Lehrer werden im Ruhrgebiet! Brauche Rat.

  • Hallo alle zusammen,


    Ich (36 Jahre alt) bin ausgebildeter Gymnasiallehrer in OWL, der seit zwei Jahren eine Vertretungsstelle an einer Realschule hat. Meine Vertretungsstelle läuft Ende dieses Schuljahres aus. Zuvor war ich Vertretungslehrer an einer Gesamtschule.


    Mein Ziel und Wunsch ist bzw. war es an einer Schule in OWL zu unterrichten. Ich möchte eigentlich ungern wieder Oberstufenklassen unterrichte, da mir die Korrektur der Klausuren überhaupt keinen Spaß macht, vor allem wenn die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler gering sind. Ich habe ein ganzes Jahr ein Englisch-LK unterrichtet, in dem den Schülerinnen und Schülern basale Englischkompetenzen fehlten und es unglaublich frustrierend war mit SuS Lektüren (Oil on Water) zu lesen, die sie nicht verstehen.


    An Gymnasien möchte ich ungern unterrichten, da meine Fachleitung und auch der Prüfungsvorsitzende am Tag meiner UPP meinten, dass ich aufgrund meines biografischen Hintergrunds (Migrationshintergrund) und Habitus nicht auf ein Gymnasium gehöre, bzw. dort nicht besonders willkommen wäre. Aufgrund dieser Aussage habe ich mich auch nie getraut mich an einem Gymnasium zu bewerben.


    Meine jetzige Realschule möchte mich unheimlich gerne behalten, aber die Bezirksregierung bei uns schreibt keine Planstellen aus. Meine Schulleitung meinte, dass es inoffiziell bis 2026 ein Einstellungsstopp in OWL gebe, da weiter im Westen, also im Ruhrgebiet etc. der Lehrermangel viel zu hoch sei, deswegen sollen sich Neubewerber im Ruhrgebiet bewerben.


    Die Schulleitung möchte mir gerne eine Planstelle anbieten, kriegt aber von der Bezirksregierung kein okay. Alternativ meinte die Schulleitung, dass ich noch ein Jahr als Vertretungslehrer arbeiten könnte, und er würde schauen, ob er mit der Bezirksregierung dann, solange eine außerplanmäßige Lösung finden kann.


    Nun stehe ich vor der Wahl: Soll ich diese Vertretungsstelle annehmen und noch ein weiteres Jahr mit der Hoffnung auf eine Planstelle warten, oder soll ich mich im Ruhrgebiet bewerben?


    Ich möchte gerne in OWL bleiben, aber mein Vertrag ist ein Teilzeitvertrag, wo ich nur 12 Stunden arbeite, und verdiene dementsprechend mit E11 ungefähr Netto 1180€. Das reicht nicht zum Leben aus. Ich wohne immer noch in meiner Ein-Zimmer Studentenwohnung und das geht allmählich auf meine Psyche. Vor allem, wenn ich Unterricht plane und Klassenarbeiten korrigiere wird das bei 25qm sehr eng.


    Der Grund, warum ich in OWL bleiben möchte ist einerseits Familie, aber was wichtiger ist, ist die Schülerschaft hier. Die Gesamtschule, an der ich zuvor unterrichtet habe, war in der Umgebung von Hamm. Und, auch wenn ich selbst einen türkischen Hintergrund habe, bin ich null mit dem Verhalten der meisten Schüler dort klargekommen. So hatte ich im Unterricht einen Schüler, der mir immer gesagt hat, dass seine Familie Clanmitglieder seien oder sowas ähnliches und dass ich ja bloß aufpassen solle, wie ich mit ihm rede. Und auf so einen Bullshit komme ich gar nicht klar. Nicht weil es mich einschüchtert, sondern weil dass einfach unglaublich albern ist, und ich kann Menschen nicht ernstnehmen, die solch ein Lifestyle feiern.


    An meiner jetzigen Schule besteht 40% der Schülerschaft aus Schülern mit Migrationshintergrund. Aber das sind meistens Schüler aus bildungsnahen Haushalten bzw. Schüler, die selbst erkennen, wie albern es ist, solch ein Assiverhalten aufzuzeigen.


