Lehrkräftemangel

  • Gibt es hier im Forum eigentlich eine Unterrubrik "Artikel über pädagogische Themen in der Presse" oder "Schule heute" oder so? Wenn ja, bitte gern verschieben.


    Der Lehrkräftemangel ist ja schon länger Thema, aber dass es in Sachsen-Anhalt solche Ausmaße annimmt, finde ich besorgniserregend:


    "Wegen des Personalmangels darf in Sachsen-Anhalt zum Beispiel jede Bachelorabsolventin unterrichten, auch wenn sich aus ihrem Abschluss kein bestimmtes Unterrichtsfach ableiten lässt."


    aus:
    https://taz.de/Mangel-an-Lehrkraeften/!5884142/


    Es gibt sogar zunehmend Grundschulen, die keine Klassenlehrkraft mehr für jede Klasse haben, nicht nur in Sachsen-Anhalt.


    Wobei, eine positive Sache fällt mir dabei auf: der Unterton in Artikeln über Schule ändert sich. Plötzlich sind Lehrer nicht mehr die faulen, überbezahlten Halbtagler etc.pp. sondern werden händeringend gesucht und haben tatsächlich Wissen, das andere nicht haben.


    Würdet ihr jungen Erwachsenen raten, Lehramt zu studieren? Würdet ihr selbst nochmal Lehramt und Fächer/Schulart wählen, die ihr jetzt gewählt habt? Ich bin ehrlich gesagt dankbar für den krisensicheren Job und mache die Arbeit gerne. Nach langer Erkrankung bin ich regelrecht froh, wieder bei 'meinen' Schüler*innen zu sein.

  • Ja, ich würde wieder das Lehramt Gymnasium und meine Fächer Bio und Chemie wählen. Das Unterrichten macht Spaß und es ist schön, die Jugendlichen dabei zu erleben und zu begleiten, wie aus den 10jährigen Kindern junge Erwachsene werden.

    Ebenso sehe ich meinen Job auch krisensicher und habe nicht den Druck, ein bestimmtes Quartalsergebnis/Umsätze/Verkaufsabschlüsse zu erreichen.


    Sarek

  • Ich würde den Beruf definitiv nicht mehr wählen und rate auch niemandem dazu. Den Lehrermangel gibt es ja nunmal nicht, weil der Job und dessen Rahmenbedingungen so wahnsinnig attraktiv sind, sondern die Zustände haben handfeste Gründe. Solange sich daran nichts ändert, sollte man sich gut überlegen, ob man auf ein sinkendes Schiff aufspringen möchte.


    Das heißt nicht, dass ich nicht gerne unterrichte, aber für mich überwiegen im Rückblick auf die letzten 10 Jahre die negativen Aspekte.



    Mein Zweifach würde ich ehrlich gesagt am liebsten auch niederlegen, denn ich mag das zwar nach wie vor, aber es wird ständig von den Schülern unterschätzt und jede Klausurrunde ist entsprechend ernüchternd.

  • Ich unterrichte immer noch gerne, obwohl vieles sich in den letzten 28 Jahren (bzw. 34 seit Studienbeginn) verschlechtert hat (2 Deputatsstunden pro Woche mehr, größere Klassen, negative Entwicklungen in 2 meiner Fächer (ich unterrichtete zusätzlich NwT), mehr Heterogenität, weniger Gehaltszuwachs im Vergleich zu anderen, mehr Abzüge).


    Es ist einfach abwechslungsreich, ich bin gerne im Klassenraum. Und jeder Job hat seine Schattenseiten. Ob ich in der chemischen Industrie glücklicher geworden wäre, ich hätte zumindest viel mehr kämpfen müssen, um nach oben zu kommen.

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Ich bin in dem Job unglücklich und überlege auszusteigen, obwohl ich gerne mit jungen Menschen arbeite und, glaub ich, eine ziemlich gute Lehrerin bin.


    Das liegt ein bisschen an den Strukturen (ich fühle mich als Landesbeamtin wie im goldenen Käfig), zu 90% aber an meiner Schule / Schulart.

