Liebes Forum,
der folgende Text könnte etwas länger werden - ich muss einfach mal alles von der Seele schreiben (und ich schreibe diesen Text auch in Tränen, aber ich sehe das auch als eine Art Bewältigungsstrategie. Schreiben ist ja quasi auch schon eine Art Bewältigung). Dabei weiß ich nicht mal, ob ihr der richtige Ansprechpartner seid... Vielleicht gehört das eher in ein Psychologie-Forum, oder Medizin-Forum, aber da es ja dennoch auch was mit Lehramt zu tun hat, schreibe ich nun hier und versuche mich so kurz wie möglich zu halten - das Kürzeste, damit ihr dennoch was damit anfangen könnt. Ich werde diesen Text in mehreren Posts abschicken, um es lesefreundlicher zu gestalten.
TEIL 1
Mir geht es gar nicht gut zurzeit, eigentlich schon seit langer Zeit nicht, aber richtig prominent wurde das jetzt erst dieses Jahr und Corona hat natürlich noch seinen Teil dazu beigetragen. Nicht, dass ich mich damit infiziert hätte, aber die ganze Situation belastet mich psychisch zusätzlich zur eh schon seit Jahren psychischen Niedergeschlagenheit. Zudem habe ich mittlerweile auch psychosomatische Beschwerden, also körperliche Beschwerden, für die es auch nach zig Untersuchungen und mittlerweile über 3000€ an Arztrechnungen bisher keine medizinische Ursache zu geben scheint. Wo fange ich an??
Ich bin männlich, vor 6 Monaten 30 geworden und befinde mich in den Endzügen meines (vor ewig langer Zeit (2011) angefangenen) Gymnasialstudiums in den Fächern Englisch und Deutsch. Studienabschluss wird (wenn hoffentlich nichts mehr dazwischen kommt, das mich zwingt, nochmal ein Semester zu verlängern) Juli 2021 sein - es werden also 10 Jahre Studium sein, doppelt so lange wie es die Regelstudienzeit für Lehramt vorsieht... Möglicher Ref-Beginn wäre also Januar 2022 (zu dem Zeitpunkt werde ich dann bereits kurz vor dem 32sten Geburtstag stehen).
Sehr oft stelle ich mir in letzter Zeit die Frage, wo es eigentlich angefangen hat in meinem Leben, so chaotisch und bergab zu gehen und ich finde keine eindeutige Antwort dafür. Ich hatte während der eigenen Schulzeit bereits mit großen Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen zu kämpfen - dies führe ich auf damaliges Mobbing zurück und eventuell auch auf die damals schon in der Pubertät allmählich aufflackernden Erkenntnis, dass ich womöglich anders bin, als andere. Im Sinne von: ich hatte damals bereits latent die Befürchtung und sicherlich auch schon die innere Erkenntnis, dass ich wahrscheinlich sexuell eher zum gleichen Geschlecht hingezogen sein könnte als zum anderen. Ich wollte mich damit aber damals partout nicht befassen und redete mir selbst immer sehr stark ein, dass dies wohl einfach nur irgendwelche grundlosen Sorgen sein würden, also verdrängte ich diese mir angsteinflößenden Gedanken einfach immer, quasi nach dem Motto: wenn ich es nicht an mich heranlasse, dann ist es auch nicht wirklich da.
Das hat eigentlich auch immer gut funktioniert, aber natürlich fiel mit der Zeit auf, dass ich offensichtlich im Gegensatz zu anderen meiner Altersklasse keine Beziehungen führte und anfängliche Nachfragen von meinen Eltern und Verwandten tat ich halt stets mit der mir sehr zu Pass kommenden Floskel "es kommt halt, wenn's kommt" ab. Mittlerweile fragen sie auch gar nicht mehr. Eventuell denken sie sich ihren Teil, oder aber glauben, ich sei in dieser Hinsicht vielleicht einfach sonderbar. Ein Eigenbrödler oder Einsiedler vielleicht. Ich selber für mich fand das auch anfangs gar nicht wirklich störend, denn die Frage nach Beziehungen und der damit unweigerlich verknüpften Auseinandersetzung mit meiner eigenen Sexualität konnte man auch irgendwann mal noch angehen, zuerst stand mal der Schulabschluss an, wofür man seine volle Zeit und Energie brauchte, danach dann das Studium, wo man ebenfalls wieder keine Zeit und Energie haben würde für solche Sachen wie Beziehungen oder Identitätskrisen...
Ein markanter Punkt, den ich so als ersten Wendepunkt im Leben bezeichne, der vermutlich maßgeblich zur aktuellen Chaossituation beigetragen hat, war wohl der Wegfall der Schule nach Erlangen des Abiturs. Eine sichere Konstante in meinem Leben, in der (rückblickend) die Welt noch in Ordnung war, trotz meiner damals schon vorherrschenden Selbstzweifel. Nach der Schule kam dann die erste gezwungene Auseinandersetzung mit mir selbst: wie soll es weitergehen mit mir? Was will ich?
