Neutralität im Geschichtsunterricht

  • Hallo ihr lieben,


    ich befinde mich im Ref. und beschäftige mich schon seit Wochen mit einer Klasse, die ich erst neu übernommen habe.

    Es ist nicht einmal wirklich ein ''Vorfall'', aber ich würde doch gerne erzählen was passiert ist und vor allem auf meine Haltung eingehen.

    Als Ritual beginne ich jede Geschichtsstunde mit einem ''Foto des Tages'', hierbei präsentieren die SuS ein selbstgewähltes (historisches) Thema

    und präsentieren vor der Klasse.


    Neulich wählte eine Schülerin ein Foto des Ku-Klux-Klans und präsentierte etwas emotional ihr Thema.

    Dabei äußerte sie mehrere pauschale Äußerungen, wie: ,,das ist im Grunde ein Haufen voller Rassisten...'', ,,sie töten einfach jeden der nicht weiß ist...'' etc.

    Bei der Bewertung (10 Punkte!) habe ich ihr dann vor der Klasse noch den Tipp gegeben, möglichst alle Perspektiven zu betrachten, da bei der

    historischen Urteilsbildung auch auf eine gewisse ''Neutralität'' geachtet werden muss. Ich wollte im Grunde nur, dass sie ihre Sätze anders formuliert und sowas sagt

    wie: ,,Meiner Meinung nach, sind ihre Motive rassistisch...''.


    Das kam wohl nicht so gut an, weil die Klasse seit dem ständig darauf rumhackt und mir unterschwellig Kommentare vor und während des Unterrichts zurufen.
    Ich zweifle jetzt (wie so oft im Ref.) an mir selbst, habe ich damit ihre freie Meinungsäußerung beeinträchtigt?
    Ist es nicht wichtig, im historischen Kontext darauf zu achten, plakative Aussagen zu vermeiden bzw. zu reduzieren?


    Mich würde eure Meinung interessieren.
    Wie würdet ihr euch den Kommentaren seitens der SuS gegenüber Verhalten?

    Liebe Grüße

  • Gibt es bzgl. des Klans tatsächlich eine andere Meinung? Ist es eine Tatsache, dass das ein "Haufen Rassisten" ist? Ich würde in dem Fall nicht auf "meiner Meinung nach sind das Rassisten" bestehen. Würdest Du das bzgl. der Nationalsozialisten auch so sehen, dass man da ein "meiner Meinung nach" vor "das waren Rassisten" hängen muss?

  • Die Grundidee, Schüler zu etwas differenzierter Ausdrucksweise und v.a. zur Unterscheidung von Meinung und Fakten zu animieren, ist ja grundsätzlich begrüßenswert. Bei der Charakterisierung des Klans als rassistisch und gewalttätig handelt es sich allerdings um Fakten und nicht lediglich um eigene Meinungen. Da gibt es wenig Interpretationsspielraum.

    • Offizieller Beitrag

    Bei Rassisten Neutralität einzufordern, mutet in der Tat auf den ersten Blick befremdlich an. Wenn es im Nachgang nun entsprechende Reaktionen seitens der SuS' gab, würde ich das einfach kurz thematisieren und dann "abräumen".

    Neutralität als wissenschaftspropädeutische Größe ist ja schön und gut, aber eben nicht um ihrer selbst Willen.

  • Wie schon gesagt, das grundsätzliche Anliegen, Dinge differenziert und sachlich darzustellen, ist absolut begrüßenswert.


    Aber: Ich bin kein Geschichtslehrer, bei Menschenrechten gibt es für mich allerdings keine Neutralität.

    Mich selbst stört es, dass sich SuS oft scheuen, eine klare Position zu beziehen. Zum Teil ist das sicher auch ein Ergebnis des Unterrichts, in dem komplexe Fragestellungen eben nicht mit einer einfachen Aussage beantworet werden können, aber mir geht das zunehmend gegen den Strich, auch außerhalb der Schule, dass im öffentlichen Diskurs auch absurde Meinungen oft als gleichberechtigt und am besten noch wertvoll angesehen werden, weil es eben Meinungen sind.

    Ich will nun wirklich nicht gegen die Meinungsfreiheit eintreten, aber wenn (überspitzt gesagt), jemand behauptet, dass man gegen Corona doch mal Desinfektionsmittel trinken könne, der Klimawandel eine Erfindung des Mossad sei, Deutschland zur Diktatur werde und der arme Putin ja gar nicht anders könne, als eine Spezialoperation in der Ukraine durchzuführen, dann soll man dagegen nicht nur deutlich etwas sagen, sondern muss es!


    Führt etwas weit von der eigentlichen Frage weg, sehe ich ein...

  • Man kann sich auch Probleme machen, wo keine sind. ;)


    Aber es wäre aus meiner Sicht wichtig gewesen, darzulegen, aus welchen Motiven/Hintergründen sich so eine Organisation gegründet hat und welche Motivationen bei den Mitgliedern wohl herrschen/herrschten, sich ihr anzuschließen.


