Autismusdiagnostik vs. Referendariat in Hamburg

  • Hallo allerseits!


    Kürzlich habe ich erfolgreich mein Masterstudium abgeschlossen und möchte nächstes Jahr dazu übergehen, das Referendariat in Hamburg anzutreten.


    Bei mir besteht aktuell der Verdacht auf eine Autismus-Spektrum-Störung, dem ich mit fast 30 gern auf den Grund gehen möchte. Erstens, weil ich die Möglichkeit einer Diagnose nach einem lebenslangem Gefühl des Andersseins im positiven Sinne als identitätsstiftend auffasse. Und zweitens, weil ich bis jetzt zwar recht gut und überaus erfolgreich durch mein FSJ, sonderpädagogisches LA-Studium und zahlreichen Minijobs gekommen bin, aber zeitgleich auf persönliche Grenzen stoße, die mir ohne professionelle Unterstützung und Feedback zu dem Thema leider nahezu unüberwindbar erscheinen. Dazu gehören unter anderem drängende Themen wie meine persönliche Eignung als Mutter und das eventuelle Zurückgreifen auf Unterstützungsangebote.


    Eine Zusage zur Diagnostik habe ich bereits und wünsche mir eigentlich, diese in Anspruch zu nehmen. Was mich zurückhält, ist lediglich die Angst, mit einer frischen Diagnose das Referendariat in Hamburg nicht antreten zu dürfen. Ob ich mal verbeamtet werde, ist mir demgegenüber völlig gleichgültig. Darauf kann ich, wenn ich trotz guter Praktikums- und Arbeitszeugnisse Diskriminierung erfahre, getrost verzichten.


    Hat jemand von euch direkt oder auf Umwegen Erfahrungen damit gemacht, wie sich eine solche Diagnose auf das Referendariat auswirkt?


    Vielen Dank und liebe Grüße!

  • Mit einer gesicherten Autismusdiagnose solltest du als schwerbehindert gelten und damit Anrecht auf zahlreiche Unterstützungsangebote haben. Man wird dich aufgrund dieser Diagnose weder vom Referendariat noch vom Beamtentum ausschließen können.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

    • Offizieller Beitrag

    Mit einer gesicherten Autismusdiagnose solltest du als schwerbehindert gelten und damit Anrecht auf zahlreiche Unterstützungsangebote haben. Man wird dich aufgrund dieser Diagnose weder vom Referendariat noch vom Beamtentum ausschließen können.

    Wie bitte? Eine Schwerbehinderung (alleine) aufgrund einer Autismusdiagnose?
    Hast du da feste Hinweise/Kenntnisse dazu? Da habe ich ganz andere Erfahrungen / ganz anderes gehört.

  • Vielen Dank für eure Rückmeldungen!


    Ich habe gelesen, dass ein pauschaler GdB von 50 und aufwärts (=Schwerbehinderung) seit 2011 passé ist und heutzutage nach dem Grad der individuellen sozialen Anspassungsschwierigkeiten bemessen wird (keiner, leicht, mittel, schwer). Demnach ist eine Schwerbehinderung ab einer mittleren sozialen Anpassungstörung erreicht, was wohl bedeutet, dass die Teilhabe an einem Lebensbereich nur mit umfassender Unterstützung möglich ist. Ob bei mir laut Fremdeinschätzung nur leichte oder bereits mittlere Anpassungsschwierigkeiten vorliegen, kann ich noch nicht absehen. Folglich ist nicht gesichert, dass ich die ,,Vorzüge" einer schwerbehinderten Person erfahren werde.

  • Vielen Dank für eure Rückmeldungen!


    Ich habe gelesen, dass ein pauschaler GdB von 50 und aufwärts (=Schwerbehinderung) seit 2011 passé ist und heutzutage nach dem Grad der individuellen sozialen Anspassungsschwierigkeiten bemessen wird (keiner, leicht, mittel, schwer). Demnach ist eine Schwerbehinderung ab einer mittleren sozialen Anpassungstörung erreicht, was wohl bedeutet, dass die Teilhabe an einem Lebensbereich nur mit umfassender Unterstützung möglich ist. Ob bei mir laut Fremdeinschätzung nur leichte oder bereits mittlere Anpassungsschwierigkeiten vorliegen, kann ich noch nicht absehen. Folglich ist nicht gesichert, dass ich die ,,Vorzüge" einer schwerbehinderten Person erfahren werde.

