Trigger vermeiden?

  • Hallo,

    ich bin noch im Studium und habe mir die Frage gestellt, ob ihr im Unterricht explizit darauf achtet, spezielle Trigger für SuS zu vermeiden? Wenn ja, wisst ihr im Vornherein, dass diese bei den SuS vorhanden sind oder behaltet ihr im Hinterkopf, dass der Aspekt SuS evtl. triggern könnte? Ich studiere Germanistik und die Frage kam in Bezug darauf auf, welche Lektüren im Deutschunterricht gelesen werden könnten und wie mit solchen Lektüren umgegangen wird, die aufgrund anderer Eigenschaften geeignet wären, aber aufgrund einer speziellen Thematik triggern könnten.

    Danke für eure Antworten.

  • Welche Lektüren man behandelt wird in der Regel in der Fachschaft besprochen bzw. festgelegt.


    Alle Unterrichtsinhalte können triggern, ob gerechtfertigt oder nicht.

    Als Lehrer muss ich dafür sorgen, dass man die Situation deeskaliert, falls notwendig, und einen neutralen Einblick in das Problem vermitteln.

  • Natürlich muss man bei bestimmten Themen generell SEHR vorsichtig sein, um Grenzen der SuS zu beachten. Dies betrifft insbesondere alles, was das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung betrifft. Darüber hinaus müssen Themen, die bereits in der Klasse vorhandene Probleme, z.B. Mobbingthematiken oder auch häusliche Gewalt (wenn dazu etwas bekannt ist), aufgreifen entsprechend sensibel angegangen werden und ebenso natürlich ist nicht jeder Text geeignet für die entsprechende Auseinandersetzung. Dennoch können wir nicht sämtliche potentiellen Trigger all unserer SuS kennen. Das wichtigste ist es also, ein feinfühliges Auge und Ohr für seine Hasen zu haben, Grenzen ernst zu nehmen, SuS nicht bloßzustellen im Plenum, sondern im Vieraugengespräch vorsichtig nachfragen, warum das Thema so starke Emotionen auslöst, um dann ggf. adäquate Einzelfalllösungen zu finden.


    Ich erinnere mich, wie wir in der 11.Klasse in GK einen äußerst drastischen Film (Dokumentation mit Originalbildern inklusive Leichenbergen aus den KZs etc.) angesehen haben über die Entmenschlichung, die die Nazis ihren Opfern in mannigfaltiger Weise angetan haben, um sie in ebenso vielfältiger Weise zu ermorden. Mich hat das in dieser Weise emotional völlig überfordert, gerade weil das ein Thema ist, mit dem ich mich seit meiner Grundschulzeit intensivst auseinandergesetzt habe und über das ich schon früh begonnen hatte wissenschaftliche Literatur aus dem Bücherschrank meiner Eltern oder auch meines Großvaters (der Geschichtslehrer war) zu lesen, um irgendwie erfassen zu können, warum nur Menschen anderen Menschen derart grauenvolle Dinge antun. Mir sind konstant die Tränen runtergelaufen, während ich völlig versteinert versucht habe das irgendwie zu ertragen. Andere sind weinend aus dem Unterrichtsraum gelaufen unter den hämischen Kommentaren des Lehrers, der sich am Ende des Films dann auch über mich lustig gemacht hat, weil dieser empathiebefreite Holzklotz nicht nachvollziehen konnte, warum man bei diese Bildern weinen müsste. Im Nachhinein geradezu kafkaesk, wie er die Entmenschlichung, über die er uns unterrichten wollte, selbst mit Leben gefüllt hat.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Hallo,

    ich bin noch im Studium und habe mir die Frage gestellt, ob ihr im Unterricht explizit darauf achtet, spezielle Trigger für SuS zu vermeiden? Wenn ja, wisst ihr im Vornherein, dass diese bei den SuS vorhanden sind oder behaltet ihr im Hinterkopf, dass der Aspekt SuS evtl. triggern könnte?

    Manchmal denkt man nicht so daran, bzw. unterschätzt die Situation. Mir ging es mal so, als ich mit der Klasse ein Muttertagsgeschenk bastelte und dachte, der Schüler, dessen Mama verstarb, als er 3 war (ist jetzt 7), könne das Geschenk ja für seinen Vater basteln. Das ging tränenreich in die Hose. Ähnlich ist es bei Vatertagsgeschenken, wenn da kein Kontakt mehr besteht. Aber die Kinder bei den Basteleien dann noch in eine andere Klasse zu schicken, finde ich auch nicht so pädagogisch wertvoll.

  • Wir haben es mit Menschen in einer Phase ihres Lebens zu tun, in der sie eine Vielzahl von mehr oder weniger schwierigen Lebensthemen bewältigen müssen. Es ist nicht die Aufgabe von Lehrern, diese Themen in jedem Fall zu vermeiden, im Gegenteil haben viele SuS keine andere Anlaufstelle. Dass du dir bewusst bist, dass du sensibel und wachsam sein musst, finde ich aber gut. Es wird Lektüren geben, die du in bestimmten Klassen lieber nicht liest, zum Beispiel weil sie Einzelne unangenehm in den Fokus rücken könnten. Aber grade Deutschlehrer haben schöne Möglichkeiten, immer wieder einmal einen Raum zu schaffen, in dem eine bisher unausgesprochene allgemeine Thematik bearbeitet werden kann. Wer besonders betroffen ist, hört den anderen vielleicht nur zu und gewinnt dabei verschiedene Außenperspektiven, sieht an dir, wie man das Thema wertschätzend aufnehmen kann, hört vielleicht von Stellen, wo man Hilfe findet, bekommt signalisiert, dass Lehrer ansprechbar sind usw. Das ist Teil unserer Erziehungsarbeit.

