Wann muss ich einen RTW rufen?

  • Ich hatte heute eine Schülerin mit einem sog. dissoziativen Anfall im Rahmen einer MS-Erkrankung. Die Schülerin hatte letztes Schuljahr schon gesagt, dass sie MS hat und dass es sein kann, dass sie so einen Anfall auch im Unterricht hat und dass sie sich dann hinlegen muss, bis der Anfall vorbei ist.

    Im Rahmen des Anfalls traten Zuckungen auf und sie verlor die Körperkontrolle, also hatte keine Gewalt mehr über ihre Beine ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall, ab er Epilepsie ist ausgeschlossen.

    Ich war kurz davor, einen RTW zu rufen, aber ihre Freundinnen und sie selber sahen dafür keine Notwendigkeit, der Anfall legte sich dann auch und schließlich wurde die Schülerin von einer Mitschülerin mit dem Auto nach Hause gebracht, wo ihre Mutter war. Mittags meldete sie sich dann und bedankte sich bei mir und der Klasse, dass wir so besonnen waren.


    Nun meine Frage:

    Hätte ich einen RTW rufen müssen? Ab wann - also was muss passieren - muss ich einen RTW rufen?

    Kann ich im Nachhinein noch verantwortlich gemacht werden, wenn der Schülerin heute noch etwas passiert?

  • ähnlich wie bei einem epileptischen Anfall, ab er Epilepsie ist ausgeschlossen

    Wir hatten mal eine Schülerin mit ähnlichen Symptomen, da war ebenfalls die Bitte der Schülerin und Eltern, keinen RTW zu rufen. Unter anderem mit der Begründung, dass das Standardmedikament, das ein Notarzt an dieser Stelle (bei Verdacht auf epileptischen Anfall) verabreicht, "kontraproduktiv" sei.


    Wir hatten dann bereits im Vorfeld verschiedenste Gespräche, hatten nahegelegt, dass sie z.B. ein Notfallarmband am Handgelenk trägt (oder die Information im Portmonee hat), welche Medikamente nicht verwendet werden dürfen, welche Erkrankung vorliegt. Die Eltern waren jederzeit erreichbar und hätten in weniger als 10 Minuten da sein können (haben wir glücklicherweise nie wieder ausprobieren müssen).


    Im Zweifel ruft man den RTW, besonders bei SuS mit entsprechenden Erkrankungen und Wünschen sollen diese das aber bitte vorab schriftlich mitteilen.


    (Auch interessant ist die Kostenfrage: Ich hatte mal bei einem offensichtlichen Bruch den Notruf gewählt, die haben den Schüler mitgenommen. Hinterher kam die schriftliche Ermahnung, die über die Schulleitung zugestellt und protokolliert werden musste: Der Notruf und RTW wäre nicht notwendig gewesen. Sollte ich das noch einmal tun, müsse ich persönlich/privat haftend die Kosten für den Einsatz tragen. Statt der 112 hätten wir einen Taxischein im Sekretariat geholt, der Schüler wäre dann in Begleitung zum nächsten niedergelassenen Durchgangsarzt gefahren worden. Der Unfall war am Wochenende. Nachts. Bei Übernachtungsveranstaltung (personell unterbesetzt aufgrund von Grippesaison). Klar hätten wir bis zur Öffnung des Sekretariats nach dem Wochenende warten können - mit einem mit bloßen Augen deutlich erkennbaren Bruch. Und dann hätten wir im Wartezimmer irgendeines Arztes auf die Behandlung dort (eben ein paar Tage später) gewartet.)

  • @Djino: Also so wie du es schilderst, da hätte ich auch den RTW gerufen. Was ich nicht so ganz verstehe ist, warum dir das (bei Wiederholung) in Rechnung gestellt werden sollte. Man wählt als Laie die 112 und beschreibt dann den Sachverhalten. Wenn da so offensichtlich kein RTW benötigt wird, warum sagen die das dann nicht am Telefon? Hätten die dann doch gar nicht losschicken müssen. Soll sich dieser Wiederholungsfall mit Rechnung nur auf genau das gleiche "Krankheitsbild" beziehen oder ganz allgemein auf alle anderen möglicherweise harmlosen Fälle?

  • Wir rufen mehrmals im Schuljahr einen Rettungswagen.

    Oftmals stellt sich heraus, dass der kollabierte Schüler einfach nicht gefrühstückt hatte. Die Kostenfrage stellte sich noch nie. Wir haben eine Fürsorgepflicht!

    Die Ermahnung hast du hoffentlich mit Hilfe des Personalrats schriftlich zurückgewiesen.

    Nicht alles gefallen lassen!

  • Wenn du unsicher bist, ruf den Notruf.