    Naja, jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Da brauchst du dir jetzt keine großen Vorwürfe machen, finde ich. Ziehe deine Schlüsse daraus und gut.


    "sie töten einfach jeden, der nicht weiß ist" ist schon eine ziemlich plumpe Aussage (Klassenstufe wurde ja nicht angegeben), die man ruhig differenzieren kann und sollte, aber grundsätzlich sehe ich hier sonst kein Problem bei der Darlegung.


    Du hast das, was du der Klasse vermitteln wolltest, wahrscheinlich einfach falsch rübergebracht bzw. sie haben es nicht verstanden. Evtl. solltest du mit ihnen nochmals darüber sprechen.

  • Wie würdet ihr euch den Kommentaren seitens der SuS gegenüber Verhalten?

    Ich würde auf den Beutelsbacher Konsens und das Überwältigungsverbot verweisen. Tenor: Ich als Lehrer darf Eure politische Meinung nicht beeinflussen.

    --> https://www.bpb.de/die-bpb/ueb…10/beutelsbacher-konsens/


    "Entsprechend habe ich als Lehrkraft zu handeln." Dies sollte gegenüber Schülern als Begründung reichen, um dich selber aus der Schußlinie zu nehmen.

  • aber wenn (überspitzt gesagt), jemand behauptet, dass man gegen Corona doch mal Desinfektionsmittel trinken könne,

    Neeeeiiiin, wer kommt denn auf SO eine Idee?

    ;)

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Wenn Schüler behaupten, dass jemand/eine Gruppe rassistisch sei/seien, dann muss das begründet werden.

    Das heißt nicht, dass Sätze mit "meiner Meinung nach" eingeleitet werden sollen.

    Es darf auch festgestellt werden

    "Die Mitglieder des Ku Klux Klans waren Rasisten. Rassisten sind/als rassistisch bezeichnet man Menschen die dieses und jenes Gedankengut vertreten/dieses und jenes Gedankengut. Dieses und jenes hat der Ku Klux Klan gemacht. Daher ist diese Vereinigung als rassistisch einzustufen."

    Man muss dabei nicht relativieren oder Argumente finden, warum der KKK nicht vielleicht doch nicht rassistisch war. Aber man muss mit richtig definierten Begriffen arbeiten.


    Ich frage mich gerade, ob du Geschichte studiert hast. Da sollte man sowas eigentlich lernen.

  • Neeeeiiiin, wer kommt denn auf SO eine Idee?

    ;)


    Zumindest nicht derselbe, der meinte, die Impfung schütze auch vor Ansteckung und Übertragung, und Ungeimpfte könnten impotent werden.


    Blödsinn wird an vielen Stellen viel erzählt. Bei manchen Personen hat man es schon immer erwartet, bei anderen mittlerweile leider auch.

  • Da in dem Eingangsbeitrag von "Punkten" die Rede ist, gehe ich davon aus, dass es um die Sek II geht, oder? Da finde ich "Meiner Meinung nach..." nicht unbedingt die bessere Alternative. Daher würde ich Schmidt zustimmen, dass auf Basis von sinnvollen Definitionen, Argumenten, Beispielen und Gegenbeispielen die Antwort auf eine sicherlich provokante Frage immer noch fundierter klingt als ein rein emotional geprägter Kommentar "aus dem Bauch heraus".

  • Zumindest nicht derselbe, der meinte, die Impfung schütze auch vor Ansteckung und Übertragung, und Ungeimpfte könnten impotent werden

    Wer sagt das?

    Tatsachen schafft man nicht dadurch aus der Welt, dass man sie ignoriert.

    Aldous Huxley

  • Noch ein relativ aktuelles Beispiel: https://www.washingtonpost.com…as-school-books-opposing/ : "Texas school official tells teachers that Holocaust books should be countered with ‘opposing’ views" . Auch beim Genozid kann man offensichtlich unterschiedlicher Meinung sein und muss im Geschichtsunterricht die Neutralität waren...

    Artikel ganz lesen. Das war die Aussage einer Person an der Schule (zugegeben in höherer Position). Die Aussage wurde kritisiert und die Schule hat sich dafür entschuldigt.


    Das Gesetz, das dahinter steckt, "requires educators to present multiple perspectives when discussing “widely debated and currently controversial” issues."

    Das ist durchaus keine unvernünftige Aussage ... aber trifft auf den Holocaust nicht wirklich zu und von daher hat diese eine Person da wohl etwas nicht verstanden (oder, wenn man ganz liest ... wollte einfach absolut auf der sicheren Seite sein, weil man in USA ja nie weiß, weswegen man von wem verklagt werden kann).