  • Ich gebe normalerweise mehrere Lektüren zur Auswahl, stelle die zentralen Themen der Bücher kurz vor und lasse den Schülern Zeit für Rückmeldungen bis zur endgültigen Abstimmung. Wer gegen eines der Bücher oder Themen Vorbehalte hat, kann die gerne äußern (auch anonym). Auf diese Weise ist Handmaid's Tales auch mal von der Liste geflogen, weil mir anonym jemand geschrieben hat, er/sie würde sich aus persönlichen Gründen ungern mit sexuellem Missbrauch beschäftigen. Auch Thirteen reasons why habe ich mal bewusst nicht gelesen, nachdem eine Kollegin mir gesteckt hat, dass in meinem Kurs eine Schülerin sitzt, die zwei Selbstmordversuche hinter sich hatte. Wenn man von den Vorbelastungen der Schüler weiß, kann man sicherlich darauf reagieren - schwierig ist es eben, wenn man nichts weiß und auch niemand was äußert.


    Unabhängig davon denke ich, dass man mit bestimmten Themen ohnehin sensibel umgehen muss. Ich sage den Schülerm immer, dass sie sich auch gerne kurz rausziehen können, wenn ihnen eine Thematik gerade zu nahe geht. Wir hatten z.B. letztes Jahr im Zusammenhang mit women in Nigeria einen Filmausschnitt, in dem häusliche Gewalt gezeigt wurde (ich hatte das vorher auch angekündigt) und mittendrin ist jemand rausgegangen. Das ist okay und hat auch niemand kommentiert.



    Wichtig ist, denke ich, Schüler nicht ohne Vorwarnung mit möglicherweise triggernden Inhalten zu konfrontieren und ein Klima im Kurs zu schaffen, das es ermöglicht, sich zurückzuziehen oder ggf. auch zu sprechen, wenn ein Bedürfnis danach entsteht.

  • Hallo x21moon,


    ich bin selbst noch im Studium, habe allerdings schon eine Schulung zu Traumapädagogik besucht und mir scheint deshalb eine Unterscheidung sehr wichtig: der Begriff "Trigger" wandelt seine Bedeutung im Alltagssprachgebrauch aktuell und scheint mittlerweile vor allem als Überbegriff für Themen, die emotional aufwühlend sind und z.B. aufgrund von Vorerfahrungen belastend sein können. Exemplarisch wären hier Schüler*innen zu sehen, die durch (sexuelle) Gewalterfahrungen emotional stark belastet werden, wenn diese Themen in den Schullektüren auftauchen. Für diese Themen haben dir die Vorschreiber*innen wertvolle Tipps zur Lektüreauswahl und dem generellen Umgang damit gegeben.


    Was aber wichtig davon abzugrenzen ist, und dies scheint mir aktuell etwas verloren zu gehen, ist die ursprüngliche Bedeutung von "Trigger" in der Traumaforschung/ wissenschaftlich-psychologischen Definition: hier bezeichnen Trigger Reize/ Auslöser im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung, die mit der Traumatisierung in Verbindung gebracht und im Hirn als lebensbedrohlich interpretiert werden. Diese Trigger sind aber bei weitem nicht nur solche offensichtlichen Zusammenhänge, sondern das können Geräusche, Gerüche, ein bestimmter Tonfall oder bestimmte Verhaltensweisen sein. Da rein theoretisch hier so gut wie alles als Trigger fungieren kann (z.B. malen mit roter Farbe --> Blut; Lehrkraft nutzt zufällig selbes Parfüm wie der Vergewaltiger eines Mädchens; der Probealarm/ platzende Luftballon erinnert an Flucht aus Heimatland; das Mittagessen schmeckt und riecht wie das, was ein Kind bei seiner misshandelnden Familie essen musste; etc.), ist es nicht möglich, alle Eventualitäten in diesem Bereich abzudecken. Natürlich sollte man auch hier, wenn man entsprechende Vorkenntnisse über solche Trigger hat, diese entsprechend vermeiden. Aber es wird dir nie möglich sein, bei der Lektüreauswahl alles auszuschließen, was potenziell triggern könnte. Im Rahmen der Posttraumatischen Belastungsstörung laufen dann auch mitunter wesentlich heftigere Reaktionen ab als es bei der ersten Art von Triggern der Fall wäre. Hier sind die Schüler*innen gefühlsmäßig direkt in der traumatisierenden Situation zurück, können sie sehen, wiedererleben und geraten in eine so empfundene Notfallsituation, in der automatisch die Prozesse Fight, Flight oder Freeze ablaufen und entsprechend heftige Reaktionen (bspw. Weglaufen, Dissoziation, Panikattacken, auch Aggressives Wehren) erfolgen, die von den Betroffenen in der Situation nicht zu kontrollieren sind. In solchen Situationen muss natürlich primär die Krisenintervention ablaufen & das Kind unterstützt werden. Hier kann aber durchaus auch notwendig sein, ggfs. ärztliche Hilfe in die akute Situation miteinzubeziehen. Hier ist besonders zu beachten, dass Schüler*innen in einer solchen Situation auch einfach komplett versteinert sein können, ohne (laut oder überhaupt) auf sich aufmerksam machen zu können. Um mit dieser Art Trigger professionell umgehen zu können, empfiehlt sich die Schulung in grundlegenden Unterstützungsstrategien für solche Reaktionen.


    Viele Grüße, JoyfulJay

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