Gründe für "späten" Start des schriftlichen Rechnens

  • Einen schönen guten Tag,


    da ich immer wieder ins Gespräch mit Eltern komme, warum das Schriftliche Rechnen erst so "spät" in der 3. Klasse eingeführt wird, wollte ich dazu einen kleinen Artikel in meinem Blog schreiben - es ist ja grundsätzlich ein beliebtes Thema. "Untereinander Rechnen ist ja so viel einfacher…".


    Grundlegend geht es ja primär um ein notwendiges Verständnis von Bündelungsprinzipien, Vorstellung von Größenordnungen, kleines Einspluseins, …

    Ich würde das aber gerne etwas unterfüttern. Habt ihr vielleicht ein paar Quellen zu Literatur, Websites, eigene Erfahrungen, etc., die sich genau damit beschäftigen?


    Besten Dank euch!

  • Es ist der erste Algorithmus, den die Kinder lernen. Ohne eine Vorstellung von der Mächtigkeit von Mengen macht es nicht viel Sinn, mit Stellenwerten rumzurechnen.


    Infos zu Grundschuldidaktik Mathe findet man Zuhauf auch im Internet. Google z.B. "Weg zum schriftlichen Algorithmus" und lande bei PIKAS oder Material der Uni Koblenz Landau... (Dateianhänge zu groß).

  • Danke dir.


    Uni Koblenz und PIKAS habe ich schon bereits durchforstet. Das waren auch meine Haupttreffer bei einer ersten Google-Recherche.


    Die meisten Ergebnisse beziehen sich aber dann direkt auf das Schriftliche Rechnen und potentielle Fehlerquellen dabei.


    In meinem alten Didaktik-Buch von Padberg/Benz ist bzw Krauthausen/Scherer ist auch ein klein wenig drin.


    Vielleicht hat ja jemand noch was anderes :)

    • Offizieller Beitrag

    Zumindest das schriftliche Multiplizieren und Dividieren führe ich in Klasse 4 schon (fast) immer sehr früh ein. Warum? Dann hat man im 4. Schuljahr, wenn die Algorithmen einführt sind, noch viele Monate Zeit zum üben und vertiefen.

  • Spät ist relativ, die nach Mathe-Buch etwas eher oder auch nicht,

    oder meintest du, dass man es schon in Klasse 2 einsetzen sollte?


    Meist benötigt man doch in Klasse 3 Zeit zum Wiederholen und auch noch für die Erarbeitung des neuen Zahlraumes.

    Vermutlich denken viele Erwachsene, dass man das ja nur einmal kurz zeigen müsse und es dann schon einleuchtend ist.


    Ich hatte auch schon eine Mathe-Kollegin, die der Meinung war, es sei günstiger, das Verfahren früh einzusetzen und möglichst häufig zu üben, damit es sitzt. Sie wird ja Anfang 3 dann anderes weggelassen haben.

  • Es sind vor allem die Eltern der Kinder, die Schwierigkeiten in Mathematik haben, die das frühere Einführen des schriftlichen Rechnens wünschen.


    Halbschriftliches Rechnen in großen Zahlenräumen mit Stellenwertübergängen ist um ein Vielfaches schwieriger als die schriftlichen Rechenverfahren. Denn hierfür braucht es ein „echtes“ Verständnis von Mengen und dem Stellenwertsystem. Bei der schriftlichen Addition und Subtraktion muss man ja eigentlich (bis auf wenige Ausnahmen mit mehreren Summanden/Subtrahenden) nur bis 20 rechnen können.


    Als Folge dieses fehlenden Verständnisses können Förderschüler oft richtig schriftlich addieren, aber ihre Ergebnisse überhaupt nicht auf Plausibilitität überprüfen bzw. keine Fehlerkontrolle durchführen. Bei der schriftlichen Subtraktion wird es dann schon schwieriger, schriftliche Multiplikation geht kaum noch und schriftliche Division gar nicht.


    Übrigens verstehen genau diese Eltern unter dem schriftlichen Rechnen häufig nur die schriftliche Addition 🤷‍♀️.

