Squid Games - The Challenge

    • Offizieller Beitrag

    Man konnte es ja schon in den Medien lesen, dass ein "echtes" Spiel stattfinden und entsprechend vermarktet werden würde.

    Ich habe mir die ersten fünf Folgen angesehen und bin entsetzt, wie schnell man doch in menschliche Abgründe sehen kann - und mit welch' perfiden psychologischen "Spielen" hier Menschen bewusst gegeneinander aufgebracht werden - zur Unterhaltung Dritter. Mit der Chance auf einen Gewinn von 4,56 Mio US-Dollar werden moralische Grenzen aufgeweicht bis zu dem Punkt, an dem es kein richtig und kein falsch mehr zu geben scheint. Jedes Verhalten, jede Entscheidung hat Konsequenzen - für einen selbst wie für die gesamte Gruppe.


    Manchmal frage ich mich, wie weit wir noch von Panem oder den echten Squid Games entfernt sind.

    Die Tintentanks, die effektheischend anstelle der in der Serie stattfindenden Hinrichtungen per Kopfschuss in Brusthöhe zerplatzen - kombiniert mit dem offenbar geskripteten Umfallen der KandidatInnen, die "eliminiert" wurden, machen das Ganze zu einem zwischenzeitlich schwer auszuhaltenden Spektakel.

    Falls mich jetzt jemand fragt, warum ich mir das dann antue:

    Der Blick in menschliche Abgründe führt zur Selbstreflektion, was man in vergleichbaren Situationen tun würde. Wäre ich in der als die von mir am extremsten angenommenen Situation tatsächlich bereit, für meine Kinder mein Leben zu geben, auch wenn ich nicht 100% sicher sein könnte, dass sie dadurch überleben?
    Es ist leicht, moralische Ansprüche und Werte zu vertreten, wenn man nicht in die Situationen kommt, in denen man Charakterstärke oder so etwas wie Anstand und Moral zeigen muss. Bei Zivilcourage im Alltag fängt es ja oft an bzw. hört es auf.
    Es ist um ein Vielfaches schwerer, wenn man in Situationen kommt, in denen das sogar hinderlich oder schädlich ist. Du oder ich? Ich oder Ihr?

    Gleichsam fände ich es wohl für mich viel schlimmer, wenn ich das Ganze einfach nur der Unterhaltung halber passiv und nicht reflektierend konsumieren würde.

  • @Bolzbold

    Deine Überlegungen in allen Ehren, aber muss man sich deshalb Sendungen ansehen, von denen man eigentlich im Voraus weiß, worauf sie hinauslaufen? Das gilt auch für andere unterirdische "Publikumsmagneten" wie Dschungelcamp, Big Brother und ähnlich Unterirdisches. Ich finde: Muss man nicht. Selbstreflektion geht auch so.

    • Offizieller Beitrag

    @Bolzbold

    Deine Überlegungen in allen Ehren, aber muss man sich deshalb Sendungen ansehen, von denen man eigentlich im Voraus weiß, worauf sie hinauslaufen? Das gilt auch für andere unterirdische "Publikumsmagneten" wie Dschungelcamp, Big Brother und ähnlich Unterirdisches. Ich finde: Muss man nicht. Selbstreflektion geht auch so.

    Wissen ist das eine. Spüren das andere. Man könnte jetzt einfach den niederen Trieb des Voyeurismus bemühen, von dem sich niemand ganz freimachen kann. Mir geht es aber um etwas anderes.

    Wie schnell sagen wir in der Nachbetrachtung "ICH hätte das NICHT getan. ICH hätte (natürlich!) anders gehandelt."

    Wie oft ist das Gerede. Und wie selten kommen wir in Situationen, in denen wir das dann auch einmal beweisen müssen?


    Ich möchte das an einem anderen Thema verdeutlichen.
    Das führt zwar sehr weit weg von diesem Thema, aber in der Zeit war ein interessantes Interview vom Sohn von Hans Frank (Hans Frank – Wikipedia).

