Bildungsgerechtigkeit

  • Ich denke, es hat tiefere Ursachen, warum die einen Migrantenfamilien eher bildungsnah sind als die anderen.

    Ich möchte zB darauf hinweisen, dass die Erstimpfquote gegen corona in der Türkei nur bei ca. 67% liegt und in Portugal bei 95%.

    Man traut dem Staat oder eher weniger. Das gilt vielleicht auch in andren Bereichen.

    Heißt je gebildeter man ist, desto mehr traut man dem Staat?

  • :)

    Ne, ich meinte, man nimmt staatliche Angebote wie Bildung an und unterstützt den Staat damit.

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Ich meinte, dass, wenn man dem Staat traut und vertraut, man seine Angebote annimmt, Angebote wie Bildung, Impfung, Wahlen... sowas halt.

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Ich erwähnte ja bereits, welche Bildungsschicht kam

    Und ich verlinkte eine Statistik, die zeigt, welche Bildungsschicht hierher kam. 7 % Portugiesen mit akademischer Ausbildung, 12 % Türken mit akademischer Ausbildung, in den älteren Jahrgängen noch weniger. Das ist natürlich das grosse Bildungsbürgertum. Wir sind im 2023, nicht mehr im 1970. Da kamen auch nur schlecht gebildete Italiener in die Schweiz.


    Das mit den Schulabschlüssen ist nicht so schwer zu verstehen. Ich schrieb bereits, in der Schweiz hast du entweder einen Schulabschluss der Sekundarstufe II oder gar keinen. Es gibt keinen "Hauptschulabschluss". Irgendsowas wird es auch bei den Türken sein.

  • Wir erleben übrigens an der Förderschule Lernen bei der Diagnostik gelegentlich eine Überraschung, wenn herauskommt, dass der IQ eines Kindes (über-)durchschnittlich ist. Die Frage bleibt dann natürlich, warum es beim Lernen massive Probleme hat und wo es idealerweise beschult werden sollte. Aber das "Gefühl", wie intelligent jemand ist, trifft offenbar nicht immer zu. Vielleicht eher schon das Gefühl, wer leichter auf dem Gymnasium lernen wird, weil dort bestimmte Verhaltensweisen erwartet werden. Was wiederum zur Folge hat, dass einfacher zu handelnde Kinder häufiger das Gymnasium besuchen als schwierige... Teufelskreis.

  • Wie müssen ja nicht miteinander diskutieren. Schade.

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Ich meinte, dass, wenn man dem Staat traut und vertraut, man seine Angebote annimmt, Angebote wie Bildung, Impfung, Wahlen... sowas halt.

    Ja. Naja oder auch nicht. Bildung ist nicht zwingend eine Aufgabe des Staates, das geht auch privat und Impfung hat auch mit dem Staat nix zu tun.


    Kern Aufgaben des Staates liegen eigentlich wo anders.

  • Bei meinen sehr guten GS-Mitschülerinnen hat meine Mutter (auch GS-Lehrerin, aber andre Klasse) damals zuhause angerufen und gesagt, sie mögen doch bitte aufs Gym gehen. Kein einziges Elternteil hat dem zugestimmt. Immer hieß es "Die übernimmt den Hof" oder "Die heiratet eh" oder einfach "Des braucht die net".

    Du weisst natürlich, dass im Jahre 2023 mehr Mädchen am Gymnasium und mehr Jungs an den Hauptschulen sitzen. Manche Dinge ändern sich, andere nie.

  • Auch mal ein anderer Gedanke: Der deutsche Staat macht jedem Kind, jedem Jugendlichen ein Bildungsangebot. Bei Bildungsungerechtigkeit geht es ja im Jahr 2023 ja weniger darum, dass Lehrer X Schüler Y aufgrund seiner sozialen Zugehörigkeit schlechter bewertet/behandelt als Schüler Z, sondern eher dass Schüler Y sich bewusst oder unterbewusst den Angeboten verweigert. Wir betreiben sehr großen Aufwand, um diese Schüler doch irgendwie für Lernen und Bildung zu begeistern, verwenden hierfür fast mehr Mühe als für Schüler, die bereits in den Startlöchern stehen und Gas geben wollen. Klar, am Ende ist die Motivation dahinter, zu vermeiden, dass wir Leute generieren, die dem Staat auf der Tasche liegen, im schlechtesten Fall kriminell werden. Aber tun wir das nicht bereits? Die Jugendlichen, die ich kenne, die nicht aus dem Quark kommen, wissen insgeheim, dass Mama doch regelt und wenn da keine Unterstützung zu erwarten ist, hilft am Ende der Staat.

    Ein pragmatischerer Ansatz wäre, zu sagen, dass diejenigen, die die Angebote annehmen, Unterstützung bekommen, und die, die sie verweigern, Pech haben. Es muss nicht jeder auf's Gymnasium gehen. In der Zeitung suchen sie wieder Lagermitarbeiter, Reinigungs- und Spülkräfte; ich sehe regelmäßig Anzeigen für Mitarbeiter im Baugewerbe. Die Jobs kann man auch mit einem Hauptschulabschluss durchführen.

