Erwartungshorizont bei Klassenarbeiten

  • Aber selbst wenn, hilft einem eine Musterlösung doch trotzdem extrem bei der Korrektur, oder nicht?

    Moment, Du sprichst von einer Musterlösung.

    Zumindest ich habe damals im Referendariat gelernt, daß ein "Erwartungshorizont" auch aufzeigen muß an welchen Stellen ich mit welchen Fehlern der Schüler rechne. Ich muß also vorab antizipieren was sie wohl falsch machen werden und zu welchen abweichenden Ergebnissen das dann führen wird.


    Diese Art von Erwarungshorizonten, die die zu erwartenden Schüler-Lösungsfehler mit einbeziehen, habe ich seitdem nie wieder angefertigt.

  • Ok, in dieser Definition kenne ich das Wort nicht und so habe ich es auch noch nie anfertigen müssen. Dann reden wir vermutlich aneinander vorbei.


    EDIT: Derartiges mache ich nur bei sehr speziellen Aufgabenformaten. Bei Multiple Choice-Aufgaben überlege ich mir zum Beispiel schon sehr genau, welche Fehler vorkommen könnten und wie ich das dann bepunkte. Ansonsten überlege ich vorab bei komplexeren Aufgaben, wie ich mit Teillösungen umgehe. Aber explizit mögliche Schülerfehler zu antizipieren und dies im EWH zu verschriftlichen, das wurde mir gegenüber noch nie gefordert.

  • Ich erstelle eigentlich nie eine Musterlösung oder rechne die Aufgaben vorher mit Endergebnis aus.

    Ich habe aber eine Liste mit genauen Teilpunkten für jeden Aufgabenteil und kommuniziere diesen auch nach der Arbeit mit den Schülern. Da gerade im IT Bereich oft sehr individuelle Lösungen möglich sind und die Zwischenschritte wichtiger als das Endergebnis sind, erstelle ich Kategorien für jeden Teil:

    Z.B. Zeitfunktionen richtig realisiert 10 Punkte.

    Dabei gibt es dann Abstufungen, wie prinizpiell alles richtig gemacht, aber kleine Syntaxfehler 8P. Ansatz in Ordnung, aber noch Logikfehler 6P. Ansatz erkennbar, 3P. Nichts gemacht 0 P. Hängt natürlich immer vom Schwierigkeitsgrad ab.

    Dieses System erleichtert die Korrektur ungemein.

  • Bei mir ist es anscheinend ein Zwischenging, ich überlege mir schon Alternativvorschläge der Schüler und ob bzw. wie ich sie bepunkte (z. B. halbe Punktzahl), ich überlege aber nicht endlos, sondern lasse viel Platz und ergänze während der Korrektur (und bei viel Erfahrung werde ich nicht mehr oft überrascht).

    Meine Beiträge werden auf einer winzigen Tastatur eines Tablets mit Autokorrektur geschrieben. Bitte entschuldigt Tippfehler. :mad:

  • Ok, dann verstehst du plattyplus unter "Erwartungshorizont" tatsächlich etwas anderes als Joker13 und auch ich. Dass man in einem EWH auch zu erwartende Fehler mit einbezieht, kenne ich so nicht.

    Für Englisch in der Oberstufe könnte ein EWH z. B. so aussehen: https://www.abiweb.de/englisch…iturklausur-englisch.html (wobei die EWH der Abiklausuren noch detaillierter und auf die jeweilige Aufgabenstellung genau bezogen formuliert werden).

    Für die Klassenarbeiten im Wirtschaftsunterricht (den ich in den Lernfeldern in meiner BFS-Klasse erteile) und für "einfache" Englisch-Klassenarbeiten (z. B. in den BFS- und BES-Klassen) erstelle ich auch eine "Musterlösung", keinen detaillierten EWH. Das wäre bspw. für Grammatikaufgaben m. E. völlig überflüssig. Da nehme ich auch keine Positivkorrekturen vor, weil ich die Klassenarbeiten bei Rückgabe mit den SuS durchspreche und diese eine Berichtigung anfertigen.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Dass man dort auch zu erwartende Fehler mit einbezieht, kenne ich so nicht.

    Nein, das kenne ich auch nicht. Ich schreibe höchstens im Nachgang (während der Korrektur) dazu, dass ich ein bestimmtes Wort (im Lückentext z.B.), das aber öfter bei den Schülerlösungen genannt wurde, nicht bepunkte, weil es z.B. keinen Sinn macht in diesem Kontext oder Ähnliches.

  • Ich erstelle eigentlich nie eine Musterlösung oder rechne die Aufgaben vorher mit Endergebnis aus.