  • Djino


    Dass es ein Genozid war, kann man wohl kaum bestreiten. Aber man kann z.B.

    schon darüber diskutieren, ob er von Anfang an geplant war oder nicht. Da gibt es Sachen, die dafür, und, die dagegen sprechen. Da streiten sich auch m.W. die Historiker, wobei die weitverbreitetere Meinung (ausgehend von einer Rede von Hitler), ist, dass er geplant war.

    Dann kann man sich weiter wiederum darüber streiten, inwiefern die deutsche Bevölkerung davon wusste bzw. dies vor der Machterlangung antizipieren konnte.


    Geschichte ist nicht immer eindeutig. Dass der KKK eine rassistische Organisation ist, steht aber wohl außer Frage. Dass diese heute aber nicht raumrennen und Schwarze töten (wie von dem Schüler behauptet), aber auch.

    Wenn das wirklich Oberstufe war, au Backe.

  • Geschichte ist nicht immer eindeutig. Dass der KKK eine rassistische Organisation ist, steht aber wohl außer Frage. Dass diese heute aber nicht raumrennen und Schwarze töten (wie von dem Schüler behauptet), aber auch.

    Wenn das wirklich Oberstufe war, au Backe.

    Murder of Jason Smith – Eros, Louisiana, 2011

    Jason Smith was a 14-year-old Black student from Louisiana who was found dead in a local lake with his organs missing. Although his death was ruled an “accidental drowning,” his father and family maintain that the killing was the doing of local KKK members. (wie man seine Organe verliert, wenn man "versehentlich ertrinkt" ist mir nicht klar ...)

    Jewish Community Center Murders – Overland Park, Kansas 2014

    Former KKK leader Frazier Glenn Miller, Jr. murdered three people after opening fire at a local Jewish community center.

    Stabbing Of Anti-KKK Protesters At Klan Rally – Anaheim, California 2016

    Three people were stabbed by members and supporters of the KKK while protesting against their rally in California.


    Ok, töten ja nicht nur Schwarze ...


    Das war einer der Treffer meiner Suchanfrage, es ließen sich sicher noch mehr Beispiele finden ... und ich weiß gar nicht, welche von den vielen Polizisten, die in den letzten Jahren mitverantwortlich für Tote bei Polizeieinsätzen waren, Kontakte zum Klan hatten ...


    oder auch hier: https://www.washingtonpost.com…ay-mississippi-lynchings/

    "JACKSON, Miss. — Since 2000, there have been at least eight suspected lynchings of Black men and teenagers in Mississippi, according to court records and police reports." (natürlich müsste man da noch herausfinden, ob der Klan beteiligt war)

  • Erstmal vielen Dank für eure Beiträge.


    An meiner Schule habe ich leider nicht so viele Ansprechpartner bzw. andere Referendare, mit denen man sich austauschen kann, deswegen wollte ich es hier versuchen.


    Es ist eine 9. Klasse und die Lerngruppe ist auch relativ heterogen vom Leistungsstand.


    Ja, ich habe Geschichte studiert (danke dafür), ganze 5 Jahre und schon viele Seminare/ Vorlesungen besucht, die sich ebenfalls mit der Nutzung und nicht-Nutzung von bestimmen Bezeichnungen/ Zuschreibungen etc. im historischen Kontext beschäftigt haben. Auch da gingen die Meinungen immer auseinander.

    Ist es nicht genau das, was Geschichte ausmacht?


    Ich weiß, ich muss noch viel lernen und ich weiß auch, dass nicht alles auf Anhieb perfekt laufen kann.


    Es tut gut sich auszutauschen und über eigene Fehler zu sprechen. Das nehme ich auch an und für mich mit. Danke.

  • Ich glaube, für eine 9. Klasse ist einiges von dem, was hier diskutiert wird, tatsächlich etwas viel verlangt.

    Ich bin auch der Ansicht, dass man in Geschichte (oder generell) vieles diskutieren kann, aber einige Dinge sind einfach Tatsachen, die niemand bestreitet. Und da gibt es dann wohl keine unterschiedlichen Meinungen.

    Wie oben schon von jemandem geschrieben: man hätte eine Definition von Rassismus einfordern können, denn der Klan wendet sich nicht nur gegen Schwarze, sondern auch gegen Juden, Homosexuelle, Kommunisten etc. Aber ... 9. Klasse, Ritual zum Stundenbeginn, "Foto des Tages" ... da scheint es übertrieben, zu hohe Maßstäbe anzusetzen. Wie lange sollte denn so ein Schülervortrag gehen? 1-2 Minuten?

    Evtl. wäre es auch besser gewesen, "im Plenum" zu thematisieren, was die Schülerin hätte besser machen können, ohne ihr das gleich notenmäßig anzulasten. Wenn die SuS diese Form der Leistungserhebung noch nicht so gut kennen, finden sie es evtl. auch unfair, dass hier Aspekte bewertet werden, die ihnen nicht von Anfang an klar waren?

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