  • Problematisch ist, dass die Grundschullehrkraft für ihre sehr wichtige Entscheidung in Wirklichkeit keine relevante Erfahrung hat: Sie erhält zu ihren Entscheidungen niemals Feedback, der künftige Erfolg ihrer Zöglinge bleibt ihr unbekannt. Auch am Ende ihrer Karriere weiß sie im Grunde nicht, ob sie die Entscheidung jemals in einem Grenzfall richtig getroffen hat.

    Ich bin sehr irritiert über diese Aussage und hoffe, dass das nur deiner persönlichen Erfahrung entspricht.

    Wir GS Kräfte werden im 5. und 6.SJ zu den Konferenzen der weiterführenden Schulen eingeladen..Dort " erfährt" man dann zumindest wie die Kinder den Übergang schaffen. Das ist natürlich ein Feedback UND unser " Hauptgymnasium- dahin wo die meisten SUS unserer Schule gehen" lädt die GS Kraft zur Abifeier ein.

    Da war ich selbst noch nicht, da meine von dieser Schule da noch nicht sind.

    Meine Kollegin erzählte wie schön der Tag war und dass die Großen dann Fotos mit dem GS Klassentier gemacht haben, welches sie dabei hatte.


    Mich besuchen immer noch einige SuS an freien Tagen und berichten mir von Mitschülern. Da ich am Ort wohne treffe ich hin und wieder Eltern die erzählen wie es läuft.

    Finde ich immer total spannend.

  • Auch mal ein anderer Gedanke: Der deutsche Staat macht jedem Kind, jedem Jugendlichen ein Bildungsangebot...

    So neu ist der Gedanke nun nicht. Und er hilft vielleicht dem einzelnen Lehrer, der sich denkt "Wir können nicht alle retten", um nicht zu verzweifeln. Er ist aber keine Antwort auf die Frage, warum gerade in Deutschland die Herkunft über Bildungschancen in der Schule stärker entscheidet als in anderen Ländern. Es muss ja irgend ein strukturelles Problem vorliegen.


    Außerdem halte ich schulische Bildung nicht für ein nettes Angebot, sondern für eine Grundlage unseres Zusammenlebens. Der Staat sind wir.


    Zu deinen Arbeitsplatzvorschlägen: die kann man auch ungelernt und als funktionaler Analphabet annehmen. Gearscht ist man halt dann, wenn einem entgeht, dass Lieferando oder Paketsubunternehmen halsabschneiderische Drecksvereine sind, an denen vor allem die Oberschicht verdient. Auch alle selber Schuld?

  • Ich halte es auch für mehr als irritierend, was manch einer hier so loslässt. Es gibt in Deutschland eine SchulPFLICHT. Das RECHT auf Bildung ist nota bene nicht im Grundgesetz verankert. In der Bundesverfassung der Schweiz schon. Das erklärt vielleicht das Grundverständnis dass Schuld eigentlich nur diejenigen haben können, die PFLICHTIG sind.

  • Mich würde interessieren, inwiefern die Abschlüsse in Deutschland und in Ländern mit größerer Bildungsgerechtigkeit bzw. einem weniger einflussreichen Faktor soziale Herkunft vom Anspruchslevel her vergleichbar sind. Beispielsweise gilt der amerikanische High School Abschluss als deutlich einfacher, als das deutsche Abitur. Wie sieht es in diesem Punkt in Ländern aus, die beim Thema Bildungsgerechtigkeit ganz vorne mitmischen? Denn wenn der Preis dafür ein insgesamt niedrigeres Kompetenzniveau und ein niedrigerer Anspruch an Abschlüsse ist, dann weiß ich nicht, ob das überhaupt erstrebenswert ist.


    Anekdotisch: meine vorherige Schule, Gymnasium im Ruhrgebiet, hatte in Sachen Durchlässigkeit eine prima Passung mit der örtlichen Realschule. Die in der Einführungsphase zu uns stoßenden Schüler haben sich mehrheitlich völlig unauffällig in den Leistungsquerschnitt unserer eigenen Schüler eingefügt und erschienen mir in einigen Teilbereichen sogar oft besser aufgestellt. Es war aber eben auch ein extrem leistungsschwaches Gymnasium (mit dem oft besten Abidurchschnitt der Stadt, kein Widerspruch) und ich bin sicher, dass die Hälfte der Schüler an der Schule, an der ich davor gearbeitet habe, definitiv kein Abitur bekommen hätte. In Punkto Bildungsgerechtigkeit also sicherlich sehr überdurchschnittlich gut abschneidend, aber man darf bloß nicht allzu genau hinschauen, was die Leute am Ende überhaupt können.


    Was ich sagen will: vielleicht KANN Schule bei einem gewissen Anspruch schlichtweg nicht auf häusliche Mitarbeit des Elternhauses verzichten. Unsere Schulen sind mittlerweile vollgestopft mit Förderangeboten, oft fällt aber auf, dass gerade diejenigen, die sie nötig hätten, sie nicht annehmen, und auch die (eher bildungsfernen) Eltern die Notwendigkeit nicht sehen. Und dann ist das eben so und man sollte vielleicht eher schauen, in welcher Ausbildungssparte die Kinder und Jugendlichen gut aufgehoben wären. Zwischen Uniabsolvent und Lagerarbeiter liegen ja glücklicherweise noch sehr viele sehr gut bezahlte Optionen, die man evtl. auch einfach mal wieder angemessen wertschätzen könnte.

