Rückkehr zur bindenden Grundschulempfehlung in BaWü

  • Richtig so, Sitzenbleiben hat laut diverser Studien auch keinen großen Effekt auf den Lernerfolg.

    Es macht dann Sinn, wenn ein Schüler (m/w/d) ein Jahr einen Hänger (z.B. private Probleme, Krankheit, Entwicklungskrise) hatte und davon auszugehen ist, dass die Gründe für diesen Hänger insoweit behoben sind, dass im folgenden Jahr der Schulbesuch (wieder) regulär bestritten werden kann.

    Für den Fall, dass jemand ungeachtet eines konkreten Auslösers leistungsschwach ist, erscheint eher ein Wechsel auf eine andere Schulform bzw. die Durchführung einer sonderpädagogischen Diagnostik sinnvoll.

  • Abgangs- und Abschulquoten fürs Gymnasium scheinen tatsächlich bundesweit ziemlich hoch zu sein, 25% hier:

    https://hallespektrum.de/nachr…lwegsentscheidung/419168/

    Eine bundesweite Statistik scheint es nicht zu geben. Im Bildungsbericht steht dazu nichts.


    Im Bildungsbericht steht aber drin, dass der Druck aufs Gymnasium in den letzten Jahren abgenommen hat:

    Der Übergang aufs Gymnasium ist von 2014 auf 2020 von 41% auf 37% gesunken


    Weiterhin ist auch die Abiturquote und die Realschulabschlussquote gesunken, während das Nachholen in den Berufsschulen usw. zugenommen hat.


    In Hamburg wird man vom Gymnasium abgeschult, wenn man am Ende der 6. einen Notenschnitt nicht erreicht. Eine kleine Anfrage der AFD hat eingefordert, wie die Scheiterquoten für (1) Kinder mit Empfehlung und (2) Kinder ohne Empfehlung aussehen. Die Auswertung ist hier:

    https://afd-fraktion-hamburg.d…5-zusammengef%C3%BCgt.pdf

    Wie zu erwarten, sind die Quoten für Kinder ohne Empfehlung etwas höher. Die Aussagekraft der Empfehlung ist aber nicht gerade überragend. Die meisten Kinder ohne Empfehlung schaffen es und von den Kindern mit Empfehlung schafft es auch ein Prozentsatz in approximativ gleicher Größenordnung nicht.

  • Es macht dann Sinn, wenn ein Schüler (m/w/d) ein Jahr einen Hänger (z.B. private Probleme, Krankheit, Entwicklungskrise) hatte und davon auszugehen ist, dass die Gründe für diesen Hänger insoweit behoben sind, dass im folgenden Jahr der Schulbesuch (wieder) regulär bestritten werden kann.

    Für den Fall, dass jemand ungeachtet eines konkreten Auslösers leistungsschwach ist, erscheint eher ein Wechsel auf eine andere Schulform bzw. die Durchführung einer sonderpädagogischen Diagnostik sinnvoll.

    Wir haben da im Realschulbildungsgang Ermessensspielraum, ob ein Schüler wiederholen soll oder im Hauptschulbildungsgang weitergeschoben werden soll. Wenn jemand im zweiten Versuch das Klassenziel nicht erreicht, wird er immer im Hauptschulbildungsgang weitergeschoben. Entwicklungsprobleme, Krankheit usw. sind bei uns nicht gerade selten. Gründe zu wiederholen sind neben den von dir genannten:

    • der Schüler hat noch Sprachprobleme im Deutschen (DaZ-Schüler wiederholen das erste Vollintegrationsjahr fast immer)
    • der Schüler ist stinkend faul, hat Verhaltensprobleme oder hat sich daran gewöhnt, nicht zu arbeiten, weil's bisher irgendwie trotzdem gereicht hat und braucht mal einen Schuß vor den Bug (ich denke, dass das am Gymnasium auch vorkommt)
    • der Schüler ist in den meisten Fächern gut bis sehr gut hat aber eine Teilleistungsschwäche (z.B. eine Legasthenie mäßiger Ausprägung und in Englisch und Deutsch eine 5)

    Im letzten Fall kann sich der Schüler ein ganzes Jahr auf zwei Fächer konzentrieren, was Erfolg bringen kann. Einige unserer DaZ-Schüler kommen wegen unzureichender Englischkenntnisse in den Hauptschulgang, wo sie nach sonstigem Eindruck nicht hingehören. Das ist sehr frustrierend und demotivierend für die Schüler. Überalterung ist aber ebenfalls problematisch.