    Meine Schulleitung meinte nun, dass ich mich nun doch im Ruhrgebiet bewerben solle, da er vermutet, dass die Bezirksregierung mit der Verbeamtung stur bleiben wird. Daher fühle ich mich nun gezwungen, mich im Ruhrgebiet zu bewerben. Die Chancen scheinen hoch zu sein, da dort viel ausgeschrieben wird, zudem habe ich jetzt eine Ordnungsgruppe von 12, was meine Chancen ja nochmal erhöhen sollte.


    Meine Frage an die Lehrerinnen und Lehrer, die im Ruhrgebiet, Rheinschiene etc. also westlich von OWL unterrichten:


    Wie ist es bei euch da mit der Schüler- und Elternschaft?


    Welche Städte oder Orte könntet ihr einem Lehrer empfehlen?


    Was würde mich an einer Realschule, Sekundarschule oder Gesamtschule bei euch in der Gegend erwarten?


    Wo im Ruhrgebiet/Rheinschiene etc. sind die Mieten ideal?


    Welche Städte haben einen guten Lebensstandard? (Mir ist ÖPNV-Anbindung sehr wichtig, damit ich all die Städte und Kulturaktivitäten auch erkunden kann, zudem habe ich keinen Führerschein)


    Ist es echt so schlimm an manchen Schulen im Ruhrgebiet, so wie ich es von anderen Lehrerkollegen zu hören bekomme?


    Vielen Dank für eure Mühe!

    • Offizieller Beitrag

    Hattest du schon mal mehr als 12 Stunden und könntest du mehr als 12 Stunden haben?

    Unter https://www.schulministerium.n…ept-unterrichtsversorgung findest du unter "dienstrechtliche Maßnahmen > Entfristungen" eventuell eine Möglichkeit für dich.
    Wenn deine Schulleitung dich halten will, kann sie zumindest versuchen, mit der Stundenzahl hochzugehen ( 1) du kriegst mehr Geld, es ist attraktiver für dich, 2) es eröffnet dir Möglichkeiten)

    Ich kann zu keiner deiner Fragen was sagen, würde aber vermuten, dass keine der Fragen eine Pauschalantwort haben kann und ich würde auch nicht unbedingt meine Planstelle, von der ich ggf. "nie wieder rauskomme", anhand dieser Pauschalkriterien auswählen, sondern höchstens nur an der besonderen Schule überprüfen (oder eben noch 1-2 Jahre abwarten, dass ich näher bleibe, wo ich eigentlich sein will).

  • An Gymnasien möchte ich ungern unterrichten, da meine Fachleitung und auch der Prüfungsvorsitzende am Tag meiner UPP meinten, dass ich aufgrund meines biografischen Hintergrunds (Migrationshintergrund) und Habitus nicht auf ein Gymnasium gehöre, bzw. dort nicht besonders willkommen wäre. Aufgrund dieser Aussage habe ich mich auch nie getraut mich an einem Gymnasium zu bewerben.

    Was soll das denn heißen? Sollen am Gymnasium nur deutsche Schnösel unterrichten, deren Eltern und Großeltern ebenfalls deutsch sind?


    Ich würde begrüßen, wenn am Gymnasium auch mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund und ohne typischen GL-Lehrkräfte-Habitus arbeiten würden. Und ich bin mir sicher, dass es auch Gymnasien gibt, wo solche Lehrkräfte willkommen sind.


    Aber, wenn du nicht gerne in der Oberstufe unterrichtest und nicht gerne korrigierst, dann passt Gymnasium vielleicht schon aus diesen Gründen nicht.

  • An Gymnasien möchte ich ungern unterrichten, da meine Fachleitung und auch der Prüfungsvorsitzende am Tag meiner UPP meinten, dass ich aufgrund meines biografischen Hintergrunds (Migrationshintergrund) und Habitus nicht auf ein Gymnasium gehöre, bzw. dort nicht besonders willkommen wäre.

    Was ist das für eine Aussage??

    Wieso solltest du dort nicht willkommen sein? Das irritiert mich sehr!

  • Ich würde begrüßen, wenn am Gymnasium auch mehr Lehrkräfte mit Migrationshintergrund und ohne typischen GL-Lehrkräfte-Habitus arbeiten würden. Und ich bin mir sicher, dass es auch Gymnasien gibt, wo solche Lehrkräfte willkommen sind.

