Seelische Belastung durch Kinder mit häuslichen Problemen

  • Hallo,


    ich bin neu hier im Forum und weiß eigtl. gar nicht ob das hier so rein passt.

    Kurz zur Einordung: Ich arbeite an eienr Schule, die vor allem von Kindern aus Solzialschwachem Umfeld besucht wird. Wir haben ca. 450 SuS und genau 1 Schulsozialarbeiterin. Ich bin mittlerweile einige Jahre an dieser Schule tätig und langsam fassen einige Schüler tieferes Vertrauen in mich. Dies führt dazu, dass Sie sich mir öffnen und ihre Probleme mir anvertrauen. Mittweile habe ich so 5 SuS mit denen ich regelmäßig vor / nach der Schule (im Schulhaus) oder in den Freistunden spreche. Wir sprechen hier von massiven Vernachlässigungen, Eltern mit Drogenhintergrund und bei einer Schülerin sogar sexuelle Misshandlung.


    Vorab, ich habe natürlich Kollegen und Schulleitung informiert, sowie versucht, wo es möglich ist mit der Schulsozialarbeiterin (welche selbst komplett überlastet ist) zusammenzuarbeiten. Wo nötig ist auch bereits das Jugendamt informiert und ich arbeite auch dort mit den Mitarbeitern zusammen. Zum Glück haben wir ein recht gutes Verhältnis im Kollegium, sodass man auch sinnvolle Krisengespräche führen kann.


    Dennoch habe ich das Gefühl, dass mich das mehr mitnimmt, als es eigentlich sollte. Die Schicksale der Kinder machen mich wütend auf die Eltern. Die teilweise völlige Verweigerung der Zusammenarbeit. Wenn die Eltern überhaupt erreichbar sind. Mir kommt es vor, als wären die Kinder nur da, um Kindergeld zu kassieren. Ich merke, dass ich immer mehr damit zu kämpfen habe. Ich komme oft nach Hause und mir ist eigentlich nur zum heulen zumute. Ich fühle mich machtlos in diesen Situationen. Ich würde gerne mehr helfen, aber mehr als ein offenes Ohr anbieten kann ich leider nicht. Leider sehe ich selten eine Verbesserung der Umstände bei den Kindern. viel zu selten passiert überhaupt was. Selbst wenn das Jugendamt eingeschalten wird, verläuft sich nach dutzenden Versuchen z.b. Familienhelfer in die Familien zu schicken, die Verfahren im Sande und die Kinder stehen da wie am Anfang.

    Ehrlich gesagt, frisst mich das so langsam auch auf. Ich habe mich schon oft gefragt, ob ich diese Betreuung der Kinder irgendwie nach und nach auslaufen lassen kann. Aber am Ende denke ich immer wieder, dass unsere SuS nur noch die Lehrer haben, die Ihnen zuhören. Und am Ende, wenn ich damit aufhöre, haben einige der Schüler gefühlt niemanden mehr, der ihnen wenigstens zuhört.


    Mir wird ehrlich gesagt schlecht, wenn ich daran denke, dass es diskussionen gibt, die Arbeitszeit der Lehrer weiter hinaufzusetzen. Ich frage mich dann, ob ich dann überhaupt noch Zeit habe mir zumindest die Probleme der SuS anzuhören.


    Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht was ich von diesem Post erwarte. Vielleicht versuche ich nur mal mir ein bisschen was von der Seele zu schreiben. Aber ich Frage mich immer wieder:


    Bin ich alleine? Können andere Lehrer damit besser umgehen? Lernt man mit der Zeit das ganze an sich abperlen zu lassen?


    Über ein paar Reaktionen würde ich mich freuen.

  • Wir versuchen...

    ...die Kinder zu ermächtigen, sich Hilfe zu holen (wie finde ich zum Kinder- und Jugendnotdienst? Was könnte passieren, wenn ich mich ans Jugendamt wende? Gibt es eine 'funktionierende' Oma? usw.)

