Meine Eltern haben den Krieg als Kinder miterlebt - wie beeinflusst das mein heutiges Denken und Urteilen?

  • Was mich mehr geprägt hat als die Erfahrungen meiner Eltern, die den Krieg als Kinder bzw. Jugendliche erlebt haben, waren die Erzählungen meines Großvaters.

    Er war Pazifist und hat, als er kurz vor Kriegsende eingezogen werden sollte, einige Wochen in einem Versteck verbracht. Er berichtete davon, dass hier in einer stillgelegten Zeche Sozialisten und Kommunisten gefoltert worden wären, von den Ereignissen der Progromnacht und wie widerlich er es fand, dass jüdische MitbürgerInnen mit einem Stern gebrandmarkt wurden - es waren Nachbarinnen und ehemalige MitschülerInnen dabei.

    Mit einer großen Abscheu sprach er aus, dass man Menschen plötzlich als Untermenschen bezeichnete. Für ihn gab es mir und meinen Geschwistern gegenüber kein Tabu, auch wenn manche Themen für uns als Kinder schwierig und noch nicht verständlich waren.


    Nach dem Krieg war er zunächst CDU Mitglied und ist ausgetreten, als die Wiederbewaffnung kam.


    Meine Eltern haben viele der schrecklichen Erlebnisse zunächst verdrängt - die Bombennächte im Ruhrgebiet, das Weggerissen sein von der Familie in der Evakuierung auf dem Land.

    Erst in ihren späteren Jahren, so ab Rentenalter, kamen viele Erinnerungen mit emotionaler Wucht wieder. Dann erzählten auch sie, bei solcher Gelegenheit habe ich meinen Vater weinen gesehen, was er sonst nie getan hat. Da habe ich dann auch verstanden, warum er Silvesterböllerei immer schrecklich findet.

    Inwieweit diese Traumata meiner Eltern noch auf mich wirken, kann ich nicht sagen.

    Die Weisheit des Alters kann uns nicht ersetzen, was wir an Jugendtorheiten versäumt haben. (Bertrand Russell)

  • Vor bestimmten Besatzungsmächten hatte man besondere Angst, "Amerikanern" stand man am positivsten gegenüber.

    War hier auch so.

    Mein Opa väterlicherseits geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kam traumatisiert und gebrochen wieder nach Hause.

    Der Opa mütterlicherseits war in amerikanischer Kriegsgefangenschaft, wurde dort korrekt behandelt und auch mit dem Essen fast schon "aufgepäppelt".


    Komischerweise hat mein Vater seinen Hass auf die Amerikaner und alles, was irgendwie "amerikanisch" war, Zeit seines Lebens nicht abgelegt. Als stolzer Pimpf (der Opa war ein glühender Verehrer der Nazis) hatte er die bedingungslose Kapitulation nie verwunden. Komisch deshalb, weil der Opa doch so kaputt nach Hause kam. :weissnicht:

  • Wenn ich so recht überlege, mich beeinflussen diese Erlebnisse und Erzählungen schon in meiner Einstellung. Nämlich: Ich denke, bei uns wird zur Zeit die Nazivergangenheit als Mahnung und Schuld der Deutschen hochgehalten und muss auch für einiges herhalten.

    (Nebenbei: musste ich neulich erleben in einem Statement zur Inklusion, wo man behauptete, dass unsere Nazivergangenheit die Sonderpädagogik in ihrem Seperationsgedanken geprägt hat)


    Dabei wird immer ausgeblendet bzw. rückt nicht genug ins Bewusstsein, dass die Naziherrschaft, der Krieg und die Folgen für die gesamte Bevölkerung unermessliches Leid brachte. Es gab nämlich mehr Opfer als die, von denen man immer liest. Gegen einen Einzugbefehl konnte man sich nicht wehren, sonst wurde man als Deserteur erschossen.