    Dass Wiederholen nichts bringt, gilt nur, wenn der Schüler bereits sein Äußerstes gegeben hat - das ist bei uns eher selten der Fall und ich denke, dass das auch im Gymnasium lange nicht immer der Fall ist.

  • Du meinst, wenn dein Bauchgefühl das sagt, muss es stimmen und alle Studien zu Schulleistung können wir geflissentlich ignorieren?

    Na unsere Schulbehörde wird sich wohl auch was dabei gedacht haben. Oder vielleicht haben sie deine Studie nicht gelesen (die du wahrscheinlich auch nicht gelesen hast). Es gibt Legasthenie-Schulen, da wird die Grundschulzeit auf 5 Jahre verlängert - haben wohl auch deine Studie nicht gelesen, oder vielleicht einfach eine andere Studie stattdessen.


    Mehr Zeit bringt nichts, sagen Studien? Ziemlich unplausibel sag ich da mal. Warum gehen dann so viele Bundesländer von G8 wieder auf G9?

  • Du meinst, wenn dein Bauchgefühl das sagt, muss es stimmen und alle Studien zu Schulleistung können wir geflissentlich ignorieren?

    Ich denke, dass eine Wiederholung in der Tendenz umso mehr bringt, je früher sie stattfindet.

    Wir haben durchaus positive Erfahrung bei SuS, die die erste oder zweite Klasse wiederholen.

    Wenn ich irgendwann die achte Klasse wiederhole, obwohl das eigentliche Problem ist, dass die Grundlagen aus der Primarstufe immer noch fehlen, dann denke ich auch, dass das wenig bringt, zumindest sofern nicht gezielt und individualisiert an diesen Grundlagen angesetzt wird.

  • Bei Wissenschaftlichkeit müsste man die Studie auch erst mal lesen. Das Internet ist zwar voll davon, dass Sitzenbleiben nichts bringt, eine wissenschaftliche Quelle findet man aber nicht. Bei den Auswertungen, die man findet, z.B. dem Bildungsbericht, ist offensichtlich, dass es sehr wenig statistische Daten über die Bildungswege und Erfolge von Schülern gibt.


    Weiterhin stellt sich bei Aussagen, dass etwas gut, schlecht, viel, wenig, nichts bringt oder erfolgreich ist, immer sofort die Frage: Im Vergleich wozu? Keine Konsequenz bei Nichterbringen der Leistung ist sicher keine Lösung. Gibt es ernsthaft eine Studie, die behauptet, Sitzenbleiben wäre nicht zweckmäßig, man soll die Schüler lieber ohne Ausnahme bei Nichterreichen des Klassenziels gleich abschulen?


    Studien sind so eine Sache, besonders wenn sie keiner gelesen hat, und es in Wirklichkeit nur das verbreitete Gerücht gibt, dass irgendetwas so und so zu sehen ist, weil irgendjemand das mal wissenschaftlich nachgewiesen haben soll:


    Lesen durch (phonetisches) Schreiben ist sicherlich auch auf Basis von Studien eingeführt (und dann auch wieder abgeschafft) worden.


    Zu meiner Schulzeit gab es die sogenannte neue Mathematik von einem Typen namens Diener. Ist in den meisten Bundesländern flächendeckend eingeführt worden. Die Idee war, Kinder von vornherein zu abstraktem Denken und zu Mathematikern zu erziehen.

    • zur Einübung der Logik gabs die Mengenlehre
    • das Zahlensystem wurde so eingeführt, dass wahlweise zur 10er, 7er, 3er oder irgendeiner Basis gerechnet wurde und alles auch ineinander umgerechnet wurde (habe ich noch in der 5. gelernt)

    Bei den Schülern hat totale Verwirrung erzeugt. In Frankreich, wo dieser Linie am radikalsten gefolgt wurde, soll es Selbstmorde von Mathematiklehrern gegeben haben.

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    Zu meiner Schulzeit gab es die sogenannte neue Mathematik von einem Typen namens Diener. Ist in den meisten Bundesländern flächendeckend eingeführt worden. Die Idee war, Kinder von vornherein zu abstraktem Denken und zu Mathematikern zu erziehen.

    • zur Einübung der Logik gabs die Mengenlehre
    • das Zahlensystem wurde so eingeführt, dass wahlweise zur 10er, 7er, 3er oder irgendeiner Basis gerechnet wurde und alles auch ineinander umgerechnet wurde (habe ich noch in der 5. gelernt)

    Hervorhebung von mir: die Idee war... Kennst du dazu Studien, die diese Idee belegt hätten? Oder war sie eine Idee von irgendwem mit Bauchgefühl?

