Cancel Culture - Wie weit darf Meinungsfreiheit gehen?

  • Vorsicht: Mein letzter Wissensstand ist, dass das "Zitat" von einem gefakten Profil ohne Nachweis in Facebook gepostet wurde. Das ist als Quelle ungefähr genauso relevant wie eine Info von Schwager der Friseurin von letzter Woche.

    Das hab ich auch gelesen und bereits vorher vermutet (das war zu sehr Hörensagen), aber ändert nichts daran, dass sein Beitrag in einem rassistischen Kontext völlig sinnbefreit wäre. Das passt weder zum davor, noch zum danach...

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Lehmann gecancelt.

    Aogo gecancelt (hat anscheinend das Z-Wort benutzt und vom "Trainieren bis zum V-Wort" gesprochen).

    Palmer gecancelt (Parteiordnungsverfahren eingeleitet).

    Wer ist jetzt der Gewinner der ganzen Sache? Wem nützt sie?

  • Vielleicht mal aufhören, dieses "gecancelt" überall zu benutzen. Bestimmte Menschen im öffentlichen Blickfeld haben sich doof bis strunzdumm verhalten ... oder mit dem Feuer gespielt, um zu provozieren. Dafür tragen sie die Konsequenzen. Kann mir keiner erzählen, dass so ein Profi wie der Palmer nicht genau weiß, was er tut. Diese Menschen stehen in der Öffentlichkeit, sind für manche ein Vorbild. Sie sollen auch verflixt nochmal endlich anfangen, nachzudenken, bevor sie die Futterluke aufmachen (Dummheit schützt vor Strafe ... äh ... Konsequenzen eben nicht). Und wenn sie ganz bewusst mit so teilweise unsäglichem Wortschatz provozieren wollen, um dann wieder ganz unschuldig zu fragen, was denn Schlimmes gewesen wäre, sollen sie merken, dass das eben Gegenwind gibt.


    Nachschlag: Wir brauchen keine "Cancel Culture" sondern eine Kultur des Nachdenkens bevor man was sagt, des Übernehmens von Verantwortung für eigene Aussagen und der Empathie.

  • Mit demselben Argument kann man Gesetze gegen Blasphemie begründen...im 19. Jahrhundert wurde so versucht eine Strafexpedition gegen die Mormonen zu begründen, weil die in unsäglicher Weise Polygamie ausleben wollten und sich dem strengen Urteil der Sittenwächter durch Auswanderung in die Wüste entzogen hatten.


    Wenn jemand etwas sagt, dann darf ich ihn darauf hinweisen, ich darf ihn dumm finden, ich darf ihn meiden, aber damit hat es sich auch schon. Ich habe kein Recht anderweitige Konsequenzen (gesellschaftlich, beruflich oder juristisch) für ihn einzufordern, weil ich eine andere Meinung habe. Wer das behauptet, sollte sich bewusst machen, dass er damit ein zutiefst illiberales und autoritatives Gesellschaftsbild vertritt. Das ganze ist übrigens unabhängig davon, ob es von links oder rechts geschieht, beide Seiten haben die Grundrechte unserer Republik nicht verstanden. Man muss sich nur mal überlegen was passieren würde, wenn unsere Gesellschaft so funktionieren würde und die jeweils andere Seite an die Macht käme. Wir wären alle am Arsch...

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    But if you look for the dark that is all you will ever see.

  • Dann mach' das doch erstmal. Dann kannst du dir überlegen, ob du hier etwas fragen möchtest und was.

    Dabei darfst du dann die Punkte, zu denen zu etwas wissen möchtest, anführen.


    So aber verstärkt sich der Eindruck, dass diese Thread lediglich der Provokation dient. Klappt so mittelmäßig, tät' ich sagen.

