Nachdem hier immer wieder die gleichen Frust-Themen aufkommen, versuchen wir es doch mal konstruktiv: Wie würde eure Traumschule aussehen? Ich formuliere die Frage jetzt mal absolut offen, ihr könnt euch irgendwas zusammenphantasieren. Alles, was ich im Folgenden aber schreibe, halte ich 1. für realistisch umsetzbar, bezieht sich 2. überwiegend auf die Sekundarstufe II und ist 3. sicherlich nicht vollständig:
- Sowohl der Fächerkanon als auch die Anzahl Wochenlektionen müssten deutlich reduziert werden. Ich würde mir eine Rückkehr zum alten deutschen Kurssystem der Oberstufe wünschen, sprich, aus jedem Fachbereich darf etwas abgewählt werden und man spezialisiert sich nach den eigenen Interessen. Für mich ist es die grösste Fehlentscheidung der letzten 20 Jahre jedem Jugendlichen den gleichen Fächerkanon aufzwingen zu wollen, egal ob's einen interessiert oder nicht. Es gibt kein wissenschaftliches Fundament für die Behauptung, die allgemeine Studierfähigkeit würde sich dadurch verbessern. Mir graut vor der Maturreform, die uns in der Schweiz bevorsteht, die geht nämlich in die komplett gegenteilige Richtung. Unsere Jugendlichen haben derzeit bis zu 37 Lektionen Unterricht pro Woche, das müsste man auf maximal 30 Lektionen reduzieren, weitere 10 Lektionen sollten zwar im Stundenplan verankert aber zur freien Verfügung (dann auch ohne Anwesenheitspflicht) gestellt werden. Entspricht dann einer normalen Arbeitswoche.
- Unterrichtsbeginn um 09:00 Uhr, weg vom 45-min-Takt. Ob Blockunterricht wirklich sinnvoll ist, weiss ich nicht recht. Ich könnte mir eher vorstellen, dass man die Wochenstundentafel thematisch sortiert, dabei BG, Musik und Sport zum Ausgleich dazwischen"fleddert". In wirklich selbständige Arbeitsphasen findet man jedenfalls nur rein, wenn pro Einheit genügend Zeit zur Verfügung steht. Jede Schule braucht eine vernünftige Mensa und ausreichend entsprechend ausgestattete Räumlichkeiten um wirklich *alles*, inkl. Hausaufgaben und Prüfungsvorbereitung, an der Schule erledigen zu können. Wer dann nach Hause geht, hat Freizeit und Punkt.
- Bei insgesamt weniger Fächern auf der Stundentafel bleibt mehr Zeit für interdisziplinäres Arbeiten. Dies aber bitte nicht als Alibiaktion, weil sich irgendwelche Politiker drüber freuen, sondern wirklich mit einem entsprechenden Zeitkontingent, so dass auch eine entsprechende inhaltliche Tiefe erreicht werden kann. Zum Teil gibt es das schon bei uns, allerdings sind mir die Fächerkombinationen zu starr (das liegt an unserer Schulleitung ...) und wir könnten gerne auch in jedem Semester über die 4 Jahre wenigstens ein iProjekt pro Klasse führen. Anmerkung dazu: Die Mehrheit meiner KuK wäre eindeutig *nicht* dafür, da nimmt sich einfach jeder selbst zu wichtig und jeder schiebt irgendeine latente Angst davor, irgendwelche belanglosen Details des jeweiligen Fachunterrichts dann nicht mehr unterbekommen zu können.
- Die Klassengrösse kann gerne auf etwa 15 Jugendliche reduziert werden, dafür wäre ich bereit auf den Halbklassenunterricht in den Naturwissenschaften zu verzichten. 15 Jugendlichen kann ich jederzeit auch im Praktikum gut "verwalten" ohne dass die Gefahr droht, dass sich eins hinter meinem Rücken umbringt. Ich habe in den letzten Jahren häufig Kurse in dieser Grösse im Schwerpunktfach unterrichtet und jetzt nach langer Zeit mal wieder eine "grosse" Klasse mit 22 Jugendlichen im Unterricht. Eine absolute Zumutung finde ich hier vor allem die Korrekturen und da sind wir schon beim leidigen Thema der Leistungserhebung. In den kleineren Kursen habe ich einfach mehr Möglichkeiten für alternative Prüfungsformen abseits der schriftlichen Prüfung. Sehr effektiv und absolut entlastend für beide Seiten ist z. B. die Jugendlichen Experimente oder Aufgaben direkt am Ende der Stunde präsentieren zu lassen. Das mache ich seit einiger Zeit (auch mit der grossen Klasse ...) und bin ein absoluter Fan davon geworden. Man kann in kleineren Kursen auch viel mehr diskutieren und eine entsprechende Fehlerkultur pflegen. Ich frage gerne auch mal den Rest der Klasse, wie die jetzt die Präsentation eines Experiments z. B. bewerten würden und erstaunlicherweise bekomme ich da sehr seriöse und reflektierte Antworten. Meistens kommen wir zum gleichen oder wenigstens einem ähnlichen Ergebnis bezüglich der Note, die ich am Ende eintrage.
