Inklusion am Gymnasium

  • Bitte nicht verschieben, denn meine Befürchtung ist eingetreten: Auf meinen Beitrag unter "Inklusion" haben keine Gymnasiallehrer geantwortet, wahrscheinlich weil diese beim Inklusionsforum selten nachschauen.

    Aber genau um Inklusionserfahrungen am Gymnasium geht es mir ja.



    2015 wurde hier das Schulgesetz im Bereich Inklusion geändert. Einige Kollegen freuten sich, andere hatten Ängste.

    Beides war unnötig. Wir hatten bis zu diesem Schuljahr keinen mir bekannten Fall. Das fand ich merkwürdig.

    Nun haben wir 2 Schüler mit einem Hörhandicap am Gymnasium, die beide von einer Sonderpädagogin aus Winnenden betreut werden. Das ist von uns aus ewig weit weg.

    Winnenden ist für alle beruflichen Schulen in Baden-Württemberg zuständig!!!! Der eine Schüler wurde seit der ersten Klasse aus dem nahen Karlsruhe betreut und verliert seine Bezugsperson.

    Beim Thema Kostenübernahme war nur von der Krankenkasse die Rede.

    Wenn Baden-Württemberg Inklusion an Schule propagiert, hätte ich gedacht, dass die Schuträger oder das Land Kosten übernimmt.


    Unter Inklusion an Schulen stelle ich mir eine schulnahe Betreuung und keinen elterlichen Kampf mit der Krankenkasse vor.


    Ich bin echt auf die reale Unterstützung bis zu den Schulabschluss gespannt, auch für Schulleitung und Kollegen, denn das Thema ist für uns Neuland, einer dieser Schüler hört fast nichts. Ich denke, dass einige Lehrer an der Oberstufe des Gymnasiums überfordert sind.


    Wie sind eure Erfahrungen mit Inklusion an Gymnasien?

  • Zu "Inklusion am Gymnasium" kann ich antworten (vorher ging es ja um Inklusion in BaWü...)


    Unter Inklusion an Schulen stelle ich mir eine schulnahe Betreuung und keinen elterlichen Kampf mit der Krankenkasse vor.

    Schulnah ist oft genug nicht möglich, weil die entsprechenden Experten eben weiter weg sind. Diese Experten sind dies vielleicht auch für bestimmte Altersstufen, weil die Probleme in der Grundschule vielleicht anders sind als in der weiterführenden Schule.

    Eltern "kämpfen" häufig genug und das seit vielen Jahren mit allen möglichen Ämtern, Krankenkassen etc. Sie übertragen diesen Kampf leider auch sehr häufig auf die Schule, in der Annahme, dass sie dort ebenfalls sonst "nichts" bekommen. Weshalb man zu Beginn mit "Inklusions-Eltern" oft äußerst fordernde Eltern, manchmal auch Grenzen überschreitende Eltern hat. Mit den Jahren kann das besser werden, man kann bei Bedarf die Zugewandtheit der Schule, die vieles ermöglicht (statt verhindert) nach einiger Zeit auch explizit mit den Eltern thematisieren (die haben bis dahin dann ja ein paar Erfahrungswerte mit der Zusammenarbeit mit der Schule).


    einer dieser Schüler hört fast nichts

    Wir hatten schon SuS, bei denen in allen Unterrichtsstunden ein Gebärdendolmetscher mit dabei war. Wäre das eine Option für euch?

    Hat der Schüler eine FM-Anlage (also ein Mikrofon, dass die Lehrkraft trägt, damit der Schüler den Ton direkt übertragen bekommt)?


    Für "mehr" hörende SuS haben wir im Klassenraum (schon vor vielen Jahren) Dokumentenkameras & Projektionsmöglichkeit genutzt, damit beim Vergleich von Aufgaben (z.B. Vorlesen von Aufsätzen seitens SuS) die kaum hörenden SuS (und alle anderen...) mitlesen können.

    Hausaufgaben müssen natürlich immer an die Tafel geschrieben werden, damit das im Gesagten nicht untergeht.

