Welches Gefühl verursacht die Inklusion?

  • Guten Tag zusammen


    Darf ich erfahren, was Sie tatsächlich empfinden, wenn die "Inklusion" thematisiert wird?


    Um auf die Frage zurückzukommen, ob ich Lehrerin bin: Ich war eine Lehrerin auf einer Förderschule für Lernbehinderte. Die Einrichtung, wo ich tätig war, wurde geschlossen, weil wegen der Inklusion zu wenig Kinder angemeldet wurden und das fast die ganzen 10 Jahre.


    Ich habe Kunst und Politik und ein wenig Deutsch unterrichtet.


    Zuerst war ich für die Inklusion, weil ich die Tatsache nicht mehr ertragen konnte, dass Absolventen von Förderschulen sehr schlechte Perspektiven haben. Doch jetzt muss ich realisieren, dass sich in den 10 Jahren nichts an der Situation von Schüler und Schülerinnen mit Förderbedarf geändert hat. Stattdessen wurde unsere Schule dicht gemacht und die Kollegen in den Regelschulen werden mit dem Thema total alleine gelassen. Meinen Job habe ich dadurch verloren, weil es angeblich keine Stelle für mich gab, obwohl ich eine Mappe mit Förderkonzepten vorgestellt habe, womit ich den Lehrkräften in den Regelschulen unter die Arme greifen will. Da wurde mir gesagt, dass das, was ich erstellt habe viel zu komplex ist.


    Dieser Raul Krauthausen redet die Situation des Lehrermangels klein, weil er allgemein allen Lehrern und Lehrerinnen unterstellt, dass es nur mangelnder Wille sei die Inklusion umzusetzen. Doch ich weiß ganz genau, dass das absolut nicht wahr ist.


    Wie ist eure Situation mit der Inklusion?


    Klappt es gut oder muss sich da etwas noch tun?

    • Offizieller Beitrag

    Zuerst war ich für die Inklusion, weil ich die Tatsache nicht mehr ertragen konnte, dass Absolventen von Förderschulen sehr schlechte Perspektiven haben

    Abgesehen davon, dass das eine komische Motivation für die Inklusion ist, möchte ich Conni zustimmen: Arbeitslose Sonderpädagogen? Sicher?

  • Bundesland wäre wichtig? Wenn du arbeitslos bist, kann ich mir nur vorstellen, dass du keine "examinierte" Förderschullehrerin bist. Wenn doch, hast du wahrscheinlich vergessen, dich rechtzeitig zu bewerben.


    Und wie/warum die Inklusion in Deutschland nicht funktioniert, kann man diesem Forumsbereich jetzt schon gut entnehmen. Wenn ein sinnvoller und guter Grundgedanke lediglich als Sparkonzept umgesetzt wird, kann man damit nur scheitern.

    • Offizieller Beitrag

    Abgesehen davon, dass das eine komische Motivation für die Inklusion ist,

    In einem Praktikum um die Jahrtausendwende habe ich das tatsächlich so von der SL gehört. Der Konrektor war vorher an einer Förderschule/Gemeinschaftsschule, die stundenweise kooperiert haben und meinte, dass die besten Förderschüler (Lernen) nah an den leistungsschwächsten Regelschülern waren. Er ist dann an eine integrative Grundschule gewechselt. Dort war aber eine nahezu permanente Doppelsteckung bei 21 SuS pro Klasse, also paradiesische Bedingungen. Das ist über 20 Jahre her.

  • Wir nehmen auch arbeitslose andere Menschen - Bachelor-Abschluss genügt - für Vertretung, Klassenleitung, Aufsicht...


    Offene unbefristete Stellen für Lehrkräfte (ausgebildet) und befristete Stellen für Vertretungen (Bachelor, Diplom FH) unter https://www.eis-online.niedersachsen.de/

    oder offene Stellen für pädagogische MitarbeiterInnen (ohne Hochschulabschluss) unter https://www.eis-online-nilep.niedersachsen.de/

    finden sich quer durch ganz Niedersachsen.


    Wenn man "hier" schreit, wird man womöglich durch das Getümmel erschlagen, dass verursacht wird, weil sich Schulleitungen auf diese Person stürzen, später weinen alle, eine SL vor Glück, die anderen, weil sie immer noch suchen.

  • ...Meinen Job habe ich dadurch verloren, weil es angeblich keine Stelle für mich gab, obwohl ich eine Mappe mit Förderkonzepten vorgestellt habe, ...

    Was war das denn für ein Job?


    Allgemein zum Thema "wie findet ihr Inklusion denn so" gibt es tatsächlich schon sehr viele Beiträge.

  • Die Grundidee der Förderschule finde ich richtig toll und würde mein eigenes Kind, wenn es Förderbedarf hätte, immer auf die Förderschule schicken. Das Problem ist soziale Stigmatisierung, die aber einfach daran liegt, dass sich die deutsche Gesellschaft schwer tut, den richtigen Umgang mit Anderssein zu finden. Man muss keinem Menschen unnötig extra Steine in den Weg legen, aber gleichzeitig muss man auch nicht so tun als wären alle Menschen gleich, denn wenn man das versucht, wird man am Ende keinem wirklich gerecht. Das Bild mit den Tieren, die über den Zaun schauen wollen, dürfte bekannt sein.


