Für welche Schülergruppe sind diese Lehrbücher gedacht?

  • Hallo,

    ich habe zwei alte Mathematik-Lehrbücher für die "Hilfsschule" (offizielle Bezeichnung) aus den 1970er Jahren bekommen. Der Scan war mühevoll, da die Bücher in einem erbarmungswürdigen Zustand sind. Es fehlen auch wenige Seiten.


    Hilfsschule 3.Klasse

    Hilfsschule 4.Klasse


    Mein Problem ist nun, dass ich nicht einordnen kann, für welche Schülergruppe diese gedacht waren. Es steht auch nichts im Buch.

    Meine Vermutung ist, dass diese Bücher für Schüler mit einer größeren geistigen Behinderung konzipiert sind.

    Vielleicht hat jemand von euch Erfahrung, für wen diese Bücher geeignet sind/waren.


    Danke

    Steffen

  • Die Hilfsschule in der DDR müsste für SuS mit Lernbehinderung und leichter geistiger Behinderung gewesen sein.


    Für SuS mit stärker ausgeprägter geistiger Behinderung (damals als "schulbildungsunfähig" bezeichnet) gab es meines Wissens separate Einrichtungen. Diese könnten auch nicht mit diesen Materialien arbeiten.


    Aus Interesse: Für Klasse 1 und 2 der Hilfsschule gibt es keine analogen Schulbücher? Zwei Jahre "zurück" passt zwar als klassischer Mittelwert recht gut zum Förderschwerpunkt Lernen; dass erst in Klasse 3 mit Zahlen begonnen wird, halte ich aus heutiger Sicht trotzdem für seltsam.

  • Aus Interesse: Für Klasse 1 und 2 der Hilfsschule gibt es keine analogen Schulbücher? Zwei Jahre "zurück" passt zwar als klassischer Mittelwert recht gut zum Förderschwerpunkt Lernen; dass erst in Klasse 3 mit Zahlen begonnen wird, halte ich aus heutiger Sicht trotzdem für seltsam.

    Genau das ist mein Problem. Ich habe schon länger gesucht und kein Mathematik-Lehrbuch für 1. und 2. Klasse "Hilfsschule" gefunden. Deshalb vermutete ich ja, dass es bei diesen Büchern um schwerere Behinderungen ging.

  • Wie geschrieben: Man sagt auch heute noch, dass Kinder mit Lernbehinderung im Schnitt ca. zwei Jahre "zurück" seien (mit großer Varianz natürlich). Insofern passt prinzipiell der "Stoff" von Klasse 1 für Klasse 3 und von Klasse 2 für Klasse 4 schon.


    Wobei man zumindest heute die Inhalte eher streckt als einfach zwei Jahre nach hinten zu verschieben.


    Zugegeben: Etwas gestreckt ist es schon auch. Addition und Subtraktion mit Zehnerübergang aus Klasse 1 Regelschule kommt hier erst im Buch für Klasse 4 (statt 3), in Klasse 4 fehlen dann noch die komplette Multiplikation und Division sowie Addition und Subtraktion mit zweistelligen Zahlen (aus Klasse 2 Regelschule).


    Aber seltsam fand ich halt, dass das Buch von Klasse 3 so wirkt, als würde mit den Ziffern da erst begonnen. Würde man heute sicher nicht mehr so machen, halte ich für die damalige Zeit nicht für ausgeschlossen: Aufbauend auf obig skizzierten Annahmen, dass man ca. zwei Jahre unter Regelschulniveau ansetzen müsste, hat man sicherlich in Klasse 1 klassische Schulvorbereitung gemacht: Motorik (Basteln, Malen), Konzentration, Wahrnehmung, aus dem mathematischen Bereich vermutlich Pränumerik, evtl. etwas Geometrie (das fehlt in beiden Büchern hier ganz). Entsprechend gab es für Klasse 1 und 2 wohl noch keine Schulbücher, weil man eher davon ausging, die Inhalte der letzten beiden Kindergartenjahre zu erarbeiten.


    Vom Anspruch passen die Bücher imho auch für Kinder mit Schwerpunkt Lernen und mit leichter geistiger Behinderung. Für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist es viel zu abstrakt, an G-Schulen gibt es ja oft gar keine Schulbücher (was nicht selten von Eltern auch kritisiert wird).

  • Ich habe es mir auch angesehen, kann es aber nicht LE oder GE zuordnen, die Richtlinien in den 70ern waren auch andere als heute, ganz unabhängig vom BL.