    ...zuzuhören, aber als Lehrkraft zu antworten. Ich bin keine Therapeutin, keine Jugendrichterin, keine Sozialarbeiterin und schon gar keine Verwandte des Kindes. Gesprächs- und Beratungstechniken aus dem pädagogischen Setting/Systemisches Fragen etc. sind dabei hilfreich. Wir sind Professionelle aus der Pädagogik, nicht mehr, nicht weniger, nichts anderes. Dabei darf man selbstredend Mitgefühl haben und zeigen, aber wenn man einem traumatisierten Kind das Gefühl gibt, dass man nicht aushält, was es uns erzählt, kann man im Zweifel mehr kaputt machen als man helfen könnte

    ...Elterngespräche zielgerichtet und zu zweit zu führen

    ...uns über mögliche Gefühle bewusst zu werden, aber diese mit Kolleg*innen, Chef*in oder Schulsoz oder der 'Insofa' (insofern erfahrene Fachkraft beim Jugendamt) zu besprechen. Sich für den einzigen zu halten, der helfen kann und auch muss, weil man gefühlt die Verantwortung für Wohl und Wehe des Kindes und das Verhalten der Eltern hätte ist gefährlich, wie du gerade zu spüren bekommst. Igle dich nicht ein, um schlimmstenfalls an Depressionen zu erkranken

    ...beim Jugendamt im Notfall den Vorgesetzten bemühen, wenn man ansonsten mit einer zuständigen Plinse zusammenarbeiten muss

    ...das zu tun, was Schule kann: verlässlichen Rahmen bieten, Regelmäßigkeiten, Zuwendung, Fokus auf das Erreichen eines selbständigen Lebens. Lesen können und Mathe machen kann nämlich sehr befriedigend sein, weil man einfach mal nicht mit Problemen zu tun hat, einen niemand anschreit, keiner unberechenbar reagiert, gelacht wird, man ein Lob bekommt, eine Allerweltssache wie Bruchrechnen im Fokus steht oder vielleicht sogar ein Gedicht oder Lied, was einen berührt oder Erfolg beim Weitsprung

  • Ich verstehe, dass dich die Schicksale deiner SuS berühren, das geht mir nicht anders. Ich komme auch manchmal sprachlos, wütend oder auch traurig nachhause, wenn ich mal wieder mit so einer besonders erschütternden Geschichte zu tun hatte. Ich weiß aber aber auch, dass ich a) nicht die Therapeutin dieser SuS sein kann oder bin, da das weder meine Aufgabe in diesem Kontext ist, noch meiner Ausbildung entspricht und weiß b), dass ich den SuS nicht gut helfen kann, wenn ich statt mitzufühlen und mitzuschwingen, mitleide, sprich am Ende an meiner vermeintlichen Hilfe selbst kaputt zu gehen drohe. Deshalb arbeite ich sehr konsequent daran, meine professionelle Distanz zu verbessern.


    Ich lese bei dir Formulierungen, die mich annehmen lassen, dass du möglicherweise nicht nur mitfühlst, sondern tatsächlich mitleidest. Damit ist dir offensichtlich nicht geholfen, gibst du doch an, diese Art von Betreuung fresse dich langsam auf.

    Es geht nicht darum, dass du entsetzliche Geschichten aus den Elternhäusern an dir abperlen lassen sollst, aber du musst es dir wert sein zu lernen besser, gesünder damit umzugehen. Dazu gehört, dir eine professionelle Distanz aufzubauen. Dazu gehört, dass du nicht das "Allheilmittel" im Leben dieser Kinder sein kannst (denn: Das kannst du nicht sein! Das schaffst du nicht und wirst daran kaputt gehen, dies nicht zu schaffen!), sondern Aufgaben abzugeben an dafür ausgebildetes Fachpersonal (Schulsozialarbeit, Therapeuten,...), damit du deinen Aufgaben als Lehrkraft besser nachkommen kannst. Therapie gehört nicht zu deinen Aufgaben. Dafür bist du nicht ausgebildet. Sozialarbeit gehört auch nicht zu deinen Aufgaben, dafür bist du nicht ausgebildet.