  • nur bis 20 rechnen können

    Sie meinen "zählen" und verwechseln es mit "rechnen",

    bei den Subtraktionen klappt es dann schon nicht mehr,

    die anderen Verfahren benötigen noch viel mehr Schritte und eine Mischung der Rechenarten, so firm sind viele nicht.


    An FöS-Schüler:innen hatte ich nicht gedacht, da würde ich vielleicht zu einer anderen Bewertung kommen (zieldifferent),

    auch bei den DaZ-Schüler:innen überlege ich gezielt, was ich abkürzen kann, damit sie schneller aufholen und eher mitarbeiten können.


    Was wäre, wenn man das Rechenverfahren früher einführt und dann die Zeit nutzt, um das Einschätzen der Zahlen und Ergebnisse zu üben?

  • Die meisten Ergebnisse beziehen sich aber dann direkt auf das Schriftliche Rechnen und potentielle Fehlerquellen dabei.

    Die Fehlerquellen sagen doch aber alles aus zu der Frage "was muss man können und verstanden haben, bevor man die schriftlichen Verfahren einführt"? Es müsste eigentlich reichen, den Eltern zu zeigen, was im 1. und 2. SJ alles drankommt, um zu erläutern, dass es keinen Sinn machen würde, irgendwas aus dem dritten Schuljahr noch vorzuziehen. Ganz abgesehen davon, dass die Lehrpläne aller Länder das aus gutem Grund so vorgeben.


    Aber vielleicht weiß ja noch jemand ein noch moderneres Didaktikwerk mit noch neueren Erkenntnissen.

  • Danke schon einmal für eure Antworten.


    Persönlich finde ich es grundsätzlich vernünftig, das schriftliche Addieren und Subtrahieren erst in der dritten Klasse einzuführen. Je nach Kind wäre es sicher auch schon Ende zweite möglich, aber aus der Erfahrung der letzten Jahre heraus braucht es schon eine Weile, bis die Stellenwerte, Bundeln und Zusammenhänge wirklich verstanden und automatisiert sind.


    Ich verstehe das Ansinnen der Eltern und auch gerade der schwächeren Kinder, die mit dem halbschriftlichen Probleme haben und dann auf einmal nur noch bis 20 (je nach Anzahl Summanden, …) zählen müssen.


    Aber ich empfinde es auch als nicht richtig, das Grundverständnis des Dezimalsystems zu früh abzuschenken.


    Ist nur nicht immer ganz einfach sachlich zu erklären, daher der Gedanke das mit Literatur zu belegen.

  • Mein Neffe ist z.B. hochbegabt und wird im Sommer eingeschult.


    Er hatte bereits im Kindergartenalter eine extrem gut ausgeprägte Mengenvorstellung und berechnet derzeit größte Zahlen (z.B. wie viele Tage er gerade alt ist) halbschriftlich im Kopf.


    Ihm könnte man schon zum Schulanfang die schriftliche Addition und Subtraktion zeigen, da er alle vorausgehenden Entwicklungsschritte bereits erfolgreich durchlaufen hat. Der richtige Zeitpunkt der Einführung hat für mich also nichts mit der Klassenstufe oder dem Alter zu tun, sondern ausschließlich mit der mathematischen Entwicklung eines Kindes.


    Meinen Förderschülern würde ich die schriftlichen Verfahren am liebsten gar nicht zeigen, weil sie da eben nur zählen. Ich würde lieber viel mehr Zeit mit den mathematischen Grundlagen (Pränumerik, Mengen, Stellenwertsystem) verbringen. Für das mechanische Rechnen benutzen sie später sowieso einen Taschenrechner. Eigentlich bräuchten sie die schriftlichen Verfahren nicht zwingend für ihre berufliche Zukunft. Ein mathematisches Verständnis finde ich da schon wichtiger…

  • Die Frage ist imho, wofür heutzutage den schriftlichen Rechenverfahren überhaupt noch so ein hoher Stellenwert im Schulsystem eingeräumt wird.