    Vor allem, da du dann für Jugendliche mit Migrationshintergrund ein Vorbild sein könntest!

  • An Gymnasien möchte ich ungern unterrichten, da meine Fachleitung und auch der Prüfungsvorsitzende am Tag meiner UPP meinten, dass ich aufgrund meines biografischen Hintergrunds (Migrationshintergrund) und Habitus nicht auf ein Gymnasium gehöre, bzw. dort nicht besonders willkommen wäre. Aufgrund dieser Aussage habe ich mich auch nie getraut mich an einem Gymnasium zu bewerben

    Bitte was? Was eine Frechheit

  • Die Bandbreite bei den Schulen ist sehr hoch. Ich habe an einer Gesamtschule mit dem Sozialindex 2 unterrichtet, dort hätte ich es mir auch langfristig vorstellen können. Wo ich jetzt wohne, steht eine Gesamtschule mit dem Sozialindex 4 und dort sieht es ganz anders aus. Falls dir „Sozialindex“ nichts sagt, lies das bitte beim Schulministerium nach.


    Ich würde daher tatsächlich bei der Schule ansetzen. Wenn du eine Stelle hast, findest du zwischen 7 und 11 € Kaltmiete je Quadratmeter auch eine Wohnung, von der du die Schule erreichen kannst. Ich würde an deiner Stelle im Dreieck zwischen Duisburg, Dortmund und Recklinghausen suchen: Im nördlichen Ruhrgebiet ist der Bedarf tatsächlich sehr groß und du bist noch relativ nah dran an OWL. Im Norden, also zwischen Recklinghausen und Münster, wird es mit dem ÖPNV schon etwas schwieriger und auch die Stellen sind weniger, denn (zu) viele Lehrer wollen in Münster und Umgebung wohnen und arbeiten. Im Süden, also Richtung Düsseldorf und Köln, sind die Stellen ebenfalls etwas weniger und das Wohnen wird etwas teurer.

  • Ich habe mein Ref an einer Gesamtschule im Ruhrgebiet mit hohem Sozialindex gemacht. Jetzt bin ich an einer Schule mit niedrigem Sozialindex. Das sind 2 verschiedene Welten. Guck dir geziehlt an wo du dich bewirbst und verlgleiche mit der Liste: https://www.schulministerium.nrw/sozialindex

    Je nach Fächern kann es sich auch durchaus lohnen die Schulen direkt anzuschreiben, ob sie dich denn brauchen könnten. Guck einfach dass du dir eine Schule mit Index 1-2 suchst und werde glücklich.

    • Offizieller Beitrag

    Also, um es mal ganz klar zu sagen:

    NRW braucht ganz dringend Lehrkräfte mit türkischem Migrationshintergrund - und gerade an den Gymnasien.


    Es sind immer noch recht wenige - zu wenige - Menschen mit Migrationshintergrund, die sich für ein Lehramtsstudium entscheiden, dies erfolgreich durchziehen und im Anschluss das Referendariat machen und in den Schuldienst gehen. Damit spiegelt die LehrerInnenschaft aber eben nicht die Gesellschaft wider. Ich habe 2003 mein Referendariat begonnen und war meiner Erinnerung nach der einzige LAA mit Migrationshintergrund. Das führte auch in einem kleinstädtischen Gymnasium in der Pampa, an das ich geschickt wurde, zu Verwunderung. Nicht exklusiv negativ. Man kannte das eben noch nicht.

    Später war ich in einer niederrheinischen Stadt mit viel Migrationshintergrund auch lange Zeit der einzige Lehrer mit Migrationshintergrund.


    Wenn Du Dich von diesen Aussagen Deiner AusbilderInnen davon abbringen lässt, ans Gymnasium zu gehen, dann wird mittelbar das Vorurteil von "assig" sprechenden türkischstämmigen MitbürgerInnen, die irgendwo in ihrer Migrantenblase unintegriert leben, weiter tradiert. An meiner Schule gibt es einen türkischstämmigen Kollegen, der ganz normaler Teil des Kollegiums ist. Gleichwohl hat auch er einschlägige Erfahrungen mit seinem Migrationshintergrund gemacht - sowohl schulisch als auch privat. Du kannst gerade als türkischstämmiger Lehrer an einem Gymnasium unglaublich viel bewirken. Du wärst eine Identifikationsfigur, ein Vorbild und der Beleg für die türkischstämmigen (und sicherlich auch für die anderen) SchülerInnen, dass man in Deutschland vieles erreichen kann. Natürlich sollst Du Dein Leben nicht primär in den Dienst eben jener Vorbildfunktion stellen, aber Dein Einfluss könnte im Vergleich zur "biodeutschen" Lehrkraft ein ganz besonderer sein. Unterschätze das nicht.


