Vaterfiguren

  • Ich habe eben von einem Mann gelesen, der auf tiktok 2,5 Millionen Follewer*innen hat, die ihn "dad" nennen. Er zeigt, wie man sich rasiert, eine Krawatte bindet oder spricht ein Tischgebet, isst etwas und fragt, wie es dir geht. Die Jugendlichen erzählen in den Kommentaren von ihren Schulnoten oder wie lieb sie ihn haben, ihr eigener Vater ist meist nicht vorhanden. Ich hab Tränen in den Augen, weil das so einfach und wunderbar ist und gleichzeitig so traurig.


    Dann fiel mir "Lehrer Schmidt" ein, der Millionen Abonnenten hat obwohl er nichts weiter tut, als auf kariertem Papier Rechenverfahren zu erklären.


    Haben wir zu wenig Väter in den Familien vor allem der Unterschicht? Und kann überhaupt irgendwer ersetzen oder zumindest auffangen, was diesen Kindern fehlt? "Meine" Jugendlichen wachsen zu großen Teilen ohne zuverlässigen Vater auf und ich möchte behaupten, viele der Verhaltensprobleme rühren daher.

  • Und kann überhaupt irgendwer ersetzen oder zumindest auffangen, was diesen Kindern fehlt?

    Klar, nicht wer, sondern was: tiktok, instagram und youtube... Das wäre dann ja die Schlussfolgerung, oder? Man braucht diese "authentischen" Medien nicht, um zu sehen, wo etwas falsch läuft.

  • Hm, nee, die braucht man nicht. Ich fand's nur erschreckend, wie viele Kinder und Jugendlichen offenbar davon betroffen sind, es wird ja auch nicht jeder Tiktok nutzen und diesem Menschen folgen.


    Mir ging es eher darum, was wir, die wir mit denen zu tun haben, wo was falsch läuft, tun können. Ich bin kein Mann, kann da also auch keine Lücke füllen. Aber nach 15 Jahren mit schwierigen Schülern frage ich mich immer wieder, wie man im Rahmen dessen, was so nötig ist, den Schulalltag gestalten kann, außer Mathe und Deutsch. Der Schulalltag selbst ist schon mal gut, er gibt Struktur. Aber das allein ist es ja nicht.

    • Offizieller Beitrag

    Irgendwie kommt es mir so vor, als würdest du es am Geschlecht festmachen.
    Kinder brauchen Figuren und Rollenbilder. Ob diese zufälligerweise der männliche Blutsverwandte ist, bezweifle ich.
    In einer Familie kann es wenige oder mehr Liebesverwandte geben, die Anzahl und das Geschlecht entscheiden nicht über das Bedürfnis nach Tiktok

  • Ich würde jetzt nicht gerade alle sozialen Probleme an einer fehlenden Vaterfigur festmachen.


    Allerdings beobachte ich bei meinen Schülern auch sehr deutlich, dass diejenigen ohne präsenten Vater sich sehr stark auf eine Ersatzvaterfigur fixieren.... oft einen ihrer Lehrer. Social Media hab ich nicht so im Blick. Umgekehrt beobachte ich das bei Schülern ohne präsente Mutter übrigens auch. Die Fälle sind aber deutlich seltener.


    Ich ziehe aus der Beobachtung den Schluss, dass soziale Rollen eben nicht geschlechtsneutral ausgefüllt werden können. Vermutlich liegt das an den Rollen- und Erwartungsbildern der Gesellschaft.

    • Offizieller Beitrag

    Wenn Väter da sind, aber nicht mehr mit Mutter und Kindern zusammenleben, kann ein fehlender Vater für viele Enttäuschungen sorgen - das kommt in allen Schichten vor. Für Männer ist es heutzutage immer noch leichter, sich einfach vor der Verantwortung zu drücken. Sie können einfach gehen und den Müttern die Kinder überlassen. Der umgekehrte Fall kommt natürlich auch vor, aber deutlich seltener. "Schlechte" Vaterfiguren (Schläger, Fremdgeher etc.) können ebenfalls Kinderseelen zerstören.


    Ein von Anfang an fehlender Vater bedeutet, dass diese Rolle bei einem als Kind nicht "angelegt" wird. Die Väterfiguren der FreundInnen können das dann nicht "ersetzen". Ich habe meinen Vater genau dreimal gesehen - insgesamt wohl gerade einmal sieben Wochen meines Lebens, bevor er vor einigen Jahren gestorben ist. Als Kind habe ich diesen Vater nur als Phantom gekannt. Ich wusste, es gab ihn. Aber kennengelernt habe ich ihn erst mit 19 - davor gab es faktisch keinen Kontakt. Da er aus Fernost kam, machte sich das natürlich auch bei meinem Äußeren bemerkbar und es fehlten somit gefühlt 50% meiner Identität. Meinen Stiefvater konnte ich nicht als Vater annehmen - so blieb die Rolle bis zu meiner eigenen Vaterschaft undefiniert.