Unsicher wie ich war, konnte ich mir nichts vorstellen, das beruflich selbst auch unsicher und risikobehaftet sein würde, am liebsten wollte ich die Sicherheit der Schulzeit zurück haben. Ein absolviertes Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kinder- und Jugendheim hat mir sehr gefallen, das gab mir zum allerersten Mal auch wieder etwas Selbstsicherheit und Mut zurück, denn ich war dort Verantwortungsperson für (unter mir stehende) Kinder und Jugendliche. Man war so zufrieden mit mir, dass man mir ein Duales Studium dort anbot, das ich auch beinahe angenommen hätte. Aber mein Wunsch nach Sicherheit und Ordnung, gepaart mit auch gutem Einkommen ließ mich dann doch hardern: der soziale Sektor ist leider schlecht bezahlt, die Arbeit dort im Heim wäre Schichtbetrieb, also auch an Wochenenden und Feiertagen, und durch die wöchentlich wechselnden Arbeitstage gäbe es auch keine große Planungssicherheiten für künftige Vorhaben, etwa Treffen mit Freunden, etc.
So kam ich also zum Lehramtsstudium, mehr aus Gründen der Sicherheit (Verbeamtung, gutes Einkommen, geregelte Arbeitszeiten, familienfreundlich) als aus wirklicher Überzeugung, denn ans Lehramt dachte ich vorher sonst noch nie. Doch immerhin wäre dies auch eine Art von Arbeit mit Jugendlichen und im Jugendheim kam ich ja auch gut mit (tlw. sogar sehr schwierigen und auffälligen) Kindern klar, da würde Lehramt ja sicher auch machbar sein - so dachte ich.
Von Studienbeginn bis heute kurz vorm Abschluss plagten mich jedoch immer wieder Selbstzweifel und Unsicherheiten: war diese Entscheidung richtig? Werde ich in diesem Bereich dauerhaft glücklich werden? Die eigentlichen Studieninhalte, das muss ich ehrlich sagen, interessierten bzw. interessieren mich eigentlich eher mittelmäßig: zwar habe ich einen Schnitt im oberen bis mittleren 1er-Bereich in meinen Fächern, aber kein einziger der Studieninhalte (mit Ausnahme vielleicht der Bereich "Jugendsprache" im Bereich germanistischer Linguistik) wäre jetzt etwas, mit dem ich mich zuhause im privaten Bereich auch nur ansatzweise freiwillig beschäftigt hätte, wenn ich nicht vom Studium her gezwungen gewesen wäre. Weder Goethe, Schiller oder Shakespeare, noch irgendwelche Theorien zu Zweitspracherwerb oder Morpheme, Allophone und Co sind Bereiche, mit denen ich mich aus reinem intrinsischen Interesse auch außerhalb des Studiums groß befassen würde.
Und so wuchsen meine Zweifel am eingeschlagenen Weg. Sollte eine künftige Lehrkraft sich nicht doch auch für die fachlichen Inhalte intrinsisch interessieren? Zwar habe ich einen 1,x Schnitt, aber das sagt ja bekanntlich auch nicht viel aus. Es liegt zudem in meiner Natur, die Sachen, die ich angefangen habe, auch so gut es geht zu bewältigen. Schulpraktika liefen ganz gut, man war dort auch zufrieden mit mir - ich selber fand es nun zwar auch nicht wirklich furchtbar, dort vor der Klasse zu stehen, aber ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, ob ich das den Rest meines Lebens tun möchte und mich vor allem in Stoff einarbeiten zu müssen, etwa Literatur wie Goethe, Kafka, Mann etc., der mich jetzt so aus dem Bauch heraus eigentlich gar nicht wirklich packt. Und man sagte uns mal, dass, um einer Klasse ein Werk schmackhaft machen zu können, man es selbst wirklich mögen muss - denn die Schüler merken wohl, ob man selbst vom Inhalt überzeugt ist und dafür brennt, oder ob man halt einfach den Lehrplan abklappert und es einem im Grunde piepegal ist, ob da jetzt Goethe, Herr der Ringe oder Die Eiskönigin draufsteht.
Warum habe ich das Studium nicht vorzeitig abgebrochen? Weil ich erstens die Dinge, die ich anfange, auch möglichst ordentlich und sauber abhaken möchte und zweitens ich auch nicht vorschnell mir dadurch den Weg ins Lehramt verbauen wollte - mit einem abgeschlossenen Studium hätte ich zumindest immer die Tür noch offen, um doch mal noch ins Lehramt zu gehen.
Teil 2 folgt.