    Provokation und/oder Platzierung eigener Themen. Mr. "Ich will Cancel Culture debattieren" hat mich ja btw. seit einigen Wochen bereits auf seiner Ignore-Liste (ist mir eine Ehre ^^ und so erholsam...). Ist ja viel bequemer, als sich mit unangenehmen, unerwünschten Gegenpositionen aktiv und diskursiv auseinanderzusetzen. Passt finde ich perfekt, um einen Punkt zu setzen unter seine Vorstellung vom Umgang mit Kontroversität: Diese soll bitte nur ausgehalten werden, wenn es sich um von ihm tolerierte, demokratiefeindliche, menschenverachtende, diskriminierende oder verächtlich machende Positionen handelt, die er in seiner üblichen unpräzisen und verharmlosenden Art zu platzieren versteht.:essen:

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • Wenn jemand etwas sagt, dann darf ich ihn darauf hinweisen, ich darf ihn dumm finden, ich darf ihn meiden, aber damit hat es sich auch schon. Ich habe kein Recht anderweitige Konsequenzen (gesellschaftlich, beruflich oder juristisch) für ihn einzufordern, weil ich eine andere Meinung habe. Wer das behauptet, sollte sich bewusst machen, dass er damit ein zutiefst illiberales und autoritatives Gesellschaftsbild vertritt.

    Richtig. Nur ... wenn ein Teil der Gesellschaft diese Äußerung schlecht findet und den Redner dann dumm findet und ihn meidet ... dann hat das bereits gesellschaftliche Konsequenzen, dazu muss ich keine fordern, das ergibt sich. Und wenn ich zufällig der Boss von jemandem bin, den ich auf Grund seiner Aussagen blöd finde und meiden möchte ... dann hat das auch berufliche Konsequenzen. Und je nach Äußerung darf man sehr wohl juristische Konsequenzen fordern, denn dafür sind wir ein Rechtsstaat, in dem man dann die Entscheidung einem unabhängigem Gericht überlässt, das auf der Basis der bestehenden Gesetze urteilt (dass nämlich bestimmte Aussagen durchaus juristisch relevant sind, muss ich Dir nicht erzählen, denke ich).


    Übrigens: Deiner Aussage würde ich (mit leichten Abstrichen) zustimmen ... die andere Seite ist allerdings, dass dann Demokratiefeinde, Rassisten usw. unter dem "Schutz" des liberalen, toleranten Gesellschaftsbildes gerade ihre illiberale und intolerante Meinung verbreiten können ... Wie Bolzbold (und Du) schon schrieb(st), beide Extreme sind problematisch.

  • Wenn jemand etwas sagt, dann darf ich ihn darauf hinweisen, ich darf ihn dumm finden, ich darf ihn meiden, aber damit hat es sich auch schon. Ich habe kein Recht anderweitige Konsequenzen (gesellschaftlich, beruflich oder juristisch) für ihn einzufordern, weil ich eine andere Meinung habe.

    Wieso hat man kein Recht etwas zu fordern? Fordern kann man doch alles.

    Das Konstrukt, was rechtens ist, ist eh immer im gesellschaftlichen Kontext zu verstehen.


    Bei physischer Gewalt würde ich doch auch sofort einschreiten, ohne erst zu analysieren, ob es sich juristisch gesehen gerade um Notwehr handelt o.ä., aufgrund meiner Sozialisation, meinem Wissen über Schmerzen, Vorstellung von Hilfsbedürftigkeit etc. würde ich sofort einschätzen, dass ich einschreiten muss, nicht mehr und nicht weniger.


    Es gibt halt Begriffe, die sind ausreichend definiert, da muss keiner mehr testen, was passiert, wenn man sie doch benutzt. Und wenn er doch testen will, muss er damit rechnen, dass eine Partei oder ein Verein sich distanziert.

  • Diese persönliche Komponente ist auch völlig in Ordnung, aber das ist ja nicht was passiert, wenn bei Twitter ein Shitstorm läuft oder Redner bestimmter unliebsamer Positionen gar nicht erst zu Wort kommen dürfen. Das kommt inzwischen viel zu selten, wenn ich mir unseren politischen Schlagabtausch anschaue, d.h. sich inhaltlich mit den Positionen der anderen Parteien auseinanderzusetzen. Den "Liberalen" kannst du ihr "liberal" sein links und rechts um die Ohren klatschen, genauso wie den Christdemokraten das "christlich" und der SPD das "sozial". Die Grünen sind mir irgendwie zu sehr "one trick pony", bei der AfD gibt es viel zu viele Punkte um Anzusetzen und leider zu wenige Leute innerhalb der Partei, die das verstehen würden und auch bei den Linken fragt man sich oft "wo fang ich da an, wenn ich doch eigentlich sozialliberale Politik haben möchte?"


