Generation "Ich bin grossartig"

  • Liebe Leute...


    Ich muss mal kurz was loswerden: Ich lese gerade die x-te Maturarbeit in Folge, die objektiv betrachtet kompletter Mus ist aber mit dem Fazit endet: "Ich finde, das Ziel wurde erreicht und ich habe sehr viel gelernt."


    Ich bewerte und betreue nun seit 9 Jahren Maturarbeiten und mir scheint dieser Hang zur Selbstverklärung wahrhaftig ein neuartiges Phänomen zu sein. Spinne ich, werde ich alt und zynisch oder ist da was dran?

  • Liebe Leute...


    Ich muss mal kurz was loswerden: Ich lese gerade die x-te Maturarbeit in Folge, die objektiv betrachtet kompletter Mus ist aber mit dem Fazit endet: "Ich finde, das Ziel wurde erreicht und ich habe sehr viel gelernt."


    Ich bewerte und betreue nun seit 9 Jahren Maturarbeiten und mir scheint dieser Hang zur Selbstverklärung wahrhaftig ein neuartiges Phänomen zu sein. Spinne ich, werde ich alt und zynisch oder ist da was dran?

    Nein. Diese Aussage lese ich bereits seit mindestens 20 Jahren (in Facharbeiten). Angeblich, ich frage nach, haben sie es im Deutschunterricht gelernt.

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Nein, ich hatte vor 9 Jahren oder auch vor 5 Jahren Arbeiten, in denen am Ende wahrhaftig eine kritische Selbstreflexion stand.

  • Liebe Leute...


    Ich muss mal kurz was loswerden: Ich lese gerade die x-te Maturarbeit in Folge, die objektiv betrachtet kompletter Mus ist aber mit dem Fazit endet: "Ich finde, das Ziel wurde erreicht und ich habe sehr viel gelernt."


    Ich bewerte und betreue nun seit 9 Jahren Maturarbeiten und mir scheint dieser Hang zur Selbstverklärung wahrhaftig ein neuartiges Phänomen zu sein. Spinne ich, werde ich alt und zynisch oder ist da was dran?

    Das frage ich mich, falls es dich beruhigt aktuell in einer Klasse, die gerne im Frühjahr Fachabi machen will, auch und bin damit nicht alleine...


    Und wenn mal was nicht klappt und sei es die Suche nach einem Praktikumsplatz, dann sind immer die anderen Schuld, weil man Ihnen nicht den unterschriebenen Vertrag vorgelegt hat oder so...

  • Nein, ich hatte vor 9 Jahren oder auch vor 5 Jahren Arbeiten, in denen am Ende wahrhaftig eine kritische Selbstreflexion stand.

    Ich abundzu auch früher wie jetzt. Und das sind fast immer gute Arbeiten.


    Mich regt das genauso auf. Aber das Problem besteht bei mir wirklich schon seit Jahren gleichbleibend. Ich habe dies an meiner früheren Schule (1. Jahrzehnt in diesem Jahrtausend) mit Einzelkindern und Helikoptereltern mehr erlebt als jetzt an einem Gymnasium in einem Brennpunktbereich. Ich denke daher, es liegt eher an Erziehung (und vielleicht auch am Deutschunterricht ;)).

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Dann hoffe ich, das geht wieder weg... Wobei wir dieses Jahr tatsächlich auch statistisch belegbar ein paar sehr sonderbare Trends diesbezüglich verbuchen. Der Abschlussjahrgang 2022 war notenmässig schon auffallend schlecht, mir schwant für 2023 nichts Gutes.

  • Dann hoffe ich, das geht wieder weg... Wobei wir dieses Jahr tatsächlich auch statistisch belegbar ein paar sehr sonderbare Trends diesbezüglich verbuchen. Der Abschlussjahrgang 2022 war notenmässig schon auffallend schlecht, mir schwant für 2023 nichts Gutes.

    Sehe ich genauso, aber meiner Meinung nach ist das Distanzlernen bei meinen Schätzchen völlig daneben gegangen.

  • Sehe ich genauso, aber meiner Meinung nach ist das Distanzlernen bei meinen Schätzchen völlig daneben gegangen.

    Oh, das wäre bei uns hier ne ziemlich faule Ausrede. Fernunterricht hatten die nur von Mitte März bis Ende Juni 2020. Und sie hatten während dieser Zeit wirklich Unterricht.


    Ich hatte diesbezüglich erst kürzlich eine etwas skurrile Diskussion mit einem Kollegen, der meinte, da sei ja soooo viel "Stoff" ausgefallen, es sei ja klar, dass die dieses und jenes bei der Abschlussprüfung nicht können. Wir haben keine zentralen Prüfungen. Ich frage nur das, was wir auch gemacht haben...


