Hallo Zusammen -
Ich brauche mal euren Rat. Ich arbeite an einer Realschule im sozialen Brennpunkt. In den meisten Klassen sind etwa 60-70% sehr verhaltensauffällige Schüler. Ein Unterrichten mit Unterrichtsgespräch ist eigentlich gar nicht möglich. Wir haben zwar ein dreistufiges Ermahnungssystem; wenn ich ich das konsequent nutze, schreibe ich jedoch in einer 45 minütigen Unterrichtsstunde 40 oder mehr Namen an - Wenn man das einmal ausrechnet geht dabei quasi die ganze Stunde für Ermahnungen drauf. Vor allem, da immer angefangen wird, zu diskutieren.
Erreichen die SuS die höchste Stufe, muss dann natürlich kleinlich dokumentiert werden, was vorgefallen ist. Wenn ich das System konsequent durchziehe, bedeutet das für mich jeden Tag mindestens 1,5 Stunden Nacharbeit nur für die Vorfälle.
Da Unterrichtsgespräche quasi unmöglich sind, versuche ich jetzt im Stationslernen zu arbeiten. Dabei brauchen sie Zwangsweise iPads- ohne die geht das nicht, da sie Lernvideos brauchen. Diese dürfen sie mit Kopfhörer gucken. Immerhin die Starken arbeiten daran. Das sind so 7-8 SuS. Die anderen machen gar nichts.
Ich habe aber leider kaum eine Chance, mich um die zu kümmern, die arbeiten. Um sich das besser vorstellen zu können, beschreibe ich einmal die letzte Stunde, die tatsächlich das total typische Verhalten widerspiegelt (auf dem Niveau ist das Verhalten der SuS eigentlich immer...):
Jahrgang 8:
Ich komme zum Raum - die ersten schubsten und fangen sich an zu prügeln. Eine Tasche die Treppe herunter versteckt. Ich beruhige die SuS und lasse sie in den Raum. Sie SuS wissen genau, dass sie direkt zu ihrem Platz gehen sollen. Trotzdem wird der Lehrerstuhl direkt geklaut, mit dem Drehstuhl durch den Raum geschoben. Daran beteiligen sich 4-5 Schüler. Währenddessen rennen 3 Schüler vorne zum Pult und bringen das Lehrmaterial auf dem Pult durcheinander. 4 weitere sitzen auf der Fensterbank und weigern sich da herunter zu kommen und meinen, ihr Hintern müsse gekühlt werden, sonst können sie nicht arbeiten. Ein weiterer spaziert durch den Raum und pöbelt mich an, was ich denn von ihm wolle und dass ich ihm gar nichts zu sagen habe als ich ihn auffordere, sich hinzusetzen.
Währenddessen kommen immer wieder SuS, die klopfen und zu spät kommen. Auch, weil sie ihren verhüllten Klassenraum noch aufräumen mussten.
Ich möchte die SuS begrüßen. Dafür müssen sie kurz aufstehen. Keiner wird ruhig. Die SuS stehen schon 10 Minuten, es stehen schon zig Namen an der Tafel. Erst als ich einmal sehr laut kurz in den Raum brülle, wird es ruhig genug für den Begrüßung. Danach wird es direkt laut und ich kann nicht sprechen. Sobald Ruhe ist, kann ich einen Satz anfangen und es fangen direkt 10-12 SuS an zu reden. Bei Arbeitsanweisungen hört niemand zu.
Das Stationslernen beginnt. Die SuS gehen zu ihrem Material. Dieses liegt nach Tischgruppen sortiert in Ablagen. Sie holen ihr Material raus und schmeißen das Material der anderen SuS einfach an die Seite oder auf den Boden. Zugehört, welche Zettel sie nehmen sollen hat niemand. Trotzdem klappt es irgendwie, dass doch die meisten, die arbeiten wollten, ihre Zettel gekriegt haben.
Die Arbeitsphase beginnt. Manche SuS haben haben Fragen. Jedes Mal, wenn ich jemandem helfe, aktiviert irgendjemand auf dem großen TV ein Gangsterrap Video. Ich kann beim helfen nie mehr als einen Satz reden, ohne dass ich jemanden zurechtweisen muss. Auf den iPads wird von mindestens 8-10 SuS nervige Geräusche über Lautsprecher abgespielt. Arbeitenden Schülern werden, wenn sie nicht aufpassen, ihre iPads weggenommen und von störenden Kindern Pornoseiten geöffnet.
Mindestens 10 SuS gucken permanent irgendwelche YouTube Videos.
Ein Schüler will auf Toilette. Er kommt für 30 Minuten nicht wieder und 5 weitere drängeln, dass sie dringend müssen. Wir dürfen nicht mehr als einen gehen lassen.
Zwei Schüler fangen an zu rangeln. Während ich diese auseinander bringe, verschwinden 3 weitere im Flur. Diese kommen wieder und berichten, dass im Flur gerade Feuer gemacht wird. Tatsächlich: Ein Schüler einer anderen Klasse macht gerade mit einem Edding Feuer im Flur. Ich sammle seinen Edding ein und schicke ihn zur Schulleitung.
Ich breche die Arbeitsphase ab- auch weil sich das Stundenende nähert. Tatsächlich zeigen mit ein paar der SuS, die gearbeitet haben ihre wirklich guten Ergebnisse - Wow, ein Lichtblick.
Ich fordere die SuS auf, die Stühle hochzustellen und aufzuräumen. Sie wissen genau, wie sie die iPads wegbringen sollen. Fast alle legen die iPads einfach wahllos nach vorne, stellen ihre Stühle nicht hoch und fangen an zu pöbeln, als ich sie nicht gehen lassen will. Zwei SuS sind dann doch bereit, die iPads wegzuräumen.
Das alles passiert in 45 Minuten und das ist auch nicht übertrieben oder etwas dazu gedichtet, sondern einfach die Realität.
Ich darf keine SuS rauswerfen. Alle Störer bekommen zwar Sanktionen, müssen aber bleiben. Eigentlich hätte ich aber alle bis auf vielleicht 6-7 SuS rauswerfen müssen, um ein vernünftiges Arbeiten zu ermöglich. Bei den meisten Kollegen läuft es leider ähnlich.
Ich weiß nicht, wie ich dagegen ankommen soll. Ich kann doch nicht nur vorne Wache stehen... Aber eigentlich muss ich konsequent sagen, dass die SuS alleine arbeiten müssen und keine Hilfe bekommen, weil ich vorne zum Sanktionieren stehen bleiben muss. Abschreibstunden haben wir auch schon gemacht - auch wenn das eigentlich nicht geht, weil es eine Strafe für alle ist.
Zuhause bin ich nur frustriert. Ich will Kindern helfen, kann aber nicht. Viele Unverschämtheiten machen einen irgendwann auch einfach wütend, sodass es extrem schwer fällt, professionell zu bleiben.
Das Kollegium an der Schule ist super - die Ausstattung ist großartig, weil alles neu ist. Die SuS machen aber beim Experimentieren meistens auch einfach alles kaputt. Sobald sie irgendetwas in die Hand bekommen, ist das erste, was gemacht wird kokeln, kaputt machen oder Sachen durch die Gegend werfen, die zum Experimentieren da sind. Ermahnt man sie wird man beleidigt oder es wird gesagt, man mache doch nichts oder die anderen machen das doch auch.
Ich weiß nicht mehr, wie lange ich das durchhalten kann. Eine Versetzung wäre erst ein 3,5 Jahren möglich.
Hat vielleicht jemand ein paar Tipps für solche Extremfälle?