    Ich weiß nicht, in welchem Bundesland du tätig bist. Hier in BW gibt es aber sogenannte pädagogische Fallbesprechungsgruppen. Dies ist eine Form der Supervision, an der alle Lehrkräfte des Landes freiwillig und regelmäßig (einmal monatlich) teilnehmen können. Die Gruppen werden von dafür ausgebildetem Fachpersonal geleitet. Wir Lehrkräfte bringen unsere berufsbezogenen Anliegen in die Gruppe ein. Ich könnte mir dich sehr gut in einer solchen Gruppe vorstellen, um dir schrittweise selbst dabei zu helfen eine etwas gesündere Distanz aufzubauen, die es dir dennoch erlaubt, dir selbst treu zu bleiben. Gibt es in deinem Bundesland vielleicht ein vergleichbares Angebot?

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Hallo,


    vielen Dank schonmal für die Antworten.

    wenn ich statt mitzufühlen und mitzuschwingen, mitleide, sprich am Ende an meiner vermeintlichen Hilfe selbst kaputt zu gehen drohe

    Ich glaube, dass das eine Sicht auf die Dinge ist, an die ich so bisher noch nicht gedacht habe. Man kann vieles mit Hilfe der richtigen inneren Einstellung regulieren. Aber diese doch sehr krassen Schicksale lassen mich nunmal nicht kalt. Vielleicht muss ich tatsächlich mehr lernen weniger mitzuleiden.

    die Kinder zu ermächtigen, sich Hilfe zu holen

    Das versuche ich an die SuS heranzutragen. Leider sind oft die eigenen Eltern das "Problem". Daher ist es schwer die Kinder davon zu überzeugen, sich Hilfe zu holen, die aus ihrer Sicht "gegen" die Eltern ist. Ich versuche eben herauszustellen, dass es Hilfe "für" sie und nicht "gegen" jemanden ist.


    das zu tun, was Schule kann: verlässlichen Rahmen bieten, Regelmäßigkeiten, Zuwendung, Fokus auf das Erreichen eines selbständigen Lebens.

    Gerade dabei habe ich das Gefühl, dass es immer weniger möglich ist. Schule arbeit am Limit. Regelmäßigkeiten und einen verlässlichen Rahmen nenne ich das leider schon lange nicht mehr. Aber das hat andere Gründe, die wir hier jetzt nicht größer auslegen müssen. Die sind ja den meisten hier in diesem Forum bekannt.


    Hier in BW gibt es aber sogenannte pädagogische Fallbesprechungsgruppen.

    Ich arbeite in Sachsen-Anhalt. Ich werde mich mal umhören. Das ist auf jedenfall ein guter Hinweis!


    Vielen Dank nochmal für die Antworten. Manchmal fühlt man sich als Lehrer einfach allein gelassen und die Politik legt immer weitere Aufgaben oben drauf. Dabei verliert man sehr leicht den Fokus und lässt sich dann noch leichter von solchen Schicksalen weiter hinunterziehen. Das wird sich auf absehbare Zeit auch leider nicht ändern. Aber an der eigenen Einstellung zur Sache kann ich tatsächlich etwas tun. Schön zu wissen, dass man auf jeden Fall nicht alleine ist.

  • Leider sind oft die eigenen Eltern das "Problem". Daher ist es schwer die Kinder davon zu überzeugen, sich Hilfe zu holen, die aus ihrer Sicht "gegen" die Eltern ist. Ich versuche eben herauszustellen, dass es Hilfe "für" sie und nicht "gegen" jemanden ist.

    Tja, stell dir vor, jemand würde dich oder deine Eltern als Problem bezeichnen.