    Ab einem GdB von 30 kannst du dich aber gleichstellen lassen und hast damit denselben rechtlichen Schutz, wie jemand mit GdB 50 oder mehr. Selbst bei einer leichten Autismusspektrumsstörung mit GdB 30 sollte aufgrund der besonderen Auswirkungen im Schuldienst eine Gleichstellung möglich sein. Du könntest dich zu dieser Frage von einer Schwerbehindertenvertretung beraten lassen oder auch vom VDK. Erstere könnte dir auch die Angst nehmen, man könnte dich mit einer derartigen Diagnose pauschal nicht für den Vorbereitungsdienst zulassen.

    Nachdem ich zwei Personen mit Autismusspektrumsstörung im aktiven Schuldienst kenne, würde ich annehmen, dass das letztlich ganz stark von den tatsächlichen Einschränkungen abhängig ist. Wenn du Studium samt Praktika erfolgreich geschafft hast, dann würde ich nicht davon ausgehen, dass man dir mit einer derartigen Diagnose pauschal den Zugang verwehren würde- um so weniger, wenn du einen GdB beantragst, noch ehe du dich fürs Ref bewirbst.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Ich frage mich gerade, wer von einer potentiellen Diagnose überhaupt erfahren würde und welche Konsequenzen daraus folgen könnten. Ich war seinerzeit beim Amtsarzt, aber da ging es um die Verbeamtung auf Widerruf, nicht darum, das Referendariat zu erlauben oder zu verbieten, wenn ich recht erinnere?:gruebel:

  • Vorsicht!


    Erstmal muss eine Autismusdiagnose auch anerkannt sein/werden. Die Qualität der Diagnostik variiert sehr stark. Von wem wurde die Diagnostik (bzw. der Verdacht) erstellt? (Facharzt?). In der Sonderpädagogik ist die Qualität der (flutartigen) Diagnosestellungen ein großes Thema.


    Zudem sind die Übergänge zwischen AD(H)S und Autismus fließend (vor allem, wenn die körperliche Hyperaktivität nicht stark ausgeprägt ist). Sehr stutzig macht allein schon, dass Du ein 1. Staatsexamen offensichtlich ohne jede Diagnostik/Therapie/Nachteilsausgleich erwerben konntest.


    Natürlich ist es kein Auschlusskriterium für das Ref. wenn man diagnostizierter Autist ist (allerdings kann man sicher keiner Person, die sich auch nur halbwegs deutlich im Autismusspektrum befindet, empfehlen, den Lehrerberuf zu ergreifen - bei ADHS sähe das anders aus). Ich würde aber in der Tat erstmal abwarten (du schreibst ja auch von 'Verdacht').....

    • Offizieller Beitrag

    Natürlich ist es kein Auschlusskriterium für das Ref. wenn man diagnostizierter Autist ist (allerdings kann man sicher keiner Person, die sich auch nur halbwegs deutlich im Autismusspektrum befindet, empfehlen, den Lehrerberuf zu ergreifen - bei ADHS sähe das anders aus). Ich würde aber in der Tat erstmal abwarten (du schreibst ja auch von 'Verdacht').....

    Das finde ich aber ein bisschen übereilt. Das Autismusspektrum ist eben das: ein Spektrum.
    Und die meisten, die im Erwachsenenalter diagnostiziert werden, werden eben so spät diagnostiziert, weil sie sich sehr / zu gut angepasst haben und viele Wege gefunden haben, mit ihrem Alltag klarzukommen. Eine Diagnostik hilft da hauptsächlich, sich besser zu verstehen, sich besser zu fühlen, ändert aber nicht an den im Verlaufe der Zeit erworbenen Fähigkeiten, nicht besonders aufzufallen.
    Dem non-verbalen frühkindlichen Autisten kann man durchaus von einem Lehramtsstudium abraten, der angepassten Asperger-Autistin (die meisten nicht erkannten und erst viel später diagnostizierten sind weiblich) oder irgendjemandem "im Spektrum", ohne zu wissen, was die Einschränkungen sind (deswegen bin ich da sehr irritiert über die quasi online vergebenen GdB), ist (mir) zu plakativ.