    Für Uni, Beruf, Alltag sind sie 0 relevant angesichts der technischen Möglichkeiten.

    Die fitten SuS können es auch im Kopf.

    Die mathematisch schwächeren arbeiten es, wie schon mehrere erwähnten, mechanisch ab, ohne die Logik dahinter zu verstehen und ohne davon für ihr Zahl- und Operationsverständnis zu profitieren.

    Einblick in den Algorithmus zu geben kann ich nachvollziehen, aber die viele Übungszeit überzeugt mich nicht. Die könnte man zielführender für andere mathematische Themen und Kompetenzen nutzen.

    Tatsächlich ist es aber meines Wissens so, dass in anderen Ländern (z. B. südeuropäischen?) die schriftlichen Rechenverfahren deutlich früher gelernt werden als in Deutschland.

  • FLIXE und fulo: Ich bin voll eurer Meinung.

    Durch das halbschriftliche Verfahren bzw. Kopfrechnen, das Arbeiten am Rechenstrich und Zahlenstrahl oder auch am (Zehner/Zwanzigerfeld)/Hunderterfeld wird die Zahlenvorstellung entwickelt. Das kann das Stellenwertrechnen gar nicht leisten. Wenn man zu früh schriftliche Rechenverfahren einführt, dann leidet, wie schon geschrieben wurde, die Zahlenvorstellung, die dann übrigens auch eine Fehlerquelle bei den schriftlichen Verfahren werden kann.

    Wenn Schüler später zu mechanisch rechnen, sehen einige auch bei den schriftlichen Verfahren nicht, dass das Ergebnis gar nicht stimmen kann. Wichtig ist aber auch bei den schriftlichen Verfahren immer wieder das Überschlagen und das Einschätzen der Größenordnung der Ergebnisse.

    Im Alltag sollte man zudem die Größenordnung von Zahlen einschätzen können.

    Ich sehe aktuell gerade bei einem Schüler: Zahlenraum Million: Er hat sich angewöhnt, im Kopf "schriftlich" zu rechnen. Dabei entgehen ihm Fehler bezüglich der Größe der Zahlen. Außerdem meint er z.B, dass 350 000 + 750 000 eine Million ergäbe, weil er zu sehr auf die Stellen fixiert ist.

  • Tatsächlich ist es aber meines Wissens so, dass in anderen Ländern (z. B. südeuropäischen?) die schriftlichen Rechenverfahren deutlich früher gelernt werden als in Deutschland.

    Da hast du Recht. Das gilt vor allem auch für die USA.


    Die Pisa-Ergebnisse (von denen ich generell nicht sooo viel halte) in Mathematik in diesen Ländern zeigen allerdings dann doch deutlich, dass auch dieser Weg nicht für bessere mathematische Fähigkeiten sorgt, eben weil es nur auf Mechanik statt Verstehen baut.

  • FLIXE und fulo: Ich bin voll eurer Meinung.

    Durch das halbschriftliche Verfahren bzw. Kopfrechnen, das Arbeiten am Rechenstrich und Zahlenstrahl oder auch am (Zehner/Zwanzigerfeld)/Hunderterfeld wird die Zahlenvorstellung entwickelt. Das kann das Stellenwertrechnen gar nicht leisten. Wenn man zu früh schriftliche Rechenverfahren einführt, dann leidet, wie schon geschrieben wurde, die Zahlenvorstellung, die dann übrigens auch eine Fehlerquelle bei den schriftlichen Verfahren werden kann.

    Wenn Schüler später zu mechanisch rechnen, sehen einige auch bei den schriftlichen Verfahren nicht, dass das Ergebnis gar nicht stimmen kann. Wichtig ist aber auch bei den schriftlichen Verfahren immer wieder das Überschlagen und das Einschätzen der Größenordnung der Ergebnisse.

    Im Alltag sollte man zudem die Größenordnung von Zahlen einschätzen können.

