Also ich stelle mir das Kriegsende so vor, daß sich Russland mit den Ausgaben für den Krieg übernimmt und irgendwann vor der Wahl steht entweder den Krieg weiter zu betreiben oder ihn zu beenden, um die Lebensmittelversorgung der eigenen Bevölkerung sicherstellen zu können. Dann werden die eigenen Leute Putin abservieren und im Anschluß daran kann man dann mit einer neuen russischen Regierung ernsthafte Verhandlungen betreiben. Alle Verhandlungsergebnisse mit Putin sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden. Er würde sich in den nächsten Jahren ja doch nicht daran halten.
Als Vorlage hierfür dient mir der Rüstungswettlauf in den frühen 1980ern. Damals hat Ronald Reagan formuliert, daß Eddas Ziel ist die Sowjetunion zu Tode zu rüsten. Das Ergebnis davon war, daß die Sowjets ökonomisch mit den USA nicht mithalten konnten und sich auf Abrüstungsverträge eingelassen haben. Sie waren ökonomisch so am Ende, daß der Rest der Welt die dortige Lebensmittelversorgung sicherstellen mußte. In der Folge wurde das Politbüro dann durch die eigenen Leute entmachtet, Jelzin kletterte auf einen Panzer vorm Kreml…
Den Rest findet ihr in den Geschichtsbüchern.
Äh ja, in der Tat findet man das dort in den Geschichtsbüchern. Die demokratische Zeit bis Putin Ende der 90er-Jahren an die Macht kam, waren das völlige Chaos in Russland. Ein Teil davon geht auch auf die westliche Kappe. Diese Zeit hat sich so ins kollektive Gedächtnis gebrannt, dass das Wort Demokratie extrem negativ besetzt ist und man dort von diesem Konzept nicht wirklich überzeugt zu sein scheint. Für die realen Lebensverhältnisse der normalen Leute war Putin in der Tat eine Verbesserung. So zumindest schilderte es Konstantin Kissin - selbst russisch, mittlerweile im UK lebend und mit einer Ukrainerin verhreiratet - ziemlich glaubhaft. Ich bin da recht hoffnungslos geworden, dass sich zu meinen Lebzeiten Russland in eine echte Demokratie verwandeln wird.
Derzeit bin ich auch (noch) für Waffenlieferungen, aber ich bin sehr dankbar über diesen offenen Brief gegen schwere Waffen. Beide Positionen - also für und gegen Waffenlieferungen - haben so ihre Eigenlogik, die man zu Ende denken muss. Für die Waffenlieferungen spricht der Grundsatz, dass der Aggressor nicht als Gewinner vom Feld ziehen sollte, weil das einen Anreiz zum Weitermachen gibt. Das Recht auf Selbstverteidigung kommt hinzu. Mit diesem Grundsatz muss man dann aber auch letztendlich schauen, was man sich langfristig einhandelt. Die Waffensysteme, mit denen die Ukrainer etwas anfangen können, werden recht schnell aufgebraucht sein. An neuen Waffensystemen müssen sie erst angelernt werden. Wo macht man das? Auf unserem Grund und Boden oder auf deren? Also wir schicken unsere evtl. Soldaten in die Ukraine, um auszubilden? Irgendwann werden der Ukraine in einem Abnutzungskrieg sicherlich auch die ausbildbaren Menschen ausgehen. Wollen wir am Grundsatz festhalten, dass Russland keinen Sieg davontragen darf (sagt unser Kanzler so!), müssen wir dann selber rein. Das wäre dann also ein Stellvertreterkrieg ähnlich dem Korea- oder Vietnamkrieg. Das will ja sicherlich auch niemand ernsthaft. Es ist eine sehr vertrackte Lage, in der es leider kein eindeutiges Richtig oder Falsch gibt. Die Lösung kann nur am Verhandlungstisch erfolgen und ich befürchte, sie wird uns nicht gefallen.
Ich befürworte harte Sanktionen, aber ich frage mich, wo sie letztendlich langfristig hinführen sollen. Russland in ein zweites Nordkorea zu verwandeln ist unrealistisch. Ich kann damit jetzt nicht wirklich dazu beisteuern, wie man sich am besten verhalten kann. Ich bin aber schon ziemlich erschrocken, wie einseitig richtig man diese Waffenlieferungen hält, ohne dass alles bis ins Letzte zu Ende zu denken. Wie zerrissen die deutsche Gesellschaft ist, zeigt ja auch die aktuelle Umfrage (45% dafür, 45% dagegen), denn beide Varianten sind extrem unattraktiv.