Krankheit von SuS auf Klassenfahrt - Aufsichtspflicht?

  • Wie sieht die Aufsichtspflicht in so einem Fall aus?


    Wir reisen als alleinige Klasse und sind eine männliche und weibliche Lehrkraft. Hat jemand Erfahrungswerte oder kann etwas konkret zur rechtlichen Situation sagen?

    Wie sonst auch gilt bei der Aufsichtspflicht die Trias aus Alter, Reife und Situation im Kontext mit Vorerfahrungen mit dem erkrankten Kind oder auch bestehenden Vorerkrankungen, sowie natürlich die Dauer, die das Kind alleine wäre. Ein zuverlässiges Kind aus der 7.Klasse kann man sagen wir bei reinen Kopfschmerzen (ohne vorhergehenden Sturz o.ä.) sicherlich in Rücksprache mit den Eltern 2h alleine in der Juhe lassen, nicht aber den ganzen Tag. Einen bekannten Klassenchaoten (bei dem du natürlich vorab bereits geprüft hast, ob dieser zuverlässig genug ist, um überhaupt mitfahren zu dürfen) keinesfalls.

    An meiner Refschule gab es im Schullandheim eine Situation, wo SuS in den knapp 10min bis zum Abendessen ein paar Matratzen in ihrem Raum angezündet haben. Obgleich völlig klar war, dass die KuK ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt hatten, mussten sie genau das dennoch äußerst penibel schriftlich ausführen und nachweisen angesichts der haftungsrechtlichen Fragen (strafmündig waren die SuS noch nicht). Geh also kein Risiko ein. 5./6.Klasse bleiben nicht alleine in so einem Fall, der Rest nur nach äußerst kritischer Abwägung und in Rücksprache mit den Eltern.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Klassenchaoten (bei dem du natürlich vorab bereits geprüft hast, ob dieser zuverlässig genug ist, um überhaupt mitfahren zu dürfen)

    Zumindest in NDS gilt der Ausschluss von einer Klassenfahrt als Ordnungsmaßnahme & muss durch Klassenkonferenz beschlossen werden.

    (Wenn sich eine Fahrt und mögliche Probleme langfristig andeuten, kann man natürlich auf eine solche Maßnahme "hinarbeiten". Der Klassenchaot wird das Unterfangen (unfreiwillig) auf jeden Fall tatkräftig unterstützen.)


    Manchmal kann man natürlich auch mit Eltern absprechen, dass es für ihren Chaoten "sicherer" ist, nicht mit auf Klassenfahrt zu fahren. (Andere Eltern wiederum freuen sich, dass sie ihren Chaoten ein paar Tage los sind...) Ähnliches gilt auch für chronisch kranke SuS (wobei gerade für diese eine Klassenfahrt sich sehr positiv auf Selbstständigkeit und Integration in die Klassengemeinschaft auswirken kann).

  • Unter anderem fahren wir bei mir an der Schule nie mit nur einer Klasse auf Klassenfahrt sondern immer mind. mit 2 Klassen, oft mit 4 Klassen. Und nehmen (abgesehen von Eltern) so ziemlich jede Begleitung mit, die sich findet (OGS Betreuer, Praktikanten, Reffis, Fachlehrer..).

    Ich bin eh mit den ganz Kleinen unterwegs, deshalb stünde allein lassen bei uns nicht zur Debatte, aber auch ansonsten wäre ich da lieber vorsichtig.

  • Offtopic: Aufsichtspflicht für volljährige Schüler? Das habe ich bisher immer anders gelernt.

    Wird doch in der Quelle direkt ausgeführt: auch die Volljährigen sind bzgl. der schulischen Veranstaltung weisungsgebunden, dürfen also nicht einfach eine ungezwungene Urlaubsreise daraus machen, bei der nur zufällig eigene Lehrkräfte in der selben Unterkunft untergebracht sind. Andersherum wird die Lehrkraft auch gegenüber Volljährigen eine Fürsorge- und Verkehrssicherungspflicht übernehmen müssen.