    In den Regress kann dich dafür keiner nehmen, wenn du nicht gerade grob fahrlässig handelst. Insofern sind so Ermahnungen wie von Dino beschrieben, leere Drohungen. Umgekehrt, wenn du den Notruf nicht wählst, bist du hingegen relativ schnell in dem Graubereich zur groben Fahrlässigkeit.

  • Genau so ist es meiner Meinung nach auch.

    Lieber einmal zu häufig den RTW rufen als einmal zu wenig.

    (Und selbst wenn es denn unnötig war und selbst wenn man mir das in Rechnung stellen wollte - da würde ich gegen angehen. Umgekehrt (aus Angst/Zurückhaltung nicht bzw. zu spät angerufen) würde man eine doch deutlich höhere Rechnung erhalten.)

  • ...Die Schülerin hatte letztes Schuljahr schon gesagt, dass sie MS hat und dass es sein kann, dass sie so einen Anfall auch im Unterricht hat und dass sie sich dann hinlegen muss, bis der Anfall vorbei ist.

    ...

    Epilepsie ist ausgeschlossen.

    ...

    aber ihre Freundinnen und sie selber sahen dafür keine Notwendigkeit,

    Ich weiß nicht, wie alt deine Schülerin ist, aber offenbar schon so, dass man ihrer Aussage Glauben schenken kann. Solche Entscheidungen trifft man ja immer auch mit gesundem Menschenverstand. Verpflichtet bist du im Notfall zur ersten Hilfe, wie genau die aussieht, hängt von den Umständen ab. Wenn eine 17-Jährige bei Bewusstsein ist und mir versichert, dass dieser Zustand öfter auftritt und was getan oder gelassen werden muss, dann hätte ich grundsätzlich erst mal Vertrauen, vor allem, wenn darüber im Vorfeld schon gesprochen wurde.

    Ich stelle mir deine Situation auf jeden Fall beängstigend vor.


    Besser ist es grundsätzlich, man hat irgendwelche schriftlichen Handlungsanweisungen für Notfälle von einer Fachärztin parat.

  • Umgekehrt (aus Angst/Zurückhaltung nicht bzw. zu spät angerufen) würde man eine doch deutlich höhere Rechnung erhalten.)

    Oder vor Gericht landen, wie aktuell die beiden Kolleginnen, die auf der Klassenfahrt nichts unternommen haben.


    Miss Miller: Das ist ja schon eine ziemlich beängstigende Situation. Hatten wir aber ähnlich mit einem an Epilepsie leidenden Schüler. Er wurde grad eingestellt und da kam es immer mal wieder zu Anfällen. Dabei hat er auch immer gesagt: nichts machen, geht vorbei. Er war allerdings volljährig. Komisch wars trotzdem.


    Privat haben wir mal erlebt, dass ein Junge vor unserer Haustür umgekippt ist. Ich war Jugendliche. Meine Mutter rannte raus und rief mir zu, dass ich den Krankenwagen rufen soll. Dann kamen Erwachsene hinzu und riefen, er braucht keine RTW, sondern Insulin. Wir kannten weder den Jungen noch die Erwachsenen, die wohl seine Eltern oder Verwandte waren. Der RTW kam und die Leute haben uns übel beschimpft und sich beschwert, dass wir nicht gehört haben. Der RTW war unnötig, jetzt hätten sie das Theater. Er hätte doch lediglich seinen Pen gebraucht.

    Mich hat das nachhaltig beeindruckt und für mich ist es eine große Hürde, den RTW zu rufen.

  • Warum sollte man in einer ernsten Situation keinen RTW rufen? Ich kann mir vorstellen, dass der Lehrer selbst nach schriftlichen Absprachen mit Eltern oder Ärzten rechtlich gekniffen ist (Fürsorgepflicht?), wenn es dann doch notwendig gewesen wäre. Ruft man einen RTW und am Ende war es "unnötig" kann man rechtlich - jedenfalls für mein Empfinden - besser argumentieren. Schon alleine wegen der Außenwirkung.

  • Mal eine andere Frage: klar, man kennt ihre Vorgeschichte, aber wer sagt dir nicht, dass ihre Symptome zufälligerweise eine andere Ursache (Schlaganfall etc.) haben? Im Zweifel würde ich IMMER den RTW rufen. Wir sind keine Mediziner.

  • Wir hatten wegen einem Schüler mit Epilepsie eine schriftliche Handlungsanweisung vom behandelnden Arzt sowie schulintern eine Fortbildung zum Thema durch einen Arzt von der Schulbehörde, der genau dafür da war, in solchen Fällen beratend zur Seite zu stehen.


    Fazit: Bei einem epileptischen Anfall ist der RTW meist eh zu spät, bevor es sich beruhigt hat bzw sollten die Medikamente innerhalb 3 Minuten gegeben werden. ABER: Allein zur Abklärung der Vitalfunktionen nach einem Anfall und zur eigenen Sicherheit um dem Vorwurf einer unterlassenen Hilfeleistung zu entgehen, wurde uns dringend geraten immer den RTW dazu zu rufen.