- Ich würde mir mehr Flexibilität beim Wechsel zwischen den Schulniveaus wünschen. Ja, tatsächlich geht das ein bisschen in Richtung "Gesamtschule" allerdings bin ich ein absoluter Fan von leistungshomogenen Gruppen, mit denen arbeitet es sich einfach effektiver. Wir haben zwei Schultypen im gleichen Haus, allerdings ist ein Wechsel von der FMS ans Gymnasium meistens mit "Verlusten" behaftet, sprich das 1. Jahr wird wiederholt. Es ist völlig klar, welche Fächer da kritisch sind, ergo müsste man in diesen einfach Förderkurse für die Übertreter anbieten um das aufzufangen. Darüber hinaus besteht theoretisch die Möglichkeit, nach der 3. Klasse FMS die 3. und 4. Klasse am Gymnasium zu machen um so mit der allgemeinen Hochschulreife abzuschliessen. Praktisch ist das wenn überhaupt nur noch für ein einziges Berufsfeld der FMS möglich, da nur noch im BF Gesundheit überhaupt alle drei Naturwissenschaften unterrichtet werden. Das beisst sich jetzt natürlich mit meinem 1. Punkt, der Forderung nach mehr Spezialisierung, die ich grundsätzlich an der FMS sehr begrüsse. Gleichzeitig müsste es eben entsprechende Zusatzangebote geben. Oder ... da wir ja die Stundentafel ausgemistet haben, sollte es möglich sein, dass ein FMS-Schüler in bestimmten Fächern eben den Unterricht am Gymnasium besucht um sich so auf einen Übertritt vorzubereiten.
- Für die Zusatzangebote braucht es natürlich Lehrpersonen. Ja mei, dann muss man die eben anstellen. Unsere Arbeitsbedingungen an den Mittelschulen sind nicht so schlecht, es gibt genügend Bewerber am Markt. Das Pflichtdeputat würde ich dennoch von derzeit 22 Wochenlektionen auf 20 Wochenlektionen reduzieren um mehr Zeit für die Vorbereitung von z. B. iProjekten oder eben Förderkursen freizuschaufeln. Gleichzeitig würde ich aber auch alle Lehrpersonen zu regelmässigen, externen Fachfortbildungen *verpflichten*. Im Moment läuft das hier so unter "man sollte eigentlich", es wird aber bestenfalls halbherzig danach geschaut, was wirklich passiert ist. Wir tragen irgendwelche Stunden in ein aufgeblasenes Excel-Sheet ein, Hauptsache, da kommt am Ende die richtige Zahl an geleisteter Jahresarbeitszeit raus. Womit die effektiv zugebracht wurde, wäre aber natürlich viel spannender zu sehen.
- Die Schulleitung müsste sich etwa alle 4 - 5 Jahre zur Wiederwahl stellen oder ggf. eben ersetzt werden. Ähm, ja ... das ist jetzt ein ganz persönliches Anliegen meinerseits aber ich hielte es generell für sinnvoll, wäre dieser Job nicht gar so selbstverständlich bis ins Grab gebucht. Schule an sich ist unter anderem deshalb so träge, weil Verantwortliche sich ihrer Sache gerne zu sicher fühlen.
OK, ich belasse es mal hierbei. Es wird glaube ersichtlich, dass ich mit meinen Arbeitsbedingungen und dem System, in dem ich arbeite, gar nicht grundsätzlich unzufrieden bin. Mir geht es nicht um Utopia, ich glaube meine Gedanken könnte man wirklich in die Realität umsetzen. Ich bin gespannt, was ihr so meint ...