    Wie jeder hier ja inzwischen wissen kann, ist unsere Schulleitung eine Vollkatastrophe, aber auch die BBS an sich ist nicht mein Ding. Wo ich eingesetzt bin, herrscht ein Kommen und Gehen, man kann zu den SuS überhaupt keine Bindung aufbauen und nicht pädagogisch arbeiten. Meinen Arbeitsalltag empfinde ich als sinnlos, denn meine SuS sind schon "fertig", man kann nichts mehr auslösen, sie lehnen Schule oft ab, wollen bzw. können nicht lernen, man reibt sich auf an immer gleichen Dingen wie SuS zu sagen, dass man grüßt, pünktlich kommt, während des Unterrichts nicht rausgegen darf zum Rauchen, ... Unterricht ist Nebensache, gute Noten werden bei uns verschenkt, sodass wir Leute mit Schulabschlüssen entlassen, die kaum richtig lesen und schreiben können.


    Ich resigniere. Ganz aufgeben möchte ich aber noch nicht, sondern habe zunächst einen Versetzungsantrag gestellt.

    Vielleicht komme ich an eine Schule, die meine Sichtweise ändert und ich schreibe in einem Jahr was ganz Anderes zum Thema...?

    Eigentlich hat der Beruf nämlich das Potential, toll zu sein.

  • Würdet ihr jungen Erwachsenen raten, Lehramt zu studieren? Würdet ihr selbst nochmal Lehramt und Fächer/Schulart wählen, die ihr jetzt gewählt habt?

    Ich würde keinem jungen Erwachsenem raten auf Lehramt zu studieren, weil er sich mit der Studienwahl auf Gedei und Verderb einem einzelnen Arbeitgeber ausliefert und erst 7-10 Jahre später sieht, ob sich das Risiko ausgezahlt hat. Wenn es blöd läuft, wird er gerade im Schweinezyklus fertig und ist spätestens nach dem Referendariat mit Aushändigung des 2. Staatsexamens alternativlos arbeitslos.

    Wenn der junge Erwachsene in den Schuldienst will, soll er klassisch auf den Master of Science etc. studieren und dann den Quereinstieg machen. DAS ist zumindest im Berufsschulbereich heute DER Weg, allein schon unter Gesichtspunkten der Risikominimierung und ja, auch der Bezahlung.


    Ob ich heute noch einmal das studieren würde, was ich studiert habe? Das ist eine gute Frage, die ich wahrscheinlich mit "nein" beantworten muß. Die Berufswahl und die Wahl der Lebenspartnerin ist geprägt von so vielen Zufällen, daß es heute wahrscheinlich ganz anders enden würde.


    Berufswahl: Hätte an dem einen Tag im Jahr 2001 nicht zufällig ein Komillitone neben mir im Hörsaal gesessen, der mir etwas aus seinem Studiengang erzählt hat, ich hätte nicht das erste Studium abgebrochen und dann meinen Dipl. Hdl. gemacht und noch das 1. und 2. Staatsexamen oben drauf gesetzt.


    Bei der Partnerwahl ist es ähnlich. Da kann sich ja jede/r von Euch mal überlegen wie es zu dem ersten Zusammentreffen kam und welche Zufälle da alle hinein gespielt haben müssen, daß man sich genau dort unter diesen Vorzeichen getroffen hat.


    Unterricht ist Nebensache, gute Noten werden bei uns verschenkt, sodass wir Leute mit Schulabschlüssen entlassen, die kaum richtig lesen und schreiben können.

    Diese Klassen habe ich auch. Da sehe ich meine Aufgabe aber eher als Gatekeeper. Ich habe die Gesellschaft vor der Unfähigkeit dieser Schüler zu schützen. Wenn ein Elektriker, KFZ-Mechaniker, ... seinen Job nicht kann, dann muß ich ihn durchfallen lassen. Wenn diese Leute einen Fehler machen, dann endet das später tödlich für den Kunden. Entsprechend gibt es da dann auch kein Pardon in Form von Nachteilsausgleichen für Inklusionsschüler oder sonst etwas. Ein farbenblinder Schüler, der die Farben der Drähte nicht auseinander halten kann, darf einfach kein Elektriker werden. Würde ich ihn durchwinken, dann darf er danach...