    Das Talkshow-Format hat der politischen Auseinandersetzung viel Inhalt genommen und es geht mehr um Populismus und Rhetorik, als um eine inhaltliche Auseinandersetzung, dazu die Filterblasen im Internet, in denen eine inhaltliche Auseinandersetzung gar nicht gewünscht und oftmals gar nicht mehr möglich ist, weil man nur noch Leute trifft, die denselben Unfug glauben wie man selbst, wie soll man sich da denn mit irgendwas auseinandersetzen oder seine Position ausschärfen und verbessern können?


    @samu als P.S. (das Posting kam kurz vorher): Klar darfst du alles fordern, nur ist das für die Gesellschaft nicht optimal. Optimal wäre es, wenn die Gesellschaft darüber diskutiert was daran falsch ist und ihre eigene antirassistische Position ausschärft, in Auseinandersetzung mit denen, die diese antirassistische Position nicht teilen. Was glaubst du denn was passiert, wenn du Leuten immer nur vor den Kopf knallst "Wie du denkst, das ist rassistisch." - Klar, die ganz rechts, die holst du nicht mehr ab, du kannst nicht jeden retten, aber unter der Annahme, dass die meisten Menschen doch vernunftbegabt sind, halte ich Argumente doch für zielführender als Beleidigung und Angriff bis hin zur sozialen und beruflichen Vernichtung. Und noch einmal: Der Arbeitgeber darf als Einzelperson selbstverständlich sagen: Den wollen wir nicht mehr, das passt nicht zu unserem Unternehmen. PETA Mitarbeiter eröffnet Currywurstbude wäre definitiv keine Schlagzeile, die zur Vertragsverlängerung führen wird. Aber auf welcher Grundlage, darf die Gesellschaft dafür eine Bestrafung verlangen? Und wenn du sagst "nun gut, in diesem Kontext nicht, aber mein Kontext ist eine gerechte Sache und die Mehrheit der Menschen sieht das ähnlich", wo ziehst du dann die Grenze? Woher weißt du, dass du zu 100% (und nicht nur zu 99,5%) Recht hast und was passiert, wenn eine entsprechend große Mehrheit von Personen mit einer anderen Ansicht von sich dasselbe behauptet und deine berufliche Vernichtung fordert. Das ist so dämlich, als wenn Muslime ernsthaft verlangen würden, dass alle Anderen im Ramadan fasten sollten und dauerhaft auf Schweinefleisch verzichten müssten. Solch dämliche Beispiele haben wir aus christlicher Sicht übrigens sogar mit Gesetzeskraft (stille Feiertage) in Deutschland, das ist aus meiner Sicht (christlich und sozialliberal) auch völliger Quatsch. Wieso soll ein Atheist an Karfreitag keine Party feiern dürfen?

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    Einmal editiert, zuletzt von Valerianus ()

  • ...Und wenn du sagst "nun gut, in diesem Kontext nicht, aber mein Kontext ist eine gerechte Sache und die Mehrheit der Menschen sieht das ähnlich", wo ziehst du dann die Grenze?

    Gehst du nicht gerade vor wie Lindbergh, der eine maximal unklare Frage gestellt hat? "Sollten irgendwelche Meinungen irgendwelche Folgen haben?" Puh ja irgendwie also nee, so pauschal tatsächlich nicht oder doch oder so.


    Die Grenze ist doch im konkreten Fall dort, wo sie bereits sehr trennscharf gezogen wurde. Wenn sie neu ausgehandelt werden soll, braucht es wohl eine neue Diskussion und neue Gesetze. Das mag auf verschiedene ethische Fragen generell zutreffen. Für Begriffe, die für eine bestimmte Gruppe von Menschen eine Beleidigung darstellt, weil jeder weiß, was damit in diesem Jahrhundert, in dieser Gesellschaft gemeint ist, braucht es die Diskussion nicht mehr.


