Hallo, liebe Kollegen,
ich arbeite an einer Oberschule und beende gerade mein erstes Berufsjahr nach dem Referendariat. Wegen Du-weißt-schon-wer unterrichten wir hier in Sachsen gerade nur die Abschlussklassen, diese aber jeweils geteilt in zwei Gruppen. Da auch ein paar Kollegen ausfallen, unterrichte ich dort in den letzten Wochen deutlich mehr Stunden als üblich. Statt einer Ethikstunde waren es zuletzt je drei Stunden, verteilt auf zwei Gruppen, also pro Klasse und Woche etwa 6 Ethikstunden.
Ich betone das deshalb so, weil ich üblicherweise vor allem jüngere SuS unterrichte, 6. und 7. Klasse. Meine Erfahrungen mit diesen Schüler_innen sind ganz anders als die der letzten Wochen.
Zwei der zehnten Klassen sind insgesamt schwierig, viele SuS sind unzufrieden mit dem Stoff, den Lehrern, vielleicht mit dem Leben generell. Bei einigen ist es sicher eine alterstypische Distanz und Ablehnung der Erwachsenen, andere provozieren gezielt und – wie es mir vorkommt – durchaus systematisch. Ich habe als relativ neuer Lehrer an der Schule sicher noch keinen festen Status oder Ruf, ich gelte bei den betreffenden 10. Klassen wohl auch nicht als eine Lehrkraft, vor der man Respekt haben muss.
Die SuS arbeiten zwar mit und erledigen ihre Aufgaben so weit, dass ich den Stoff vermitteln und guten Gewissens prüfen kann, aber die zwischenmenschliche Komponente ist unter aller Sau, leider. Das heißt, ich ziehe meine One-Man-Show vor der Klasse durch, versuche mit aller Freundlichkeit immer wieder aufs Neue, einen Draht aufzufädeln und scheitere immer wieder damit. Einzelne Schüler testen meine Grenzen, rufen einzelne Sätze ins Zimmer, beleidigen sich gegenseitig oder stellen "Fragen", die mich vermutlich provozieren sollen, warum es so ein unsinniges Fach wie Ethik gebe, dass ich der einzige Lehrer sei, bei dem man dieses und jenes nicht dürfe, der so oder so sei. Mal arbeiten sie für ein paar großartige Minuten interessiert mit, dann leuchtet der Raum. Dann arbeiten sie eine halbe Stunde fast gar nicht.
Oder sie schmeißen Sachen durch die Gegend, Papierknüllen oder Radiergummi zum Beispiel. Den talentiertesten der Werfer habe ich mir nach dem Unterricht gefischt, er musste die Zettel aufheben und wegwerfen. Was macht er: Sammelt den Müll ein und schmeißt ihn neben den Eimer. Da er gleich gegangen ist, habe ich das erst 5 Minuten später gesehen. In dem Moment wollte ich dieses saudämliche Spiel zwar nicht verlängern, aber ich wollte ihm auch nicht durchgehen lassen, dass sich jetzt andere Menschen nur wegen seiner Impertinenz zum Müll bücken müssen. Also den Schüler im laufenden Folgeunterricht rausgefischt und einen vorgefertigten Info-Brief in die Hand gedrückt mit dem Termin zum Hausmeisterdienst. Das werde er auf keinen Fall tun, hat der Schüler gleich gesagt, was er denn getan habe, den Zettel nehme er nicht in die Hand, was ich denn für einer sei, und so weiter und so fort. Ich habe den Zettel schließlich auf seinen Platz gelegt.
Ich weiß natürlich, dass das Thema der Disziplinprobleme ein alter Hut für euch alle sein muss, das Thema ist uns allen ja irgendwie bekannt, selbst die vielen Erfahrenen hier hatten ja vielleicht früher auch das eine oder andere Probleme. Vermute ich zumindest.
Meine Frage geht gar nicht so sehr in die Richtung, welche Maßnahmen ich im Einzelnen ergreifen kann (obwohl ich auch hier natürlich offen für den helfenden Heilsbringer bin), sondern eher, ob ihr diese Kämpfe als erfahrene Lehrer auch noch ausfechtet oder ob man mit einer einmal erlernten konsequenten Art diese zwischenmenschlichen Differenzen und Respektlosigkeiten ausmerzen kann? Muss man diese Kämpfe also für den Rest des Berufslebens kämpfen oder lohnt es sich, hier einmal ein rigoroses Vorgehen einzuüben und sich dieses sozusagen selbst einzutrichtern, um gewappnet zu sein? Wie seht ihr das?
Ich stehe immer noch staunend vor diesem Rätsel der natürlichen Autorität. Manche meiner Kollegen haben sie einfach (da reichen mir ein paar Gesprächssekunden mit Schülern und Eltern, um das zu merken), andere wissen wohl, wie es theoretisch geht, aber kriegen es nicht umgesetzt. Ich würde gerne mal zur ersten Kategorie gelangen, bin da aber garantiert noch lange nicht. Andernfalls kriecht man langfristig doch auf dem pädagogischen Zahnfleisch.
edit: Weil ich den Unterschied zu den Erfahrungen mit den jüngeren Klassen betont habe: Dort sind die Probleme und Reibereien in meinen Augen fast immer gegenständlich fassbar. Ich kann also mit den SuS darüber reden, was gerade vorgefallen ist und dadurch Lösungen erarbeiten. Das wirkt nicht nur beruhigend für das Klassenklima, sondern ist für mich auch Psychohygiene. So bleiben die Schulthemen in der Schule.
Die betreffenden Schüler der 10. Klasse wirken dagegen so vage und ungreifbar aggressiv, so als würden sie mich seit vielen Jahren verachten, obwohl wir uns kaum kennen. Dieses Verhalten ist verstörend.
Wie gelingt mir das, welche Eigenschaften (nicht Handwerk) muss ich erlernen? Strenge, Güte, Gleichgültigkeit?
Liebe Grüße und danke fürs Lesen!