    Was mir persönlich wirklich fehlte, habe ich dann auch erst richtig gemerkt, als ich Vater für meine Kinder sein durfte.

  • Ein von Anfang an fehlender Vater bedeutet, dass diese Rolle bei einem als Kind nicht "angelegt" wird.

    Tja, in meinem (schulischen) Umfeld sind Väter oft sehr präsent und dominant. Die Frauen haben nichts zu sagen, der Mann sagt, wo es lang geht. Mädchen wie Jungs übernehmen dieses Rollenbild. Ist das gut für die Entwicklung der Kinder? In manchen Familien ist es tatsächlich besser, wenn dieser Vater "fehlt".

  • Meine eigenen Jungs 7 und 11 finden Papa zur Zeit megacool.

    Alles was Papa macht ist super/ richtig.

    Mama ist nur wichtig, wenn es ins Bett geht😅.

    Ich denke das sind immer gewisse Phasen.

    Aktuell fällt es mit bei Beiden extrem auf.

    Mein Mann genießt die " Vergötterung" sichtlich. 😀

  • Tja, in meinem (schulischen) Umfeld sind Väter oft sehr präsent und dominant. Die Frauen haben nichts zu sagen, der Mann sagt, wo es lang geht. Mädchen wie Jungs übernehmen dieses Rollenbild. Ist das gut für die Entwicklung der Kinder? In manchen Familien ist es tatsächlich besser, wenn dieser Vater "fehlt".

    Ja, ein Vater muss nicht unbedingt etwas Gutes sein. Musste ich in der direkten Verwandt - und Nachbarschaft als Kind miterleben, wo es viel Alkokol und Gewalt gab. Frau und Kinder wurden geschlagen und als Machtverstärker wurde der arme Schäferhund aus dem Zwinger geholt. Leider hat sich die Frau erst ein paar Jahre vor ihrem Tod getrennt, aber erst nachdem die Verwandtschaft mitgeholfen hat.

  • Eigentlich würde ich zustimmen wollen, stimme aber nicht damit überein, dass das am Vatersein liegt, sondern eher in der betreffenden Persönlichkeit, die auch außerhalb ihres Vaterseins so handeln würde. Alkoholsucht und Gewalt sollten nie in Beziehung gegeben sein. Auch nicht in Beziehung zu sich selber.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Eigentlich würde ich zustimmen wollen, stimme aber nicht damit überein, dass das am Vatersein liegt, sondern eher in der betreffenden Persönlichkeit, die auch außerhalb ihres Vaterseins so handeln würde. Alkoholsucht und Gewalt sollten nie in Beziehung gegeben sein. Auch nicht in Beziehung zu sich selber.

    Ja, sie handelt vielleicht auch außerhalb so, aber dann leiden Frau und Kinder nicht so.



    (Allerdings kenne ich mehrfach die Verstärkung durch eine unglückliche Ehe. Nach Trennung verwandelte sich z. B. der Vater meiner Freundin und wurde von gewalttätigen und alkoholsüchtigen Vater zum friedlichen und Alkohol verweigernden Vater. Auch die Mutter blühte in ihrer 2. Ehe auf.)

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Okay, Lehrer Schmidt ist vielleicht zu weit hergeholt in diesem Kontext, wobei seine Beliebtheit trotzdem faszinierend ist.


    Danke Bolzbold für deinen Beitrag, was fehlende Väter bedeuten kann wahrscheinlich nur nachfühlen, wer ohne aufwachsen musste

    Allerdings beobachte ich bei meinen Schülern auch sehr deutlich, dass diejenigen ohne präsenten Vater sich sehr stark auf eine Ersatzvaterfigur fixieren.... oft einen ihrer Lehrer.

    Das fällt mir auch auf. Es sind aber nicht alle männlichen Kollegen gleichermaßen, an die sich geklammert wird.


    Ach naja, ich hatte so einen Weltschmerzmoment gestern, dass offenbar Millionen Kinder nach einem Papa suchen, der sie fragt, wie es ihnen geht. Diese Kinder haben ja alle freundliche, einfühlsame Lehrkräfte beiderlei Geschlechts, die fragen, wie es ihnen geht. Aber darum geht es nicht, dieses Loch können wir natürlich nicht füllen.

  • Oder der Beweis, dass Mathematik old-school an der Tafel erklären nicht das schlechteste ist.

