Mathematikabitur

  • Die Beurteilung des Lernprozesses hat den Nachteil, dass die jungen Menschen dieses Prozess eben nicht unvoreingenommen durchlaufen können. Sie sind der ständigen Beurteilung ausgesetzt. Ich fänd's schön, wenn sie einfach machen, 'rumprobieren, ein inhaltliches Feedback bekommen könnten. Da wäre für beide Seiten der Stress weg.

    Vielleicht bin ich da ein Außenseiter, aber ich kam mit einer ständigen unterschwelligen Bewertung um Welten besser zurecht, als mit der Prüfungssituation. Dieser Druck, in kurzer Zeit und scharf beobachtet abzuliefern, hat mir immer die Noten verhagelt. Einfach interessiert und aufmerksam am Unterricht teilnehmen, seine Aufgaben machen (dabei auch rumprobieren können!) lief deutlich geschmeidiger. Und falls der zukünftige Personaler auch nur einen Deut auf die Noten gibt, sollte sie ohnehin mehr an der Leistung im "Alltagsbetrieb" interessiert sein. Vielleicht schlägt sich dieser Aspekt in Bayern in anderen Bewertungen nieder, aber in NRW bleiben dazu ja nur die Fachnoten.

  • Wenn es nur das Formelumstellen wäre! Ich finde das mangelnde Textverständnis noch viel schlimmer.

    Wenn man auf die FHR vorbereiten soll und jemand versteht einfach den Aufgabentext nicht, wo soll man denn da noch ansetzen?


    Ich frage mich aber, wenn doch diese Klage so allgegenwärtig ist, warum passiert eigentlich nichts? Warum wird weiter durchgewunken, jetzt in Coronazeiten erst recht? Was läuft da schief?


    Oder ist das eine Frage der Wahrnehmung? Der Klientel z. B. am BK in den Vollzeitklassen, wo viele sitzen, die nicht so recht wissen, wo sie denn sonst sitzen sollen und die für das, was sie bei uns lernen sollen, weder geeignet sind noch sich dafür interessieren? Sind die schlauen Kinder vielleicht einfach woanders? Es gibt sie ja.


    Ich sehe nicht, dass ich in Sek II für Bruchrechnen zuständig sein soll und meinen Unterricht in "einfacher Sprache" abhalten soll. Und mich schlecht fühlen soll, weil sich Schüler nicht konzentrieren können (vielleicht ist mein Unterricht langweilig?), sich nicht benehmen können (vielleicht kann ich mich nicht durchsetzen) oder schlechte Noten bekommen (wahrscheinlich war die Klausur "nicht fair").


    ARC7L, man kann Dinge erst wirklich, wenn man sie auch im Ernstfall und unter Stress kann. Das gilt nicht nur für Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, auch für Pianisten und Fußballspieler.

  • Der Klientel z. B. am BK in den Vollzeitklassen, wo viele sitzen, die nicht so recht wissen, wo sie denn sonst sitzen sollen und die für das, was sie bei uns lernen sollen, weder geeignet sind noch sich dafür interessieren? Sind die schlauen Kinder vielleicht einfach woanders? Es gibt sie ja.

    Ich denke, daß das mit der heutigen Fixierung aufs Studium zutun hat. Eine Lehre ist in den Augen vieler nichts mehr wert. Ich sehe es ja selber bei den Vollzeit-Schülern, die ich später als Azubis habe. Als Vollzeit-Schüler eine einzige Katastrophe und sobald ein Lehrherr mit Geld und ggf. Übernahme nach der Lehre dahinter steht, läuft der Laden zumindest so halbwegs bzw. können sie dann zumindest "geradeaus gucken".


    Früher gab es halt weniger Abiturienten und Abgänger mit Fachhochschulreife. Dafür verließen mehr Schüler die Schule mit Fachoberschulreife nach Klasse 10. Danach kam dann die Lehre, die dann zumindest schon einmal den Tagesablauf regelte. Für die absoluten Härtefälle gab es danach noch die Wehrpflicht, um ihnen in der Grundausbildung einen geregelten Tagesablauf näherzubringen. Das fehlt bei den Vollzeitschülern am Berufskolleg heute alles. Entsprechend fehlt den Schülern der Halt, die Leitplanken, ... wie immer man es nennen will.