    In den Fremdsprachen kann in Klassenarbeiten ggf. statt einer Hörverstehensaufgabe ein Leseverstehen gegeben werden. Das ist aber nicht einfach nur der Text des Hörverstehens (diese Texte sind leichter, damit sie bearbeitbar sind allein durch das Hören - nutzt man sie als Leseverstehen, ist der Schwierigkeitsgrad zu niedrig).


    Wir haben seit vielen vielen Jahren inklusiv beschulte SuS an der Schule (noch bevor es die Inklusion als offizielles Konzept in NDS gab). Die zielgleich beschulten SuS haben in der Vergangenheit alle das Abitur bestanden. Andere sind aktuell auf dem besten Wege dorthin.

  • Ich hatte mal eine hörbehindertes Mädchen ab Klasse 5 in Englisch. Sie hatte eine FM Anlage mit Mikrofonen sowie ein Kochlea Implantat und war zudem noch 9 Jahre alt. Die Hilfe der Inklusionsfachkraft bestand darin, dass sie mir hundert Seiten Papier zum Lesen gab und den Auftrag, ich müsste den Nachteilsausgleich formulieren. Nach einem halben Jahr stellte sie fest, dass in Englisch wohl die Laute anders sind als im Deutschen. Im Unterricht war sie bei mir nie dabei, glaubte aber immer, man hätte gerade eine Stunde Zeit zum reden, wenn man über den Flur lief.


    Zum Glück konnte ich sagen, dass aufgrund der großen Kompetenz des Kindes überhaupt kein Unterschied zu den hörenden Schülern bestand, sie war sogar mit die beste. Auch im Hörverstehen. Ich habe mich von Anfang an mit den Eltern dahingehend verständigt, dass sie Klassenarbeiten ganz normal mitschreibt, und sollte auffallen, dass sie einen Nachteil hat, dann schauen wir noch mal. Immer volle Punktzahl im Bereich Hörverstehen haben das nie nötig gemacht.


    Die Eltern haben sich sehr bemüht, noch mehr Mikrofone bei der Krankenkasse zu beantragen, da ein Großteil der Unterrichtszeit dafür draufging, die Mikrofone von einem Ende des Klassenzimmers zum anderen zu reichen. Einerseits sorgt die Mikrofone für eine unglaubliche Ruhe im Unterricht, andererseits verzögerten sie die Beiträge, die im Englisch Unterricht der Klasse fünf nun mal sehr viele sind. Die Schule hat es ermöglicht, dass die Klasse zwei Räume mit Durchgang bekommt, damit zum Beispiel bei Gruppenarbeit für sie mehr Ruhe möglich war. Die Zusammenarbeit mit den Eltern war immer prima, es gab aber auch wenig Probleme und die Schule war immer sehr bemüht.


    Rolli Fahrer hatten wir schon einige, die größten Probleme machte wahrscheinlich der alte Aufzug. Auch da habe ich nur unendlich bemühte und nette Eltern erlebt.

  • An den Gymnasien hier im Umkreis existiert Inklusion nur in Form von körperlich-motorisch beeinträchtigten Schülern, also zum Beispiel gehbehindert. Die drei Förderschwerpunkte, die ca. 95 % der Inklusion ausmachen (Lernen, Emotional-sozial und Sprache) findet an Gymnasien nicht statt. Da heißt es dann, das können doch die Haupt- und Realschulen machen, die sind dafür doch viel besser geeignet. Ich bin für eine Inklusionsquote: Jede weiterführende Schule bis Klasse 10 muss eine gewisse Anzahl an Kindern mit Bedarf aufnehmen und es muss gleichmäßig verteilt werden. Auch am Gymnasium sollten Kinder mit z. B. dem Förderbedarf Lernen unterrichtet werden. Die beteiligten Regel- und Förderschullehrkräfte müssen das entsprechende Material aufbereiten und zur Verfügung stellen.

  • Die Schüler haben beide Implantate, eine Anlage und Mikrofone.

    Hörverstehen durch Leseverstehen ersetzen macht Sinn.