    Du bearbeitest deine Aufgaben nicht selbst? hmm das kann ich mir noch nicht leisten. Es fallen mir immer mal wieder Hürden auf, die ich nach der eigenen Bearbeitung beseitigen kann. Sonst habe ich während der Klausur ständig Fragen zu beantworten.

  • Es stimmt schon, dass jetzt mehr sprachliche Fähigkeiten abgefragt werden. Dafür kommt die Mathematik aus ihrer absurden "Das brauche ich doch eh nie wieder"-Ecke raus, die bei normalen Textaufgaben oder noch schlimmer - bei stumpfen Rechenaufgaben von vielen SuS unterstellt werden (und zwar zu Recht). Ich bleibe bei meiner Argumentation - später wird im Beruf niemand sagen "Berechnen Sie doch mal den Hochpunkt der Funktion ...". Die Fragestellungen, die nur oder zum Teil mit Mathematik gelöst werden können, sind später viel gröber, unpräziser und garantiert nicht rein mathematisch formuliert.


    Deshalb ist dein restlicher Text aus meiner Sicht auch keine kompetenzorientierte Aufgabe, sondern einfach nur Blabla, um die Aufgabe komplexer erscheinen zu lassen. Kompetenzorientierte Aufgaben sind schwer zu erstellen, da sie eben nicht einfach nur eine längere Formulierung einer nicht-kompetenzorientierten Aufgabe sind. Oft lassen diese Aufgaben auch mehrere Interpretationen der Lösung zu (und im besten Fall auch mehrere Lösungswege zum Ziel).


    Und ja, natürlich sind später eher nicht Funktionen dritten Grades zu untersuchen - aber die Fähigkeit, aus gestellten (nicht-mathematischen) Fragen die konkreten Infos zu extrahieren, zu mathematisieren und dann zu lösen und abschließend ein Ergebnis zu präsentieren, dass eben nicht x1= -3 und x2=5 ist, das sind Fähigkeiten, die später durchaus relevant sind - und zwar in eigentlich allen Berufen, die eine Problemlösung voraussetzen.


    Zum Thema Erwartungshorizont:

    Hab ich immer, entspricht aber häufig einfach einer Musterlösung mit Punkten. Da ich nicht immer alles am Stück korrigiere und die Aufgaben teilweise auf Grund der Kompetenzorientierung mehrere Lösungen zulassen, ergänze ich diese Lösung durchgehend mit Infos, wie ich konkrete andere Lösungswege benotet habe. Damit stelle ich sicher, dass alle SuS für gleichwertige Arbeit gleiche Punkte bekommen.


    Die Spachkolleginnen und -kollegen haben aber immer so fette Tabellen, in denen diverse Dinge bewertet werden. Bei mir ist es am Ende noch maximal ein Abzug für die äußere Form.

  • An die, die ohne Musterlösung arbeiten und positiv korrigieren:

    Wie macht Ihr das, wenn eine Teilaufgabe überhaupt nicht bearbeitet wurde? Schreibt Ihr dann die komplette Lösung hin?

  • Es stimmt schon, dass jetzt mehr sprachliche Fähigkeiten abgefragt werden. Dafür kommt die Mathematik aus ihrer absurden "Das brauche ich doch eh nie wieder"-Ecke raus, die bei normalen Textaufgaben oder noch schlimmer - bei stumpfen Rechenaufgaben von vielen SuS unterstellt werden (und zwar zu Recht). Ich bleibe bei meiner Argumentation - später wird im Beruf niemand sagen "Berechnen Sie doch mal den Hochpunkt der Funktion ...". Die Fragestellungen, die nur oder zum Teil mit Mathematik gelöst werden können, sind später viel gröber, unpräziser und garantiert nicht rein mathematisch formuliert.


    Deshalb ist dein restlicher Text aus meiner Sicht auch keine kompetenzorientierte Aufgabe, sondern einfach nur Blabla, um die Aufgabe komplexer erscheinen zu lassen.

    Das Problem bei unseren Azubis insb. im Handwerk ist aber: Dieses "bla bla" ist so kompliziert und lenkt dermaßen von der eigentlichen Kernaufgabe ab, daß sie gar nicht mehr bis zum Kern vorstoßen. Sogar die Handwerksbetriebe fragen ja schon: "Was soll das?"


    Ich bleibe mal beim Elektriker, der mit einem Hauptschulabschluß zu uns kommt. Da sagt ihm der Meister schon auf der Baustelle wo was hin soll und gibt ihm die Pläne in die Hand. Der Azubi bzw. später Geselle muß die Pläne lesen können, muß wissen in welcher Art und Weise welche Kabel in den Wänden zu verlegen sind und wie das alles anzuschließen ist. Diese eine Seite Textaufgabe vorher läßt ihn schon abschalten. In der Prüfungsvorbereitung übe ich mit den Azubis ja inzw. schon extra die Herangehensweise an solche Aufgaben. Von wegen "nicht nervös machen lassen", weil manche nach spätestens 5 Zeilen Text abschalten.