    Das ist aber ohnehin ein anderer Punkt. Ich frage mich, woher diese gnadenlose Selbstüberhöhung kommt. :gruebel:

  • In Deutschland herrscht inzwischen weitestgehend Konsens, dass es durch Fernunterricht und häuslicher Betreuung zu erheblichen Entwicklungsverzögerungen bei Kindern und Jugendlichen kam, weswegen sogar der Hardliner Lauterbach inzwischen die Kindergartenschließungen als Fehler charakterisiert. In Einzelfällen mag es natürlich besser gelaufen sein.

  • Nein, das stimmt nicht. Darüber herrscht auch kein Konsenz, bei vielen älteren Lernenden hat der Distanzunterricht gut geklappt.


    Die Meinungsänderung von Lauterbach hat die Ursache in einer Studie, die belegt hat, dass Kita-Kinder auch nicht häufiger infiziert waren als eine Vergleichsgruppe. Das hat mit den Schulschließungen und dem angeblichen Konsenz darüber nichts zu tun.

  • Ich habe eher gerade das Gefühl mit einer Generation, die sehr ich-bezogen ist (nicht i. S. v. "Ich bin großartig", sondern eher "Nach mir die Sintflut"), zu tun zu haben. Auch einige KuK, mit denen ich darüber gesprochen habe, meinen, das sei Corona und dem langen Distanzunterricht geschuldet, weil die Jugendlichen einfach weniger soziale Kontakte hatten. Wir haben den Eindruck, viele unserer SuS interessieren sich nicht mehr besonders für ihre Mitmenschen, zeigen wenig Empathie, Respekt, Verantwortungsbewusstsein, ...

    Das hat wohl mit dazu geführt, dass wir schon zwischen Sommer- und Herbstferien fünf Ordnungmaßnahmenkonferenzen hatten. Neuer, trauriger Rekord :( .

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

    • Offizieller Beitrag

    Die mangelnde Reflexionsfähigkeit ist leider nicht vollständig neu.
    In meinem Referendariat (vor ca. 10 Jahren) durfte ich eine Examensarbeit, die als Aufbau "Planung - Durchführung - Refelexion einer kurzen Einheit" (waren bei mir 6 Stunden zum Beispiel). Wir haben viele Arbeiten gegenseitig gelesen und ich war damals die EINZIGE, die die Durchführung so geschrieben hat, wie geplant und in der Reflexion einiges kritisiert hat (und auch geschrieben hat, was alles gut war und welche Erkenntnisse es mir gebracht hat).
    Alle haben mir davon abgeraten, weil es eine schlechte Planung offenbaren würde (als ob ich planen konnte, dass Josephine krank wird, oder dass Peter keine gute schauspielerische Idee hätte, mein Gott, SuS sind keine Roboter)
    [Spoiler: ich habe eine 1,0 bekommen, nur 2 von 25 Menschen]

    Bei den Schüler*innen im Deutschunterricht aber auch in den Sachfächern habe ich tatsächlich oft ganz viel Arbeit darin, dass sie nicht schreiben "der Autor hat ein gutes Gedicht geschrieben" oder "Der Artikel ist gut". Also nicht mal auf sich selbst bezogen, sondern: sie kennen es einfach nicht anders (wer kennt nicht diese Rückmelderunden zu Referaten "du hast gut gesprochen")
    *kotz*


    Also: Antimon, mein Beileid und treib es ihnen bitte aus. Sie sind NICHT super bzw. erst dadurch, dass sie selbst merken, was sie alles noch nicht können.

    Ich habe eher gerade das Gefühl mit einer Generation, die sehr ich-bezogen ist (nicht i. S. v. "Ich bin großartig", sondern eher "Nach mir die Sintflut"), zu tun zu haben. Auch einige KuK, mit denen ich darüber gesprochen habe, meinen, das sei Corona und dem langen Distanzunterricht geschuldet, weil die Jugendlichen einfach weniger soziale Kontakte hatten. Wir haben den Eindruck, viele unserer SuS interessieren sich nicht mehr besonders für ihre Mitmenschen, zeigen wenig Empathie, Respekt, Verantwortungsbewusstsein, ...

    Ob es an Corona hängt, weiß ich nicht, aber die Beliebigkeit von Online-Terminen tut sicher ihr Übriges. Und ja, wir haben an der Uni eine statistisch nachweisbare Entwicklung zum Beispiel im Hinblick auf "no show" bei Anmeldung für Kurse, die eine Warteliste haben und wo die Leute 3 Tage vorher erinnert werden und TROTZDEM nicht auftauchen.
    Auch viele Bewerbungen, die 3 Monate nach einer Zusage, ohne Gründe zurückgezogen werden, weil die Leute parallel gesetzt haben und jetzt der Praktikumsplatz, zum Teil samt Unterkunft nicht mehr besetzt wird. "Ach, ich habe ja nichts unterschrieben, die Organisation ist selbst schuld, wenn sie die Unterkunft reserviert hat"
    Mein neuestes (und schlimmstes) Erlebnis in der Kategorie "Nach mir die Sintflut" sind zwei Studentinnen, die einfach beschlossen haben, die Miete (die sie im Nachhinein bezahlen sollten, großer Fehler) nicht zu bezahlen. Es entsprach nicht ihren Standards und sie hätten nie was unterschrieben (und auf mein Hinweis "mündlich ist es auch ein Vertrag", antworteten: "war auch nicht mündlich, war per WhatsApp". 23 Jahre alt. Nächstes Jahr Referendarin.)