  • Nochmal dazu:

    Na unsere Schulbehörde wird sich wohl auch was dabei gedacht haben. Oder vielleicht haben sie deine Studie nicht gelesen (die du wahrscheinlich auch nicht gelesen hast). Es gibt Legasthenie-Schulen, da wird die Grundschulzeit auf 5 Jahre verlängert - haben wohl auch deine Studie nicht gelesen, oder vielleicht einfach eine andere Studie stattdessen.


    Mehr Zeit bringt nichts, sagen Studien? Ziemlich unplausibel sag ich da mal. Warum gehen dann so viele Bundesländer von G8 wieder auf G9?

    - Dass sich die Behörde sich schon irgendwas gedacht hat, ist kein wissenschaftliches Argument.

    - Legasthenie ist ein eigener Problembereich, was dort am effektivsten wäre, wäre auch gesondert zu prüfen.

    - G8 und G9 ist wieder ein anderes Thema. Du schließt daraus einfach, dass mehr Zeit für den Lernerfolg von Kindern mit schlechten Noten generell verantwortlich wäre, das ist aber nicht der Fall.


    In Studien wurden SuS mit schlechter Schulleistung verglichen, die ein Jahr wiederholten und solche mit gleichen Leistungen, die man noch ins nächste Jahr gehievt hat. Ihre Leistungen waren nach einem Jahr nicht besser. Vielleicht liegt das auch am psychischen Stress des Klassenwechsels oder an den gleichen individuellen Lern- und Leistungsbedingungen des Jugendlichen oder an ganz anderen Faktoren, das weiß ich nicht, behaupte ich deswegen auch nicht einfach ins Blaue.

  • Darüber hinaus: Studien sagen etwas über signifikante Zusammenhänge bei Überprüfung einer großen Anzahl an Fällen. Es ist wichtig, diese Ergebnisse zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Aber pädagogische Entscheidungen, erst recht Entscheidungen mit einer solchen Tragweite, sind immer Einzelfallentscheidungen. Und im Einzelfall können die Umstände auch für andere Lösungen führen als diejenigen, die für viele andere sinnvoll wären.


    Ich habe mich nicht ausführlich mit Studien zum Effekt von Klassenwiederholungen auseinandergesetzt. Aber ich nehme an, die wenigsten davon haben wirklich überprüft, was in diesem Wiederholungsjahr dann konkret gemacht wurde. In den meisten Fällen wird der gleiche Stoff noch einmal auf die gleiche Weise zu vermitteln versucht worden sein (bei oftmals fehlenden Basisvoraussetzungen, siehe oben). Dass das wenig zielführend ist, schrieb ich ja auch.

  • Das Problem ist, dass man das Wiederholen im Kontext sehen muss. Angesichts von Lehrer- und Ressourcenmangel ist es teilweise nicht relevant, ob das Kind wiederholt oder nicht. Wichtiger ist die Frage, welche Förderangebote es erhält. Es wäre super, wenn niemand mehr sitzen bleiben würde und innerhalb des aktuellen Jahrgangs individuell gefördert wird. Problem ist aber, dass Lehrkräfte mit der Anzahl von Kindern mit Hilfsbedarfen oft überfordert sind und nicht die Zeit haben alle Kinder (optimal) zu fördern.

  • Hervorhebung von mir: die Idee war... Kennst du dazu Studien, die diese Idee belegt hätten? Oder war sie eine Idee von irgendwem mit Bauchgefühl?

    Dienes ist ein Mathematikdidaktiker, der persönlich mit seinen Lehrmethoden sehr erfolgreich war. Er hat eine Vielzahl von Veröffentlichungen, die international große Beachtung gefunden haben:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Zoltan_Dienes

    Funktioniert hat's trotzdem nicht.

  • In Studien wurden SuS mit schlechter Schulleistung verglichen, die ein Jahr wiederholten und solche mit gleichen Leistungen, die man noch ins nächste Jahr gehievt hat. Ihre Leistungen waren nach einem Jahr nicht besser. Vielleicht liegt das auch am psychischen Stress des Klassenwechsels oder an den gleichen individuellen Lern- und Leistungsbedingungen des Jugendlichen oder an ganz anderen Faktoren, das weiß ich nicht, behaupte ich deswegen auch nicht einfach ins Blaue.

    Ja, das ist eine der wenigen Fakten, die ich über diese Studien auch herausgefunden habe. Und da sieht man eigentlich schon, wie fragwürdig diese Studien sind.