    Inhaltlich ist es in etwa das, was man heute für LE nutzt, hier wird veranschlagt, dass man die Inhalte aus Klasse 1+2 etwa in 4 Jahren bearbeitet, die Erarbeitung des 1x1 fehlt allerdings.


    Hinten im Buch steht noch „Verlagsabteilung Sonderschulen“.


    Die Hilfsschulen hatten wohl verschieden Züge, je nach Leistungsfähigkeit der Schüler:innen.

    https://www.pl.uni-rostock.de/…le_Ausgabe_4_1_19_DOI.pdf

  • Hallo,

    ich kann nur sagen, dass es zu meiner Schulzeit in den 60igern in Ba-Wü sogenannte "Hilfsschulen" gab. Die Hilfsschule war eine extra Schule in meiner Stadt im Gebäude neben der normalen Volksschule, das neu gebaut wurde, deswegen weiß ich das so genau. Darauf gingen diejenigen, die in der Volksschule (Klasse 1-8) nicht mitkamen. Deswegen denke ich, dass damit eine frühere Schule für Lernbehinderte gedacht ist. Es kann natürlich auch sein, dass GE und LE zusammen auf einer Schule waren, denn ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass es eine spezielle Schule für GE gab.

    Die Begriffe haben sich weiter entwickelt: Hilfsschule - Sonderschule - Förderschule.


    Die Bücher scheinen aus der DDR zu stammen, deswegen ist die Einordnung vielleicht anders. Wenn ich den Inhalt anschaue, würde ich sagen, dass es für LE zu leicht ist, zumindest für meine inkludierten Schüler, die allerdings auf dem oberen Level einer Förderschule lernen würden. Für das Downkind, das ich hatte, wäre der Fortschritt zu schnell gewesen, sie hätte mehr Übungen zu einzelnen Bereichen gebraucht. Man muss allerdings bedenken, dass die Förderpädagogik in den 60igern noch nicht so weit entwickelt war wie heute - zumindest im westdeutschen Raum hat man den Lern- und Geistigbehinderten nicht so viel zugetraut. Dem Downsyndrom schon gar nichts.

  • Da es einen Lehrplan für den "Grundschulteil der Hilfsschule Klasse 3 bis 8, 1. bis 6. Hilfsschuljahr" gibt, könnte ich mir vorstellen, dass die Kinder, die mit diesen Büchern gearbeitet haben, erst in Klasse 3 (nach der Grundschule Klasse 1+2) in der Hilfsschule eingeschult wurden und mit dem Lehrstoff noch mal von vorne anfingen.

  • Deswegen denke ich, dass damit eine frühere Schule für Lernbehinderte gedacht ist. Es kann natürlich auch sein, dass GE und LE zusammen auf einer Schule waren, denn ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass es eine spezielle Schule für GE gab.

    Die ersten G-Schulen entstanden Mitte bis Ende der 1960er-Jahre, die meisten dann jedoch in den 1970er-Jahren im Rahmen der Ausdifferenzierung und des Ausbaus des gesamten Sonderschulwesens.

    Davor waren Kinder und Jugendliche, denen man heute eine "leichte geistige Behinderung" attestieren würde, an der Hilfsschule (wie du sagst gemeinsam mit SuS mit Lernbehinderung), während denjenigen mit größeren kognitiven Beeinträchtigungen eine Schulbildung ganz verweigert wurde.

    Eine allgemeine Schulpflicht auch für Kinder mit schwerer (geistiger) Behinderung gibt es wimre erst seit Ende der 1970er-Jahre.

    Die Begriffe haben sich weiter entwickelt: Hilfsschule - Sonderschule - Förderschule.

    Ja, wobei "Hilfsschule" wie gesagt nur für eine Schulform bzw. einen Förderschwerpunkt (oder anderthalb, siehe oben) dessen stand, was man später unter "Sonderschule" und heute unter "Förderschule" (in manchen Bundesländern auch anders) subsumiert(e).

    Schulen für Sinnesgeschädigte, Sprachbehinderte, Verhaltensauffällige haben (auch) andere Wurzeln und andere historische Entwicklungen durchgemacht.

    Deshalb gab es früher auch oft Vorbehalte und Rivalitäten zwischen "Hilfsschullehrern", "Taubstummenlehrern", "Sprachheillehrern" usw. bzgl. Ausbildung, Expertise und Status.

    Die Bücher scheinen aus der DDR zu stammen, deswegen ist die Einordnung vielleicht anders.

    Das stimmt natürlich. Was ich in diesem Beitrag geschrieben habe, bezieht sich überwiegend auf Zeiten vor der Teilung Deutschlands, sonst auf die Anfangsjahre der BRD.

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