Umgang mit Kritik an Fachlichkeit

  • Guten Abend liebe Lehr-Freunde,


    ich unterrichte gerade an einer Berufsbildenden Schule die Physiotherapeuten und Ergotherapeuten in einer Vertretungsstelle und mach auch Anatomie bei den GuK.

    Eine Sache beschäftigt mich jedoch seit einer Weile.

    Ich bin von den KuK, die einzige, die keine Arbeitserfahrung außer der Ausbildung hat. Irgendeine der Kolleginnen hat das auf jeden Fall vor ein paar Monaten im Kollegium rumsprechen lassen und irgendwie ist es auch an Schüler und Eltern gelangt.

    Jedenfalls habe ich daraufhin öfter mal Kommentare bekommen, dass ichs in der Praxis einfach nicht tauge. Oder auch von Eltern E-Mails mit Inhalten bekommen wie: "Sie wissen ja nicht worauf es ankommt"


    Das hat mich sehr verletzt.

    Es trifft auch ne wunde Stelle. So, wie die Physio damals war und heute ist, wollte ich da nie arbeiten.


    Findet ihr es sehr wichtig, dass ein Berufsschullehrer viel Berufserfahrung hat?


    Liebe Grüße


    Anna

  • Ich würde sagen ... kommt drauf an und in der Tendenz eher ja als nein. Was genau unterrichtest Du denn bei den Physios? Ich kenne das bei uns hier so, dass nur berufserfahrene Personen in Teilzeit parallel zum Job in der Praxis unterrichten. Ich habe selbst ein Jahr lang an einer Berufsschule im Fachkundeunterricht gedient, aber da sind bei uns die Chemiker praktisch die einzigen, die da als reine Akademiker ohne Berufserfahrung im Betrieb überhaupt was zu melden haben. Bedingt dadurch, dass das Studium ja schon zu 80 % aus praktischer Arbeit besteht. Physio kann ich mir jetzt echt schwer vorstellen, dass man das ohne Berufserfahrung wirklich rüberbringen kann.

  • Liebe Anna,


    das klingt sehr komisch. Am BK haben zwar viele ne Ausbildung, aber längst nicht alle.

    Die meisten mit denen ich studiert habe, die haben direkt nach der Ausbildung das Studium begonnen und somit keine weitere Berufserfahrung. Die Ausbildung ist da schon verdammt viel wert.

    Ich unterrichte Chemikanten, Chemielaboranten und Chemisch-Technische Assistenten mit Chemie - aber selbst gelernt habe ich nur Chemielaborantin.

    Ich unterrichte Elektroniker und habe keinerlei Ausbildung. Ich kommuniziere das aber durchaus offen, also frage bewusst die Schüler, wie es im Betrieb aussieht.


    Von daher:

    Findet ihr es sehr wichtig, dass ein Berufsschullehrer viel Berufserfahrung hat?

    Nein! Wichtig ist sicherlich die Fachlichkeit und eben auch dazu zu stehen, wenn man mal was nicht weiß. Dabei authentisch bleiben.


    Meine Azubis freuen sich immer, wenn ich erzähle, dass ich selbst ne Ausbildung gemacht habe und wie es so war etc. (Wie ätzend Ausbildungsberichte schreiben zum Beispiel ist ^^).


    Also mich würde es doch wundern, wenn alle deine Kollegen so viel Erfahrung haben. Sicher dass es auf die Ausbildung bezogen war? Oder auf die pädagogische Seite?

    Versuch das Gespräch zu suchen, ggf. mit Bereichsleitung (Abteilungsleitung).


    Alles Gute für dich!

  • aber selbst gelernt habe ich nur Chemielaborantin

    Ja, unterschätz das eben nicht, das ist schon sehr speziell. Es gibt kaum einen anderen akademischen Fachbereich (Du hast ja noch studiert) mit einem so einen hohen Praxisanteil.

  • Oder auch von Eltern E-Mails mit Inhalten bekommen wie: "Sie wissen ja nicht worauf es ankommt"

    "Sehr geehrte Frau Müller, Ihre Tochter möchte einen Beruf erlernen und ist daher alt genug, mit möglichen Problemen selbst zu ihren Lehrerinnen zu kommen. Ich möchte Sie bitten, sie darin zu unterstützen, indem Sie ihr zeigen, wo auf der Homepage unserer Schule meine Sorechzeiten zu finden sind. Mit freundlichen Grüßen, Frau PhysioAnna"


    Das Problem ist nicht die fehlende Praxiserfahrung im Beruf, du hast die Stelle bekommen, weil du qualifiziert bist. Das Problem ist deine Unsicherheit, ob die Qualifikation ausreicht. Sei sicher, die Eltern deiner Schüler können das nicht beurteilen.


    Weißte, Hochschulprofessoren bilden auch Richter aus, obwohl sie nie im Gerichtssaal standen. Man lernt bei verschiedenen Menschen verschiedene Dinge. Ich würde das übrigens auch thematisieren, das nimmt Wind aus den Segeln.

  • Hier schreiben doch immer alle, dass man in der Berufsschule nichts mit den Eltern zu tun hat.

    Soweit ich weiß ist Physio keine Ausbildungim dualen System, sondern eine vollschulische Ausbildung. Ich nehme an, dass dort mehr "klassische Schulmechanismen" inklusive des Elterntheaters greifen. Auch die BF/HBF-Leute berichten von mehr Verhalten, das dem an allgemeinbildenden Schulen ähnelt.


    Meine Elternkontakte nach Ü12 Jahren im dualen System liegen im niedrigen einstelligen Bereich (und davon sind die meisten dann auch noch die Chefs vom Sohn).