    (1) Kinder, bei denen die Lehrkräfte entschieden haben, sie in die nächste Klasse zu versetzen, wurden offensichtlich von den Lehrkräften anders beurteilt, als diejenigen, die man hat sitzen lassen. Somit ist nicht klar, dass die hier verglichenen Gruppen vergleichbar sind.

    (2) Es ist nicht nur die Auswirkung auf die sitzenbleibenden Kinder zu berücksichtigen, sondern auch die Auswirkung auf den Rest der Klasse. Wenn es für schlechte Noten keine Konsequenz gibt, wird sich keiner mehr um Noten kümmern. Ja, sitzenbleiben ist scheitern und scheitern tut weh. Ein Kind kann daran erst mal zu knabbern haben und erst langsam wieder einsteigen. Deshalb können wir das Scheitern nicht aus dem Leben eliminieren. Wenn niemand mehr scheitert, braucht sich keiner mehr anstrengen.

    (3) Sind wir bei der Frage "sitzenbleiben ist schlecht im Vergleich wozu". Das Kind ist nach dem Sitzenbleiben mit der Niederlage und der Integration in einen neuen Klassenverband beschäftigt. Bei einer Abschulung gilt das noch viel viel mehr. Es kann aber auch durchaus passieren, dass ein Kind gerade diesen Wechsel positiv erlebt und sich spürbar entspannt. Vielleicht ist das auch einer der Schlüsselfaktoren, warum es manchmal klappt und manchmal nicht.

  • Direkt abzuschulen fände ich auch besser, nur wer zaubert uns die Schulplätze her? Die Realschule im Ort platzt aus allen Nähten und sagt uns, die Kinder mögen erst mal wiederholen. Bei der Gesamtschule hat man etwas mehr Glück, aber da sind die Plätze natürlich nicht gerade heiß begehrt. Man darf hinzufügen: gäbe es die bindende (und ehrliche!) Schulformempfehlung, bliebe Kindern und Gymnasien einiges erspart. Wir haben in der Erprobungsstufe für beide Jahrgänge eine Handvoll Schüler, die zwei Jahre den Laden aufmischen, bevor wir abschulen können.

  • Würden die vorhandenen Gesamtschulen in Real- oder Mittelschulen umgewandelt werden, gäbe es entsprechende Plätze wieder. Die entsprechend ausgebildeten Lehrer gäbe es ja bereits. Das hängt aber natürlich von der Schwerpunktsetzung der für die Kultuspolitik zuständigen Partei bei euch ab.

  • Im Zusammenhang damit, dass Sitzenbleiben angeblich nichts bringt, wird oft behauptet, dass es sinnvoller wäre, stattdessen mehr individuell zu fördern.

    https://www.spektrum.de/frage/…0wiederholt%20h%C3%A4tten.


    Ein wissenschaftlicher Beleg wird für diese Behauptung nicht angeführt. Auch die dort getätigte Aussage, in den Riesenschulen der USA würde mehr gefördert, halte ich für überprüfungsbedürftig.


    Ein großer Teil deutscher Schüler (auch Realschüler) erhält regelmäßigen Nachhilfeunterricht. Dafür wird bundesweit seitens der Eltern (aber auch diverser Förderinstitutionen, auch unsere DaZ-Schüler erhalten sämtlich Nachhilfeunterricht) viel Geld ausgegeben. Nach einer Bertelsmann-Studie:


    Eltern in Deutschland geben jährlich 879 Millionen Euro für private Nachhilfestunden aus. Pro Monat investieren sie für ihre Kinder durchschnittlich 87 Euro in außerunterrichtliche Fördermaßnahmen.

    ...

    Mit dem Wechsel von Grund- zu weiterführenden Schulen steigt der Nachhilfebedarf: Erhalten in der Grundschule knapp 5 Prozent der Kinder Nachhilfe, sind es in den weiterführenden Schulen der Sekundarstufe I insgesamt rund 18 Prozent. Am häufigsten verbreitet ist die Lernunterstützung an Gymnasien: Fast jeder fünfte Gymnasiast (18,7 Prozent) nutzt Nachhilfe.

    Warum sollte noch mehr individuelle Förderung hier noch einen Erfolg bringen? Warum sollte eine staatliche Förderung durch die Schule fachlich erfolgreicher sein, als die Nachhilfeinstitute, deren Geschäftsmodell das seit Jahrzehnten ist? Warum sollte der Schüler sich dieser Mühsal noch unterziehen, wenn die Sanktion des Abschulens und Sitzenbleibens entfällt?

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