    Denke ich auch. Daniel Jung macht es ähnlich niedrigschwellig und ist damit auch sehr erfolgreich.

    Bildung ist die Fähigkeit, fast alles anhören zu können, ohne die Ruhe zu verlieren oder das Selbstvertrauen. (Robert Frost)

    Bildung kann einen sehr glücklich und gelassen machen. (Günther Jauch)

    Was nützt es dem Menschen, wenn er Lesen und Schreiben gelernt hat, aber das Denken anderen überlässt? (Ernst R. Hauschka)




  • Es gibt ja doch immer mehr Kinder und Jugendliche, die nur bei einem Elternteil (meist der Mutter) aufwachsen. Heißt aber nicht zwangsläufig, dass dann kein männliches Vorbild da ist, diese Rolle kann ja auch der Onkel, beste Freund der Mutter, neue Mann, Nachbar, Vater der Freunde etc einnehmen. Und auch der Vater, der ja hoffentlich trotzdem noch für seine Kinder da ist. Es gibt aber auch genug weibliche Influenzer, die eine Art "Mutterfigur" für KuJ darstellen können.

    Bildung ist die Fähigkeit, fast alles anhören zu können, ohne die Ruhe zu verlieren oder das Selbstvertrauen. (Robert Frost)

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    • Offizieller Beitrag

    Es gibt ja doch immer mehr Kinder und Jugendliche, die nur bei einem Elternteil (meist der Mutter) aufwachsen. Heißt aber nicht zwangsläufig, dass dann kein männliches Vorbild da ist, diese Rolle kann ja auch der Onkel, beste Freund der Mutter, neue Mann, Nachbar, Vater der Freunde etc einnehmen. Und auch der Vater, der ja hoffentlich trotzdem noch für seine Kinder da ist. Es gibt aber auch genug weibliche Influenzer, die eine Art "Mutterfigur" für KuJ darstellen können.

    Männliche Rollenvorbilder habe ich in meiner Kindheit und Jugend durchaus wahrgenommen. Diese sind aber meines Erachtens nicht mit Vaterfiguren gleichzusetzen. Es gab sicherlich Menschen, die in meinem Fall so etwas wie väterliche Freunde für mich waren - das konnten sie aber nur dadurch sein, dass die Vaterfigur eben faktisch unbesetzt geblieben war.

  • Es gibt ja doch immer mehr Kinder und Jugendliche, die nur bei einem Elternteil (meist der Mutter) aufwachsen. Heißt aber nicht zwangsläufig, dass dann kein männliches Vorbild da ist, diese Rolle kann ja auch der Onkel, beste Freund der Mutter, neue Mann, Nachbar, Vater der Freunde etc einnehmen.

    Das ist ja die Frage, ob das (immer) jemand kann. Noch mal, wenn millionen amerikanischer Kinder (in anderen Teilen der Welt sieht es sicher nicht anders aus), das sehnsuchtsvolle Bedürfnis haben, auf tiktok jemandem zu folgen, der nichts weiter tut, als warmherzig zu sein und zu zeigen, was Väter eben 13-Jährigen zeigen, dann ist das Bedürfnis doch ganz offensichtlich da. Das muss man doch nicht wegdiskutieren, weil andere das Bedürfnis nicht haben.


    Mir ging es eher darum, ob wir als Lehrkräfte, vor allem im sozialen Brennpunkt, etwas davon auffangen können.


    Hat jemand den Film "Herr Bachmann und seine Klasse" gesehen?

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  • "Meine" Jugendlichen wachsen zu großen Teilen ohne zuverlässigen Vater auf und ich möchte behaupten, viele der Verhaltensprobleme rühren daher.

    Das kann ich für meine SuS nicht bestätigen. Denn z. B. in meiner Klasse leben von den 22 noch verbliebenen SuS (ich bin mit 25 gestartet) die meisten in Familien mit Mutter und Vater. Einer wohnt in einer eigenen Wohnung. Drei SuS leben bei ihren alleinerziehenden Vätern (in zwei Fällen sind die Eltern getrennt bzw. geschieden, in einem Fall ist die Mutter verstorben) und zwei bei ihren alleinerziehenden Müttern (auch hier ist in einem Fall der Vater verstorben, im anderen haben sich die Eltern getrennt).

    Psychische Probleme und Verhaltensprobleme haben aber sowohl SuS, die in Familien mit beiden Elternteilen leben, wie auch diejenigen, die nur mit ihrer Mutter oder ihrem Vater leben.

    Nun gut, das ist aber evtl. auch eine andere Altersgruppe als deine Schüler*innen. Kann ich nicht sagen, da du ja deine Schulform nicht angegeben hast.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

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