"Ach, Luise, laß … das ist ein zu weites Feld."
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Ich verstehe die Siegermentalität so, dass auch Kinder in der Bundesrepublik bewusst sozialisiert wurden, aber davon ausgehen, dass ihr Aufwachsen, ihr Selvstbild "normal" ist, gottgegeben, richtig. Auch das Gefühl von den "guten, Frieden in die Welt tragenden USA" und dem "bösen, korrupten, angsteinflößenden Russland". Der Westen sind die Sieger, der Osten fängt irgendwo da drüben an. Und die DDR ist dazwischen, die muss man nicht so ernst nehmen. Natürlich auch, weil keine nennenswerten Marken/Reichtümer zu finden sind. Ist das nicht immer noch so? Wo liegt Aserbaidschan? Wie heißt das Staatsoberhaupt von Kasachstan? Welches Wahrzeichen von Usbekistan ist das Bekannteste?
Bei deinen Beispielen denke ich nicht, dass es nur um "böser Osten" geht. Die genannten Länder sind halt für D nicht besonders bedeutsam (gut, Aserbaidschan scheinbar schon). Die meisten Deutschen werden auch kaum die Staatsoberhäupter oder Wahrzeichen anderer, für D eher unbedeutender Länder (z. B. aus Südamerika, Afrika, Asien oder kleine Inselstaaten) kennen.
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ja, meine Formulierung war zu knapp und ich hatte einen Teil gelöscht.
"Damals" beim Gespräche habe ich es auf "alle vergessen fast alles aus der Schule" abgetan, aber jetzt fand ich deinen Ansatz interessant...
Und ja, die Siegerkultur ist ein wichtiger Teil der Lehrpläne. Ich weiß ja, wie erstaunt ich war, als ich "erfahren" habe, dass Napoleon nicht der große tolle Held ist, wie es mir in der Schule beigebracht wurde (also auch tatsächlich).Ja, wenn ich mir umgekehrt überlege, wie erschreckend wenig ich in französischen Schulbüchern gefunden habe über französische Kriegsverbrechen (oder gar Kriegsverbrecher) während der Nazizeit (in einem Buch der gymnasialen Oberstufe gab es 10 Seiten über die Résistance, aber nur einen kleinen Absatz von knapp 5 Sätzen über die "Collaboration". Über französische Kriegsverbrechen oder Kriegsverbrecher gar nichts.)- dann betreiben wir das ja alle, dass wir über schulische Bildung unsere Interpretation einer nationalen Geschichte weitertragen. Das kennen wir ja auch von unseren anderen Fächern chili, dass Lehrpläne teilweise eine recht einseitige Interpretation vorsehen, die man im Idealfall- begründet auf bestimmte Grundwerte- kontrovers ergänzen kann, aber auch nicht immer (ich denke da nur an unser Gespräch über Wirtschaftsunterricht bei euch in NRW und bei mir in BW an der Sek.I).
Diese Woche meinten meine 8er zu mir (beim Thema "Wirtschaftsordnungen") die DDR gebe es deshalb nicht mehr, weil die BRD sie aufgenommen und so die Diktatur beendet habe (diese Geschichte hätte Kohl natürlich sehr gefallen). Die haben Bauklötze gestaunt, als ich ihnen erzählt habe, dass es genau genommen eine Demokratisierungsbewegung innerhalb der ehemaligen DDR gegeben hat, die letztlich- im Kontext weiterer historischer Ereignisse, die ich meinen SuS gegenüber weggekürzt habe- die Wende und die Wiedervereinigung erst ermöglicht hätten. Das kannten sie so als Erzählung noch nicht aus dem Geschichtsunterricht. Hat aber vor allem meinen russischstämmigen SuS sehr gefallen, dass ich das angesprochen habe (die konnten dann mit Stichworten wie "Glasnost" und "Perestroika" sogar etwas anfangen.). Das passte besser zu Erzählungen, die sie Zuhause gehört hatten und die immer im Widerspruch standen zur "Schulversion".