    Huch, spät, jetzt ist aber Schlafenszeit... gute Nacht:schlaf:

  • Nein, das ist eine ganz konkrete Frage...wenn die Faschisten die Mehrheit in Deutschland hätten, dürften sie dir dann vorschreiben was du sagen darfst und berufliche Konsequenzen für dich einfordern, weil du nicht ihre Meinung teilst (unter der Annahme, dass sie blöd genug sind, das Grundgesetz in Kraft und das Bundesverfassungsgericht in Ruhe zu lassen). Und wenn jeder wüsste, dass man nicht mehr Negerkuss, Zigeunerschnitzel (etc.) sagen sollte und diese Meinung teilen würde, dann gäbe es diese Diskussion nicht. Das ist aber offensichtlich nicht so, also müsste man diese Diskussion führen und zwar mit guten Argumenten und tut mir leid "jemand fühlt sich dadurch beleidigt" ist kein gutes Argument, denn dann kann im Umkehrschluss jeder der sich durch deine Worte oder Taten beleidigt fühlt, verlangen, dass du das sein lässt (ich kann mir jetzt Beispiele mit Christen, Muslimen und Hindu ausdenken, aber das kannst du auch selbst). So funktioniert eine pluralistische Gesellschaft nicht, das ist moralische Vergeltung der Mehrheit in dem Glauben, dass sie die Wahrheit allumfassend erkannt hat.

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  • a) Doch, wenn die Gruppe, auf die sich "Zigeuner" bezieht, mir sagt, dass sie sich dadurch beleidigt fühlt, ist das ein Grund, das nicht mehr zu sagen. Hat was mit Respekt (und Empathie) zu tun. Dir sollte auch klar sein, dass es einen Unterschied zwischen "Zigeuner" und "Neger" auf der einen Seite und "ich denke mir jetzt Beispiele für xy aus" gibt ...


    b) Zwischen der Verteidigung von bestimmten Werten, auf denen unser Grundgesetz und unsere Gesellschaft aufgebaut sind, und den Werten und Vorstellungen von Faschisten liegt aber auch ein Unterschied, oder?

    Ja, ich finde es gut, wenn man zur Verteidigung von Toleranz, Freiheit usw. (das sind dann die allumfassenden Wahrheiten ... und ja, die gibt es für mich tatsächlich, unabhängig davon, welche Ansichten eine "Mehrheit" haben) bestimmten Meinungen vehement entgegen tritt - bis hin zur Sanktion durch die Gesellschaft (oder sogar dem Staat).

    Jetzt zu sagen, dass das nicht gut ist, weil ja dann ein faschistischer Staat das gleiche Recht einfordern könnte, ist für mich eine unzulässige Gleichsetzung der Werte der Demokratie (für die - das ist meine Grundüberzeugung - man einstehen soll) und den Ansichten der Faschisten (Du darfst hier gerne jede intolerante, menschenverachtende Gruppe einsetzen), denen man eben entgegentreten muss. Das gleichzusetzen ist die Art der Theorie, die nur die Äußerlichkeiten sieht und andere Dinge außer Acht lässt (die "inneren" Werte).

    Für mich gehört das zum Konzept der "wehrhaften" Demokratie. Pluralismus bedeutet nicht, dass ALLES geht.

