Religion in BaWü: Wirklich "Most Wanted"?!

  • Guten Abend zusammen! 😃


    Ich schreibe euch diesen Beitrag aus Erstaunen und Neugier. Ich habe entdeckt, dass das Land Baden-Württemberg unter lieber-lehramt.de IT-technische Kanonen aufgefahren hat und mit Hochglanz um Nachwuchs wirbt.


    Was mich dabei zwischen Werbefilmchen und Parolen verwundert hat: unter den "most wanted" Fächern befindet sich - neben den üblichen Verdächtigen wie Informatik und Technik - auch Religion.


    Eine weitere Recherche auf der Internetseite bleibt aber sehr vage. Im verlinkten PDF zu den Einstellungschancen in BaWü wird Religion überhaupt nur einmal erwähnt (Grundschule, glaube ich). Und auch auf der Webseite an sich sind die Informationen wenig klar: Religion sei gefragt, "vor allem in bestimmten Lehrämtern". Ja danke auch 😉.


    Total verwundert bin ich nicht - ein guter Freund hat vor kurzem sein Ref Berufsschullehramt mit kath. Religion beendet und berichtete, dass im Folgejahrgang für ganz BaWü kaum eine Handvoll Neu-Refis in den Startlöchern stehen ... Aber dass jetzt Reli neben Mathe und E-Technik stehen soll ... ?!


    Deswegen bin ich weiter neugierig und habe mich gefragt, ob ihr aus dem Schulalltag Genaueres erzählen könnt. Sind Religionslehrer*innen in BaWü wirklich Mangelware? Wenn ja, in welchen Lehrämtern (und in welchen nicht)? Betrifft das katholische Religion mehr als evangelische oder umgekehrt? Steigert Religion gerade die Einstellungschancen ähnlich wie eine Naturwissenschaft?


    Vielen Dank schonmal für euer Feedback, ich bin sehr gespannt!


    Viele Grüße vom Rhein

    Scotsman

  • Ich sehe gerade, dass du bei Schulform NRW BK angegeben hast als Option. Da ist es jedenfalls so, dass man mit Religion wirklich gute Chancen hat. Es gibt wohl konfessionelle Unterschiede, ev. ist etwas gefragter wenn ich mich recht erinnere.

    Aber unterm Strich kommt man in NRW mit Lehramt BK relativ fächerunabhängig eine Stelle. Mir ist nicht ein Refi aus den letzten Jahren bekannt, der nicht sofort oder zumindest innerhalb kurzer Zeit eine Planstelle gefunden hat.

  • Also wenn ich von einer Schule ausgehe: Nein, keine "Mangelware", was aber nicht heißt, dass das überall so ist.

    Es gibt grundsätzlich zwei Dinge zu bedenken:

    1. Religion (egal ob rk oder ev) dürfte so ziemlich das einzige Fach sein, das in der Sek 1 nicht fachfremd unterrichtet werden darf.

    2. Wenn ich die Entwicklungen der letzten Jahre so beobachte, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, dass das Fach durch Ethik komplett abgelöst wird. Sicher, das wird noch viele Jahre dauern (vielleicht 10?), aber schon ab kommenden Schuljahr wird Ethik ab Klasse 5 angeboten werden und die Ethik-Gruppen werden in jedem Jahrgang (unabhängig von der Konfession) immer größer.


    Jetzt kannst du dir es aussuchen ;)

  • Religion.

    Ein solches Fach gibt es nicht. Religionsunterricht ist immer konfessionsbezogen. Stand da noch etwas bei, auf welche Konfessionen sich das bezog?


    Ansonsten habe ich volles Verständnis dafür, solcherlei Fächer nicht unterrichten zu wollen.

  • 2. Wenn ich die Entwicklungen der letzten Jahre so beobachte, dürfte es nur noch eine Frage der Zeit sein, dass das Fach durch Ethik komplett abgelöst wird. Sicher, das wird noch viele Jahre dauern (vielleicht 10?), aber schon ab kommenden Schuljahr wird Ethik ab Klasse 5 angeboten werden und die Ethik-Gruppen werden in jedem Jahrgang (unabhängig von der Konfession) immer größer.