    Am liebsten möchte ich da gar nicht mehr daran erinnert werden - an die ganzen leidvollen Erzählungen. Ich bin genug geprägt dadurch. Man sieht, dass die Erzählungen so nachhaltig prägend waren, dass es nur einen kleinen Impuls braucht um sich genau daran zu erinnern. Das sehe ich auch bei den Mitschreibern.

    Warum kann man nicht einfach in Frieden zusammenleben und aktuelle Probleme am Thema lösen und nicht immer mit der Vergangenheit in Verbindung bringen?

  • Warum kann man nicht einfach in Frieden zusammenleben und aktuelle Probleme am Thema lösen und nicht immer mit der Vergangenheit in Verbindung bringen?

    Ich fürchte, die Nazi-Gehirnwäsche hat besser funktioniert und ist dauerhafter angelegt, als wir uns das vorstellen können.

    Wie sonst ist zu erklären, dass es immer noch (wir schreiben inzwischen das Jahr 2020!) zu verbalen Aussetzern kommt, auch bei Politikern, die nachweislich nichts mit der AfD zu tun haben? Sei es Schwarzen, Schwulen oder sonstigen Menschengruppen gegenüber?

    Was war denn mit dem Boateng, den "man nicht als Nachbarn haben möchte"?

    Was mit einem schwulen Kanzler, "solange er nicht mit dem Gesetz in Konflikt kommt und so lange es nichts mit Kindern zu tun hat"?


    Wenn es nicht so entsetzlich wäre, müsste man doch in hysterisches Gelächter ausbrechen.

    Aber ich weiß jetzt nicht, ob ich nicht gerade vom Thema abkomme. :ka:

  • Ich bezweifle, dass das von unserer Vergangenheit kommt. Es wird immer nur mit der Nazivergangenheit erklärt, was ich aber bezweifle. Die meisten von uns sind doch Kinder der Revolte der 68iger.

    Nationalismus ist ein globales Problem /Phänomen, sonst hätten wir diese Gedanken nicht auch in anderen Ländern.

  • Mein Opa väterlicherseits geriet in russische Kriegsgefangenschaft und kam traumatisiert und gebrochen wieder nach Hause.


    Wie schon geschrieben hatte mein Vater wohl vergleichbare Erfahrungen gemacht, die ihn allerdings in anderer Weise "gebrochen" hatten: Er ließ von seiner NS-Verblendung ab, öffnete sich allem bislang Fremden, war später sogar mit einem russischen Kosmonauten befreundet.


    Was die beiden zusammen brachte, war ein aus der Kriegsgefangenschaft geretteter, selbst gebastelter Schaumschläger, mit dem mein Vater nach eigenem Bekunden aus Planzensaft so etwas wie Sahne geschlagen hatte. Michail Strekalov hatte sich so ein Gerät seinem Bekunden nach auf der Mir gebastelt zu selbigem Zweck. Als mein Vater seinen Schaumschläger dem Michail mit Erzählungen aus seiner Gefangenschaft präsentierte, geriet dieser in Verzückung - und seitdem waren die beiden verbunden.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Ich bezweifle, dass das von unserer Vergangenheit kommt. Es wird immer nur mit der Nazivergangenheit erklärt, was ich aber bezweifle. Die meisten von uns sind doch Kinder der Revolte der 68iger.

    Nationalismus ist ein globales Problem /Phänomen, sonst hätten wir diese Gedanken nicht auch in anderen Ländern.


    Voilà, ich wollte es gerade schreiben. In Deutschland bildet man sich nur immer ein, das käme alles aus der Vergangenheit. In Deutschland nennt man einen Rechten halt Nazi, überall sonst ist es einfach nur ein Rechter. Kommt aber aufs Tupfengleiche raus. Und wenn einer den Spahn nicht als Kanzler haben will weil der schwul ist, dann handelt es sich auch nur um ein homophobes Arschloch und nicht um einen Nazi.