  • Himmel, ich drücke mich offensichtlich schlecht aus. Ich halte die Benutzung von Negerkuss und Zigeunerschnitzel auch für falsch, weil sich der Kontext im dem die Worte genutzt werden gewandelt haben. Wenn in den 50er Jahren jemand auf der Straße "Schau mal, der Neger" gerufen hat, sehe ich darin auch nachträglich keinen rassistischen Unterton, weil Menschen in den meisten Fällen nach äußeren Merkmalen beschrieben werden (Wenn ich einem Kollegen eine Schülerin beschreibe, die er nicht mit Namen kennt, würde ich ja auch sagen "die Rothaarige mit den Sommersprossen aus der 5a"). Wenn jemand das heute macht, dann würde ich da durchaus Rassismus vermuten, beim Mohrenkopf oder Zigeunerschnitzel aber eben nicht und dann muss man in die Diskussion gehen und nicht nur sagen "das macht man nicht". Die meisten Menschen die so "argumentieren", diskutieren auf dem Spielplatz mit ihren Kindern mehr, ob man denn nun nach Hause zu fahren gedenke. Wenn man glaubt, dass die "Mohrenapotheke" umbenannt werden solle, weil der Name rassistisch sei, dann geht das nicht mit dem Argument "davon könnten sich aber (<1% der) Menschen (in Deutschland) beleidigt fühlen", sondern es funktioniert mit dem Argument "wir haben die Mehrheit der Menschen in Deutschland davon überzeugen können, dass diese Bezeichnung rassistisch sei und die Mehrheit der Menschen geht nicht mehr in eine solche Apotheke, weil sie vermutet, dass der Inhaber rassistisch sei, was sie für falsch halten (individuelle Entscheidung!). Wenn man diese überzeugenden Argumente hat, dann wandelt sich Sprache (s. Beispiel oben), wenn man sie nicht hat aber moralisch erhaben immer drauf einprügelt, dann wandelt sich Sprache auch (und es heißt dann anstatt Asylant auf einmal Flüchtling, aber effektiv ist nix besser geworden) und ansonsten passiert halt nix.


    Ich halte es deshalb für falsch, aus Fehlverhalten in Bezug auf Sprache oder Meinungen, moralische oder juristische Konsequenzen für Personen abzuleiten, die solche Sprache oder Meinungen benutzen. Der richtige Weg muss argumentativer Diskurs sein und wenn die Leute es danach nicht einsehen, dann waren entweder meine Argumente schlecht oder die Leute dumm, beides ist möglich, aber auch für dumme Leute, kann ich eine passende Argumentation finden.


    Zum Konzept der wehrhaften Demokratie gehört es gerade nicht Gedanken, Meinungen und Worte einzuschränken, sondern Handlungen die der Demokratie schaden könnten. In bestimmten Positionen sind natürlich auch Worte einzuschränken (Lehrer, Richter, Polizisten kommen mir da in den Sinn). Wenn man es für gerechtfertigt hält, dass man generell die Art zu Reden durch Gesetz oder sozialen Druck einschränkt, dann ist man nicht mehr pluralistisch. Nochmal: das heißt nicht, dass nicht jeder individuell etwas für falsch und unmoralisch halten darf, gerne auch 99% der Bevölkerung im Falle von Rassismus aber es sollte (nicht darf!) nicht dazu aufgerufen werden oder gar gesetzlich irgendwas vorgegeben werden. Ich halte auch Teile des §130 für groben Unfug. Aufstachelung zu Gewalt, Hass und Willkür muss verboten sein (weil dadurch negative Handlunge ausgelöst werden und zwar sehr direkt), aber die Leugnung des Holocaust? Wenn Leute zeigen wollen, dass sie dumme Idioten sind (aus meiner Sicht), dann sollen sie das machen, aber was hat das Strafrecht da bitte zu suchen?


    P.S.: Es ging nicht um einen faschistischen Staat, sondern um unseren Staat, in dem die Faschisten eine demokratische Mehrheit hätten. Du musst gar nicht das Beispiel mit den Faschisten nehmen, du kannst meinetwegen eine Volksabstimmung zum Zigeunerschnitzel machen, da wär ich mir nicht sicher wie es ausgeht. Hat dann die Mehrheit Recht? Oder hat die Minderheit Recht? Oder gibt es vielleicht etwas in der Mitte auf das man sich einigen kann. Das erreichst du nicht indem du sagst "das darf man nicht sagen" und auch nicht mit "das haben wir aber immer so gemacht" (auf der Gegenseite), das erreichst du durch Diskurs und der wird immer weniger.