    Sein Sohn Niklas beschreibt da etwas, das ich im Kern nachvollziehen kann. (Erinnerungskultur: Jäger der Verlogenheit | ZEIT ONLINE - Paywall, aber falls jemand Zeit+ hat...)

    Seine zentrale Kritik ist, dass die Menschen die Bilder des Holocaust in sich herumtrügen, aber den Schmerz und das Leid, das darin stecke, nicht an sich heranließen. Er selbst steht dazu wie folgt:

    Mir geht es nicht um Schuld, überhaupt nicht. Ich habe mich nie schuldig gefühlt. Weil ich der Sohn dieses Vaters bin? Was soll das? Nein, aber man muss den Schmerz an sich heranlassen, was wir Millionen Menschen angetan haben. Nur wenn wir das tun, werden wir dafür kämpfen, dass so etwas nie wieder geschieht."

    (Quelle: Zeit.de, Autor: Stephan Lebert)


    Das emotionale Grundprinzip, das dahintersteckt, ist identisch. Zu wissen und zu reflektieren alleine reicht in meinen Augen nicht aus. Das dürfte auch ein Grundmotiv sein, mit Schulklassen nach Auschwitz zu fahren. In Bezug auf die Serie hat es mich wirklich zwischendurch gegruselt - und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass wir uns nicht immer weiter zu einer solchen Gesellschaft entwickeln.

  • Wissen ist das eine. Spüren das andere. Man könnte jetzt einfach den niederen Trieb des Voyeurismus bemühen, von dem sich niemand ganz freimachen kann. Mir geht es aber um etwas anderes.

    Wie schnell sagen wir in der Nachbetrachtung "ICH hätte das NICHT getan. ICH hätte (natürlich!) anders gehandelt."

    Wie oft ist das Gerede. Und wie selten kommen wir in Situationen, in denen wir das dann auch einmal beweisen müssen?

    ICH begebe mich niemals freiwillig in selbsterniedrigende Positionen. ICH schaue so einen Quatsch nicht; dass Menschen für Geld zu allem bereit sind, weiß ich bereits.

    Zitat

    Seine zentrale Kritik ist, dass die Menschen die Bilder des Holocaust in sich herumtrügen, aber den Schmerz und das Leid, das darin stecke, nicht an sich heranließen. Er selbst steht dazu wie folgt:

    Mir geht es nicht um Schuld, überhaupt nicht. Ich habe mich nie schuldig gefühlt. Weil ich der Sohn dieses Vaters bin? Was soll das? Nein, aber man muss den Schmerz an sich heranlassen, was wir Millionen Menschen angetan haben. Nur wenn wir das tun, werden wir dafür kämpfen, dass so etwas nie wieder geschieht."

    Schmerz, den man nicht selbst erlebt, kann man nicht "an sich heranlassen". Man kann betroffen tun, mehr nicht. Selbst, wenn man in Auschwitz steht, Bilder, Filme, Berichte sieht, ist das ein Betrachten aus der Distanz, bei der man zwar gelernte Betroffenheitsreaktionen zeigen kann, aber keine Reaktionen, die auf eigenem Erleben basieren. Man reagiert auf seine eigene Vorstellung, aber nicht auf reale Geschehnisse.

  • Schmerz, den man nicht selbst erlebt, kann man nicht "an sich heranlassen". Man kann betroffen tun, mehr nicht. Selbst, wenn man in Auschwitz steht, Bilder, Filme, Berichte sieht, ist das ein Betrachten aus der Distanz, bei der man zwar gelernte Betroffenheitsreaktionen zeigen kann, aber keine Reaktionen, die auf eigenem Erleben basieren. Man reagiert auf seine eigene Vorstellung, aber nicht auf reale Geschehnisse.

    Einspruch. Man "tut nicht betroffen". Schmerz anderer kann auch mich schmerzen. Wer Kinder hat, weiß das ganz genau. Fernsehbilder machen mich oft so betroffen, dass ich weglaufen möchte.


    Für mich ist das eher anders herum: Ich kann manche Dinge nicht so nah an mich heranlassen - ich würde daran zerbrechen.