    Ich sehe aktuell gerade bei einem Schüler: Zahlenraum Million: Er hat sich angewöhnt, im Kopf "schriftlich" zu rechnen. Dabei entgehen ihm Fehler bezüglich der Größe der Zahlen. Außerdem meint er z.B, dass 350 000 + 750 000 eine Million ergäbe, weil er zu sehr auf die Stellen fixiert ist.


    Ich liebe es eine Stellenwerttafel an die Tafel zu zeichnen und dann die Mengen/Zahlen mit Magneten darzustellen. Besonders großen Spaß habe ich dann daran, einen Stellenwert bis 10 aufzufüllen und die Schüler dann mit Stellenwertmaterial die Zahl Zehnunddreißig 🤪 darzustellen. Meine Kids merken dann zwar, dass irgendetwas komisch klingt, aber sie haben keine Ahnung wo das Problem ist (Förderschule!).

  • Ich habe einige, die es nicht so leicht blicken, aber dieses Mal sind welche dabei, die sich über Zahlenkarten wirklich gut gegenseitig erklären, wie zu rechnen ist und was hinter den Zahlen (ZR 100) steckt.

    Da bin ich beeindruckt, dass sie das so gut darstellen können ... und frage mich, warum das in den anderen Jahren weniger griffig war.


    fulo

    Wenn die Eltern es so nachfragen, könnte es ihr eigener Rechenweg sein - der, den sie noch erinnern.

    Die Verfahren der Multiplikation und Division werden sicher noch eher über den Haufen geworfen, schriftliche Verfahren sieht man ja schon noch ab und an in Restaurants (ja, hier laufen nicht alle mit Displays, sondern noch mit Block und Stift).


    Diese Eltern erreichst du dann aber nicht mit Literatur, damit erschlägst du sie eher,

    sie brauchen einen triftigen Grund, warum das mechanische Rechnen je Stellenwert allein nicht ausreichend ist.

    Vielleicht ist es sinnvoller, ihnen zu erklären, dass die Kinder dann zwar Millionen Stück für Stück addieren könnten, die Zahlen aber nicht vorlesen können. Sie haben womöglich das richtige Ergebnis, aber nicht verstanden, was die Zahl bedeutet.

    Damit sie das zuvor verstehen und dann ihre Rechenergebnisse lesen und verstehen können, übt man das vorab.

    Dazu gehört aber auch, dass man Mathematik nicht so versteht, dass am Ende hinter/unter der Aufgabe das richtige Ergebnis steht, sondern dass es auch um ganz andere Fähigkeiten geht.

    Eine ganz ähnliche Frage ist die, wann man denn in Klasse 1 endlich "richtig rechnen" würde, weil alles andere nicht als "richtig rechnen" gesehen wird und man ja Kindern gerne vermittelt, es ginge um die Rechenaufgaben nach immer gleichem Schema.

  • Aber vielleicht weiß ja noch jemand ein noch moderneres Didaktikwerk mit noch neueren Erkenntnissen.

    Auf Alhpas Webseite (https://mathematikalpha.de/) sollte dazu einiges zu finden sein.

    Vielleicht nicht direkt didaktische Literatur, aber die alten Schulbücher dort. die sind erklärend und bilden immer das komplette Wissen eines Schuljahres ab. Da sollten sich Erkenntnisse zur Mathe-Didaktik entnehmen lassen.

    Planung ersetzt Zufall durch Irrtum. :P

    8) Politische Korrektheit ist das scheindemokratische Deckmäntelchen um Selbstzensur und vorauseilenden Gehorsam. :whistling:

    Moralische Entrüstung ist der Heiligenschein der Scheinheiligen.

  • Es ging darum, dass aktuelle Didaktikvorlesungen im Netz zu finden sind, aber die oder der TE wollte gerne aktuelle Fachliteratur zum Zitieren. Da helfen Schulbücher aus den 80ern eher nicht weiter. Interessant ist ein Blick dort hinein aber allemal, ich sammle deswegen auch Schulbücher aus allen Epochen. Ich persönlich mag sie allerdings gerne in die Hand nehmen...

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