberschulen bspw. läuft gerade im beruflichen Unterricht (also den nicht-allgemeinbildenden Fächern) vieles als Projektarbeit; da nimmt man sich als Lehrkraft stark zurück und lässt die SuS größtenteils selbsttätig (er)arbeiten. Aber ich habe eigentlich in allen Unterrichtsstunden - auch bei den "schwächeren" Klassen wie der Berufseinstiegschule - Phasen, in denen ich eher passiv bin. Ich stehe ja nicht ständig vorne, rede und erkläre, sondern die SuS müssen auch mal Aufgaben bearbeiten usw.

    Und - wie s3g4 schon schrieb - eine "Entertainerin" bin ich in meinem Unterricht ganz sicher nicht!

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Je jünger die Kinder, je aktiver ist man. Setz dich mal in einer 1. Klasse an den Schreibtisch... Da läuft bei einigen gar nix, weil sie ohne Hilfe einfach untergehen. In der 4. Klasse kann ich sie natürlich auch mal mit einem Plan beschäftigen oder sie den Aufgaben im Buch überlassen. Macht meine Kollegin und korrigiert nebenher.

    Stillarbeit gibt es bei mir auch, aber trotzdem kann ich da nicht länger etwas für mich arbeiten.

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