  • Mein neuestes (und schlimmstes) Erlebnis in der Kategorie "Nach mir die Sintflut" sind zwei Studentinnen, die einfach beschlossen haben, die Miete (die sie im Nachhinein bezahlen sollten, großer Fehler) nicht zu bezahlen. Es entsprach nicht ihren Standards und sie hätten nie was unterschrieben (und auf mein Hinweis "mündlich ist es auch ein Vertrag", antworteten: "war auch nicht mündlich, war per WhatsApp". 23 Jahre alt. Nächstes Jahr Referendarin.)

    Mahnbescheid, Klage, fertig ist der Lack. Ich würde in diesem Fall sogar Strafanzeige erstatten (gewohnt haben sie doch bei dir?). Das ist glasklar Vorsatz und damit Betrug nach §283 StGB.

    WhatsApp ist übrigens "Textform" und damit auch schriftlich. Spätestens der Einzug und Verbleib in der Wohnung ersetzt jede Unterschrift.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

    • Offizieller Beitrag

    nee, ist leider komplexer. Gewohnt haben sie bei einer gutgläubigen Lehrkraft im Ausland.
    ICH kann (und darf) nichts machen. Wurde mir auch von meiner Leitung gesagt "die Schule weiß es, es ist nicht unsere Rolle, Pech" und "du darfst nichts drohen" (Spoiler: ich habe es trotzdem gemacht. Nach so einem Verhalten vermittle ich die Personen nie wieder, egal was mein Chef sagt).

    und damit es nicht falsch rüberkommt: ich rede über ca. 10% Problemfälle. Meiner MEinung nach zuviel aber 60-70% sind normal und gut erzogen, 20-30% sind großartig. Auch tatsächlich (von dem, was wir erleben).
    Die überdurchschnittlich engagierten, reflektierten, interessierten und offenen jungen Menschen gibt es auch :)

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe einen Vertreter der Generation "großartig" in meinem LK sitzen. Er behauptete, dass ihm 14 Punkte in der sonstigen Mitarbeit zustünden. Die Leistung sei einfach sehr gut - sagte er. Ich sah das anders, habe es ihm begründet, danach hat er mich zwei Wochen mit dem Ar*** nicht angeguckt. Jetzt hat er sich nach der Rückgabe der Klausur - seine war natürlich nicht im sehr guten Bereich - Fotos von anderen Klausuren gemacht (mit Zustimmung der AutorInnen), um vermutlich dieser Tage zu mir zu kommen und mir zu unterstellen, ich hätte nur nicht wahrhaben wollen, dass er sehr gut sei...


    ...mal sehen, was das langfristig gibt.

  • Bolzbold die Reaktion "gefällt mir" ist so zu verstehen, dass ich diesen Schülertypen nur allzu gut kenne. So gesehen ist mir die Generation "großartig" doch bekannt. Wirklich schwierig finde ich bei der SoMi-Note, dass die Schüler in der Regel nicht in der Lage sind überhaupt einzuschätzen, wer denn gute Beiträge leistet und wer nur schwafelt/(in Mathe: rät, bis das blinde Huhn auch mal ein Korn findet).

    • Offizieller Beitrag

    Bolzbold die Reaktion "gefällt mir" ist so zu verstehen, dass ich diesen Schülertypen nur allzu gut kenne. So gesehen ist mir die Generation "großartig" doch bekannt. Wirklich schwierig finde ich bei der SoMi-Note, dass die Schüler in der Regel nicht in der Lage sind überhaupt einzuschätzen, wer denn gute Beiträge leistet und wer nur schwafelt/(in Mathe: rät, bis das blinde Huhn auch mal ein Korn findet).

    In der Tat, in der Tat.

    In diesem Fall habe ich natürlich "intern" nachgeforscht. Die Leistungen in meinem LK entsprachen dem, was in der Sek I und der EF an Leistungen erbracht worden waren. Besagter Schüler unterstellte mir einen individuell auf ihn zugeschnittenen "Wahrnehmungsfehler", denn ich kategorisch ausgeschlossen habe. (Klar, ich habe ihn natürlich als einzigen nie dran genommen und schlichtweg übersehen...)


    Was die Klausuren angeht, so liegen zwischen seiner und denen der EinserkandidatInnen deutliche Niveauunterschiede - die sind auch nicht über einhundert Fotos von anderen Klausuren wegzudiskutieren.

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