    Auch die schriftliche Ausdrucksweise ist beeinträchtigt haben wir jetzt gelernt. Wahrscheinlich schauen wir zu weit nach vorne (Abitur), wahrscheinlich sollten wir einfach mal anfangen

  • Gibt es für die SuS zusätzliche Förderstunden? Dann könnten diese ja genutzt werden, um an der Ausdrucksweise zu arbeiten. (Vielleicht sogar mit DaZ-Material, das manchmal expliziter Wortmaterial und Strategien zur Verfügung stellt.)

    Bei uns werden die Förderstunden immer durch "reguläre" Lehrkräfte (also nicht Förderschullehrkräfte (da nicht vorhanden)) gegeben. Oftmals sind das 2 Stunden pro Woche "Unterricht" / Lernbegleitung. Manchmal sind es auch 2-3 SuS auf einmal. Gearbeitet wird oft an Fehlerschwerpunkten (wäre bei euch dann wohl Deutsch), manchmal (z.B. bei Autismus) auch an allgemein "lebenspraktischen" Themen.

    In der Unterrichtsverteilung werden den Förderstunden dann Kollegen zugewiesen, die auch mit dem benötigten (Fach-)Förderbedarf helfen können.

  • An berufliche Schulen gibt es hier weder AG Stunden noch Förderstunden. Das müssen die Lehrer dann privat machen.

    Oder bin ich falsch informiert?

  • Auch am Gymnasium sollten Kinder mit z. B. dem Förderbedarf Lernen unterrichtet werden.

    Das hatten wir (GE und LE) und es war katastrophal. Absolute Schwachsinnsidee (wobei ich damit nicht sagen will, dass dieses Unterfangen an anderen Schulformen besser aufgehoben ist, es ist einfach grundsätzlich kein gelungener Ansatz).

  • Das hatten wir (GE und LE) und es war katastrophal. Absolute Schwachsinnsidee (wobei ich damit nicht sagen will, dass dieses Unterfangen an anderen Schulformen besser aufgehoben ist, es ist einfach grundsätzlich kein gelungener Ansatz).

    An meiner "Ref-Schule" gab es auch diese berüchtigten "Inklusionsklassen". Da haben die alteingesessenen Kollegen nur gebetet und gehofft, die nicht unterrichten zu müssen. Völliges Chaos, quasi nicht beschulbar, haben den kompletten Unterricht auch für den Rest der Klasse gesprengt.


    Hier wird nur vom Paradebeispiel "Hörgeschädtigte" oder "Rollifahrer" gesprochen, ja, das geht. Aber sobald es in Richtung GE und LE geht, da fängt das echte Drama an.

  • Ach weil sie planlos und ohne ausreichendes Personal in eine Gymnasiumsklasse (was von vornherein schon absurd ist) gesteckt werden, passen sie sich sicherlich an und sind nach ein paar Jahren reif für den regulären Arbeitsmarkt.

  • Ach weil sie planlos und ohne ausreichendes Personal in eine Gymnasiumsklasse (was von vornherein schon absurd ist) gesteckt werden, passen sie sich sicherlich an und sind nach ein paar Jahren reif für den regulären Arbeitsmarkt.

    Das ist nicht der Gedanke von zieldifferentem Unterricht, den man zumindest bei GE dauerhaft haben wird.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • An berufliche Schulen gibt es hier weder AG Stunden noch Förderstunden. Das müssen die Lehrer dann privat machen.

    Oder bin ich falsch informiert?

    Nur für geistige Entwicklung können Stellen generiert werden. Alle anderen Förderschwerpunkte sind plötzlich weg, wenn das BK-Schulhaus betreten wird.

  • Alle anderen Förderschwerpunkte sind plötzlich weg, wenn das BK-Schulhaus betreten wird.

    Ein Wunder!


    (Wir haben aber auch lange kämpfen müssen, damit SuS z.B. mit massiver Hörbeeinträchtigung auch ab Klasse 11 Nachteilsausgleiche etc. gewährt bekommen. Mittlerweile hat sich das "eingebürgert", wir stellen für die Abiturprüfung langfristig genug Anträge, diese werden geprüft und (mehr oder weniger sinnvoll) angepasst & genehmigt.)