  • Ich habe im dualen Bereich Kunststoffmechaniker unterrichtet. Ich habe von vorneherein klar kommuniziert, dass ich deren Berufsanforderungen nicht genau kenne, sie aber von mir zwei Dinge erwarten können: Ich weiß, was in der IHK-Prüfung wichtig ist und ich bin in Kunststoffchemie fachlich-theoretisch absolut firm. Damit waren die total fein. Ich habe die auch untereinander diskutieren lassen, was wie aus der Maschine kommt (weil ich das z.B. nicht weiß) oder habe Aussagen des Ausbilders versucht fachlich zu verallgemeinern.
    Das hat hervorragend funktioniert und wenn ich nicht zu 20% abgeordnet wäre, würde ich das weiterhin machen.

  • Am BK haben zwar viele ne Ausbildung, aber längst nicht alle.

    Die meisten mit denen ich studiert habe, die haben direkt nach der Ausbildung das Studium begonnen und somit keine weitere Berufserfahrung.

    Das kann ich aus meinen Erfahrungen an den BBS in Niedersachsen so bestätigen. Gerade was die KuK angeht, die in Berufsschulklassen unterrichten, würde ich z. B. in meiner Abteilung (Wirtschaft und Verwaltung) meinen, dass nur sehr wenige in dem Berufsbereich, in dem sie die Berufsschüler*innen unterrichten, eine Ausbildung gemacht haben. Ähnliches gilt auch für unsere ein- oder mehrjährigen Berufsfachschulen.

    Hier schreiben doch immer alle, dass man in der Berufsschule nichts mit den Eltern zu tun hat.

    Soweit ich weiß, haben das hier nicht "immer alle" geschrieben. Ich zumindest nicht; ich habe durchaus weniger, aber nicht gar nichts mit Eltern zu tun! Zum einen möchte ich nochmal betonen, dass es an einer beruflichen Schule mehr als nur "Berufsschule" gibt (wir haben auch viele Klassen im vollzeitschulischen Bereich!) und zum anderen hat man natürlich immer mal mit Eltern von minderjährigen SuS zu tun. Was mich persönlich angeht, so habe ich als Klassenlehrerin einer Berufsfachschulklasse, bei der i. d. R. mindestens die Hälfte der SuS zu Schuljahresbeginn noch nicht 18 ist, mit wenigen, aber doch jedes Schuljahr mit den Erziehungsberechtigten so einiger SuS Kontakt.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Hallo!


    Ich danke euch allen für die Ratschläge. Und ihr habt Recht: Ich bin für den Startschuss da, gute Therapeuten, werden sie durch Berufserfahrung.


    Ich habe "leider" (eig. total bereichernd) einige Jugendliche in dem Bildungsgang, deren Eltern eine Physiopraxis besitzen. Oder auch einen jungen Mann Anfang 30, der davor jahrelang als Trainer gearbeitet hat und eine die das Med-Studium leider vorzeitig beenden musste, mit zwei Orthopäden als Eltern

    Also ne sehr fitte Truppe. Mag ich auch richtig gern.

    Aber die Kinder der Physios oder auch der Med-Eltern sind einfach sehr schwierig. Sehr selbstüberzeugt und viel am Urteilen über andere.

    Bei uns haben alle Kollegen eine Ausbildung, viele waren auch jahrelang in der Praxis tätig.

    Ich glaube im Gesundheitswesen oder im Berufsschulbereich Gesundheit ist das nicht unüblich. Ich werde einfach ein klares Standing machen, gegenüber den Eltern und Kindern falls das wieder vorkommt. Meine Kollegen sind alle nett, bis auf zwei, aber mit allen muss ich auch nicht. 😉


    Danke nochmal!

  • Ah, okay, na das fühlt sich dann sicher blöd an. Aber kindisch verhalten sich trotzdem diese Eltern, lächerlich. Viel Erfolg dir, du wirst mit jedem Durchgang sicherer werden:wink2:

  • Albern ist das. Lass dir für solche Sprüche ein dickes Fell wachsen. Bei uns sind es manchmal die Betriebe, die sich einmischen wollen und alles besser wissen. Klar, wenn man nur 1-2 Azubis hat und sich um die von 6-15 Uhr kümmern kann, ist das einfach.


    Nicht reinreden lassen. Du bist der Profi in deinem Beruf (geht ja nicht nur um Fachwissen), die Eltern sind Profis in ihrem Beruf. Das muss man trennen.

  • Das dicke Fell sollte sich jede(r) Junglehrer/in sowieso möglichst schnell wachsen lassen, das ist in vielerlei Hinsicht sehr hilfreich.

    Absolute Zustimmung! Das ist mir relativ schwer gefallen, aber es wird immer besser und das (Berfus)leben dadurch viel unbeschwerter.


    Ich sage mir immer: Ich habe Autorität bzw. Respekt verdient qua Amt (ein:e Lehrer:in muss sich das nicht verdienen, sondern kann es maximal verlieren) und im Gegensatz zu den allermeisten Eltern, habe ich ein erstes und zweites Staatsexamen für das Lehramt an meiner Schulform.

  • Das dicke Fell sollte sich jede(r) Junglehrer/in sowieso möglichst schnell wachsen lassen, das ist in vielerlei Hinsicht sehr hilfreich.

    Hat mir ein Schulleiter auch mal geraten, als ich nach einem arschigen Eltern"gespräch" aufgelöst am Telefon stand. ist aber nicht so leicht, finde ich. Gerade wenn man dazu neigt, sich infrage zu stellen.


    Edit: das Absurde daran, das war eine Schule für Kinder, die nicht gesellschaftsfähig sind, also mit Eltern, die eigentlich maximal selbstkritisch vorgehen sollten...

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