    Das merke ich hier schon ganz deutlich im Gespräch mit den Kollegen und erst recht mit den Jugendlichen. Als Deutscher ist man in Sachen Geschichte immer irgendwie befangen. Wir sind im Kollegium verhältnismässig wenige Deutsche, da merkt man es umso mehr, dass der eigene Umgang damit immer irgendwie "komisch" ist. Dabei ist es so, dass sowohl Kollegen als auch Jugendliche viel mehr daran interessiert sind, wenn ich z. B. erzähle ich habe die halbe Verwandtschaft im Osten. Wie das mit der DDR so war, das interessiert die viel mehr als der ganz Nazi-Kram.


    Schwer beeindruckend finde ich übrigens wie gross der Einfluss der Kriegserfahrungen der Jugoslawien-Flüchtlinge auf deren Kinder ist. Da erleben die nächsten 3 Generationen ein nicht minderschweres Trauma würde ich sagen. Allerdings denke ich, dass heutzutage zum Glück die Chancengerechtigkeit schneller gegeben ist, meine Jugendlichen haben es ja jetzt schon deutlich besser als ihre Eltern.

    • Offizieller Beitrag

    Mein (nicht leiblicher) Opa, der in das Leben meiner Oma trat, als ich schon ein kleines Kind war, hat im Krieg als junger Mann gedient und auch einige Zeit in (deutscher) Gefangenschaft verbracht. Auf die Deutschen war er nicht gut zu sprechen. Was auch immer da passiert ist, weiß keiner. Nur so Sätze wie "damals war es anders", wenn er der Meinung war, die Kinder seien nicht brav oder die Jugend sei zu aufmüpfig. Meine gute Seele-Oma hat aber immer schnell mit ihm geschimpft und gesagt, man solle auch verzeihen können.
    Mein Opa ist nach dem Krieg zurückgekehrt, hat geheiratet, zwei Kinder bekommen, mit denen kaum gesprochen, relativ früh verwitwet und nach Jahren als einzelner Witwe meine Oma "gefunden". Mit seinen Kindern (und Enkelkindern) hat in den 20 Jahren vor seinem Tod (also die Zeit, wo wir ihn kennen), maximal drei Mal, und immer über Anwalt. Wir waren seine neue Familie, wo er versucht hat, es besser zu machen. Aber er war kapput. und gespalten zwischen dem Wunsch einer neuen friedlichen Welt und dem Schmerz des Krieges. und als er gestorben ist, lebte ich schon ein Jahr in Deutschland. Ganz hat er es nie wirklich verstanden.

    Meine Oma hat alles verloren, als die Familie nach Frankreich fliehen musste. Mit vier Kindern im Schlepptau, ein paar Wochen vor der Ernte, quasi über Nacht mit nichts in den Koffern. Sie hat aber nach außen hin immer positiv gesprochen. Von der Farm geschwärmt, von den Leuten (die sie dann vertrieben haben), von der Stadt. Sie musste "ihr Land" nach 35 Jahren verlassen, ihr Dorf, ihre Region, war nie wieder dort und hat immer meiner Schwester und mir gesagt: man muss verzeihen. Gott verzeihe.
    Meine Mutter (und zum Teil ihre Geschwister) haben es nie gemacht. Nie verziehen. Das ist eine innere Wut, die die Schmerzen nur tagtäglich anfeuert. Damit gehört sie aber einer Minderheit. Kaum vorstellbar, dass in Deutschland eine ganze Generation diese Wut und Trauer weitergeerbt bekommen hat.

  • Kaum vorstellbar, dass in Deutschland eine ganze Generation diese Wut und Trauer weitergeerbt bekommen hat.