  • Ich hatte heute eine Schülerin mit einem sog. dissoziativen Anfall im Rahmen einer MS-Erkrankung. Die Schülerin hatte letztes Schuljahr schon gesagt, dass sie MS hat und dass es sein kann, dass sie so einen Anfall auch im Unterricht hat und dass sie sich dann hinlegen muss, bis der Anfall vorbei ist.

    Also ganz kurz um das Aufzudröseln: dissoziative Anfälle haben primär nichts mit einer MS-Erkrankung zu tun und sind NICHT durch neurologische Schäden verursacht (also direkt MS-assoziiert), sondern psychogen und resultieren häufig aus Traumata. Wenn die dissoziativen Anfälle im Kontext der MS-Erkrankung erwähnt werden, kann es durchaus sein, dass eine Traumatisierung im Kontext der MS-Diagnose/ Krankenhausumfeld/ medizinisches Personal aufgetreten ist und verknüpft wird. Das könnte unter Umständen den Behandlungsprozess erschweren und retraumatisierend wirken. Da bei epileptischen Anfällen vom Rettungsdienst in aller Regel Midazolam, also ein Mittel, welches auch stark angstlösend und beruhigend wirkt. Darüber hinaus werden bei epileptischen Anfällen ab einer bestimmten Dauer auch weitere Maßnahmen ergriffen (wie Intubation etc.), welche bei dissoziativen Anfällen nicht nötig sind, aber immer auch unangenehme Nebenwirkungen mit sich bringen.

    Nun ist das für Laien in der Regel schwierig zu unterscheiden, vor allem, wenn kein Vorwissen über die dissoziativen Anfälle vorliegt. Da bei der betroffenen Schülerin allerdings Epilepsie ausgeschlossen ist und sie aufgrund der MS-Erkrankung sowieso bei einem Neurologen in Behandlung sein wird: besteht für euch eventuell die Möglichkeit, zusätzlich zu einem Gespräch mit der Schülerin euch (fach)ärztliche Handlungsanweisungen in Schriftform geben zu lassen, damit ihr sicher sein könnt, ihr optimal zu helfen?


    Edit: Gerade erst gesehen: die Schülerin war ja in der beschriebenen Situation bei Bewusstsein. In der Regel sind chronisch erkrankte Personen in diesem Alter durchaus selbst in der Lage einschätzen zu können, wann ein RTW benötigt wird und wann nicht. Kosten entstehen natürlich trotzdem nicht, falls ein RTW gerufen wird. Vielleicht könnten es auch helfen, mit der Mutter Rücksprache zu halten und sich über das Krankheitsbild zu informieren, da dissoziative Anfälle (abgesehen von potenziellen Verletzungen durch Fallen, was die Schülerin durch hinlegen ja selbst unterbunden hat) nicht vital bedrohlich sind, sondern lediglich erschreckend aussehen.

  • Ich habe einen Sohn mit Diabetes Typ 1 und wäre froh und dankbar, wenn Menschen hingucken und helfen bzw Hilfe holen.

    Bitte weiterhin die Rettung rufen.

  • Siehe mein Zitat

    Entschuldige, ich wollte nicht deine oder die Erfahrungen anderer Userinnen relativieren. Und natürlich soll man immer helfen.


    Aber wie geschildert, hat die betreffende Schülerin weder epileptische Anfälle, noch Diabetes, oder sonst eine Erkrankung, bei der man in etwa wüsste, dass sofortige Hilfe in Form medizinischer Eingriffe notwendig ist. Die TE ist aber auch nicht weggegangen, oder hat tatenlos zugesehen und sich gewundert, darauf wollte ich hinaus. Ihre Entscheidungen waren zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Wissen m.E. nicht fahrlässig. Trotzdem, wie geschrieben, würde ich was Schriftliches haben wollen.


    Und wenn man sich trotzdem unsicher fühlt, schadet der Anruf beim Rettungsdienst natürlich nicht.

  • Wenn eine 17-Jährige bei Bewusstsein ist und mir versichert, dass dieser Zustand öfter auftritt und was getan oder gelassen werden muss, dann hätte ich grundsätzlich erst mal Vertrauen, vor allem, wenn darüber im Vorfeld schon gesprochen wurde.

    Ich stelle mir deine Situation auf jeden Fall beängstigend vor.

    Die Schülerin ist 23 Jahre alt. Sie hatte die Klasse schon zu Beginn des letzten Schuljahres darüber informiert, dass das passieren kann und ihre beiden Sitznachbarinnen kannten das auch.