    Nur meine subjektive Beobachtung:

    An den Schulen, die ich bisher kennengelernt habe, wird Ethik von den SuS eher wenig nachgefragt. Meine Beobachtung ist die, dass je höher der Anteil an Migranten ist, desto weniger Ethik nachgefragt wird und stattdessen ev. Religion gewählt wird. Es ist auch nur ein verschwindend kleiner Teil an muslimischen SuS, die sich vom Religionsunterricht befreien lassen.

  • Ein solches Fach gibt es nicht. Religionsunterricht ist immer konfessionsbezogen.

    Nein, das stimmt so nicht. In BW (wie auch hier in Niedersachsen) kann der Religionsunterricht konfessionell-kooperativ gestaltet werden und da heißt das Unterrichtsfach dann tatsächlich "Religion" und erhält die entsprechende Bemerkung in den Zeugnissen (so wird es zumindest in Nds. bei der Zeugnisschreibung gehandhabt).

    Quelle für BW z. B.: https://www.kirche-und-religio…ionelle-kooperation-koko/


    Und ich sehe gerade, dass auch in NRW seit dem Schuljahr 2018/19 konfessionell-kooperativer Religionsunterricht in den Grundschulen und der Sek. I sowie seit diesem Schuljahr wohl auch in den BK möglich ist: https://www.ekir.de/www/mobile…gionsunterricht-28815.php sowie https://www2.ifl-fortbildung.de/koko/

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  • Nur meine subjektive Beobachtung:

    An den Schulen, die ich bisher kennengelernt habe, wird Ethik von den SuS eher wenig nachgefragt. Meine Beobachtung ist die, dass je höher der Anteil an Migranten ist, desto weniger Ethik nachgefragt wird und stattdessen ev. Religion gewählt wird. Es ist auch nur ein verschwindend kleiner Teil an muslimischen SuS, die sich vom Religionsunterricht befreien lassen.

    Natürlich ist auch mein Eindruck rein subjektiv. Dass jemand freiwillig in kath. oder ev. Religion wechselt, konnte ich bisher allenfalls in Einzelfällen beobachten. Der andere Weg wird deutlich häufiger gewählt. Ich habe kürzlich bei den neuen Anmeldungen ausgeholfen und schon da ist es mir aufgefallen, dass es einige Fälle gab, in denen auch Eltern schon ihre Kinder trotz entsprechender Konfession (also rk oder ev) für Ethik angemeldet haben.

    Naja, islamische Religion wird bei uns dieses Schuljahr nicht mehr angeboten, da sich der Kollege (mit Rückendeckung der SL) weigert dem Diktat bestimmter Verbände zu beugen (Details kenne ich allerdings nicht), sodass diese SuS alle Ethik machen (müssen).


    Wie dem auch sei, man wird sehen, wie sich die Sache entwickelt. Das Fach nur studieren, weil es gerade als Mangelfach angegeben ist, würde ICH allerdings nicht. Letztendlich muss das der TE aber auch selbst entscheiden *schulterzuck*

  • Das Fach nur studieren, weil es gerade als Mangelfach angegeben ist, würde ICH allerdings nicht.

    Das ist nicht mal bei richtigen Fächern zu empfehlen. Bei unwissenschaftlichem Klamauk, bei der man inhaltlich von der Willkür der Interprtation abhängig ist, sollte man sich das noch genauer überlegen.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

  • Deswegen bin ich weiter neugierig und habe mich gefragt, ob ihr aus dem Schulalltag Genaueres erzählen könnt. Sind Religionslehrer*innen in BaWü wirklich Mangelware? Wenn ja, in welchen Lehrämtern (und in welchen nicht)? Betrifft das katholische Religion mehr als evangelische oder umgekehrt? Steigert Religion gerade die Einstellungschancen ähnlich wie eine Naturwissenschaft?

    Wirf einen Blick in die Einstellungsprognosen, wenn du einen Eindruck haben möchtest der über "an unserer Schule ist das so und so" hinausgeht. Wenn das Land dort für eine Schulart ein Fach als aktuell unterbelegt sprich besonders einstellungsrelevant hervorhebt, dann sicherlich nicht deshalb, weil es massenhaft Bewerber für wenige Stellen geben würde, sondern weil im Zweifelsfall (ähnlich wie bei islamischer Religionslehrer) Stellen gar nicht erst ausgeschrieben werden von den Schulen, weil sie gar nicht erst mit Bewerbungen rechnen und deshalb lieber andere benötigte Fächer ausschreiben, die dann auch besetzt werden können.