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Ganz unabhängig vom politischen Wissen, das ich nicht habe, meine Beobachtungen als Fragen formuliert:
1. Würdet ihr eher nach New York fliegen, um euch mit einem nur im Inland zugelassenen Impfstoff impfen zu lassen oder eher nach Moskau?
2. mit welchem der beiden Staaten sollte Deutschland ein Bündnis eingehen, wenn es zu massiven Konflikten zwischen den USA und Russland kommen sollte?
Das "gefühlte Vertrauen" in die USA ist in der Bevölkerung, die in den westlichen Bundesländern aufgewachsen ist, größer als das in Russland. Umgekehrt gibt es im Osten Deutschlands eine "Grundskepsis" gegenüber den USA und ein Gefühl des Vertrauens gegenüber Russland. Ich denke, ein Großteil davon wurde in der Schule geprägt, aber auch von elterlichen Erzählungen, die zu Mythen wurden.
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also der antiimperialistische (haha) Antiamerikanismus meiner Sozialisation hat mich sehr lange geprägt.
Halb wortwörtliches Zitat des Geschichtsunterrichts Oberstufe: "und nach drei Jahren Krieg tauchen die Amis, tun ein bisschen was, proklamieren sich als Sieger und wollen alles bestimmen" (1. Weltkrieg), "aber das kennt man von denen, ist immer so".
Sarkasmus hin oder her, die Geschichtsschreibung ist da (zu meiner Zeit, ich bin ja vom letzten Jahrhundert) sehr antiamerikanisch. Russland wurde aber nicht glorifiziert.
Ohne ausreichendes geschichtliches und politisches Wissen:
1. warum geht es um entweder oder?2. Muss man ein Bündnis eingehen? (ja ich weiß, realpolitisch muss man, aber schon allein die Gedanken darüber fördern die Notwendigkeit von solchen Bündnissen).
3. die Beispiele finde ich zwar interessant aber nicht unbedingt super gewählt: will ich ein Chlorhähnchen essen? will ich genetisch modifizierte Lebensmittel? Will ich Waffenfreiheit und Waffenscheine als Geschenk zur Impfung?
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Es gibt im Osten eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einem großen Bruder. Wie der nun heißt, ist dabei egal. Insofern mag die Gleichgültigkeit, mit der Russland als ebenso verlässlicher, egoistischer, machtpolitisch kalkulierender "Partner" wahrgenommen wird wie die USA aus einer gewissen Perspektive als Russlandfreundlichkeit interpretiert werden.
Und eventuell spielt es eine Rolle, dass man sich in einem Boot wähnt, wenn es darum geht, wer bei den 2+4 Verträgen und bei der Wiedervereinigung profitiert hat und wer nicht. Mir noch sehr präsent ist die Rolle der amerikanischen Geheimdienste, als es um die Plünderung der MfS Daten ging. Der BND durfte erst sehr viel später rein. Eine solche "Schutzmacht" war man im Osten unter Opfern gerade erst losgeworden.
Gewissermaßen wird das Bild einer immer noch stark Einfluss nehmenden Besatzungsmacht USA ja fast tagtäglich bedient. Ausspionieren des Kanzleramtes unter "Freunden", todbringende Drohnen werden aus Deutschland heraus gelenkt, sich unfassbar gebärdende Botschafter, unmittelbare Einflussnahme auf Nordstream, NSA Tätigkeit am Internetknoten in Frankfurt etc.
Eigentlich ist nicht die Skepsis im Osten verwunderlich, sondern die Duldsamkeit und Langmütigkeit im Westen.
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Ganz unabhängig vom politischen Wissen, das ich nicht habe, meine Beobachtungen als Fragen formuliert:
1. Würdet ihr eher nach New York fliegen, um euch mit einem nur im Inland zugelassenen Impfstoff impfen zu lassen oder eher nach Moskau?
2. mit welchem der beiden Staaten sollte Deutschland ein Bündnis eingehen, wenn es zu massiven Konflikten zwischen den USA und Russland kommen sollte?