  • Früher hieß es beim Elektriker-Azubi z.B.: Sie sollen in einem Raum einen Lichtschalter und drei Steckdosen installieren. Die Wände sind massiv. Wo müssen die Dinge installiert werden und wo und wie sind die Leitungen zu führen? Zecihnen sie die Maße in die Zeichnung unten ein.

    Und wenn mir als Chef der Azubi nicht in einfachen Worten erklären kann, warum das so sein soll, dann würde ich dem den Marsch blasen. Selbstverständlich erwarte ich in der Chemie und auch in der Physik, dass die SuS mit der Fachsprache angemessen umgehen können. Uns selbstverständlich erwarte ich an der Fachmittelschule eine andere sprachliche Leistung als am Gymnasium. Aber wer eine Rechenaufgabe nicht in Worten beschreiben kann, der kann sie auch nicht rechnen, weil er gar nicht verstanden hat, was er eigentlich rechnen soll. Das muss nicht "schön" sein im Sinne eines literarischen Textes, aber es muss erkennbar sein, dass die Aufgabenstellung verstanden wurde. Ich bewerte auch keine Rechtschreibfehler sofern nicht Fachbegriffe grob falsch geschrieben werden.

  • Immer (ob das jetzt "Musterlösung" oder "Erwartungshorizont" heißt, spielt für mich keine Rolle ... es geht darum, die Aspekte zu verschriftlichen, die unbedingt nötig zur Beantwortung sind und ggf. die, die sich positiv auf das Ergebnis auswirken. Sollte eine Antwort kommen, die ich gut finde, mit der ich aber nicht gerechnet habe, ist das natürlich dennoch eine positive Antwort). Folgende Gesichtspunkte spielen - manchmal mehr, manchmal weniger - eine Rolle:


    a) Es erleichtert mir die Einschätzung, wie bepunktet / gewichtet jede Teilaufgabe werden soll

    b) Es stellt sicher, dass ich die Fragen so formuliere, dass ich auch die Antworten bekomme, die ich haben will ("Wie muss ich fragen, damit die SuS das antworten, was ich wirklich wissen will?")

    c) Es erleichtert mir die Korrektur

    d) Es wirkt sich positiv auf Gerechtigkeit / Vergleichbarkeit aus

    e) Ich muss ja sowieso, da jede Arbeit, die ich an die Respizienz gebe (Fachbetreuer) einen Erwartungshorizont haben muss


    Ja, ich korrigiere im Prinzip auch positiv, aber wenn viel fehlt, gibt es nur einige Stichpunkte plus ein "usw." oder ein "siehe Hefteintrag vom x.y.".

  • Ich erstelle eigentlich nie eine Musterlösung oder rechne die Aufgaben vorher mit Endergebnis aus.

    Wow, du musst verdammt gut sein.


    hmm das kann ich mir noch nicht leisten. Es fallen mir immer mal wieder Hürden auf, die ich nach der eigenen Bearbeitung beseitigen kann. Sonst habe ich während der Klausur ständig Fragen zu beantworten.

    Hier auch. Beim selbst bearbeiten fällt mir dann auf, dass ich da einen Wert vergessen habe oder dass ein Ergebnis vielleicht nicht realistisch ist.
    Bei schriftlichen Antworten notiere ich mir, was ich hören will und wofür es noch die restlichen Punkte gibt etc. pp.


    Und ich schaue auf die Zeit. Das 3-4 fache der eigenen Zeit ist dann realistisch für die Schüler.


    Je nach Klasse und Fach gehe ich genauer oder weniger genau vor.




    An die, die ohne Musterlösung arbeiten und positiv korrigieren:

    Wie macht Ihr das, wenn eine Teilaufgabe überhaupt nicht bearbeitet wurde? Schreibt Ihr dann die komplette Lösung hin?

    Ich mache keine richtige Positiv-Korritur. Nur im Ansatz. Zeige die Fehler auf, wenn ich sie deutlich sehe, wenn nichts da steht oder alles falsch ist - dann nicht.

    Ich bespreche aber auch die Arbeiten, meist dann aber bestimmte Aufgaben, die viele Fehler hatten.

    Oder in Vollzeit-Klassen häufig auch noch eine Berichtigung.

  • Ich mache ebenfalls auf jeden Fall eine Lösungsversion. Dieser füge ich dann noch Notizen hinzu. Da ich eine Integrationsklasse habe, habe ich auch mindestens drei Niveaustufen: Gymnasialniveau, Mittelschulniveau und Sonderschulniveau. Letztere haben unzählig viele Niveaustufen. Gerade für die ersten beiden muss ich mir jedes Mal überlegen, welche Fehler ich noch zulasse bzw was die Schüler mit Gymnasialniveau mehr leisten müssen.