    Bei mir sind die Leistungen der Schüler weniger das Problem, bei mir kommt eher das Problem "pünktlich kommen", "Klamotten dabei haben", "nicht die Nacht vorher am Computer durch zocken", ... zum Tragen. Die fehlenden Leistungen sind dann nur das Ergebnis. Ich habe wirklich Schüler in meiner Vollzeitklasse, die 80% aller Unterrichtsstunden unentschuldigt gefehlt haben. Da kommt dann immer erst das große HALLO, wenn die Familienkasse die Kindergeldzahlungen einstellt, weil sie davon ausgeht, daß der Schüler (mit doppelter Staatsbürgerschaft) entweder gar nicht mehr in Deutschland lebt oder sich einen Job gesucht hat als ungelernter Hilfsarbeiter.

  • Ob man dann „am Ende“ nur Klausurae zur Leistungsbeurteilung heranzieht oder auch mündlichen Prüfungen, Hausarbeiten, Projekte, Präsentation, ist noch eine andere Frage. Aber eben unter der klaren Maßgabe, dass sie erst die Chance bekommen etwas zu lernen und dann im verdefinierten Setting zum vorgegeben Zeitpunkt beweisen können, was sie gelernt haben.

    Das habe ich im Referendariat (übrigens in Bayern ;)) auch genau so gelernt: Lern- und Leistungssituationen trennen. Finde ich auch richtig.


    Momentan fahre ich ein Mischsystem: Ich mache schon auch während Lernphasen Noten (meist eher Eindrücke für Noten), z.B. beobachte ich durchaus auch Gruppenarbeiten, in denen neuer Stoff erarbeitet wird. Allerdings sind meine Kriterien und mein Beobachtungsfokus dabei anders, als zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem der Stoff/die Kompetenzen (whatever) dann "sitzen" muss. Wenn in einer Gruppenarbeit experimentell ein Zusammenhang zwischen mehreren physikalischen Größen überprüft werden soll, dann kann ich benoten, ob dabei planvoll experimentiert wird, ob die Messgeräte richtig verwendet werden usw. - weil das Kompetenzen oder Kenntnisse sind, die bereits aus dem vorherigen Unterricht bekannt sein sollen. Allerdings kann ich ihnen nicht ein unbekanntes Messgerät in die Hand drücken, sagen "macht mal" und dann benoten, wer es zufällig richtig handhabt.


    Nun bin ich irgendwie gespannt, ob O. Meier und ich da nun mit unseren Ansichten weit auseinander sind oder ob er/sie es ähnlich sieht.


    Die Kompetenzorientierung finde ich übrigens auch durchaus sinnvoll. Wenn sie richtig verstanden wird. Wobei "richtig" halt bedeutet, so, wie ich sie verstehe. :victory: (nur halb ernst zu nehmen, bitte)

  • ! Ich finde das mangelnde Textverständnis noch viel schlimmer.

    Ich finde auch furchtbar, dass der Text respektive die Aufgabenstellung gar nicht wirklich gelesen wird. Das kommt jedenfalls bei meinen SuS immer wieder vor. Auch Bearbeitungshinweise werden zu oft nicht gelesen.

    Die Weisheit des Alters kann uns nicht ersetzen, was wir an Jugendtorheiten versäumt haben. (Bertrand Russell)

  • Ich finde auch furchtbar, dass der Text respektive die Aufgabenstellung gar nicht wirklich gelesen wird. Das kommt jedenfalls bei meinen SuS immer wieder vor. Auch Bearbeitungshinweise werden zu oft nicht gelesen.

    Hast Du mal eine schriftliche Information an ein durchschnittliches Kollegium geschrieben? Wenn man sich die Rückläufe bzw. Notwendigkeiten zur späteren Nacharbeit ansieht, scheint das kein isoliertes Problem der Schülerschaft zu sein.