    PS: Ableitbar ist das bis hinauf zum Art. 34 GG, aber auch aus den Schulgesetzen der Länder lässt sich das i.d.R. entnehmen. In NDS normiert z.B. §62 NSchG die Aufsichtspflicht der Lehrkräfte für alle Schülerinnen und Schüler der Schule während der Schulzeit und entsprechenden Schulveranstaltungen.

  • Wird doch in der Quelle direkt ausgeführt: auch die Volljährigen sind bzgl. der schulischen Veranstaltung weisungsgebunden, dürfen also nicht einfach eine ungezwungene Urlaubsreise daraus machen, bei der nur zufällig eigene Lehrkräfte in der selben Unterkunft untergebracht sind. Andersherum wird die Lehrkraft auch gegenüber Volljährigen eine Fürsorge- und Verkehrssicherungspflicht übernehmen müssen.

    Mein bisheriger Stand ist, dass es gegenüber volljährigen Menschen keine Aufsichtspflicht gibt (Spezialfälle ausgenommen). Leider gibt das Schulportal keine Quellen für seine Rechtsauffassung an, wo man das mal nachlesen könnte. Wenn jemand fundierte Informationen hat: immer gerne.


    Dass Teilnehmer einer Gruppenunternehmung (Schule oder nicht) qua unterschriebener Vereinbarung weisungsgebunden sind ist etwas anderes. Das gilt selbstverständlich auch für jede Reisegruppe, aber trotzdem ist z.B. mein Reiseleiter bei einem gebuchten Urlaub für mich nicht aufsichtspflichtig. Der schmeißt mich einfach raus wenn ich ihm zu doof werde.


    Auch Fürsorge- und Verkehrssicherungspflicht hat ein Reiseleiter (z.B. bei einem Tauchurlaub), aber daraus ergibt sich ebenfalls keine Aufsichtspflicht.

    --

    Keine Daten, keine Quellen? Kein Interesse.

  • Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass der Begriff der Aufsicht hier nicht mehr ganz passend ist, den Kern der Sache aber dennoch trifft. Zwar besteht bei Volljährigen bei Verletzung der Aufsicht keine deliktische Haftung mehr für Schäden, die die zu beaufsichtigende Person Dritten zufügt (§832 BGB), insbesondere die Fürsorgepflicht von Lehrkräften für ihre (auch volljährigen) Schüler geht aber dennoch deutlich weiter als die eines Reiseleiters gegenüber seiner Reisegruppe.

  • Aus https://deutsches-schulportal.…aefte-auf-klassenfahrten/


    Inwieweit gilt die Aufsichtspflicht auch für volljährige Jugendliche?
    Auch Volljährige unterliegen während einer Klassenfahrt der Aufsichtspflicht der Lehrkräfte. Allerdings ist das Ausmaß dieser Aufsichtspflicht reduziert, da normalerweise davon auszugehen ist, dass Volljährige Gefahren besser erkennen und vermeiden können als Minderjährige. Die volljährigen Schülerinnen und Schüler müssen alle Weisungen der Lehrerinnen und Lehrer bei einer Schulveranstaltung befolgen und können sich nicht auf ihre Volljährigkeit berufen, um sich zum Beispiel ohne Einverständnis der Lehrkräfte selbst eine freie, unbeaufsichtigte Zeit zu verschaffen.“


    Eine entsprechende weitere Quelle aus Schleswig-Holstein:

    https://www.schulrecht-sh.com/…flug_aufsichtspflicht.htm

    Dort der 4. Absatz.


    Für NRW habe ich gelesen (in der BASS), dass das die allgemeine Aufsichtspflicht (also die, die in der Schule gilt) bei volljährigen SuS zu einer Fürsorgepflicht wird.

    Für NRW kenne ich keinen Erlass, in dem die Aufsichtspflicht für volljährige SuS so explizit steht, alle Kommentare dazu sagen aber in etwa dasselbe wie die beiden Quellen oben.