    Das glaube ich auch nicht. Ich denke, es kommt sehr auf das Einzelschicksal an, wie es genau gegangen ist. Da gab es die, die gut Fuss gefasst haben, die vergessen und verzeihen konnten. Und es gab die, die Pech hatten, die verbittert sind. Als Nachkomme der letzteren muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen, dass die Vergangenheit die Vergangenheit ist und man die Zukunft selbst in der Hand hat. Ich habe das irgendwie hinbekommen, mindestens einer meiner Brüder (die sind beide sehr viel älter als ich) leider überhaupt nicht.

  • Krieg muss ganz derbe sein.

    Und seine Folgen vllt oft sogar noch schlimmer.

    Mein Vater ist zwar "im Krieg" geboren, aber war bei Kriegsende nich mal in der Schule.

    Was aber "Folgen" angeht... meinen Opa mütterlicherseits kenne ich nur aus Erzählungen und von Bildern, "dank" Francisco Franco, schönen dank auch.

    Aber bei diversen SuS habe ich das weit deutlicher mitbekommen... hatte zB mal ne Schülerin aus Herzegowina, die das dortige Gemetzel mehr oder minder "live" mitbekommen hatte... sowas prägt. Wobei ich denke, es prägt jeden anders.


    Und... ich bin garantiert nicht homophob, aber Spahn finde ich trotzden sch... den will ich weder als Kanzler noch überhaupt inn der Politik, der soll einfach weggehen...

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Voilà, ich wollte es gerade schreiben. In Deutschland bildet man sich nur immer ein, das käme alles aus der Vergangenheit. In Deutschland nennt man einen Rechten halt Nazi, überall sonst ist es einfach nur ein Rechter. Kommt aber aufs Tupfengleiche raus. Und wenn einer den Spahn nicht als Kanzler haben will weil der schwul ist, dann handelt es sich auch nur um ein homophobes Arschloch und nicht um einen Nazi.

    Da bin ich mir nicht ganz sicher, ob ich dir zustimmen kann, Wollsocken.

    Natürlich sind derjenige, der das mit dem Boateng gesagt hat (irgendso'n CDU-Dickerchen, gell?) oder dieser unsäglich Merz keine Nazis, schon klar, aber ich verbinde mit "Nazi" wohl eher die Selbstverständlichkeit, mit der solche unsagbaren Dinge plötzlich gesagt werden. Ob nun rechts oder homophob (und deshalb noch lange kein Nazi) - dieses Schwadronieren, das kommt von den Nazis, da bin ich mir sicher.

  • aber ich verbinde mit "Nazi" wohl eher die Selbstverständlichkeit, mit der solche unsagbaren Dinge plötzlich gesagt werden

    Na dann komm mal hierher wenn Du wissen willst, mit was für einer noch viel grösseren Selbstverständlichkeit so alles (Un)mögliche erst im Ausland gesagt werden kann. Vergesst an der Stelle einfach mal das Vergangene und betrachtet das Gegenwärtige als ganz neues und eigenständiges Problem. Vielleicht lässt es sich so dann auch mal lösen wenn man nicht immer an der falschen Stelle nach den Ursachen sucht.

  • Ich schätze, ich bin jünger als einige, die schon geschrieben haben, und doch nutze ich die gleichen Sätze und habe die gleichen Verhaltensweisen mitbekommen ... FreundInnen in meinem Alter auch: „Alles aufsparen“ ist so ein Thema und „sparsam sein“ (nein, ich bin kein Schwab).

    Und da erstaunt es mich, wenn jetzt die jüngeren Lehrkräfte wie selbstverständlich aus dem Vollen schöpfen ... und Fridays for Future Sachen fordert, die ich schon als Kind selbstverständlich fand und die durch die 80er verstärkt wurden, weil sie auf sehr fruchtbaren Boden fielen.


    Vor ein paar Jahren habe ich ein Buch gelesen, in dem jemand ausgehend von einem sehr kleinen regionalen Friedhof nahe eines kleinen KZ recherchiert hat, wo die Familien der dort Beerdigten leben. Sie waren über ganz Europa verstreut, was mich erstaunt hat, weil mir vorher nicht klar war, wie weiträumig die Verschleppungen waren ... ich hatte zuvor gedacht, dass es große Zentren und klare Routen gab.


