wie ist das beispielsweise bei euren ADHSlern Antimon , bekommen die immer alle nur Medis oder auch weitere Unterstützung, z.B. in Form von Therapie?
Nein, natürlich bekommen die nicht nur Medikamente. Unser Einzugsgebiet ist zwar für ein Gymnasium eher atypisch geprägt durch viele bildungsferne Arbeiter- und Migrantenfamilien, zugleich ist "unsere" Elternschaft in der Regel aber sehr wohlwollend und diszipliniert in Bezug auf die Karriere ihre Sprösslinge. Alle mir bekannten Jugendlichen mit ADHS-Diagnose werden bzw. wurden auch psychotherapeutisch begleitet. Ich erwähnte bereits, dass darunter auch Kinder von Kolleginnen und Kollegen sind, da ist man sowohl mit den Jugendlichen selbst als auch mit den Eltern sehr offen im Gespräch. ADHS ist keine "Schande", es ist einfach eine medizinische Diagnose, mit der man irgendwie zurecht kommen muss.
Wir sind eigentlich alle sehr bemüht darum zu verstehen und zu schauen, wie man helfen kann. Ich hatte schon einige Jugendliche, die es zunächst ohne Medikament versucht haben, weil diese eben auch einige unangenehme Nebenwirkungen zeigen. Es ist für alle Beteiligten wirklich mühsam, wenn die betroffene Person einfach nie weiss, was gerade läuft, wo das Unterrichtsmaterial zu finden ist, dass man im Unterricht nicht einfach mal so drauf losplappert, wie es einem gerade passt, dass da auch noch 20 andere Nasen mit ihren individuellen Bedürfnissen sind, etc. pp. Das muss man dann als Lehrperson auch irgendwie aushalten und managen können, was definitiv nicht einfach ist.
Das Gymnasium ist eine leistungsorientierte Schulform und wir nehmen unseren Bildungsauftrag, auf die Universität vorzubereiten, hier wirklich auch immer noch sehr ernst. Da hat man schnell mal das Gefühl, dass "Abweichler" im System eigentlich keinen Platz haben. Müssen sie aber haben. Wir selektieren nach kognitiven Fähigkeiten und nicht nach sozialer Auffälligkeit. Wenn jemand mit ADHS die intellektuellen Fähigkeiten fürs Gymnasium mitbringt, ist es unsere Pflicht dafür zu sorgen, dass auch eine bestandene Matura dabei rumkommt.
Die Diskussion hier zeigt einmal mehr, wie schwer wir uns immer noch mit Störungen der neuronalen Entwicklung tun. Es ist wie nicht akzeptiert, dass man ADHS schlichtweg als Erkrankung betrachten kann und darf, die behandelt werden kann und unbedingt auch behandelt werden sollte. Und so wie ich als Lehrperson eben Rücksicht auf schwere Allergien und körperliche Beeinträchtigungen wie eine Querschnittslähmung nehmen muss, muss ich halt auch mit Erkrankungen der Psyche irgendwie konstruktiv umgehen können. Ich glaube, dass wir das an meiner Schule insgesamt ganz gut hinbekommen, auch wenn ich diesbezüglich immer mal wieder meine persönlichen Frustmomente erlebe.