Aktuelles aus dem Bereich (Schul-)Recht: Beweis des ersten Anscheins in Theorie und Beispielen

  • Kurze Vorbemerkung: Ich hatte im Februar mal gefragt, ob eine Reihe zu aktuellen schulrechtlichen Fragestellungen gewünscht ist, die von mehreren Forenmitgliedern begrüßt wurde. Da es sich hier nicht um spezielles Dienstrecht handelt, weiß ich gerade nicht, wo ich diese sinnvoll unterbringen kann, daher stelle ich sie erst einmal hier ein.

    Wir hatten hier vor kurzer Zeit eine recht rege Diskussion um mögliche Täuschungsversuche in Klausuren und welche Anforderungen an die Beweisbarkeit zu stellen sind. Die Diskussion drehte sich u.a. um Argumente der Form „in dubio pro reo“, „Ich habe es aber nicht in der Situation gesehen“ und den sogenannten Beweis des ersten Anscheins. Da wir alle wahrscheinlich früher oder später in vergleichbare Situationen kommen werden, möchte ich anhand eines aktuellen Urteil eines Verwaltungsgerichts noch einmal auf die Besonderheiten in der Beweisführung eingehen.

    (1) In dubio pro reo

    Dieser Grundsatz im Strafprozess ist zwar im deutschen Recht nicht explizit normiert, kann aber aus dem Recht auf einen fairen Prozess (vgl. u.a. Art. 103 GG und Art. 6 EMRK) und stellt ein grundrechtsgleiches Recht dar. Es handelt sich um eine Entscheidungsregel, die im Übrigen manchmal fehlinterpretiert wird. Sie sagt gerade nicht aus, dass von mehreren möglichen Schlussfolgerungen aus der Beweisaufnahme die (für den Angeklagten) günstigste für die Beweiswürdigung zu wählen ist, sondern sie ist erst anzuwenden, wenn nach abgeschlossener Beweisaufnahme noch Zweifel verbleiben. Für uns ist die Entscheidung hier ohnehin irrelevant, da sie sich ausschließlich auf Strafprozesse bezieht.

    (2) Beweiswürdigung und Beweis des ersten Anscheins

    Ein Beweis ist dann erbracht, wenn der Richter von der Richtigkeit persönlich voll überzeugt ist und diesen nicht nur für überwiegend wahrscheinlich hält. Dafür kann es auch ausreichen, dass sich aufgrund eines sehr typischen Geschehensablaufs, welcher Voraussetzung für die Anwendbarkeit dieses Beweises ist, beim Beobachter aufgrund eines genügend starken Erfahrungssatzes, die Vorstellung von diesem bestimmten Geschehensablaufs aufdrängt. Damit ist der Begründungsauwand zum „normalen“ Beweis geringer und nicht jedes Detail des Ablaufs nachzuweisen.

    (3) Widerlegung des Beweises des ersten Anscheins

    Der Beweis des ersten Anscheins kann durch Vortrag oder Beweis von Tatsachen erschüttert werden, die die Möglichkeit eines anderen atypischen Geschehensablaufs im Einzelfall begründen. Bitte auf die Wortwahl achten, um folgende Extreme zu vermeiden: Der atypische Geschehensablauf darf nicht nur möglich erscheinen, sondern muss nachvollziehbar begründet – nicht jedoch bewiesen – werden.

    (4) Beispiele in Kurzfassung

    Ich kann empfehlen die Urteilsbegründung folgenden Urteils zu lesen, da hier noch einmal auf die Verwertbarkeit des Beweis des ersten Anscheins trotz Versuch der Erschütterung und fehlender anderer Beweismittel eingegangen wird.

    a) Aktuelles Urteil vom 07.04.2022 (VG Koblenz, AZ 4 K 736/21.KO) Verursachung einer Gewässerverschmutzung: Parkt ein LKW-Fahrer seinen LKW über das Wochenende auf abschüssigen Gelände vor dem Haus und wird einige Stunden nach Wegfahren eine Verunreinigung der Fläche durch ausgetretenen Diesel festgestellt, so ist davon auszugehen, dass diese durch den LKW verursacht wurde. Die reine Benennung der Möglichkeit des zwischenzeitlichen Parkens anderer Fahrzeuge auf dieser Fläche reicht nicht aus, um diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern.

    b) Auffahrunfall im Straßenverkehr : Es kann vom Erfahrungssatz ausgegangen werden, dass unabhängig vom genauen Ablauf des Geschehens der Auffahrende durch ein schuldhaftes Verhalten den Unfall verursacht hat. Ob dies nun durch überhöhte Geschwindigkeit, durch Unaufmerksamkeit oder durch zu geringen Abstand erfolgte, muss im Detail nicht nachgewiesen werden. Die Behauptung, der Vorausfahrende habe unerwartet gebremst, reicht für sich nicht aus, um diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern.

    c) Missbrauch EC-Karte: Wenn bei Verlust der EC-Karte bis zur Sperrung problemlose Abhebungen erfolgen, so wird der Bank regelmäßig ein Beweis des ersten Anscheins für nicht sorgfältige Bewahrung der PIN durch den Kunden zugestanden, sofern das eingesetzte System nachweislich hinreichend sicher ist. Die reine Behauptung, die PIN sei nicht mit der Karte zusammen aufbewahrt worden, reicht hier nicht aus, um diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern.

    oder eben:

    d) Übereinstimmung der Lösungen: Wenn bei einer Prüfung die Prüfungsleistung eine wörtliche Übereinstimmung mit dem Erwartungshorizont (oder der Prüfungsleistung eines anderen Prüflings) aufweist, so ist vom typischen Ablauf einer erfolgten Täuschung auszugehen. Die reine Behauptung, man habe halt zusammen gelernt, reicht hier nicht aus, um diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern.

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