  • Als Vollzeit-Schüler eine einzige Katastrophe und sobald ein Lehrherr mit Geld und ggf. Übernahme nach der Lehre dahinter steht, läuft der Laden zumindest so halbwegs bzw. können sie dann zumindest "geradeaus gucken".

    Da kenne ich aber viele gegenteilige Fälle, denn wir haben immer wieder SuS aus den BFS-Klassen, die dann auch in der Berufsschule keine besonders gute "Figur" machen. Die, die im Berufsschulunterricht gut dabei sind, gut mitmachen und gute Noten erhalten, sind i. d. R. auch in der BFS schon gut gewesen.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Hast Du mal eine schriftliche Information an ein durchschnittliches Kollegium geschrieben?

    Ja, habe ich schon häufig und muss dir leider Recht geben. Was ist da wohl in der Bildung der Kolleg:innen schief gelaufen? Ich vermute bei den meisten eher mangelndes Interesse an diesen Informationen oder auch Aufforderungen.

    Ist bei SuS auch ein häufiger Grund für das Nichterlernen diverser Dinge.

    Die Weisheit des Alters kann uns nicht ersetzen, was wir an Jugendtorheiten versäumt haben. (Bertrand Russell)

  • Den Führerschein kriegen letztendlich auch immer alle Schüler hin und so einfach ist der auch nicht. Dort wird einfach gefordert und wer den Anforderungen nicht genügt, kriegt ihn einfach nicht, also setzt sich Fahrschüler hin und lernt, bis er es kann. Das Niveau ist dort einfach gesetzt und nicht verhandelbar. Und es klappt!

  • man kann Dinge erst wirklich, wenn man sie auch im Ernstfall und unter Stress kann. Das gilt nicht nur für Rettungssanitäter und Feuerwehrleute, auch für Pianisten und Fußballspieler.

    Es war ja auch kein Weltuntergang, sondern nur die Feststellung, wie es lief. Ich möchte aber trotzdem in Frage stellen, ob "unter Stress" ein relevanter Indikator für Lernerfolg sein soll - im Umgang damit steckt ja deutlich mehr als reine Themen-Expertise. Joker13 Herangehensweise ist mir da schon genehmer.


    Didi Da steckt aber auch mehr Druck und Zentralisierung hinter; Ein Unfall mehr ist schlecht für Bilanzen und Prestige. Ein lumpiger Abiturient mehr? Der Markt regelt das schon und die Länderstatistik dankt. Für die theoretische Prüfung kann man zudem einfach pauken und danach die Hälfte über Bord werfen - fragt doch niemand mehr ab. Soll das wirklich Bildungsziel sein?

  • Für die theoretische Prüfung kann man zudem einfach pauken und danach die Hälfte über Bord werfen - fragt doch niemand mehr ab. Soll das wirklich Bildungsziel sein?

    Ist es denn bei uns in den Schulen wirklich anders? Viele meiner Schüler betreiben Bulimie-Lernen; sie hauen sich den Lehrstoff einen Tag vor der Klausur in die Birne, kot*** ihn in der Klausur aus und wissen danach nichts mehr davon.

  • plattyplus Das ist einer der Gründe, dass ich die Idee mit den Kompetenzen prinzipiell nicht so schlecht finde, weil - so wie ich es für mich interpretiere - es dann eben gerade nicht mehr um reines Pauken von Inhalten gehen soll, sondern um die größeren Zusammenhänge und übertragbare Fähigkeiten.


    Leider sehen die Anforderungen in Abschluss- und Abiturprüfungen dann wieder anders aus. Daher passen Anspruch der Bildungspläne und Wirklichkeit der Prüfungen nicht zusammen, und daraus resultiert aus meiner Sicht ein Teil des Frusts über die Kompetenzorientierung bei manchen Lehrkräften. Ich kann nicht kompetenzorientiert unterrichten, wenn ich a) nicht die Zeit (in Wochenstunden) zur Verfügung habe, und b) am Ende was anderes verlangt wird, worauf ich meine Kurse ja auch vorbereiten muss.

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