    Die Weisheit des Alters kann uns nicht ersetzen, was wir an Jugendtorheiten versäumt haben. (Bertrand Russell)

  • Für NRW wird dies wohl abstrakt aus der in §42 Abs. 6 SchulG erwähnten "Sorge für das Wohl der Schülerinnen und Schüler" hergeleitet. Der Abschnitt geht zwar auf eine sehr konkrete Maßnahme ein, die aus dieser Sorge ableitbar ist, das steht aber nicht im Widerspruch dazu, dass die Sorge für das Wohl der Schülerinnen und Schüler noch sehr viel weiter geht.

  • Nochmal, auch unabhängig von der Rechtslage wäre ich vorsichtig mit dem Alleinlassen kranker Schüler. Das Schwierige ist, dass Symptome bei Kindern und Jugendlichen oft unspezifisch sind (das ist auch der Grund, warum man mit Kindern zum Kinderarzt gehen sollte und nicht zum Allgemeinmediziner). Es gibt lebensbedrohliche Zustände, die erstmal nur mit Bauchweh oder Appetitlosigkeit einhergehen. Selbst wenn der Lehrkraft hoffentlich (!) kein Strick draus gedreht wird, denke ich, es verfolgt einen selbst für immer, wenn man mit der Gruppe wandern war und es stellt sich heraus, in der Jugendherberge lag ein Notfall. Und zwar unabhängig vom Alter und der immer irgendwie schwammig definierten Aufsichtspflicht. Aber gebranntes Kind scheut das Feuer, andere sind da vielleicht sorgloser.

  • Ich hatte das auch noch nie, aber man lernt nie aus. Wüsste auch nicht, was ich beim nächsten ähnlichen Fall machen würde. Medikamente darf man nicht geben. Den Arzt holen? Ins Krankenhaus fahren? Diese Mutter hätte mir bei all meinen Aktionen Vorwürfe gemacht, egal was ich entschieden hätte. So saß ich die halbe Nacht wadenwickelnd beim Kind... und es war auch falsch.

    Ja, Arzt oder Krankenhaus. Man ruft z.B. den Rettungswagen und eine Begleitperson muss mitfahren und dabei bleiben, bis die Eltern kommen. Da ist es völlig unerheblich, was die Mama so findet.

  • Wenn ein Rettungswagen gerufen wird, wieso muss dann noch eine Begleitung mit? Die (medizinische) Verantwortung geht dann doch auf das medizinische Personal über. Dachte ich jedenfalls bis jetzt.


    Im Übrigen: Seid Corona sind Mitfahrten selbst von engsten Angehörigen im Krankenwagen (vom Unfallort zum Krankenhaus) nicht mehr zulässig oder zumindest unerwünscht. Wir hatten das letztens im privaten Fall.

  • Seph, MarieJ

    Einverstanden (und hab ich auch nicht bestritten).



    Zur Klärung nochmal ein


    [...]

    Die allgemeine Aufsichtspflicht der Schule, die auf der größeren Schutzbedürftigkeit der ihr von den Eltern anvertrauten minderjährigen Schüler beruht, entfällt gegenüber den volljährigen Schülern.

    Die sich aus dem Schulverhältnis ergebende Fürsorgepflicht der Schule besteht ihnen gegenüber fort, wenn auch in einer auf dieses Alter abgestimmten Form.

    So verlangen der ordnungsgemäße Unterrichtsbetrieb und die Unfallverhütung, dass in besonderen Situationen die Schule auch eine Aufsicht über volljährige Schüler ausübt, insbesondere wenn diese als Personengruppen auftreten. Dies gilt z.B. für Klassen-, Kurs- und Prüfungsarbeiten wie auch für besondere schulspezifische Gefahren, die u.U. beim Sportunterricht, beim naturwissenschaftlichen Unterricht und bei Schulfahrten auftreten können.

    --

    Keine Daten, keine Quellen? Kein Interesse.

  • Wenn ein Rettungswagen gerufen wird, wieso muss dann noch eine Begleitung mit?

    Mussten wir bislang immer. Und wenn es dem Kind schlecht geht, ist das ja auch netter. Aber jedenfalls würde ich mir nicht von einer Mutter anhören, ob sie jetzt Autofahren mag und ob sie Wadenwickel angemessen fände, geht's noch?