    Aber ja, man kann das Böse, das in einem selbst so vorhanden ist, nicht leugnen. Ich glaube auch, dass man zu viel mehr fähig ist, als man so gemütlich auf dem Sofa sitzend annimmt. Aber ich frage mich auch, was für Menschen diese Formate schauen. Es gibt allerdings viele Sendungen, die ich nicht eine Minute ertrage :schimpf:

  • @Bolzbold

    Ich behaupte, dass der "Grusel", der durch Medieninhalte entsteht, eben nicht dazu führt, dass wir uns nicht immer weiter zu einer solchen Gesellschaft entwickeln.

    Zu wissen und zu reflektieren alleine reicht in meinen Augen nicht aus. Das dürfte auch ein Grundmotiv sein, mit Schulklassen nach Auschwitz zu fahren. In Bezug auf die Serie hat es mich wirklich zwischendurch gegruselt - und ich möchte meinen Teil dazu beitragen, dass wir uns nicht immer weiter zu einer solchen Gesellschaft entwickeln.

    Der Vergleich mit den Auschwitz-Besuchen ist deplatziert und hinkt. Diese Besuche unterstützen das Wissen und (hoffentlich) die Reflektion über menschliche Abgründe und moralische Grenzen. Man sieht (und spürt vielleicht), was damals real passiert ist.


    Aber eine fiktive Veranstaltung/Sendung mit geskripteten Todesfällen bedient nur Sensationsgier bzw. "wohliges" Schaudern.

    Und bei der Beantwortung dieser Fragen kann dir Squid Games bestimmt nicht helfen:

    Wäre ich in der als die von mir am extremsten angenommenen Situation tatsächlich bereit, für meine Kinder mein Leben zu geben, auch wenn ich nicht 100% sicher sein könnte, dass sie dadurch überleben?

    Das erinnert mich an den Fragenkatalog der früher hierzulande üblichen "Gewissensprüfung" für Kriegsdienstverweigerer...

    Es ist leicht, moralische Ansprüche und Werte zu vertreten, wenn man nicht in die Situationen kommt, in denen man Charakterstärke oder so etwas wie Anstand und Moral zeigen muss. Bei Zivilcourage im Alltag fängt es ja oft an bzw. hört es auf.

    Ganz genau! Die Wahrheit zeigt sich erst, wenn die "undenkbare" Situation da ist. Das fängt bei der Ersten Hilfe an, geht über Nothilfe/Notwehr bis hin zur gewaltsamen Selbstverteidigung. Wie man schließlich sich in solchen Situationen verhält, weiß man nicht vorher. Da helfen auch keine künstlichen Horrorszenarien.

  • Das gilt auch für andere unterirdische "Publikumsmagneten" wie Dschungelcamp, Big Brother und ähnlich Unterirdisches.

    Seh ich ähnlich; deshalb mach ich auch nicht bei "Wer wird Millionär?" mit: weil ich innerhalb von 45 Minuten die Million knacken würde und so der vor dem Bildschirm zitternden Anhängerschaft den trügerischen Anschein vermitteln würde, wie einfach es wär wohlhabend zu werden. Absolut unmoralisch!

    Ganz nach meinem Lieblingsautor:


    Zitat

    (...) als ob es einen Sinn hätte, wenn jedes Los einen Rappen gewinnt und nicht die meisten nichts, wie wenn es eine andere Sehnsucht gäbe als nur die, einmal dieser einzelne, einzige, dieser Ungerechte zu sein, der das Los gewann. (...)

    F. Dürrenmatt, Der Verdacht


    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Also, ich sehe das in vielerlei Hinsicht anders als im Ausgangspost dargestellt. Ich habe jetzt vier der fünf Folgen mal angesehen.


    1.) Ich bin fest davon überzeugt, dass nicht nur die theatralischen "Tode" gescriptet sind, ich bin davon überzeugt, dass beinahe alles gescriptet ist. Die Charaktere sind einfach zu konstruiert, die Verhaltensweisen zu "narrativ" anregend und vor allem die "Testimonials" können in einer auch nur im Ansatz authentischen Abfolge der Ereignisse zeitlich nicht erfolgen.