    Ich finde Aufgaben in vielen Mathebüchern ebenfalls zu textlastig, besonders für meine Mittelschüler. Manchmal wird sind diese Texte auch sehr verkrampft und wurden um die Aufgabe gebastelt. Das macht sie unleserlich und schwer verständlich (und manchmal ungewollt lustig). Der umgekehrte Weg, die Aufgabe entstammt aus einem realistischen Alltagsbeispiel, ist besser verständlich und nachvollziehbarer.

    Meine Gymnasialschüler müssen den Ansatz von einer Aufgabe aus einem Text erstellen können und umgekehrt. Die Mittelschüler müssen dies nur aus sehr einfachen Beispielen.

  • Eine Musterlösung mit evtl. Alternativen sollte man vorher erstellen, um zu sehen

    - ob die Punkteverteilung auf die Lösung passt

    - die punktemäße Verteilung auf die Anforderungsbereiche stimmt (manche Aufgaben decken unterschiedliche Aufgabenbereiche ab).


    Hinterher ist es wichtig, auch nicht erwartete Schülerantworten auf die Aufgabe zu reflektieren, denn manches passt dann doch. Das kommt immer darauf an, wie die Aufgabe gestellt ist. Wir haben bei Leseproben (Proben heißen die Arbeiten in Bayern in Grund- und Mittelschule), manchen Sachkundefragen, Textaufgaben in Mathematik z.B. oft schon andere Lösungen gehabt als wir erwartet haben, die in einer gewissen Weise richtig waren. Das muss man dann später reflektieren. Ich erstelle fast zu allen Proben eine Musterlösung bzw. notiere mir wenigstens die Wertung auf.

    Die Schüler bekommen allerdings keinen Erwartungshorizont, ich mache es so wie Kiggie - wir besprechen bei Rückgabe die Proben und rechnen in Mathematik teilweise strittige Aufgaben nochmals gemeinsam. Außerdem erkläre ich den Schülern, wie die Punkte zustande kommen. Ansonsten schreibe ich oft schon mal die Lösung in die Probe rein, wo ich denke, dass das strittig wird oder kommentiere, was ich erwartet hätte.

    Ich habe so gut wie nie Nachfragen bei den Proben, trotz Übertrittsklassen. Gerade im 4. Schuljahr will man ja im Vorfeld genau arbeiten um den lästigen Diskussionen mit Eltern zu entgehen. Ganz selten probieren manche über Punkte zu verhandeln, doch wenn die Probe gut vorbereitet ist und und die Korrektur (mit Hilfe eines vorherigen Erwartungshorizontes) durchdacht ist, kann man da gut argumentieren.

    Mit der Zeit bekommt man ein Gefühl, was wichtig ist für die Schüler zum Nachbesprechen und was man in die Proben reinschreiben sollte.

  • Wenn man in Mathematik einen sehr guten Schüler hat, kann man sich die Musterlösung tatsächlich sparen.

    Ich rechne allerdings wegen dem Zeitfaktor auch immer selbst, bevor ich eine Arbeit schreiben lasse. Ich verschätze mich bei der benötigten Zeit sonst gerne.


    LG DFU

  • Hallo,

    der Erwartungshorizont wird stets direkt nach der Klassenarbeit und vor dem Merkzettel für die Lerngruppe erstellt, bevor mit der Unterrichtseinheit, zu der die Klassenarbeit gehört, begonnen wurde.

  • Wenn man in Mathematik einen sehr guten Schüler hat, kann man sich die Musterlösung tatsächlich sparen.

    Der Musterschüler bestätigt eigentlich nur die Erwartung und die muss ich als Lehrperson schon selber formulieren. Es kann irgendwie nicht sein, dass ich diese Aufgabe quasi an einen Schüler delegiere. Ich habe durchaus solche Schüler*innen und hin und wieder kommt es eben vor, dass er oder sie eine Kleinigkeit anders schreibt als ich es erwartet habe, weil meine Erwartung einfach falsch bzw. die Aufgabenstellung schlecht war. Und so schreibt eben auch der Musterschüler eine vermeintlich schlechte Arbeit wenn er nicht weiss oder falsch versteht, was die Lehrperson eigentlich von ihm will. Ich verlasse mich auch als erfahrene Lehrperson nicht darauf, dass meine Aufgabenstellung immer perfekt ist. Und ich kann durchaus von mir behaupten, dass ein sehr gutes "Gespür" beim Erstellen von Prüfungen habe.

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