    Aus diesem Selbstverständnis schöpfe ich auch meine Kraft massenhaft gegen Schüler, die die Schule ablehnen, mit Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen vorzugehen und auch schlechte Noten zu verteilen, auch wenn der Verwaltungsaufwand, den diese Schüler verursachen, umfangreicher ist als die Zeit, die ich für Korrekturen aufwenden muß. Und ja, ich würde dann auch eine Klassenarbeit mit einem Notenschnitt von 6,0 zurückgeben oder bei Zeugnissen die Hälfte der Klasse durchfallen lassen.


    Bei der Entlassung eines solchen Schülers aufgrund von Verfehlungen hat unser Schulleiter ihm auch einmal vorgerechnet wie viel Geld er hinsichtlich seines Lebenseinkommens mit seiner Blödheit gerade in den Sand gesetzt hat. Am Ende waren sie dabei, daß ihm jetzt wohl 400.000€ beim Lebenseinkommen (Arbeitseinkommen vom 1. Lohn bis zur Rente) fehlen werden. Als ihn das noch nicht überzeugt hat, hat er nachgelegt: "Von dem Geld hätten sie sich drei Mercedes S-Klasse kaufen können. Sie hätten also ihr ganzes Leben lang S-Klasse fahren können statt Straßenbahn." Da klingelte es dann beim Schüler.

  • Ich würde wieder Lehrer werden wollen, auf jeden Fall auch wieder mit Physik, vermutlich auch Mathe (da bin ich derzeit etwas raus, weil ich in den letzten Jahren fast hauptsächlich in Physik eingesetzt wurde), würde aber eigentlich total gern auch Chemie als Fach haben. Vielleicht würde ich das dann als Erweiterungsfach studieren.

    Als Schulform würde ich wieder Gymnasium wählen, oder eine andere Schulform, an der man nur mit älterem "Klientel" arbeitet, denn erst ab der 8./9. Jahrgangsstufe macht es mir wirklich Spaß, und vor allem in der Oberstufe.

  • Mein Weg war ja nicht direkt der Lehrerberuf. Das war damals so für mich auch der richtige Weg, auch das ich nach dem Bachelor nicht auf Lehramt gewechselt habe. Damals wäre es dann nämlich GyGe geworden. Nun bin ich über eine Zeit als WIMI in der Didaktik am BK gelandet und damit sehr glücklich. Kleines Manko ist vielleicht, dass ich, auch wenn es formal zwei Fächer sind, eigentlich nur ein Fach habe. Die Z-Kurse für Mathe machen nun erstmal andere KuK, dass wäre sonst vielleicht auch noch was. Allerdings bin ich für meine aktuelle Schule so auch gut aufgestellt.

    Auch wenn ich mit meinem Weg so zufrieden bin, so würde ich heute wohl direkt Lehramt auf BK studieren. Wieder Informatik und vielleicht Elektrotechnik dazu oder mit Pädagogik was ganz anderes ;)

  • Als Schulform würde ich wieder Gymnasium wählen, oder eine andere Schulform, an der man nur mit älterem "Klientel" arbeitet, denn erst ab der 8./9. Jahrgangsstufe macht es mir wirklich Spaß, und vor allem in der Oberstufe.

    Würde man mir schriftlich geben, dass ich nie in 5-7 muss, würde ich sogar an einem normalen Gymnasium überleben können. 😆

  • plattyplus Unsere SL wünscht ausdrücklich, dass man SuS in den nächsthöheren Bildungsgang schiebt, damit die

    Klassenbildung stabil bleibt (Noten werden bei uns in den Notenkonferenzen entsprechend geändert, zur Not auch nachträglich durch die SL - dies ist in meinem Bundesland rechtlich möglich). Ebenso sind Ordnungsmaßnahmen unerwünscht und werden durch die SL boykottiert. Das Kollegium ist eingeschüchtert und spielt das Spiel mit. Wer schlechte Noten vergibt und/oder Erziehungs-/Ordnungsmaßnahmen forciert, hat es bei uns nicht schön.