    Die Gymnasien sind keine "arischen Eliteanstalten" - das dürfte Dir der LK, von dem Du sprachst, ja gezeigt haben. Wie Du sicherlich weißt, müssen die SchülerInnen in NRW einen LK aus D/M/FS/NW wählen und darüber hinaus zwei der drei Kernfächer als Abiturfächer wählen. Daraus ergibt sich oft, dass nur ein Teil der KursteilnehmerInnen eines Englisch LK auch wirklich gut dort aufgehoben ist. Das kann ich Dir aus langjähriger Erfahrung mit mehreren Englisch LKs sagen. Gymnasien sind ebenso wenig exklusive Beschäftigungsfelder für "arische" Lehrkräfte. Es mag sein, dass man das unterschwellig noch so empfindet - teils auch seitens der Kollegien - aber je selbstverständlicher und je häufiger in Kollegien Lehrkräfte mit Migrationshintergrund arbeiten, desto weniger wird das irgendwann auffallen.


    Was die Korrekturen angeht, so habe ich mit meiner Frau, die an einer anderen Sek I Schulform arbeitet, den direkten Vergleich. Ich fluche auch über die Korrekturen, aber die Oberstufenkorrekturen sind im Vergleich zu dem, was meine Frau mitunter von ihren SchülerInnen vorgelegt bekommt, keine solche Zumutung. Das ist eben Teil unseres Geschäfts und an einer Realschule darfst Du auch Klassenarbeiten sowie die ZP10 korrigieren.

    Oberstufenarbeit war für mich immer sehr erfüllend, weil man fachlich ganz anders arbeiten kann und man in der Regel auch disziplinarisch weniger Probleme hat. ("Reingehen, unterrichten, rausgehen".) Ich empfinde das immer als sehr angenehm. Durch den Wegfall der Einführungsphase am Gymnasium werde ich in den kommenden drei Schuljahren deutlich mittelstufenlastiger unterrichten dürfen - ich kann nicht behaupten, dass ich davon sonderlich begeistert wäre, but that's part of the job.


    Ich würde mich an Deiner Stelle an einem Gymnasium im nördlichen Ruhrgebiet bewerben und dann einfach gute Arbeit abliefen - so wie es von uns allen erwartet wird. Und womöglich wirst Du sogar glücklich(er) damit sein.

  • Oder an einer Gesamtschule, das ist ja prinzipiell egal. Jedenfalls kann ich lerares absolut verstehen, wenn er diesen Hampeltanz an seiner derzeitigen Schule und Schulform nicht mitmachen will.


    Ich würde einfach alle zwei Wochen bei Leo reingucken und stumpf mich auf jede Stelle bewerben.

  • Der Beitrag liefert Anlässe für Seitenlange Metadiskussionen. Die helfen dir nicht weiter, darum verkneife ich sie mir. Stattdessen beschränke ich mich auf den Hinweis: Niedersachsen, insbesondere Osnabrück oder Oldenburg sind von OWL in der Regel näher als das Ruhrgebiet, auch dort gibt es unterschiedliche Schulen mit unterschiedlicher Klientel aber die Situation ist doch deutlich anders als im Pott, ich würde einfach mal in die Richtung gucken.

    Als Gymnasiallehrer nicht in der Oberstufe zu unterrichten wird schwierig bis unmöglich, das ist aber überall so.

  • Dein Einfluss könnte im Vergleich zur "biodeutschen" Lehrkraft ein ganz besonderer sein. Unterschätze das nicht.


    Naja, ich habe noch nie verstanden, warum es ein Arzt-Sohn mit iranischem Migrationshintergrund schwerer haben soll als ein deutsches Kind aus einer Hartzer-Alkoholiker-Familie im Brennpunkt, und warum diese vermeintliche Vorbildfunktion immer nur Lehrkräfte mit bestimmten Migrationsattributen betrifft. Was da in solchen Fällen stattfindet ist doch einfach eine sehr infantile Art der Projektion - wobei ich nicht ausschließen will, dass sie vielfach Wirkung zeigt (sie geht nur oft an der Realität vorbei).