Das "gefühlte Vertrauen" in die USA ist in der Bevölkerung, die in den westlichen Bundesländern aufgewachsen ist, größer als das in Russland. Umgekehrt gibt es im Osten Deutschlands eine "Grundskepsis" gegenüber den USA und ein Gefühl des Vertrauens gegenüber Russland. Ich denke, ein Großteil davon wurde in der Schule geprägt, aber auch von elterlichen Erzählungen, die zu Mythen wurden.
Interessante Fragen:
1. Hängt von den Daten der Studien ab. Bei Sputnik V sind diese sehr merkwürdig/intransparent. Wären bei beiden Impfstoffen die Daten so undurchschaubar, würde ich dennoch eher den USA-Impfstoff nehmen, vom Gefühl her.
2. Ganz klar USA. Sie sind sicher nicht perfekt (und die Einmischung in gefühlt jeden Konflikt auf der Welt finde ich nicht gut). Aber erstens mischt sich RUS auch in sehr viele Konflikte ein und zweitens sind die USA eine Demokratie und sie teilen insgesamt deutlich mehr europäische Werte als RUS.
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Ganz unabhängig vom politischen Wissen, das ich nicht habe, meine Beobachtungen als Fragen formuliert:
1. Würdet ihr eher nach New York fliegen, um euch mit einem nur im Inland zugelassenen Impfstoff impfen zu lassen oder eher nach Moskau?
Weder noch. Wäre ein Impfstoff in Deutschland nicht zugelassen, würde ich mir bei den USA denken, dass dieser entweder sowieso zeitnah in Deutschland zugelassen wird (s.Corona-Impfstoffe), weil er die Voraussetzungen erfüllt oder alternativ, dass es gute Gründe (die ich nachlesen würde) gibt, diesen Impfstoff (noch) nicht in Deutschland zuzulassen. Ich hätte an dieser Stelle das Vertrauen in EMA, Stiko und die Regierung, dass die Nichtzulassung sinnvoll und begründet ist (würde ich nachprüfen, wenn sich meine These bestätigt kann ich das respektieren, sonst würde ich vielleicht prüfen, was Frankreich/andere europäischen Staaten oder die Schweiz machen, in die USA fliegen würde ich auf gar keinen Fall für eine Impfung).
Bei Russland würde mich alles, was man über Sputnik inzwischen weiß bzw. auch gerade noch nicht weiß davon abhalten diesem Impfstoff zu vertrauen, wobei natürlich der politische Kontext- Autokratie, nicht Demokratie mit entsprechenden Entscheidungsprozessen auch bei der Impfstoffzulassung- eine zentrale Rolle spielt. Ich habe null Vertrauen in das Regime Putin und würde mir niemals etwas verimpfen lassen, was in Russland, nicht aber der EU zugelassen ist. Auch da gehe ich davon aus, dass die Nicht-Zulassung durch die EMA, bzw. der Umstand, dass keine Sonderzulassung für Deutschland erlassen wurde gute Gründe hat, die ich respektieren kann angesichts all dessen, was man eben öffentlich weiß oder auch nicht weiß über den Impfstoff.
Zitat2. mit welchem der beiden Staaten sollte Deutschland ein Bündnis eingehen, wenn es zu massiven Konflikten zwischen den USA und Russland kommen sollte?
Mit beiden. Deutschland hat ein vitales Interesse an einer fortbestehenden, wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit den USA. Deutschland teilt sich aber auch einen Kontinent mit Russland, welches keinesfalls unterschätzt werden darf in seiner geopolitischen Bedeutung. Es ist aus unserer Perspektive weise, mit beiden Seiten im Gespräch zu bleiben. Bündnisse (die ja inhaltlich sehr unterschiedlich geartet sein können) bzw. auch Verträge über wirtschaftliche Zusammenarbeit oder auch einfach nur kulturellen Austausch (das sind gerade was die Gespräche mit Russland anbelangt sehr wichtige halb-zivile, halb-politische Gesprächsrunden, die es in der Vergangenheit erlaubt haben den Kontakt nicht völlig zu verlieren bzw. sich punktuell auch immer wieder annähern zu können, wenn auf den offiziellen Kanälen gerade wenig Gesprächsbereitschaft vorhanden war) sind mit beiden Seiten in unserem Interesse, gleich wie sehr sie sich qualitativ/inhaltlich am Ende auch unterscheiden mögen (mit Biden ist eine vertrauensvollere Zusammenarbeit eher möglich, als das bei Trump der Fall war, so dass wieder eine Basis besteht die Beziehungen zu den USA zu intensivieren, ohne aber den Kontakt zu Russland zur Gänze zu verlieren, auch wenn Putin kein Partner ist, dem man vertrauen sollte- eh sei denn dahingehend, dass er seine Interessen prinzipiell mit allen Mitteln zu schützen bereit ist).