    Beängstigend war das, ich kann aber mit solchen Situationen gut umgehen, ich habe schon oft gehört, dass an mir eine Rettungssanitäterin verloren gegangen ist.

    Die Schülerin hat sich am Nachmittag noch gemeldet und sich bei mir dafür bedankt, dass ich so gehandelt habe wie ich gehandelt habe. Hm ... sehr nett und ich stehe auch nach wie vor dahinter, dass ich keinen RTW gerufen habe, aber Zweifel bleiben dennoch...

    Gerade erst gesehen: die Schülerin war ja in der beschriebenen Situation bei Bewusstsein. In der Regel sind chronisch erkrankte Personen in diesem Alter durchaus selbst in der Lage einschätzen zu können, wann ein RTW benötigt wird und wann nicht.

    Genau, das war es, dass mich hat nicht den RTW rufen lassen.

    besteht für euch eventuell die Möglichkeit, zusätzlich zu einem Gespräch mit der Schülerin euch (fach)ärztliche Handlungsanweisungen in Schriftform geben zu lassen, damit ihr sicher sein könnt, ihr optimal zu helfen?

    Im Grunde genommen hatte sie das letztes Schuljahr schon gesagt (nicht aufgeschrieben), und sie war jetzt sehr glücklich mit der Situation und wie wir sie bewältigt haben.

    Das ist interessant mit der Ursache für diese Anfälle - ich muss sie noch mal genau fragen, aber ich meine, sie sagte, dass das im Rahmen ihrer MS auftritt.

  • Das ist interessant mit der Ursache für diese Anfälle - ich muss sie noch mal genau fragen, aber ich meine, sie sagte, dass das im Rahmen ihrer MS auftritt.

    Ist wahrscheinlich auch für das Umfeld verständlicher und für sie leichter zu kommunizieren.

    Aber wie schon geschrieben wurde Dissoziation und auch dissoziative Krampfanfälle, Lähmungserscheinungen etc. gehören zu psychischen Erkrankungen. Sind häufig eine Begleiterkrankung. Dissoziative Krampfanfälle nach meinem Wissen Traumatisierungen.

  • Oh, sorry, ich weiß nicht, wo ich die 17 herausgelesen hatte, tut mir leid!

    Klingt doch als ob du super gehandelt hättest, schriftlich würde dir nur. Unter Umständen noch mehr Rechtssicherheit geben.

    Als jemand, der viel Erfahrung mit MS im engsten Umfeld hat: psychogene/ dissoziative Anfälle sind definitiv nicht MS-bedingt. Allerdings treten im weiteren Kontext von MS häufig reaktive oder komorbide psychische (Belastungs-) Symptome auf, durchaus auch bis zur posttraumatischen Belastungsstörung und auch dissoziative Anfälle sind da möglich.

    Du hast aber auf jeden Fall die richtige Entscheidung in dieser Situation getroffen, vielen Dank dir dafür!

  • Als ehemaliger Ausbilder (Lehrschein mittlerweile abgelaufen) kann ich Dir sagen, das prinzipiell gerade im Schulbereich gilt, lieber einmal zuviel den RTW bestellt als einmal zu wenig. Genau genommen bestellst Du ja auch keinen RTW, vielmehr setzt Du einen Notruf ab mit

    Wo geschah der Unfall?

    Wieviel Verletzte?

    Welche Verletzungen / Erkrankungen?

    Wer meldet?

    Die Entscheidung welches und ob ein Rettungsmittel geschickt wird, trifft der Leitstellendisponent.


    Wobei dissoziative Störungen und hirnbedingte Krampfanfälle nochmal zwei eigentlich unabhängige Ereignisse sind.


    Allerdings gilt auch, wenn die Erkrankung und der Umgang damit bekannt ist und der Betroffenen wieder vollkommen bei Verstand ist, hat sich der RTW danach im Normalfall erledigt. Hält das Ganze aber länger an unbedingt den RTW verständigen. Lang ist dabei relativ. Beim normalen Laienhelfer maximal 30 Sekunden ohne Bewusstsein. Meine persönliche Toleranzgrenze läge bei drei Minuten ohne Bewusstsein, dafür wüsste ich aber auch genau, wann es vorher kritisch wird.

    Sollte der Betroffene dann pünktlich zum Eintreffen des RTW wieder bei Verstand sein, braucht einem das nicht peinlich zu sein. In vielen Fällen wird man dann trotzdem anbieten, den Betroffenen zur näheren Abklärung ins KH zu fahren. Wenn der dann nicht möchte, nehmen die den auch nicht mit.


    Ist der geschädigte bei Bewusstsein, weiß er im Regelfall ob noch weitere Hilfe erforderlich ist.

    An alle Deutschlehrer:
    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten. :doc:

    Einmal editiert, zuletzt von chemikus08 ()

Werbung