    Was ist denn diese biodeutsche Lehrkraft (ich weiß, war in Klammern)? Eine Lehrkraft mit kaukasischem Teint, die fehler- und akzentfrei Deutsch spricht? Puh, da die "biodeutschen" offenkundig zu identifizieren, dürfte in ganz, ganz vielen Fällen echt schwer werden.


    Gebraucht werden gute und engagierte Lehrer - wo die herkommen und welche Hautfarbe die haben, sollte dabei sowohl in die eine als auch in die andere Richtung keine Rolle spielen, außer man möchte weiter das Narrativ bedienen, dass Migranten aus bestimmten Ländern oder Kulturkreisen hier systematisch benachteiligt werden.


    lerares


    Also lass dir keinen Quatsch erzählen. Du solltest dich genauso an Gymnasien bewerben. Wenn du absolut keinen Bock auf Oberstufe hast, ist das ein valides Argument, aber der Blödsinn, dass du fürs Gym nicht geeignet wärst, ist es auf jeden Fall nicht!

  • Dieser rassistische BS sitzt sicher tief. Unfassbar und m.E. komplett falsch auf allen erdenklichen Ebenen.

    Wenn du wirklich keine Oberstufenklausuren korrigieren willst, kann ich das verstehen. Andererseits hast du Spaß an höherem Niveau, wenn ich das richtig verstehe?..

    Vielleicht ist das Gymnasihm dann doch etwas für dich?

    Hinhalten bei diesen wenigen Stunden würde ich mich kein weiteres Jahr lassen.

    Du willst dir sicher ein Leben aufbauen, hast einen Abschluss und es herrscht Lehrermangel.

    Wenn die SL das bis jetzt nicht hinbekommen hat, dann hilft auch ein weiteres Jahr nichts.


    Zum Habitus: ich bin gerade an einer Brennpunktschule. So wie ich da rede, habe ich mit Professoren und Chefärzten etc. nicht gesprochen und würde es bei anderen Schüler:innen auch nicht tun. Intelligente Menschen können sich (auch sprachlich) anpassen.

    Ich glaube tatsächlich, dass manche (z.B. Seminarleitungen) das aber nicht verstehen bzw. aus dem Moment heraus beurteilen.

    In meinem alten Job bin ich im Hosenanzug, gestärkter Bluse oder Etuikleid herumgelaufen, jetzt in Jeans und Vans.

    Würde ich mit meinen S:S reden wie früher mit Reedereichefs oder anderen hochrangigen Menschen in Pelz und Porsche mit Dr., Prof. und Adelstiteln, sie würden mich weder verstehen noch ernst nehmen.

    Ich bin mir sicher, dass du kein Problem mit deinem Habitus hast und kann aus Erfahrung sagen, die Zeiten von Anzug, Hemd und Steifheit sind auch an Gymnasien für viele vorbei.

    Da ist die Lehrerschaft auch heterogen.

  • Papergirl: Ich bin ein bisschen hin- und hergerissen, ob ich deine Sprachwahl gut finde oder nicht. Klar müssen die Schüler dich verstehen und auch ernst nehmen, was mit einem "hochgestochenen" Sprachstil und -vokabular womöglich schwierig ist. Andererseits sollen Schüler aus bildungsfernen Schichten ja nicht auf diesem Niveau verharren, sondern mit Bildungssprache vertraut gemacht werden und die Möglichkeit erhalten, in der sozialen Hierarchie aufzusteigen (ob sie diese Chance nutzen, steht natürlich wieder auf einem anderen Blatt). Wenn ich so darüber nachdenke, ist es ein schwieriger Spagat, auf den ich spontan auch nicht die Lösung schlechthin weiß. Nimmst du diesen Spagat im Berufsalltag auch wahr?

  • Ich glaube, Du missinterpretietst das. Natürlich bin und bleibe ich ein Sprachvorbild. Aber es gibt eben das Strassensoziolekt und die akademische Sprache an den „Enden“ und ganz viel dazwischen. Auf dieser graduierbaren Linie bin ich an der einen Schule weiter dort, an der anderen weiter woanders. Das kann heißen, weniger Haupt-/Nebensatzkonstruktionen, weniger „altertümliche“ Begriffe, etc. pp.