    • Offizieller Beitrag

    Eine Zusage zur Diagnostik habe ich bereits und wünsche mir eigentlich, diese in Anspruch zu nehmen.

    Mach das. Hier in der Region (ich nehme einen Radius von 250-300km) ist die Wartezeit bei halbwegs guten Diagnostiker*innen 2-3 Jahre, soweit ich weiß, ist es bundesweit nicht viel anders. Lass nicht den Termin aus- bzw. verfallen.

  • Das Autismusspektrum ist eben das: ein Spektrum.
    Und die meisten, die im Erwachsenenalter diagnostiziert werden, werden eben so spät diagnostiziert, weil sie sich sehr / zu gut angepasst haben und viele Wege gefunden haben, mit ihrem Alltag klarzukommen.

    Schon, jedoch sollte man zu sich selbst ehrlich sein. Es betreffen nun gerade alle Symptome einer ASS die Bereiche Kommunikation, soziale Interaktion und Flexibilität, was für eine Lehrkraft nicht gerade ideal ist. Unterrichten ist bekanntlich völlig anders als an der Uni zu lernen.


    Noch ein Hinweis zur Diagnostik: Soweit ich weiß, muss bis 2024 auf ICD11 umgestellt werden. Ich würde mir die unterschiedlichen Kriterien ansehen und entscheiden, ob ich noch solange abwarten will oder gerade nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Noch ein Hinweis zur Diagnostik: Soweit ich weiß, muss bis 2024 auf ICD11 umgestellt werden. Ich würde mir die unterschiedlichen Kriterien ansehen und entscheiden, ob ich noch solange abwarten will oder gerade nicht.

    neugierige Nachfrage: kann man sich bei dir in der Region den Termin "aussuchen"?
    Ohne Quatsch, ich kenne hier vor Ort 3 Fälle von zwei verschiedenen Diagnostikzentren: 2-3,5 Jahre Wartezeit (die 2 Jahre waren für ein Kind, die 3 und 3.5 für Erwachsene), es wurden in KEINEM der Fälle mehrere Termine angeboten, sondern EIN Termin, mit ca. 6-8 Wochen Vorlauf und das war's. (also schon mehrere Termine, aber nicht zur Auswahl sondern für den Prozess).
    und zwar ähnlich in beiden Zentren. Ich glaube nicht, dass man da hin und her schieben kann, "nur" um bei einem neuen ICD runterzufallen.

  • Mit Autismus kenne ich mich etwas aus...

    Erstens: Es gibt (gute!) Lehrkräfte mit dieser Diagnose, das schließt nichts aus.

    Zweitens: Die Diagnose Autismus bedeutet keinesfalls, dass man auch einen GdB bekommt - von 0 bis 100 ist alles möglich.


    @TinkaMar: Ich würde die Diagnostik machen.

  • neugierige Nachfrage: kann man sich bei dir in der Region den Termin "aussuchen"?
    ...

    Ich hab keinen blassen Schimmer. Ich sah nur, dass sich die Diagnostik gerade ziemlich ändert und das würde die TE direkt betreffen. Die Diagnose Asperger gibt es dann z.B. nicht mehr und es werden Kriterien angesetzt, die jetzt noch nicht erfüllt sein müssen, ggf. wird nach ICD10 eine Diagnose vergeben, nach ICD11 aber nicht.

  • neugierige Nachfrage: kann man sich bei dir in der Region den Termin "aussuchen"?
    Ohne Quatsch, ich kenne hier vor Ort 3 Fälle von zwei verschiedenen Diagnostikzentren: 2-3,5 Jahre Wartezeit (die 2 Jahre waren für ein Kind, die 3 und 3.5 für Erwachsene), es wurden in KEINEM der Fälle mehrere Termine angeboten, sondern EIN Termin, mit ca. 6-8 Wochen Vorlauf und das war's. (also schon mehrere Termine, aber nicht zur Auswahl sondern für den Prozess).
    und zwar ähnlich in beiden Zentren. Ich glaube nicht, dass man da hin und her schieben kann, "nur" um bei einem neuen ICD runterzufallen.

    Nein, ausgesucht habe ich mir meinen Termin nicht. Auch ich stand wie andere monatelang auf einer Warteliste und habe mit ca. 6 wöchigem Vorlauf einen Rückruf mit Terminvorschlag erhalten.

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