Wortarten "einfach märchenhaft"

  • dass gerade Grundschulkinder die Phänomene selber entdecken und verstehen sollen.

    Aber bitte nicht in Lerngruppen, in denen überwiegend schwache Kinder sitzen.

    Die entdecken dann nämlich in ihrer rudimentären Sprache Phänomene, die die Sprachwissenschaftler noch gar nicht erforscht haben, und setzen dafür auch Regeln fest.

  • Das heißt natürlich nicht, dass diese Kinder dann ihre Entdeckungen einfach als richtig annehmen bzw. mitnehmen. Da muss natürlich noch eine Sichernungs- und Reflexionsphase mit der Lehrkraft angehängt werden.

    Ich meine nur: Wenn du den Kindern nach alten Methoden, altes Wissen (wie gesagt: in der Sprachwissenschaft gilt das, was wir den Kindern beibringen eigentlich als falsch) beibringen und dann mit alten Prüfungsformen testen willst, dann ist das sicher einfacher und du bekommst bei den alten Prüfungsformen vielleicht bessere Ergebnisse.


    Die Frage ist am Ende: Hat ein Kind mehr gelernt, wenn es von der Lehrkraft gesagt bekommt, dass man alle Nomen anfassen kann und diese dann in einem Text bestimmt (lehrer:innenzentriert, semantisch) oder hat es mehr gelernt, wenn es z.B. Wörter auf die Erweiterung nach links hin überprüft (dabei vielleicht auch zu falschen Erkenntissen kam, die dann korrigiert werden) und am Ende aber im Plenum zumindest festgestellt werden kann, dass es einige Wörter davon gibt und das genau die sind, die in einem Text groß geschrieben werden und die man Nomen nennt (konstruktivisitsch-schüler:innenorientiert, syntaxbezogen).


    Es ist eine Frage des Ziels:

    Zitat


    Die Schülerinnen und Schüler untersuchen Sprache und Sprachgebrauch in konkreten Situationen gezielt und entdecken dabei Muster und Strukturen.

    und / oder

    Zitat


    können Wörter den Wortarten zuordnen

    Beides aus dem Lehrplan Deutsch Grundschule NRW.

    Mit der lehrer:innenzentrierten, semantischen Methode ist das obere Ziel vielleicht gar nicht zu erreichen. Das zweite Ziel ist vielleicht besser zu erreichen.

    Mit der syntaxbezogenen, konstruktivistischen Methode ist das obere Ziel eigentlich recht schnell erreicht, das untere Ziel ist, würden zumindest manche sagen, nicht so effektiv erreichbar.

  • Bei solchen Diskussionen wird oft vergessen, dass es nie den "Königsweg" gibt. Verschiedene Lerntypen brauchen einfach auch verschiedene Lernwege. Sogar das "stupide" Trichtersystem führt oft zum Erfolg. Vieles kann man auch nicht "entdecken", und feststehende Fakten muss man nicht in Lerngruppen untersuchen...

  • Bei solchen Diskussionen wird oft vergessen, dass es nie den "Königsweg" gibt. Verschiedene Lerntypen brauchen einfach auch verschiedene Lernwege. Sogar das "stupide" Trichtersystem führt oft zum Erfolg. Vieles kann man auch nicht "entdecken", und feststehende Fakten muss man nicht in Lerngruppen untersuchen...

    Dass es diese Lerntypen (meist visuell, auditiv etc.) gäbe, ist widerlegt. Es ist keine Frage des Lerntyps, sondern des Ziels. Will ich, dass die Kinder Wörter einfach Wortarten zuordnen oder will ich (auch), dass sie die Sprache untersuchen? Ist das zweite aufgrund der Fähigkeiten der Kinder nicht möglich, werden sie wohl zieldifferent unterrichtet (was ja auch kein Problem ist; manche Kinder können eben nicht alles lernen). Denn wie man im Lehrplan sieht, ist das Untersuchen der Sprache ein wichtiger Teil der Ziele des Deutschunterrichts.