    Es heißt nicht, dass ich spreche wie Teenies in einer Bar.

    Nach und nach erweitert man den Wortschatz um Bildungs-, Schul- und Fachsprache und doch werde ich auch in Klasse 10 nicht so reden können wie bspw. mit meinen eigenen Kindern.

    Das ist ja auch Teil des Scaffoldings und wichtig.

    Davon dann aber abzuleiten, dass das -und ausschließlich das!- mein eigenes Sprachvermögen ist, das wiederum ist dann anmaßend und schlicht falsch.

  • Ob ich das wahrnehme?

    Ganz unbedingt. Immer.

    Vor allem natürlich beim Thema Lyrik. Aber ich muss jeden Text kürzen, umschreiben, annotieren.

    • Offizieller Beitrag

    Naja, ich habe noch nie verstanden, warum es ein Arzt-Sohn mit iranischem Migrationshintergrund schwerer haben soll als ein deutsches Kind aus einer Hartzer-Alkoholiker-Familie im Brennpunkt, und warum diese vermeintliche Vorbildfunktion immer nur Lehrkräfte mit bestimmten Migrationsattributen betrifft. Was da in solchen Fällen stattfindet ist doch einfach eine sehr infantile Art der Projektion - wobei ich nicht ausschließen will, dass sie vielfach Wirkung zeigt (sie geht nur oft an der Realität vorbei).

    Wenn Du derartige Extrembeispiele konstruierst, dann spielst Du Dir argumentativ natürlich selbst in die Karten.


    Die Vorbildfunktion ist dadurch gegeben, dass die Kinder mit Migrationshintergrund sehen, dass Menschen wie sie auch in denselben Berufen wie die Menschen ohne Migrationshintergrund (oder ohne sicht- oder hörbaren Migrationshintergrund) anzutreffen sind und es somit möglich ist, wenn man sich anstrengt. Das ist keine infantile Projektion.
    Gleichzeitig können Lehrkräfte mit Migrationshintergrund auf der Basis eigener Erfahrungen ganz anders mit den Problemen, Sorgen und Nöten der Kinder mit entsprechendem Hintergrund umgehen.

    (Die Migrantenkinder, die selbst aus der Mittel- oder gar der Oberschicht stammen und ein entsprechend bildungsaffines Elternhaus haben, gehen in der Regel erfolgreich ihren Weg. Es gibt aber genug (bzw. vermutlich zu viele) andere. Und diese Kinder haben es schwerer. Da kann eine Lehrkraft, die manche Probleme am eigenen Leib selbst erfahren hat oder entsprechend sensibilisiert ist, die ggf. die Herkunftssprache spricht, oder die auch mal Tacheles reden kann, ohne dass man ihr mit der Rassismuskeule kommen kann, den Unterschied machen.

  • (...) möglich ist, wenn man sich anstrengt.


    Ich bin der Überzeugung, dass dies auch schon gelingen kann, wenn man lebt, seinen Interessen freien Lauf lässt, seine Neugierde zu befriedigen versucht, Lebensfreude entfaltet, statt mutlos in den Seilen zu hängen.

    Diese Freude entdecken und entfalten zu helfen, sehe ich als erste Aufgabe einer/s Lehrer/in, der/s Fachlehrers/in in ihren/seinen Fächern, aufwecken.


    Anstrengung? Non, pardon: Aufwachen!

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Die Behauptung, Lehrer:innen mit Migrationshintergrund hätten am Gym nichts zu suchen ist doch lächerlich. Auch das Argument mit dem Habitus ist Quatsch. Ich bin zwar das, was manchmal als "biodeutsch" und an meiner Schule auch als "Kartoffel" bezeichnet wird, bin aber eben auch ein Arbeiterkind. Natürlich habe ich einen anderen Habitus als der Kollege, dessen Mutter Schulleiterin und Vater Anwalt in einer Großkanzlei war.

    Ich nehme an, dass man mir immer anmerken wird, dass ich ein Arbeiterkind bin. Das an sich macht mich aber weder zu einer "passenden" noch zu einer "unpassenden" Lehrerin für irgendeine Schulform.

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