  • Ein Wunder!


    (Wir haben aber auch lange kämpfen müssen, damit SuS z.B. mit massiver Hörbeeinträchtigung auch ab Klasse 11 Nachteilsausgleiche etc. gewährt bekommen. Mittlerweile hat sich das "eingebürgert", wir stellen für die Abiturprüfung langfristig genug Anträge, diese werden geprüft und (mehr oder weniger sinnvoll) angepasst & genehmigt.)

    Ja, es ist ein Wunder!


    Wir geben auch immer alles an, auch Lernen und ESE und sowas. Wir bekommen immer viele Stellen für Integration und Inklusion zugewiesen. Vielleicht, weil wir immer alles angeben.

  • Hier wird nur vom Paradebeispiel "Hörgeschädtigte" oder "Rollifahrer" gesprochen, ja, das geht. Aber sobald es in Richtung GE und LE geht, da fängt das echte Drama a

    Ich sag es mal so...an der Grundschule ist es für uns auch nicht unbedingt einfacher..

    Da sitzen halt Kinder ( aktuell 1 Kind...frisch geerbt...die Kollegin hatte noch keinem aosf antrag gestellt..warum auch...macht halt arbeit..sie kann trotz wiederholung absolut nichts..)die absolut nichts verstehen..und meine Klasse ist durchaus voll mit 29 wuselnden Kindern.

    Der Sonderpädagoge kommt halt ab und zu mal vorbei..Im Endeffekt machen wir die Vorbereitung natürlich selbst.

    Das ist durchaus auch bei uns sehr herausfordernd.

  • Das ist durchaus auch bei uns sehr herausfordernd.

    Untertrieben. Ich halte die Arbeit an einer Grundschule, vor allem im Brennpunkt, unter den derzeitigen Bedingungen für nicht leistbar. Inklusion ist ein schlechter Witz, viele Kinder mit hohem Förderbedarf können fast nur noch verwahrt werden.

  • wir hatten neben seh- und hörgeschädigten SchülerInnen auch immermal wieder SchülerInnen mit chronischen Erkrankungen. ich empfinde bereits den Aufwand bei diesen "premium"-Inklusionskindern in der Sek II als extrem hoch und nervig im Tagesgeschäft. ich spreche noch nicht mal von angepasstem Unterricht, aber allein, wie viele Ressourcen da bei Klausuren zusätzlich anfallen, weil es irgendwelche Zeitverlängerungen gibt, die beaufsichtigt werden muss oder in formellastigen Fächern eine Schreibhilfe etc. dazu kommt dann die Zeit, die in die Einarbeitung dieses Themas anfällt und die wirklich nervige Beantragung des Nachteilsausgleich für das Abitur. mir ist schon klar, dass diese Äußerung für KuK an anderen Schulformen lächerlich klingt, aber nur weil es bei Euch schlechter läuft, ist es ja bei uns ja nicht gut.

  • Wir hatten bisher mehrere hörgeschädigte Schüler, einige Autisten (verschieden stark beeinträchtigt), motorische Handicaps usw. Nachteilsausgleich funktioniert gut (wird teilweise sogar von Kollegen vorgeschlagen und Eltern haben erst überrascht, aber dann dankend akzeptiert (dankend, weil sie gar nicht wussten, dass es so etwas gibt).


    Geistige Beeinträchtigungen am Gymnasium sehe ich dagegen als schwierig. Bei uns müssen Kinder wegen zu schlechten Leistungen das Gymnasium verlassen und noch schlechtere sollen bleiben? Und unsere Klassen sind deutlich größer als Real- und Gemeinschaftsschulklassen hier vor Ort. Wir haben viel mehr Fachlehrer- und Raumwechsel. Letztendlich würde es das Leistungsprinzip am Gymnasium abschaffen. Für mich kein Problem, ich habe zu Beginn an einer integrativen Gesamtschule unterrichtet (aber teilweise mit 2 Kollegen pro Stunde in Hauptfächern). Nur sollte man das ehrlich so sagen (und das traut sich niemand).

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

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