  • Der Lehrkräftemangel ist ja schon länger Thema, aber dass es in Sachsen-Anhalt solche Ausmaße annimmt, finde ich besorgniserregend:


    "Wegen des Personalmangels darf in Sachsen-Anhalt zum Beispiel jede Bachelorabsolventin unterrichten, auch wenn sich aus ihrem Abschluss kein bestimmtes Unterrichtsfach ableiten lässt."


    aus:
    https://taz.de/Mangel-an-Lehrkraeften/!5884142/

    In Hessen unterrichten Studenten in befristeten Aushilfsverträgen. Qualifikation: Erstes Schulpraktikum. Auch ein abgebrochenes BWL Studium (und eine Banklehre) ist jetzt kein Hindernis um unbefristet angestellt zu werden.


    Es wird jeder genommen, der einen Stuhl warm halten kann.


    Wenn die Not groß genug ist, wird halt einfach alles und jeder genommen.


    Die Not ist stellenweise echt heftig: https://www.hessenschau.de/tv-…liessen,video-174842.html


    Aber mein Dienstherr legt dann in seiner unendlichen Weisheit fest, dass die Schule nicht schließen darf. Die Kollegin formuliert die Konsequenzen relativ deutlich.

  • In Hessen unterrichten Studenten in befristeten Aushilfsverträgen. Qualifikation: Erstes Schulpraktikum. Auch ein abgebrochenes BWL Studium (und eine Banklehre) ist jetzt kein Hindernis um unbefristet angestellt zu werden.

    Bei uns unterrichten ehemalige Schüler, grad fertig mit einem Bildungsgang (z.T. auch welche, die auffällig waren, und zwar nicht wegen besonders guter Leistungen).


    Edit: nicht unfristet, sondern mit Vertretungsverträgen

  • Würdet ihr jungen Erwachsenen raten, Lehramt zu studieren? Würdet ihr selbst nochmal Lehramt und Fächer/Schulart wählen, die ihr jetzt gewählt habt?

    Ja (aber ich würde ihnen durchaus Tipps geben bzgl. ihrer Wahl der Schulform und der Unterrichtsfächer) und ja (im Gegensatz zu einigen anderen User*innen hier bin ich sowohl an einer (meiner!) BBS sehr zufrieden als auch mit meinen Fächern Wirtschaft und Englisch).

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Ebenso sind Ordnungsmaßnahmen unerwünscht und werden durch die SL boykottiert.

    Furchtbar! Wir hatten in den paar Wochen zwischen Sommer- und Herbstferien nun schon fünf Ordnungsmaßnahmenkonferenzen (von der BES über drei BFS-Klassen bis hin zur FOS 12, BG 12 und auch einen Berufsschüler waren SuS daran beteiligt). Das wird gerade stark von unserer SL forciert um Zeichen zu setzen, was das Verhalten gegenüber Lehrkräften und Mitschüler*innen angeht.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Das hat mein Mann gestern auch vorgeschlagen, einer unterrichtet zentral irgendwo online und betreut werden die SuS dann von Bufdis oder so:grimmig:


    Eigentlich müsste man die Schulabgänger*innen fragen, warum sie sich gegen Lehramt und für andere Studiengänge entscheiden. Was berufserfahrenen den Beruf unattraktiv macht, trifft vielleicht gar nicht auf Abiturient*innen zu?


    So richtig weiß ich jedenfalls noch nicht, wie eine Imagekampagne aussehen könnte, die die taz vorschlägt.

  • Ich denke, es ist schon der Irrglaube, dass dies jeder kann (das wird z. Z. auch dadurch unterstützt, dass für viele gefühlt jeder genommen wird, hier tauchen ja auch immer wieder welche auf, die sich beklagen, dass sie nicht mit Kusshand genommen werden. Der Staat soll sich glücklich schätzen, wenn er mich kriegt.)


    Früher war zumindest Referendariat Pflicht (und das sollte auch heute noch sein, es kann ja bei bei Vorkenntnissen, nicht bei Bedarf etwas gekürzt werden).


    So entsteht der Glaube bei Abiturienten, ich probiere irgendetwas und wenn dies nicht klappt, kann ich immer noch Lehrer werden. Wozu Ausbildung, ich war ja an der Schule.

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

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