Hallo Zusammen,
ich stelle mich mal kurz vor: Ich habe zur Jahrtausendwende Abitur in Bayern gemacht, das war noch zu Zeiten des alten G9. Für die damalige Zeit eher ungewöhnlich, hatte ich mich dazu entschlossen, Lehramt für berufliche Schulen zu studieren, d.h. ich bin Lehrerin an einer Berufsschule. Die meisten, die ich kenne, die Lehramt studiert haben, entschieden sich eher fürs Gymnasium, Realschule oder Grundschule. Wir haben bei uns an der Schule, insbesondere bei den kaufmännischen Berufen, immer auch ehemalige Gymnasiasten, sowohl mit Abitur als auch ohne (also abgebrochen nach der 10. Klasse oder Wechsel im Laufe der Schullaufbahn auf die Realschule). Auch wenn ich mit der Wahl meiner Schulform absolut glücklich bin, verfolge ich die Entwicklung des Gymnasiums immer noch sehr interessiert. Wahrscheinlich spielt auch eine Rolle, dass es letztes Jahr 20 Jahr her ist, dass ich Abi machte (die Feier fiel coronabedingt leider aus) und ich mich manchmal bei dem Gedanken erwische, dass es doch schon wäre, mal für 2-3 Jahre am Gym zu unterrichten (was natürlich nicht möglich ist).
Was mir extrem auffällt: Wann immer ich mit SuS ins Gespräch über die Schulzeit an der Vorgängerschule komme, erzählen mir meine Gymnasiasten seit Jahren stets das Gleiche: Die Gym-Zeit war total stressig, immenser Prüfungsdruck, der viele Nachmittagsunterricht, usw.
Also in etwas genau all die negative Apsekte, was Außenstehende wie ich nun einmal bin, sonst auch über die Medien über das G8 berichtet bekommen.
Natürlich äußern sich nicht alle derart negativ, und man muss berücksichtigen, dass das alles noch ehemalige G8-Schüler sind.
Wenn ich anschließend kurz von meiner Gym-Zeit aus den 90ern erzähle und dass ich gerade die Oberstufen- bzw. Kollegstufenzeit als schönste und mehr
oder weniger ziemlich entspannt Zeit wahrgenommen habe, dann schütteln die SuS immer nur ungläubig den Kopf. Ich selbst finde es ziemlich schade, wie sich das entwickelt hat. Ich weiß nicht, wie es anderen hier anwesenden Kolleginnen und Kollegen geht, die selbst noch die alte G9-Zeit kennen? Aber wann immer ich alte Schulfreunde treffe, geht es denen ähnlich, sprich: Schöne, nostalgische Erinnerung an die Gym- und insbesondere Abizeit. Liegt es vielleicht daran, dass es noch die LKs gab? Weniger Belegungspflichten, mehr Freiheiten bei der Kurswahl, keine Seminare.
Nun heißt es seit der Rückkehr zu G9 in Bayern ja stets, dass vieles besser werden soll: Weniger Nachmittagsunterricht, Stoffentzerrung, mehr Freiheiten bei der Kurswahl in der Obersufe, etc. pp.
Vor Weihnachten traf ich in der Stadt zufällig eine ehemalige Schulfreundin, die Englisch und Französisch am Gym unterrichtet. Wir unterhielten uns beide über unser Lehrerinnen-Dasein, Corona und ich fragte sie bei der Gelegenheit, ob sich seit G9 "alles" gebessert hat. Ihr Fazit: Nein, nicht wirklich. Sie hat immer noch das Gefühl, mit dem Stoff nicht hinterherzukomen, die SuS wären so schlecht und überfordert, insbesondere in Französisch. Und überhaupt, dass die 2. Fremdsprache weiterhin bereits in der 6. Klasse beginnt, hält sie für den größten Fehler.
Ein Bekannter, den ich hin und wieder beim Sport treffe, berichtet ähnliches (er unterrichtet Mathe und Physik). Beide bemängeln zudem, dass die Hauptfächer in vielen Jahrgängen nur dreistündig unterrichtet werden.
(Wobei zu meiner G9-Zeit die Hauptfächer in der Mittelstufe ebenfalls teilweise nur dreistündig unterrichtet wurden, wenn ich mit meiner Erinnerung nicht komplett daneben liege).
Ich selbst kann das alles ja schlecht beurteilen. Mir fehlt der Einblick ins Gym und an Berufsschulen läuft vieles ja eh anders.
Was mir zusagt ist, dass die politische Bildung an Gewicht gewonnen hat. Zu meiner Zeit gab es eine Wochenstunde Sozialkunde in der 10. Klassse, mehr nicht. Gerne hätte ich in der 12. Klasse einen Sozialkunde-Grundkurs belegt, aber damals hieß es, das geht nicht (warum auch immer?). Informatik war auch ein Witz. Dass Erdkunde im neuen G9 weniger Stunden hat finde ich schade (und falsch).
Lange Rede, kurzer Sinn:
Die Intension dieses Threads (und Hauptgrund meiner Anmeldung hier) ist folgende: Mich interessiert einfach, wie die hier anwesenden G9-Kolleginnen und -Kollegen die Rückkehr zu G9 bislang empfinden und beurteilen? Fühlt ihr euch und eure SuS entschleunigt? Merkt ihr (mal ungeachtet der schwierigen Bedinungen, die zur Zeit herrschen) Verbesserungen durch das G9? Seid ihr (und euer Kollegium) zufrieden mit der Stundentafel und den Lehrplänen?