  • Auch hier in NRW gibt es Fallbesprechungen über die Beratungslehrkräfte und den schulpsychologischen Dienst organisiert und das ist sehr hilfreich!


    Es ist meiner Meinung nach sehr schwer, sich "vorzunehmen", dass man es nicht so an sich ranlassen möchte. Es geschieht ja auf der emotionalen Ebene. Das Gefühl der Hilflosigkeit solltest du wirklich ernst nehmen und dir Hilfe suchen, wie ich finde. Entweder in Form einer therapeutischen Unterstützung oder über andere Kanäle (siehe oben). Damit möchte ich dir auf keinen Fall etwas unterstellen - das geht ja nicht - sondern ich möchte dir anraten, dass du dir auch für dich ganz persönlich Unterstützung holen könntest, damit du Strategien kennenlernst, die dir helfen, deine Arbeitsrealität anders wahrzunehmen, bspw. DASS du bereits viel machst, wenn du die richtigen Stellen informierst, wenn du die SuS "in die richtige Richtung" weist, wenn du ihnen hilfst sich wehren zu wollen, wo deine natürlichen Grenzen sind und vieles mehr.


    Von Ferne ist es natürlich unglaublich schwierig etwas zu sagen. Ich möchte mir hier auch nichts anmaßen.

  • Mir ging es auch wie dir nach einigen Jahren. Der schulpsychologische Dienst und eine Supervisionsgruppe sowie zwei Fortbildungen zu Beratung und schwierigen Familien haben mir wirklich geholfen. Eine der Fortbildungen fand an unserer Schule statt, die Sozialarbeiterin hatte das organisiert. Daraus hat sich dann auch ein Netzwerk innerhalb der Schule gebildet.

    Zumindest mir hat dann als Psychohygiene oft schon gereicht, mit den Kolleg*innen zu sprechen.

  • Ich möchte gerne noch auf einen anderen Aspekt hinweisen:

    Kindern, die sexuellen Missbrauch erleben, fällt es sehr schwer darüber zu reden. Es ist eine sehr große Überwindung sich überhaupt jemandem anzuvertrauen und gleichzeitig mit der Hoffnung verbunden, Hilfe von außen zu erhalten.

    Müsste in so einem Fall nicht auch die Polizei eingeschaltet werden?

  • Ich möchte gerne noch auf einen anderen Aspekt hinweisen:

    Kindern, die sexuellen Missbrauch erleben, fällt es sehr schwer darüber zu reden. Es ist eine sehr große Überwindung sich überhaupt jemandem anzuvertrauen und gleichzeitig mit der Hoffnung verbunden, Hilfe von außen zu erhalten.

    Müsste in so einem Fall nicht auch die Polizei eingeschaltet werden?

    Kommt auf die Situation an: Bei aktueller Gefährdung müsste zumindest das Jugendamt sofort aktiv werden und über die SL die Polizei hinzugezogen werden. In den meisten Fällen können die Opfer aber erst deutlich später über solche Taten sprechen, so dass diese unter Umständen mehrere Jahre zurückliegen und in der Folge keine akute Gefährdung mehr besteht durch den- oder dieselben Täter. Pauschal beurteilen lässt sich das aus der Ferne nicht.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Die Polizei ist eher der richtige Ansprechpartner, wenn akute Gefahr im Verzug ist. Bei sexuellem Missbrauch sollte man sich ans Jugendamt wenden, die "Insofa", = insoweit erfahrene Fachkraft ist dafür ausgebildet und kann anonym beraten. Ggf. auch eine andere Fachberatungsstelle vor Ort. Außerdem ist die Schulleitung mit ins Boot zu holen. Dokumentieren ist wichtig und Austausch.


    Schulen sind gut beraten, wenn sie ein Kinderschutzkonzept erstellen, was ein längerer Prozess mit vielen Beteiligten ist:


    https://www.kein-raum-fuer-mis…20Gegen%C3%BCber%20finden.

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