ICD 11 Diagnostik von LRS und co. und Statistik

  • Liebe Kolleginnen und Kollegen,


    hat jemand von euch mit LRS-Diagnostik zu tun? Betrifft vermutlich Lehrkräfte verschiedener Schularten, aber ich habs jetzt mal hierhin gepostet.


    Ich beschäftige mich gerade mit der ICD-11 und finde zu den neuen LRS-Diagnosekriterien viel Kritik von Psycholog*innen in Bezug auf die Diskrepanz von Forschungsergebnissen und dem, was in der ICD 11 angekommen ist. Die Diagnostik hat sich ja nun auch geändert.


    zum Beispiel (Zitat Psychometrica)


    1. Kriterium der IQ-Diskrepanz:

      Hierbei muss die Schulleistung des Kindes bedeutsam niedriger liegen als aufgrund der Intelligenz zu erwarten ist. Zusätzlich muss die betreffende Schulleistung des Kindes mindestens eine Standardabweichung unterhalb der Klassennorm in der jeweiligen Schulleistung liegen. Dies entspricht einem Prozentrang von ca. 16 oder einem T-Wert von 40. Aufgrund dieser beiden Kriterien wird hierbei auch vom doppelten Diskrepanzkriterium gesprochen. Ob ein Leistungsunterschied erwartungswidrig ist, kann entweder über eine einfache Diskrepanz oder - statistisch sauber - über eine Regression ermittelt werden (siehe Abschnitt Berechnungsverfahren).

    Auf der Seite z.B. ist dann noch ein Rechner, um die Diskrepanz von IQ und Testleistung zu ermitteln: https://www.psychometrica.de/tls.html


    Ich muss zwar nicht diagnostizieren, aber als Lehrkraft hat man ja trotzdem mit den Diagnosen zu tun und da auch Kolleginnen von mir eingebunden sind, frage ich mich, wie das ganze Verfahren jetzt umgestellt wird. Ich gebe zu, dass ich von Statistik leider keine Ahnung habe und den oben zitierten Satz auch nur ansatzweise verstehe. Kann mir jedoch kaum vorstellen, dass es den meisten Kolleginnen anders geht. Ich werde mit ihnen zwar dazu einzeln ins Gespräch kommen, wollte trotzdem gerne das Schwarmwissen befragen. Wie läuft das bei euch? Wer macht die benötigten IQ- und Schulleistungstests? Hat von euch jemand damit regelmäßig zu tun? Habt ihr euch bei anderen Diagnosen auch damit auseinandergesetzt? ADHS z.B., das diagnostizieren wir selbstredend nicht, aber ist ja doch eins der Erscheinungsbilder, mit denen man am häufigsten im Klassenraum zu tun hat. Und hattet ihr nennenswert Statistik in Sonderpädagogik/im Förderschullehramt?


    Freundliche Grüße und danke vorab für einen interessanten Austausch:danke:

  • Interessantes Thema. Die ICD-11 hatte ich bislang noch gar nicht im Blick. Für den deutschsprachigen Raum gibt es, so wie ich es sehe, bislang auch erst eine Entwurfsfassung?


    Inwiefern hat sich denn die Definition und Diagnostik von Schulleistungsstörungen in der ICD-11 verändert? Das doppelte Diskrepanzkriterium gab es doch auch schon in der ICD-10.


    Ich führe natürlich Intelligenz- und Schulleistungstests durch. Eine medizinische Diagnose, was die Teilleistungsstörungen bzw. kombinierten Schulleistungsstörungen sind, stelle ich natürlich nicht, sondern verweise Eltern bei Bedarf an die entsprechenden Fachstellen.


    Testtheorie/Teststatistik hatte ich durchaus im Studium. Aber natürlich nicht in dem Umfang und in der Intensität, wie es beispielsweise Psychologen lernen.

  • Für den deutschsprachigen Raum gibt es, so wie ich es sehe, bislang auch erst eine Entwurfsfassung?