    Um aber den völlig unrepäsentativen "an meiner Schule ist das so und so"-Eindruck zu ergänzen: Bei uns sind 150-200 SuS in einer Klassenstufe, davon haben aktuell 50-70 SuS je Jahrgang Ethik. Eine überdeutliche Mehrheit hat aktuell also evangelischen oder katholischen Religionsunterricht. Bei unseren derzeitigen 5ern wären das, hätten die schon Ethik, aber schon fast bei 50:50 (Ethik: Religionslehre (ev oder kt)). Ingesamt gibt es einen erkennbaren Trend hin zu mehr SuS im Ethikunterricht, der sich sicherlich verstärken wird, wenn Ethik erst in Klasse 5 angekommen ist, weil dann viele Kinder, die bisher oft freiwillig im Religionsunterricht saßen mangels Alternativangebot schon ab Klasse 5 Ethik wählen werden und dann meist auch dabei bleiben. Insofern wäre es schön mehr KuK zu bekommen, die Ethik auch studiert haben und nicht wie ich fachfremd unterrichten (auch wenn ich mich angesichts meines Fachhintergrunds inzwischen gut in Bildungsplan und Didaktik eingearbeitet habe).

    Insbesondere in katholischer Religionslehre fehlen uns ganz bestimmt auch entsprechende Lehrkräfte an der Schule. Bis auf einen Kollegen wird das meines Wissens bei uns vollständig von Priestern/kirchlichen Kräften, die nur dazu an die Schule kommen unterrichtet. Ich weiß von einigen anderen Schulen im Stadtkreis, dass dort ebenfalls einige kirchliche Kräfte den Religionsunterricht durchführen. Auch in evangelischer Religion kommen teilweise Pfarrer*innen zum Einsatz hier im Stadtkreis. Ich meine, bei uns das Schule aktuell nicht, da bin ich tatsächlich aber nicht ganz sicher (so richtig oft habe ich meine KuK ja noch nicht gesammelt angetroffen in diesem Schuljahr und kenne insofern gar nicht alle- manche sind ja komplett im Fernunterricht).


    Für Einstellungsfragen ist aber wie bereits geschrieben am Ende die Einstellungsprognose aussagekräftiger. Die beinhaltet ja auch Aspekte von Pensonierungen aktueller Lehrkräfte bzw. von Priestern/Pfarrer*innen/kirchlichen Kräften, die altersbedingt ausscheiden werden in absehbarer Zeit.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • @Scotsman, nicht nur an den Grundschulen, sondern auch im Sek1 & 2 Bereich werden Religionslehrer gerne gesehen.

    Ethik wird bald ab Klasse 5 angeboten... trotzdem wird es weiterhin genügend Kinder mit einem christlichem Hintergrund geben.(Für meinen aktuellen Vocatio-Kurs gibt es sogar eine Warteliste.) Gerade die Kinder die Kommunion, Konfirmation und Firmung durchlaufen, besuchen i.R. auch den Religionsunterricht in der Schule. Aus Mangel an Lehrern mit kirchlicher Lehrbefähigung bzw. Erlaubnis wurde an meiner Schule zunehmend mehr Religionsunterricht durch Ethikunterricht ersetzt.

    Wahrscheinlich werden zukünftig auch mehr und mehr (je nach Schülerzusammensetzung) muslimische Lehrkräfte mit Zusatzbefähigung für den sunnitischen Religionsunterricht gefragt sein. Bei uns -bis jetzt- eine Person.

    Alternativ könntest du (so wie ich) eine religionspädagogische Weiterbildung absolvieren. Voraussetzung: Anerkanntes Lehramtsstudium, gelebter Glaube, Mitglied einer Kirche und Anstellung an einer staatlichen Schule. Dazu findet dann ein Treffen und Abklärung mit dem zuständigen Schuldekan (Protestanten) in deiner Region statt. Nach dem Okay der Landeskirche folgt die einjährige, berufsbegleitende Weiterbildung. (In Bawü erhältst du dafür eine Anrechnungsstunde.) Viele Aufgabenstellungen werden alleine oder mit einer Regionalgruppe bearbeitet und an 6 Schulungstagen (3 Wochenenden an schönen Orten) wird vertieft bzw. finden Seminare statt. Zum Schluss wird dein zuständiger Schuldekan (der die ganze Zeit über betreut) deinen Unterricht besuchen, anschließende Reflexion und dann (während eines Gottesdienstes) hoffentlich die Vocatio.