    Zudem wurde noch etwas sehr deutlich: Es ist die Generation der Enkel, die fragt und aufarbeitet, weil die Generationen vorher zu dicht dran waren.

    Auch ich kenne Geschichten von Eltern und Großeltern aus Krieg und Nachkriegszeit, aber vieles wurde nicht vor uns erzählt.

    Ich weiß von anderen, die nicht gefragt haben oder es zum Teil verschwiegen haben, weil der Vater oder Großvater besonders aktiver Nationalsozialist war.


    In einer anderen Reportage wurde es „der Krieg im Altenheim“ genannt, dass viele die Erlebnisse nie verarbeitet haben, sondern verdrängt und verschwiegen und die Albträume doch immer wiederkehren.

    Nicht umsonst gibt es jetzt die Zeitzeugenprojekte, weil die älteren jetzt noch aus ihrer Kindheit und Jugend erzählen können, die Täter aber bereits gestorben sind.

    Auch da ist manches noch nicht aufgearbeitet und es gibt nicht überall einen offenen Umgang damit, sondern auch Menschen, die Seiten aus Chroniken verschwinden lassen oder schwärzen.


    Auch ich denke, dass durchaus vieles weitergegeben wurde, bewusst und unbewusst.

    Resilienz ist das nicht unbedingt, finde ich, weil eben auch vieles verschwiegen oder von den eigenen Kindern ferngehalten wurde, um sie nicht aktiv zu belasten, was auch mit den Erfahrungen aus der Kriegszeit zu tun hat.


    Aber wenn man das, was man hat, eher als Luxus und nicht als Selbstverständlichkeit auffasst, fällt es einem derzeit womöglich leichter, auf etliches zu verzichten, das andere, die gewohnt sind, grenzenlos aus dem Vollen zu schöpfen, als Entbehrung empfinden, z.B. shoppen, reisen/Urlaub etc.

  • Ach, jetzt haue ich den link hier auch noch mal rein, ich fand die Doku nämlich wirklich gut:


    Vertreibung – Odsun: Das Sudetenland - Teil 1 | MDR DOK - YouTube

    Vertreibung – Odsun: Das Sudetenland - Teil 2 | MDR DOK - YouTube


    Ich glaube ich werde irgendwann mal hinfahren, ich weiss ja wo meine Eltern geboren sind. Mich hat das nicht-dazu-gehören enorm geprägt und noch viel mehr die vermeintliche Handlungsunfähigkeit in dem Glauben, die Vergangenheit hätte einen fest im Griff. Es war falsch was damals passiert ist aber kein Mensch kann heute mehr was dafür. Ich weiss, dass meine Grossmutter mütterlicherseits noch Tschechisch gekonnt hat (sie ist sehr lange schon tot) aber den Kindern gesagt hat, wir sind hier jetzt in Bayern und müssen uns anpassen, wir müssen alles vergessen was war. Funktioniert hat das hinten und vorne nicht. Ja doch, ich glaube schon dass mich das als Auslandsdeutsche heute prägt. Ich assimiliere nicht, ich bleibe wer ich bin und nehme das dazu, was hier ist.

  • aber ich verbinde mit "Nazi" wohl eher die Selbstverständlichkeit, mit der solche unsagbaren Dinge plötzlich gesagt werden. Ob nun rechts oder homophob (und deshalb noch lange kein Nazi) - dieses Schwadronieren, das kommt von den Nazis, da bin ich mir sicher.

    Vermutlich stimmt irgendwie beides, denn im Ausland gibt es ja durchaus Rechte und Hetze.