    Damit gehört Squid Games - The Challenge in die gleiche Kategorie wie andere dystopisch angehauchte Narrative und ist dabei ein eher magerer Repräsentant des Genres. Damit finde ich es aber auch morlisch nicht mehr verwerflich, sich die Serie anzutun als wenn man bspw. "The Hunger Games" ansieht.

    Die fiktive Erkundung der Abgründe, zu denen sich Menschen in extremen Situationen hinreißen lassen, wurde von den antiken Tragödien bis hin zu modernen Romanreihen deutlich besser und ansprechender - und intellektuell anregender - dargestellt. Dort ist auch die Beantwortung der Frage, wie man sich selbst in ähnlichen Situationen verhalten würde, wohl besser aufgehoben.


    2.) Selbst wenn man annehmen würde, dass die Serie nur zum Teil gescriptet ist und dass viele der Entscheidungen der Teilnehmer authentisch und frei erfolgen, kann ich die moralische Problematik nur zum Teil nachvollziehen. Es handelt sich um ein Spiel mit festgelegten Regeln, auf die sich alle Teilnehmer im vollen Bewusstsein eingelassen haben. Ich meine, niemand stirbt ja wirklich, es geht nur darum, sich gegen die Mitspieler durchzusetzen wie bei jedem anderen Spiel (kooperative Spiele wie "Legenden von Andor" mal ausgenommen). Insgesamt werden hier nur Versatzstücke aus anderen Spielen genommen: Bei "Mensch ärgere dich nicht" wirft man die Mitspieler, so dass sie von vorne anfangen müssen, bei "Monopoly" nimmt man die Mitspieler so lange aus, bis sie bankrott sind, bei "Sieder von Catan" versucht man das Beste für sich rauszuholen und Mitspieler durch eigene Siedlungen oder Straßen zu blockieren. Oft werden hier die Spieler, die am Gewinnen sind, von den Mitspielern beim Handeln ignoriert oder verstärktn mit dem Räuber/Ritter überfallen, um sie davon abzhalten, die letzten Punkte zu machen. Sogar bei Uno gibt es diese "Kartenziehkarten" und jedes Kind freut sich diebisch, wenn nach einem Hin und Her mit diesen Karten jemand plötzlich eine große Anzahl Karten ziehen muss.

    Der Unterschied zu Squid Games - The Challenge ist aus meiner Sicht nur, dass diese Versatzstücke auf etwas perfidere Art kombiniert werden und dass die Darstellung durch das sprachliche Framing und durch Gestaltung der Mis-en-Scene eher dazu geeignet ist, Beklemmung zu erzeugen. Im Grunde ist es aber doch eben nur ein Spiel. Ich würde entsprechend die Handlungen der Mitspieler moralisch nicht sehr viel höher hängen als bei den genannten Gesellschaftsspielen.


    3.) Die Überlegung, wie man sich selbst in Extremsituationen verhalten würde, ist sicherlich ein wesentlicher Teil der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. Und natürlich sehe ich es so, dass Kunst und Literatur (im Sinne der erweitereten Definition) hier dazu beitragen kann. Squid Games - The Challenge sicherlich auch, aber da es sich aus meiner Sicht eher um einen qualitativ mäßigen Vertreter handelt, würde ich mir hier nicht allzu viel davon versprechen.

    Neben Kunst und Literatur finde ich hier vor allem auch echte psychologische Expermimente spannend, gerade in der Frage, wie ich mich verhalten hätte. Ich denke hier an solche Studien wie Zimbardos Standford Prison Experiment (auch in den entsprechenden Verfilumgen) oder das Milgram Experiment. Hier sind solche Gedankengänge deutlich zielführender.


    Insgesamt sehe ich den Unterschied zwischen Squid Games - The Challenge und dem Dschungelcamp oder DSDS nicht so. Mein Genre ist es nicht, ich finde es aber auch nicht schlimm, wenn andere es ansehen.

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