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  • Zum Konzept der wehrhaften Demokratie gehört es gerade nicht Gedanken, Meinungen und Worte einzuschränken, sondern Handlungen die der Demokratie schaden könnten. In bestimmten Positionen sind natürlich auch Worte einzuschränken (Lehrer, Richter, Polizisten kommen mir da in den Sinn). Wenn man es für gerechtfertigt hält, dass man generell die Art zu Reden durch Gesetz oder sozialen Druck einschränkt, dann ist man nicht mehr pluralistisch. Nochmal: das heißt nicht, dass nicht jeder individuell etwas für falsch und unmoralisch halten darf, gerne auch 99% der Bevölkerung im Falle von Rassismus aber es sollte (nicht darf!) nicht dazu aufgerufen werden oder gar gesetzlich irgendwas vorgegeben werden. Ich halte auch Teile des §130 für groben Unfug. Aufstachelung zu Gewalt, Hass und Willkür muss verboten sein (weil dadurch negative Handlunge ausgelöst werden und zwar sehr direkt), aber die Leugnung des Holocaust? Wenn Leute zeigen wollen, dass sie dumme Idioten sind (aus meiner Sicht), dann sollen sie das machen, aber was hat das Strafrecht da bitte zu suchen?

    Weil's schon spät ist nur ein Punkt und der sehr kurz:


    Gedanken will keiner einschränken, nicht einmal in der "cancel culture", da geht es um Meinungen und Worte.

    Und: Das Äußern einer "Meinung" (und das Problem ist evtl., dass sich die Leute, die dann kritisiert werden, eben nicht so äußern, dass es nach Meinungsäußerung aussieht), das Benutzen bestimmter Begriffe ist aber in meinen Augen eine Handlung ... und als solche kann sie auch der Demokratie (bzw. ihren Werten) schaden. Ich denke nicht, dass wir darüber diskutieren müssen, dass Worte allein auch Schaden anrichten können? Du erwähnst ja selbst den Aufruf zur Gewalt, Anstachelung zum Hass ...


    Nein, nicht generell soll "die Art zu Reden" durch sozialen Druck eingeschränkt werden. Es handelt sich um eine ganz bestimmte Art zu Reden. Und ja, da hört für mich auch der Pluralismus auf. Es gibt keine Toleranz gegenüber Intoleranz, bestimmte Äußerungen sind nicht aus individueller Sicht falsch oder unmoralisch, sondern (sofern man sich auf bestimmte Grundwerte einigen konnte) auch objektiv.


    Und doch, im Extremfall wird sogar gesetzlich etwas vorgegeben (obwohl ich auch finde, dass der Staat sich da eher zurück halten sollte). Wir waren ja schon bei der Beleidigung. Die Leugnung des Holocaust ist mMn ein schwieriges Thema, da weiß ich auch nicht, ob ich das Verbot gut finden soll.

  • Valerianus, wo ist die Grenze denn auf der anderen Seite. Darf jeder alles sagen? Muss man schweigen, wenn einer öffentlich eine Minderheit beschimpft? Was, wenn ein Kollege einen Schüler von dir im Rollstuhl als Krüppel bezeichnen würde. Was, wenn ein Kultusminister Inklusion mit dem Worten ablehnte, dass Krüppel unwertes Leben seien? Auch nur für sich überlegen "Hm, da bin ich aber anderer Meinung."?

  • Das sogenannte Toleranzparadoxon („Muss die Toleranz die Intoleranz tolerieren?“) wird im Werk „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ behandelt - ist sicher lesenswert.

    Für den Anfang vielleicht besser „Alle Menschen sind Philosophen“. Auch „Alles Leben ist Problemlösen“ ist interessant.

    Ich meine, man kann direkt Popper selbst lesen und nicht über Popper.

    Danke, dass du für mich geantwortet hast. Ich habe es leider nicht früher geschafft. Sorry @samu

  • Ja, du darfst alles sagen, da gibt es keine Grenzen, solange du damit nicht einen realen Schaden anrichtest (keinen gefühlten Schaden). Der Aufruf zu Gewalt gegen Behinderte wäre strafbar, der Aufruf keinen Kindesunterhalt mehr zu zahlen, weil Familiengerichte die Mütter bevorzugen, wäre zwar nicht strafbar, aber doch moralisch zu verurteilen (weil damit dazu aufgerufen würde der Gesellschaft als Ganzes zu schaden).