    Wichtig noch: Die Weiterbildungs-Vocatio gilt nur für deine gewählte Richtung, GS, Sek1 oder Sek2.

    'Konfessionelle Kooperation' (katholische und evangelische Religion zusammengelegt) ist groß im Kommen und wird an immer mehr Schulen angeboten. Dazu gibt es auch einen eigenen Bildungsplan. U. a. habe ich die 'fünf Weltreligionen', 'Vorbilder/Idole' und die 'Bedeutung der christlichen Feste' mit meinen 5 & 6 Klässlern besprochen und bearbeitet. 'Umweltverschmutzung & Tierhaltung' bzw. wie gehen wir mit Gottes Schöpfung (unserem Planeten) um, 'Kriege, Vertreibung, Flucht & Nächstenliebe' wollen wir uns als Nächstes anschauen. Allerdings hat COVID19 so einiges (auch was die beiden Klassenarbeiten pro Halbjahr angeht) durcheinander gebracht. Spannend finde ich vor allem den Stoff für die 9. und 10. Klassen. Z. B.: Christliche Ethik, Christen im Nationalsozialismus (Bonhoeffer u. a.).

    Ich würde Reli also nicht nur aus praktischen Gründen, sondern auch aus Überzeugung wählen.


    LG

    Green

  • Hey, ich habe abgefangen im Jahr 2019 ev. Theologie auf Lehramt für die Sek 1 zu studieren, also vor knapp 1 1/2 Jahren.. An 5/6 Pädagogischen Hochschulen zählen beide Konfessionen als Passungsqotenfächer, gerade weil es so wenige studieren und wohl wirklich ein Mangel da zu sein scheint. Durch die Passungsquote wird man bevorzugt zum Studium zugelassen kann dann jedoch nicht mehr von diesem Fach weg wechseln. Als ich angefangen habe, waren wir 16 Leute in meinem Semester. Drei für die Sek 1.

  • Wow, erst einmal danke für die vielen Rückmeldungen!


    Es stimmt natürlich: Ein Blick in die Einstellungsprognosen des Landes Baden-Württemberg sollte eigentlich Klarheit geben. Tut es eben leider nicht, weil im offiziellen Dokument (Stand Juli 2020), das auf der oben genannten Webseite verlinkt ist, leider Religion fast nicht erwähnt wird, weder positiv noch negativ. Gerade wegen diesem Gegensatz habe ich den Thread erstellt ;).


    Spannend finde ich daher eure Einschätzungen von "vor Ort". Ich entnehme euren verschiedenen Posts: Reli ist zumindest ein Nischenfach, das sich momentan (noch?) gegenüber Ethik behauptet; wie es aber in einem Jahrzehnt aussehen wird, ist eine ganz andere Frage.


    Die Tatsache, dass die Anzahl an Studienanfänger*innen bisweilen einstellig ist, wundert mich wie gesagt nicht ;).

  • Gerade die Kinder die Kommunion, Konfirmation und Firmung durchlaufen, besuchen i.R. auch den Religionsunterricht in der Schule.

    Sakramente werden nicht "durchlaufen", sondern empfangen (Firmung einmalig, Kommunion regelmäßig, mind. einmal jährlich).

  • Mein Dozent meinte mal, dass Religion immer bleiben wird. Oder man zumindest das Grundgesetz ändern müsste um es abzuschaffen, da es laut Artikel 7 ein „ordentliches Lehrfach“ ist.. Aber ob es wirklich bleibt wird die Zeit zeigen..

  • Oder man zumindest das Grundgesetz ändern müsste um es abzuschaffen, da es laut Artikel 7 ein „ordentliches Lehrfach“ ist.

    Es ist das einzige Fach, aus dem man sich durch einseitige Erklärung abmelden kann. Das Grundgesetz sagt halt nichts darüber aus, wie viele Menschen in diesem Fach „unterrichtet“ werden wollen.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

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