    Davon abgesehen, habe ich aber auch meine Zweifel am arbeitslosen Förderschullehrer. Die Einstellungschancen sind ja doch ziemlich gut und so weit ich weiß, schreiben die Förderschullehrer hier im Forum, dass ihre Klassen eher größer werden als schrumpfen, weil es doch einige Eltern gibt, die gerade keine Inklusion für ihre behinderten Kinder wünschen.

  • Die Grundidee der Förderschule finde ich richtig toll und würde mein eigenes Kind, wenn es Förderbedarf hätte, immer auf die Förderschule schicken.

    Das ist richtig, wenn die finanzielle, räumliche und personelle Ausstattung stimmt. Das war/ist an vielen Förderschulen so. Leider ist beides sehr teuer und wird so an "Regelschulen" niemals umgesetzt werden. Alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet.

  • Das ist richtig, wenn die finanzielle, räumliche und personelle Ausstattung stimmt. Das war/ist an vielen Förderschulen so. Leider ist beides sehr teuer und wird so an "Regelschulen" niemals umgesetzt werden. Alle Befürchtungen haben sich bewahrheitet.

    Ach was, hätte Lindberghs Kind Lernprobleme, würde er alles daran setzen, dass es inklusiv beschult wird. Und wenn die Inklusion im 3.oder 4. Schuljahr gescheitert wäre, würde er es an eine Förderschule für Edelbehinderungen schicken. Kein durchschnittlich sozialisierter Mensch möchte sein Kind an der Lernförderschule anmelden.

  • Besonders toll finde ich Förderschulen für geistige Entwicklung. Viele Standorte haben eine super Ausstattung, kleine Klassen und natürlich den alltagspraktischen Unterricht.

    Einzig beim Förderschulschwerpunkt sozial-emotionale Entwicklung hätte ich vermutlich etwas Bauchgrummeln, aber vlt. sind das auch nur unbegründete Vorurteile.

  • Kein durchschnittlich sozialisierter Mensch möchte sein Kind an der Lernförderschule anmelden.

    Was sagt das jetzt über die Elternschaft deiner Schüler aus?


    Ich hoffe, ich bringe jetzt nichts durcheinander, aber ist nicht Roswitha111 Förderschullehrerin und hat Kinder, die ebenfalls auf die Förderschule gehen?

  • Kein durchschnittlich sozialisierter Mensch möchte sein Kind an der Lernförderschule anmelden.

    Sehr pauschal, und unrichtig. Wenn der "durchschnittlich sozialisierte" Mensch die Möglichkeit hat, sich die Schulen mit ihren Fördermöglichkeiten genau anzuschauen und entsprechend beraten zu lassen, fällt er oft vernünftige Entscheidungen. Leider wird ihm/ihr das oft ausgeredet, so meine Erfahrungen. Förderschulen sind zu teuer und müssen abgeschafft werden. So agiert die Politik seit Jahren hinter vordergründig blumigen Sprüchen.

  • pepe , wer hat deiner Erfahrung nach jemandem ausgeredet, das Kind auf die Lernförderschule zu schicken? Also wen meinst du mit "die Politik?"

  • Erste Frage: Die verantwortlichen Kommissionen, die Kinder mit Förderbedarf auf Regelgrundschulen "verteilt" oder auf weiterführende Schulen nur unter dem Aspekt der Wohnortnähe schickt.

    Zweite Frage: Was ist Politik? Die ist rhetorisch, oder? In NRW werden Förderschulen u.a. auch gegen den Elternwillen abgeschafft, immer unter dem Motto: Das ist doch besser als das "Ausmustern" Ihres Kindes. Ehrlich gesagt habe ich aber überhaupt keine Lust, diesen seit Jahren laufenden Prozess hier datailliert aufzuzeigen. Kann man googeln.

  • Zuerst war ich für die Inklusion, weil ich die Tatsache nicht mehr ertragen konnte, dass Absolventen von Förderschulen sehr schlechte Perspektiven haben.

    Ich bin nun seit über 20 Jahren als Lehrerin an berufsbildenden Schulen tätig. In all den Jahren hatten wir immer wieder Absolvent*innen von Förderschulen in unseren Berufsfachschul- und Berufseinstiegsklassen und die allermeisten haben im Anschluss einen Ausbildungsplatz erhalten. Mehrere haben noch ihren Realschulabschluss nachgeholt und haben dann in der Fachoberschule ihre Fachhochschulreife erworben; ein ehemaliger Förderschüler aus meiner BFS-Klasse hat das Abi an unserem beruflichen Gymnasium gemacht. Sooo schlecht scheinen die Perspektiven für die ehemaligen Förderschüler*innen dann wohl doch nicht zu sein (zumindest nicht für diejenigen, die zu uns an die Schule kommen).