  • meteos


    Schön, dass du dir vorher Gedanken machst. Eine Tugend, die etwas aus der Mode gekommen ist.


    Die Konsequenz wäre allerdings, nicht zu fahren, wenn das Problem nicht gelöst ist.


    Die Erkenntnis ist doch, dass mindestens eine Springerin mitfahren müsste, um solche Fälle anzufangen.


    Mit einer angemessen Personalausstattung wäre es auch kein großes Problem. Bei drei Acht-Stunden-Schichten, kann sicherlich jemand von der Freiwache einmalig einspringen, bis das Kind tot, im Krankenhaus oder abgeholt ist.


    Nach jahrzehntelanger Klassenfahrtpraxis sind aber die Erfahrungen immer noch nicht ausgewertet.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • Nach jahrzehntelanger Klassenfahrtpraxis sind aber die Erfahrungen immer noch nicht ausgewertet

    Ich glaube, beim Stichwort "Klassenfahrt" haben immer noch viele die entsprechenden Szenen aus den "Lümmel"-Filmen mit Hansi Kraus vor Augen: Eine fröhliche Schar jugendfreies Liedgut singender Schüler und Lehrer, die mit dem Bus zu einem nicht allzu weit entfernten, pädagogisch wertvollen Ziel fährt. Selbstverständlich hat keiner Heimweh, leidet unter seltsamen Allergien oder hat "Streiche" im Sinn, die nicht im Nachgang bei allen Beteiligten herzhaftes Lachen und jahrzehntelanges Weißtdunochdamalsalswir auslösen.


    Die Wirklichkeit dürfte auch anno '67 schon anders ausgesehen haben.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

    • Offizieller Beitrag

    In der RP war gestern ein Artikel über einen Schüler (17) aus NRW, der im Comer See ertrunken ist, als die Lehrkraft "kurz nicht aufgepasst" hätte. Das finde ich von der Berichterstattung her krass. Bei 17jährigen Schülern muss ich als Lehrkraft nicht jederzeit damit rechnen, dass jemand an einer Stelle, wo das Baden verboten ist, in den See springt. Vor dem Hintergrund der Schülerin, die in London wegen mangelnder Hilfe durch die Lehrkräfte gestorben ist, könnte ich mir allerdings vorstellen, dass da sehr genau hingeschaut wird.

  • In der RP war gestern ein Artikel über einen Schüler (17) aus NRW, der im Comer See ertrunken ist, als die Lehrkraft "kurz nicht aufgepasst" hätte.

    Das ist halt nur leider wirklich furchtbar, wenn man sich da reindenkt. Ertrinken geht schnell und es gibt einige Länder, in denen nicht jeder 8-Jährige schwimmen lernt. Man stelle sich vor, man ist Klassenlehrer dieser Gruppe und selbst wenn man 100x die Aufsichtspflicht nicht verletzt hat...

    • Offizieller Beitrag

    Ertrinken geht schnell und es gibt einige Länder, in denen nicht jeder 8-Jährige schwimmen lernt.

    Gibt es noch Länder / gar Schulen, in denen jede*r 8-Jährige schwimmen kann? Also jetzt nach Corona?

    Schon vor Corona hatte ich immer mindestens eine*n NIchtschwimmer*in (eher Mädchen) pro Jahrgang in Klasse 6 (oder manchmal gar 8/9), in einer Stadt mit Hallenbad, Freibad und (zugegeben überlasteten) Schwimmvereinen

  • Gibt es noch Länder / gar Schulen, in denen jede*r 8-Jährige schwimmen kann? Also jetzt nach Corona?

    Jepp, hier, Lehrplan Klasse 2. Schwimmbäder waren für Schulklassen nur wenige Monate zu.


    Beim Rettungsschein meinte der DLRG-Trainer, dass es in Israel z.B. viel mehr bewachte Badestrände gibt als bei uns und sich da dann generell sorglos ins Meer geworfen wird. Keine Ahnung ob das so stimmt, aber soweit ich das sehe, können die Jugendlichen, die aus nordafrikanischen oder vorderasiatischen Ländern kommen, oft nicht schwimmen.

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