    Alles klar, ich danke dir. Dann war ich wohl zu vorschnell.


    Zum Vergleich der Klassifikationen: ich verstehe es so, dass die aktuelle Forschung das Diskrepanzkriterium gar nicht mehr stützt und die ICD-11 es trotzdem noch vorsieht.


    Ich dachte, das würde das Vorgehen verändern. Mir war nicht bewusst, dass jemand bislang eine "Regression" berechnet.


    IQ-Tests führen bei uns in der allgemeinen Diagnostik nur noch diejenigen durch, die dafür eine Fortbildung gemacht haben. Es wird nur dieser bestimmte Test zugelassen. Was zur Folge hat, dass nicht mehr alle Förderpädagogen (mwd) testen dürfen :(. Bei LRS weiß ich es nicht sicher.

  • Zum Vergleich der Klassifikationen: ich verstehe es so, dass die aktuelle Forschung das Diskrepanzkriterium gar nicht mehr stützt und die ICD-11 es trotzdem noch vorsieht.

    Ok. Das verstehe ich. Wobei das Diskrepanzkriterium schon mindestens seit meinen Studienzeiten umstritten ist. Unter Sonderpädagogen vermutlich mehr als unter Psychologen und Medizinern - würde ich zumindest annehmen?

    Ich dachte, das würde das Vorgehen verändern. Mir war nicht bewusst, dass jemand bislang eine "Regression" berechnet.

    Das habe ich tatsächlich auf der von dir verlinkten Seite auch das erste Mal gelesen. Ich kenne bislang nur das Verfahren der "einfachen Differenz", wie es dort bezeichnet wird. Ich kann aber die Argumentation nachvollziehen, dass und warum das ungenauer sein soll.

    Ich weiß nicht, ob das Verfahren mit der Regression im medizinischen oder psychologischen Kontext schon weiter verbreitet ist.


    Da ich, wie gesagt, zwar die einzelnen Tests durchführe, aber keine medizinische Diagnose als Schlussfolgerung daraus ziehe, sondern eine solche medizinische oder psychologische Diagnostik höchstens empfehle und ggf. vorliegende Testergebnisse mitgebe, ist das ja auch nicht in meiner Verantwortung und tangiert mich insofern eher weniger, mit welchem Verfahren das dann errechnet wurde.

    IQ-Tests führen bei uns in der allgemeinen Diagnostik nur noch diejenigen durch, die dafür eine Fortbildung gemacht haben. Es wird nur dieser bestimmte Test zugelassen.

    Wir haben eine recht umfangreiche Sammlung von einfachen und eher eindimensionalen (meist nonverbalen) bis hin zu komplexeren Intelligenztest. Je nach Alter des Kindes, Fragestellung usw. finden auch durchaus unterschiedliche Tests Anwendung. Eine regelmäßige Fortbildung dazu ist natürlich sinnvoll notwendig.


    Wenn dich das Thema näher interessiert: Es gibt eine recht aktuelle Dissertation zum Einsatz von Intelligenztests durch Sonderpädagogen, die du hier als E-Book kostenlos herunterladen kannst: Die Anwendung von Intelligenztests im sonderpädagogischen Kontext - Eine empirische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Durchführungs- und Auswertungsobjektivität. Mit Online-Materialien - Torsten Joél | BELTZ

    Sehr interessant dabei sind die deutlichen bundeslandspezifischen Unterschiede, die der Autor herausarbeitet.

  • Herr Joel bietet seit vielen Jahren FoBi an,

    lädt munter ein, um dann kurz vor knapp richtig zu stellen, dass es sich eigentlich nur an SoPäds richtet.

    Man kann als normale Lehrkraft an den FoBi teilnehmen, darf die Testungen aber nicht durchfürhen,

    Sonderpädagog:innen dürfen, Psycholog:innen auch,

    die SchuPsy kann, darf aber keine Rezepte ausstellen,

    wenn man also im Anschluss eines für eine Therapie benötigt, braucht man doch wieder einen Psychologen/ eine Psychologin.

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