  • Danke tibo ! Den Artikel lese ich gerne. Genau diese Diskussion interessiert mich... Was können Kinder wirklich verstehen?

    ...

    Die entdecken dann nämlich in ihrer rudimentären Sprache phänomene, die die Sprachwissenschaftler noch gar nicht erforscht haben, und setzen dafür auch Regeln fest.

    Das finde ich auch so schwierig, Conni hatte es auch oben erwähnt.


    Ich weiß manchmal gar nicht, was die Kinder nicht verstehen oder verstehe ihre Fragen nicht. Mathe ist da viel logischer, die Didaktik erschließt sich mir besser, aber ich weiß dazu auch schlicht viel mehr.


    Vielleicht wäre auch DaZ-Didaktik der passende 'Ansprechpartner'...

    • Offizieller Beitrag

    Oder sie entdecken gar nichts, weil sie gar nicht wissen, wie man etwas entdeckt.

    Leistungsschwache Schüler haben oft Schwierigkeiten im Entdecken von Regeln. Die entdecken einfach keine und sitzen völlig verzweifelt rum, bevor sie "abschalten".

    Alternativ könnte man halt abwarten, bis sie es entdecken, bei meiner letzten leistungsschwachen Klasse hätte das bei einigen bis zur 10. Klasse gedauert und darüber hinaus

    Vorschlag der (Fach-) Wissenschaft ist der syntaktische Ansatz: Nomen sind Wörter, die man groß schreibt, wenn man sie nach links erweitern kann.

    Haus

    das Haus

    das große Haus

    das große, blaue Haus


    Diese Erklärung funktioniert doch nur dann, wenn man weiß, welches die "richtigen" Wörter sind, um die man ein Nomen links erweitern kann und wenn man weiß, was Wörter sind.

    Leistungsschwache Schüler haben aber eben auch oft Schwächen im Arbeitsgedächtnis, in der Sprachentwicklung und der Wahrnehmung oder es sind DAZ/DAF-Schüler. Die haben u.U. erst in Klasse 3 bis 5 ein Konzept dafür, was eigentlich ein "Wort" ist.

    Nun müssen sie vorher noch die Artikel entdecken, wiedererkennen und sich merken. Wie genau passiert das in deinem Beispiel?


    Danach müssen wir an den Satz ran, der ist viel zu kompliziert und überfordert das Arbeitsgedächtnis massiv. Viel zu viele Fachwörter (Nomen, Wörter, groß schreiben, links, erweitern) für o.g. Grundschüler, zu viele Nebensätze. Man müsste den in einfache Sprache umwandeln.


    Ich gehe davon aus, dass meine letzte, leistungsschwache KLasse im Berliner Brennpunkt irgendwann zwischen der 1. (leistungsstarke Ausnahmen) und der 10. Klasse (Mehrheit zwischen 3. und 6. Klasse) in der Lage gewesen wäre, so einigermaßen zu wissen, was ein Nomen sein könnte.


    Jetzt kommen wir zu meiner derzeitigen, leistungsstarken Klasse.


    "Ich Male Heute einen Grünen, Schönen Baum."

    das Malen, das fröhliche, schnelle Malen

    das Heute, das schöne, witzige Heute

    das Grüne, das gemalte, wuschelige Grüne

    das Schöne, das große, wunderbare Schöne


    Wie genau entdecken die Kinder jetzt, dass diese Wörter nur in bestimmten Kontexten Nominalisierungen sind und nicht generell Nomen?

    • Offizieller Beitrag

    ... naja. Leute mit viel Unterrichtspraxis könn auch das widerlegen.