    Aber ich weiß auch, dass meine Großmütter beide sehr von der Propaganda geprägt waren und auch in den 80ern durchaus noch entsprechende Äußerungen kamen, die mir aufgefallen sind, weil sie für mich ungewöhnlich klangen ... vielleicht auch, weil ich gespürt habe, wie meine Mutter die Luft angehalten hat.

    Es ist schon möglich, dass sich das weitergibt und wieder auftaucht, wenn dann doch plötzlich „Jude“ als Schimpfwort auftaucht bei Leuten im Alter zwischen 50 und 60 Jahren.

  • Ja doch, ich glaube schon dass mich das als Auslandsdeutsche heute prägt.

    Zeigt doch aber, dass es sich eben doch fortsetzt, nicht unbedingt gleich, aber durchaus auf die Weise, dass man versucht, es anders zu machen ... und damit dann doch geprägt ist und etwas davon weitergibt.

    Vielleicht ist das der Lauf der Welt, andererseits betrifft das schon sehr viele Menschen, da sie die Erfahrung von Flucht und Krieg in der Familie haben.

  • ...

    Erst in ihren späteren Jahren, so ab Rentenalter, kamen viele Erinnerungen mit emotionaler Wucht wieder. Dann erzählten auch sie, bei solcher Gelegenheit habe ich meinen Vater weinen gesehen, was er sonst nie getan hat. Da habe ich dann auch verstanden, warum er Silvesterböllerei immer schrecklich findet.

    Silvester war für meine Mutter auch ein Trigger. Erzählt wurden bei uns nur wenige Erinnerungsbilder, geweint nie, es gab stattdessen Suizid auf Raten.




    Meine Mutter (und zum Teil ihre Geschwister) haben es nie gemacht. Nie verziehen. Das ist eine innere Wut, die die Schmerzen nur tagtäglich anfeuert. Damit gehört sie aber einer Minderheit. Kaum vorstellbar, dass in Deutschland eine ganze Generation diese Wut und Trauer weitergeerbt bekommen hat.

    Eine ganze Generation wahrscheinlich nicht, aber du siehst ja, wie hoch der Anteil derjenigen allein in dieser Gruppe ist, die mit dem Threadtitel etwas anfangen können. Das trifft auf andere Länder sicher auch zu. Was speziell deutsch ist: Dass unsere Eltern auch aus Täterfamilien stammen. Der Nazi-Opa ist nicht nur unrühmlich, je nach schwere der Schuld macht das Enkel heute noch fertig.


    Die Geschichten wie hier wiederholen sich: Der Großvater, der aus russischer Kriegsgefangenschaft traumatisiert heimkam. Manche haben nachts geschrien vor Alpträumen, waren jähzornig, unsere Eltern schon Schulkinder, die plötzlich nicht mehr "Partner der Mutter" waren, sondern sich diesem abgemagerten Wrack gegenübersahen, der sich mit "ich bin dein Vater" vorstellte, herrisch wurde aber nicht mehr arbeiten konnte. Flucht, Vertreibung, sexueller Missbrauch haben viele Mütter und Großmütter erlebt.


    Dass Traumata transgenerational weitergegeben werden weiß man noch nicht allzu lange. Übrigens nicht nur durch verkorkste Erziehung sondern auch durch Vererbung. Viele Kinder der Kriegskinder haben mit Beziehungsabbrüchen und Jobwechseln zu kämpfen, schaffen es nicht, Karriere zu machen, manche ziehen immer wieder um, Suchtprobleme, Panikattacken, Alpträume von Feuer, oder Flucht, obwohl man die selbst nicht erlebt hat... Naja, aber alles in allem geben wir ja unser Bestes.


    Ich kann übrigens den Kriegsenkel e.V. empfehlen. Ist ja aktuell auch nichts mit Treffen, aber generell sehr spannend.

  • Ich weiss, gibt zuverlässig jedes Jahr eine Maturarbeit drüber. Jedes Land hat Themen, worüber man nicht so gerne spricht.

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