  • Meine Große musste letztes Jahr in Deutsch „Bewerbungen“ schreiben. Also das, was ihre Lehrerin, die in ihrem Leben noch keine richtige Bewerbung geschrieben hat, dafür hält. Ganz wichtig im Lebenslauf: Der Beruf der Eltern. Sie hat dann „Produktionshelfer“ und „Fachkraft in der Systemgastronomie“ reingeschrieben.

    Damit es authentischer wird und seine volle Wirkung entfalten kann, sollte sie auch noch eine Adresse im Brennpunktstadtteil angeben. Nur so als Tipp...

    Wer Fehler findet darf sie behalten und sich freuen! :victory:

  • Sehr gut!

    Ob es wirklich "zahlreiche" Schüler sind? Ich geh mal Zahlen suchen.

    Offizielle Zahlen kann ich nicht liefern, nur Erfahrungen. An den MS meiner Region wechseln ca. 30-50 Prozent der Mittelschüler irgendwann auf den M-Zug, abhängig natürlich auch von der Übertrittsquote nach der 4. Klasse. Haben da schon 85% auf eine weiterführende Schule gewechselt, ist die M-Quote logischerweise niedriger als bei einer Übertrittsquote von 65%.


    Edit: Ich spreche von MS mit eigenem M-Zug.

  • Was ich sagen will: vielleicht KANN Schule bei einem gewissen Anspruch schlichtweg nicht auf häusliche Mitarbeit des Elternhauses verzichten. Unsere Schulen sind mittlerweile vollgestopft mit Förderangeboten, oft fällt aber auf, dass gerade diejenigen, die sie nötig hätten, sie nicht annehmen, und auch die (eher bildungsfernen) Eltern die Notwendigkeit nicht sehen. Und dann ist das eben so und man sollte vielleicht eher schauen, in welcher Ausbildungssparte die Kinder und Jugendlichen gut aufgehoben wären. Zwischen Uniabsolvent und Lagerarbeiter liegen ja glücklicherweise noch sehr viele sehr gut bezahlte Optionen, die man evtl. auch einfach mal wieder angemessen wertschätzen könnte.

    Es verwundert mich jedes Mal wieder, wenn Gymnasialkolleg:innen von angebotenem Förderunterricht schreiben.

    Deine Schule mag vollgestopft sein mit Förderangeboten, meine ist es nicht. Offenbar leisten wir uns Förderkurse für diejenigen, die es auf das Gym geschafft haben, nicht aber für diejenigen, die das Lesen erst noch lernen müssen.

    An GS in meinem BL gibt es zwar im Erlass ausgewiesene Fördermöglichkeiten, jedoch keinerlei Stunden für die Förderung in D und Ma. Darum werden in den Grundschulen ehrenamtlich Leseeltern oder Lesepat:innen eingesetzt, so man Ehrenamtliche findet, die sich nicht nur um die eigenen Kinder, sondern eben unentgeltlich auch um diejenigen kümmern können und mögen, die keine Hilfe im Elternhaus hinsichtlich des Lernens und Übens erfahren.

    Stunden für DaZ muss man beantragen, mit Einstufung der namentlich genannten SuS, und erhält dann einen Bruchteil der beantragten Stunden, es ist ein Pool, dessen Stunden an die Schulen verteilt werden: mehr Schulen mit Bedarf, weniger Stunden für die einzelne Schule.

    Stunden für Begabtenförderung erhält man nur, ist Konzept, nach Aufnahme in einen Verbund, ebenfalls mit Poolstunden: mehr Schulen im Verbund, weniger Stunden je Schule.


    Stopfen wir doch gerne mal die Schulen mit Förderstunden voll, die sich der Aufgaben annehmen, die benachteiligten Kinder zu beschulen, vielleicht verlören wir dann sehr viel weniger Kinder und Jugendliche, denen hier manche Forist:innen ein „Pech gehabt, du wolltest ja nicht“ entgegnen und weiterhin ein „Mama macht das schon“ erwarten.


    Stattdessen finden schon Eltern, die sich kümmern können, keinen KiTa-Platz für ihr 4jähriges Kind und die mühsam beantragten Zusatzstunden werden Jahr um Jahr zuerst bewilligt und dann gestrichen, weil wir seit über 10 Jahren Lehrkräftemangel haben, genau an den Schulen, an denen viele Kinder mit den Bedarfen sind. Die anderen Schulen haben ja diese Stunden nicht, aber auch eine andere Schülerschaft.


    Davon, dass die Schulen mit Förderangeboten vollgestopft seien, kann also gar nicht die Rede sein.

    Aber mit „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ fordert man, dass diese Kinder später ihre nicht vorhandenen Bildungschancen mehr wertschätzen sollten.

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