Erst dachte ich: Ja eben! Aber dann dachte ich: eigentlich schade, dass nicht viel offener über Gesundheit gesprochen wird. Je selbstverständlicher es wäre, dass Menschen chronische Krankheiten und Behinderungen haben, die man nicht sieht oder gar kennt, desto leichter würde es vielleicht werden? Aber wer will anfangen damit...
Ich verstehe, was du meinst. Genau aus dem Ansatz heraus mache ich in all meinen Klassen früher oder später (meist, wenn jemand meinte Mitschüler:innen als "behindert" zu bezeichnen) meine eigene Behinderung transparent. Das führt regelmäßig zu großer Verblüffung, weil ich so gar nicht den Klischees und Stereotypen entspreche, die die SuS beim Thema "Behinderung" im Kopf haben (genau deshalb mache ich das auch). Ich halte mich aber zurück, was Details zu meinen Erkrankungen anbelangt, weil das in vieler Hinsicht keine Informationen sind, die in Schüler- oder Elternhände gehören. Ich würde auch einigen meiner KuK keinesfalls Genaueres anvertrauen, da auch diese voraussichtlich nicht feinfühlig genug damit umgehen würden bzw. im worst case etwas an SuS an von mir nicht frei gegebenen Informationen "herauströpfeln" würde irgendwann. Ich habe einen Standardspruch, was mir unter anderem fehle und verbalisiere dieses "unter anderem" entsprechend, indem ich darauf hinweise, dass auch die SuS nicht wollen würden, dass jede:r sämtliche Details zu ihrer Gesundheit kenne oder andere persönliche Informationen. Das können SuS gut verstehen und das was ich preisgebe reicht auch, um mein Ziel fördern zu können.
Schwere Erkrankung/Behinderung ist erstmal ein höchstpersönliches Thema. Ich muss keinen "Gesundheitsstriptease" hinlegen, nur damit ein paar Holzklötze den Wert von Empathie vielleicht doch noch für sich entdecken. Das muss auch sonst niemand leisten, der zufällig irgendeiner Minderheit angehört, die auf Toleranz und Akzeptanz angewiesen ist. Ich öffne mich ein wenig, nehme aber auch mein Recht auf den Schutz meiner Privatsphäre in Anspruch, denn ich bin nicht nur Lehrerin, sondern auch Mensch. Wer etwas verstehen will, dem reicht so eine kleine Öffnung bereits als Denkanstoß, wer- zumindest als erwachsener Mensch- nicht verstehen will wird auch nicht mehr verstehen, wenn ich alles preisgebe und damit selbst schutzlos zurückbleibe. SuS gegenüber kann ich an entsprechenden Themen ebenfalls weiterarbeiten ohne mich komplett entblößen zu müssen. Diese Öffnung kann übrigens jede:r von uns täglich leisten, indem wir einfach etwas weniger so tun KuK gegenüber, als könnten wir alles problemlos wuppen, sondern auch mal eigene Grenzen und Herausforderungen verbalisieren, um Hilfe bitten, Überforderung frühzeitig ansprechen, statt aushalten zu wollen (bis zur Krankschreibung), Krankheiten auch mal benennen und vor allem: Nicht von KuK erwarten, dass diese einfach funktionieren müssten (egal wie). Nur wenn wir alle etwas verändern kann sich etwas im Verständnis von chronischen Erkrankungen/Behinderung ändern. Das schaffen wir wenige mit entsprechenden gesundheitlichen Problemen nicht allein, ohne die vielen gesünderen KuK, die trotzdem alle auch ihre Grenzen haben und manchmal akzeptieren lernen sollten, ehe es zu gesundheitlichen Problemen kommt.