    Nehmen wir deine Fälle: In jedem davon darfst und musst du etwas sagen, wenn du anderer Meinung bist (wovon ich bei den spezifischen Fällen ausgehe und was ich bei jedem Kollegen hoffe). Dein erster Fall ist mir nicht spezifisch genug. Wenn jemand die AfD als in Teile faschistische Partei bezeichnet, wird das von Anhängern dieser Partei sicherlich als Beschimpfung empfunden, die Mehrheit sind sie Gott sei Dank auch nicht, also wäre dein Fall erfüllt und ich würde vielleicht die Klappe halten.

    Wenn ein Schüler einen Kollegen als Krüppel bezeichnet, ist die zentrale Frage "Wie alt ist dieser Schüler?", um die Verantwortung zu klären und damit auch die Reaktion. Eine vernünftige Diskussion was er da gesagt hat und wieso das unangemessen ist, dürfte aber sicher auch hier zielführender sein als "das darf man nicht" (da reagieren pubertierende Jugendliche meistens nicht so toll drauf).

    Dein Kultusministerfall ist der eindeutigste, weil da ein Erwachsener etwas sagt, was gegen die Grundwerte fast aller Menschen in diesem Land verstößt (nicht die Ablehnung der Inklusion (da dürfte der Anteil in der Bevölkerung nicht zu gering sein), sondern die Begründung (die hoffentlich fast alle für abstoßend halten). Aber genau da muss ich ansetzen und entlang der Grundwerte argumentieren und eben nicht irgendwas verlangen, fordern oder sonstwas. Die Überlegung ist doch auch hier ganz einfach, wenn man den Fall verallgemeinert:


    Eine Person sagt etwas, dem du nicht zustimmst und dass du für abgrundtief falsch hältst. Du willst dir daraufhin in gerechtem Zorn das Recht herausnehmen, die Gesellschaft zur moralischen Vernichtung dieser Person aufzurufen. (wenn du eine andere Verallgemeinerung als richtig ansiehst, schreib bitte deine)


    Wo genau führt uns das als Gesellschaft hin, wenn alle (und zwar unabhängig von ihrer Position) genau so dächten? Macht uns das zu einer besseren und lebenswerteren Gesellschaft?

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  • Nein, das war als Steigerung gemeint. Beschimpft der Kollege den Schüler, muss ich doch einschreiten, weil das Kind "schutzbefohlen" ist. Äußerte der Kultusminister seine Meinung mit der obigen Begründung öffentlich und nichts geschähe, würde die Grenze dessen, was als Begründung herangezogen werden darf, verschoben. Die Grenzen müssen vielleicht ausgehandelt werden, da wo sie gezogen wurden, müssen sie im Interesse der zu schützenden Bevölkerungsgruppen aufrecht erhalten werden. Ich sehe den Punkt der "Lynchjustiz", aber es gibt eben doch Grenzen meiner Meinung nach:weissnicht:


    Vielleicht sollten wir am konkreten Fall bleiben, was Lehmann über Aogo gesagt hat, dann wäre es nicht so hypothetisch.

  • Ich möchte nicht mit Björn Höcke als Kollegen zusammenarbeiten. Das sage ich öffentlich. Ist das ein Boykottaufruf, ein Aufruf zum Berufsverbot? Vermutlich ja, obwohl der Begriff sonst oft falsch verwendet wird. Auch wenn ich nur einen gefühlten Schaden und keinen realen von der AfD davontrage. (Was für eine absurde Unterscheidung übrigens.)


    Nachtrag: Ich darf auch den Liefers nicht mögen und seinen Tatort nicht schauen. Das darf ich auch öffentlich sagen. Tue ich hier, auch zum ersten Mal. Ist das ein Boykottauf? (Sicher keine Forderung nach einem Berufsverbot.) Vermutlich ein gefühlter Boykottaufruf.

    Seit 2004 unter dem gleichen Namen im Forum, weitgehend ohne ad hominem.

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