    Dazu habe ich mal einen Beitrag gelesen, weiß nicht mehr wo, keine Quellenangabe, nur sinngemäß: Man kann über die Kanäle am besten lernen, die man am meisten nutzt. Wenn man jetzt gezielt nur noch die nutzt, über die es am besten geht, dann verstärkt man die weiter und weiter und vernachlässigt die anderen stärker. Vorschlag war: Jeden Lerner dazu bringen, möglichst viele Kanäle zu "können" und eine Strategie entwickeln, mit der sie optimale Erfolge zu erzielen können.

  • Dieses Konzept vom "auditiven... Lerntyp" ist aber widerlegt, bzw. vorher schon nie belegt worden. Die Frage ist, welche Strategie man nutzt, um das Wissen, dass durchs Ohr oder über die Haptik in den Schädel kommt auch dort verarbeitet und gespeichert wird.

  • in den Schädel kommt auch dort verarbeitet und gespeichert wird.

    Davon abgesehen, dass auch ich eher der Theorie der Lernkanäle oder -typen anhänge und denke, dass es durchaus Vorlieben gibt, ist der andere Punkt, dass Hänschen sich alles beim ersten Mal merken kann und Lieschen leider viele, viele Anläufe braucht, bis es bei ihr dämmert und sie es sich dann irgendwann merkt.

  • das Grüne, das gemalte, wuschelige Grüne

    :lach:du bist die Beste!


    Ich ergänze: Das Geklöppelte, das filigrane, symmetrische Geklöppelte.


    Vielleicht verstehen sie es, wenn sie selbst solche Konstruktionen bis zum Abwinken bilden?


    Zum Thema Rechtschreibung noch, ich fand z.B. FRESCH total einleuchtend, aber manche raffen's einfach nicht:weissnicht:

  • Ich mache es ja nicht an "auditiv" oder so fest, aber dass gerade im Grundschulunterricht Lernangebote möglichst vielfältig/individuell angelegt sein sollten, ist doch eigentlich eine Binsenweisheit. Wenn ich dagegen nur an die Missionierungsversuche in NRW durch einige Rechtschreibungs-Götter und deren Unfehlbarkeitsanspruch denke...

  • dass gerade im Grundschulunterricht Lernangebote möglichst vielfältig/individuell angelegt sein sollten, ist doch eigentlich eine Binsenweisheit...

    Dann passt vielleicht "ganzheitlich", das ist eh etwas schwammig. Aber diese Lerntypentheorie stimmt nicht und wenn selbst Fachleiter*innen davon reden runzele ich rügend die Brauen :nein:

  • Conni
    Das sagte ich ja, dass es manchen Kindern nicht möglich ist, etwas in Sprache zu entdecken. Die werden dann zieldifferent unterrichtet bzw. wird die erste Aufgabe ja in den meisten Klasse nicht sein "Finde im dreiseitigen Text Wörter, die man nach links erweitern kann".

    In deinem Beispiel wären dann die ersten Aufgaben vielleicht "Vor welches Wort in diesem Satz kannst du die Wörter groß und grün (oder noch einfacher großen und grünen) setzen. Findest du noch mehr Wörter, die man vor das Wort setzen kann? Kann man die Wörter auch vor heute setzen?"


    Wenn du die Wortart im Satz bestimmen willst bzw. dort das großgeschrieben Nomen / die groß geschriebenen Nomen finden willst, dann musst du es auch im Satz erweitern, würde ich sagen.

    "Ich male heute einen schönen Baum."

    "Ich das schöne schön schnelle Male heute einen schönen baum." Nö.

    "Ich male große das schöne Heute einen schönen baum." Nö.

    "Ich male heute einen der großen, Schönen baum." Das ginge wohl. Aber dann müsste man als Lehrkraft darauf eingehen, dass man "schönen" hier auch nach rechts erweitern kann.

    "Ich male heute einen schönen großen grünen bewohnten lebendigen Baum." So geht's.


    Der Merksatz war nicht als der Satz gedacht, den die Kinder lernen sollen, sondern als Erklärung für euch. Das stimmt, da könnten wir überlegen, was die Kinder am Ende festhalten können.