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Viele Standorte haben eine super Ausstattung, kleine Klassen und natürlich den alltagspraktischen Unterricht.

    Ja, jede und jeder möchte ihre*seine Kinder an Schulen wissen mit guter Ausstattung, kleinen Klassen und gutem Unterricht.

    Die Realität - und da nehme ich Förderschulen vor und nach Einführung der Inklusion nicht aus - ist eine andere und das betrifft nicht nur, aber auch den Mangel an Lehrkräften in allen Schulformen (siehe Beitrag oben).


    Förderschulen können auch schlecht ausgestattet und ohne Personal sein, ebenso wie Regelschulen samt Inklusion.

    Will man also sein Kind in einer gut ausgestatteten Inklusion unterrichtet sehen oder in einer gut ausgestatteten FöS?


    Oder möchte man einfach mal (wieder) zum Ausdruck bringen, dass Schulen besser ausgestattet sein sollten, damit es mit der Förderung und Herausforderung klappt?

  • Ich bin nun seit über 20 Jahren als Lehrerin an berufsbildenden Schulen tätig. In all den Jahren hatten wir immer wieder Absolvent*innen von Förderschulen in unseren Berufsfachschul- und Berufseinstiegsklassen und die allermeisten haben im Anschluss einen Ausbildungsplatz erhalten. Mehrere haben noch ihren Realschulabschluss nachgeholt und haben dann in der Fachoberschule ihre Fachhochschulreife erworben; ein ehemaliger Förderschüler aus meiner BFS-Klasse hat das Abi an unserem beruflichen Gymnasium gemacht. Sooo schlecht scheinen die Perspektiven für die ehemaligen Förderschüler*innen dann wohl doch nicht zu sein (zumindest nicht für diejenigen, die zu uns an die Schule kommen).

    Jetzt, da Sie es erwähnen.


    Ich hatte eine Schülerin, die zuerst auf eine Berufsfachschule für Ernährung gegangen ist, weil sie voller Ehrgeiz war. Der Fachbereich war zwar nicht ihr Ding, aber sie wollte unbedingt die Fachoberschulreife schaffen. Danach wechselte sie auf ein Berufskolleg für Gestaltung und hat dort ihre Fachhochschulreife absolviert.


    Sie hat viel von ihrem Politiklehrer gesprochen, den sie immer noch positiv in Erinnerung hat. Deswegen wollte sie auch unbedingt Lehrerin werden, doch das hat leider nicht geklappt, weil sie einen Schnitt von 3,2 hat. Aber sie macht als Alternative ein Studium an einer Fernuni.


    Die Fachrichtung nennt sich:


    "Fachkraft für Inklusions- und Integrationspädagogik."


    Allerdings ist das nicht gerade billig und muss deswegen den Gürtel enger schnallen. Ich hoffe, dass das etwas wird.


    Leider gab es auch schlimme Momente nach der Förderschule. Sie hat mir erzählt, dass sie im Jahrespraktikum für die 11. Klasse eine Vorgesetzte hatte, die ihr knallhart gesagt hat, dass Leute von der Förderschule der letzte Abschaum sind. Ich habe es ihr geglaubt, da sie stets in Tränen ausgebrochen ist, wenn sie von der Situation im Praktikum erzählte. Sie hat sich auch nicht getraut etwas ihren Lehrern zu erzählen, weil sie zu große Angst hatte die Praktikumstelle zu verlieren.


    Ich werde auch heute noch gefragt wie ich Menschen mit Behinderung am besten beibringe, dass diese sehr wahrscheinlich nur Hartz-IV bekommen. Ich war. So geschockt, dass ich gar nichts dazu sagen konnte.

  • Erste Frage: Die verantwortlichen Kommissionen, die Kinder mit Förderbedarf auf Regelgrundschulen "verteilt" oder auf weiterführende Schulen nur unter dem Aspekt der Wohnortnähe schickt.

    Ist bei uns anders. Hier empfehlen die Förderschullehrkräfte und die empfehlen nicht Inklusion um der Inklusion Willen. Dass die unter aller Würde ist, weiß jede (Förderschul-) Lehrkraft.


    Zweite Frage: Was ist Politik? Die ist rhetorisch, oder?

    Naja, "die Politik" hast du ins Spiel gebracht. Selbst wenn Inklusion offiziell propagiert würde, um Geld zu sparen, hat jede Familie die Möglichkeit, wünsche anzugeben. Und ehrlicherweuse haben Eltern sehr viel Mitsprache- und Klagemöglichkeiten, wenn sie mit der Entscheidung der Schulbehörde nicht einverstanden sind.


    ... Ehrlich gesagt habe ich aber überhaupt keine Lust, diesen seit Jahren laufenden Prozess hier datailliert aufzuzeigen. Kann man googeln.

    Okay, dann behaupte aber nicht, dass unrichtig ist, was ich schrieb. Denn die Lernförderschule ist schlicht in dem Zustand in dem sie ist.

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