Bei einem massiven Konflikt zwischen Russland und den USA käme es letztlich aber auch auf genaue Inhalte und Details an. Würde es um kriegerische Akte gehen und würden die USA die NATO auffordern den Bündnisfall zu erklären wäre Deutschland als NATO-Mitglied dazu verpflichtet den USA beizustehen. In welchem Umfang ich persönlich das dann für angemessen halten würde käme auf den konkreten Fall an und lässt sich für mich nicht rein hypothetisch beantworten. Ein simples schwarz-weiß im Sinne von "USA=gut, Russland=böse" gibt es so aber nicht in mir, dafür ist Politik einerseits zu komplex und anderseits zu spannend für mich, um mich mit derartigen Zuordnungen zu begnügen.
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Ich habe null Vertrauen in das Regime Putin
Eben, das meine ich. Ein Teil meiner Ostverwandtschaft sieht Putin nicht skeptischer als die jeweilige US-amerikanische Regierung. Ich bin von Klein auf mit der Botschaft beriselt worden, dass Russland skeptisch zu beäugen ist.
Edit: Ich meinte bewusst nicht "schreibt mal eine Analyse darüber, was diplomatisch geschickt wäre", sondern ich spreche vom Bauchgefühl. Der Impfstoff war ein aktuelles Beispiel und hier im Osten haben viele Leute gesagt, dass sie sich mit Sputnik impfen lassen würden, noch bevor es irgendwelche Zulassungsdiskussionen gab. Im Westen? Wohl kaum.
Aber ist eh alles OT, mir war v.a. der Artikel wichtig, der so viele Aspekte facettenreich und dabei knapp zusammenfasst. So vieles Wahres, dessen Betrachtung zu kurz kommt in unserer Gesellschaft.
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also der antiimperialistische (haha) Antiamerikanismus meiner Sozialisation hat mich sehr lange geprägt.
Interessant, also kennen andere das Gefühl auch, eine Haltung gegenüber Staaten anerzogen bekommen zu haben. Ich dachte früher, nur Kinder aus Diktaturen bekommen ein bestimmtes Bild vermittelt, aber nee, man merkt selbst halt als Otto-Normalverbraucher bloß nicht, dass auch Geschichtsbücher nicht nur informieren.
Neulich las darüber, wie Migration in Gemeinschaftskunde/Erdkundebüchern dargestellt wird, immer nur in negativem Kontext... Spannend ist das.
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Interessant, also kennen andere das Gefühl auch, eine Haltung gegenüber Staaten anerzogen bekommen zu haben. Ich dachte früher, nur Kinder aus Diktaturen bekommen ein bestimmtes Bild vermittelt, aber nee, man merkt selbst halt als Otto-Normalverbraucher bloß nicht, dass auch Geschichtsbücher nicht nur informieren.
Neulich las darüber, wie Migration in Gemeinschaftskunde/Erdkundebüchern dargestellt wird, immer nur in negativem Kontext... Spannend ist das.
Genau. Die Bildungsforschung / Soziologie hat ja mit der Kategorie "doing" (oft bekannt: "doing gender") die "doing ethnicity" / "doing German" - Forschung.
Ich bin definitiv in einem "doing french"-System gegangen.
und wer glaubt, das wäre in Deutschland anders, ist naiv.
Ausgerechnet Geschichts- und Erdkundeunterricht sind unglaublich "prägend". Schon alleine durch die Auswahl. -
Und wieder was aus der Reihe: schmerzlich wurden wir abserviert. Warum die Leipziger Buchmesse nicht stattfindet:
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