    "In einem Satz gibt es Wörter, vor die man einfach mehr Wörter schreiben kann,

    ohne dass der Satz danach falsch ist.


    Das Auto fährt.

    Das blaue Auto fährt.

    Das schnelle, blaue Auto fährt.

    Das schnelle, blaue, große Auto fährt.


    Diese Wörter schreibt man groß.
    Wissenschaftler:innen nennen diese Wörter Nomen.

    Wir wollen sie ab jetzt auch Nomen nennen."

    • Offizieller Beitrag

    Das wäre für meine derzeitige Klasse zum größten Teil machbar - mit Ausnahme meiner beiden sehr leistungsschwachen Schüler mit Wahrnehmungsstörungen und für die beiden weiteren DAF-Kinder, die hätten da lange dran zu knabbern.


    An der Brennpunktschule: Keine Chance. Die Kinder könnten dir nicht folgen, zu kompliziert, zu lang.

    Das Problem ist, dass die TE eben mit leistungsschwachen Schülern arbeitet, nicht mit den durchschnittlichen bis leistungsstarken.

  • Da fährt ein Auto.

    Da vorne fährt ein Auto. Also: fährt ist ein Nomen

    Das blaue Auto fährt.

    Das schnelle, blaue Auto fährt. Also: blaue ist ein Nomen



    Die Regel funktioniert halt auch nur in vorgegebenen "Standartsätzen".



    Und bei mir sind es oft gerade die leistungsstarken Kinder, die da zuverlässig immer noch ein Gegenbeispiel finden.


    Was ich auch ganz hilfreich finde ist der "Wörterparkplatz" (aus dem RoLeR-Training)

    Der ist zwar erstmal nur dazu da, rauszufinden, ob man ein isoliertes Wort groß schreibt, aber wenn man das regelmäßig macht schult es auf jeden Fall auch die Fähigkeit die Wortarten zu unterscheiden.

    Sieht so aus:





    Die Idee ist, das Wort in einer festgelegten Reihenfolge zu überprüfen, d.h. ich gucke erst ob es ein Verb ist (indem ich schaue ob ich "wir, ich ich, du, er , sie, es..." davorsetzen kann) und erst wenn das nicht geht, gucke ich ob ein Artikel davor gesetzt werden kann und wenn ja ist es ein Nomen. Damit ungehe ich or allem dass Verben nominalisiert werden.

  • ob ich "wir, ich ich, du, er , sie, es..." davorsetzen kann)

    Ja, super, danke, da kommt man schon mal von diesem "kann ich 'sind' tun? weg.

  • Das Auto fährt.

    Das blaue Auto fährt.

    Das schnelle, blaue Auto fährt.

    Das schnelle, blaue, große Auto fährt.

    Manchmal machen wir sowas beim "Satz des Tages", weil schon das Konstrukt "Satz" unklar ist. Das finden Sie ganz witzig, dass man einen Satz beliebig verlängern kann.


    Ich bin eh kein Anhängern von Theorien. Kennst du eine (bezogen auf's Lernen), die "stimmt"? Und zwar unwiderlegbar? Und für alle?

    Naja, ich sag mal so, wir treffen ja ständig Entscheidungen, was wir mit den Kindern wie machen. Das Warum geht dem voraus, auch wenn wir nicht mehr so bewusst entscheiden müssen, wie ein Berufsanfänger. Aber da möchte grundlegend schon eine Theorie dahinter stehen.

  • Satz des Tages mache ich auch gerne. Da habe ich wie bei Ickes Wortarten-Parkplatz (coole Idee!) auch das Konjugieren als Merkmal eines Verbs mit drin. Außerdem beim Nomen die Plural-Probe und beim Adjektiv das Steigern.


    "Da vorne fährt ein Auto" ist umgangssprachlich, würde ich sagen, auch wenn das dem Kind natürlich in der Situation auch nicht hilft.

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