Veränderung Lernatmosphäre um 180 Grad

  • Hallo, es handelt sich um ein überraschendes Problem in einer 10. Klasse Gym. Ich unterrichte seit ca 3 Monaten eine 10. Kl 2 Stunden die Woche. Bisher empfand ich sie als aufgeschlossen und positiv mir ggü. eingestellt. Sie sind zwar nicht die leistungsstärkste Lerngruppe, aber doch motiviert dabei ( gewesen). Nach den Herbstferien haben wir eine Arbeit geschrieben, die gut ausfiel ( keine unterm Strich, ein paar Vieren, ein paar Einsen, überwiegend Zweien und Dreien) und ich sammelte die Mappen ( lange vorher angekündigt) ein, die überwiegend auch ok waren. Eine Schülerin fand ihre schriftliche Note ungerecht; sie wollte eine 1 , obwohl ihr 3 Punkte fehlten. Als ich ihr ruhig sagte, dass das nicht geht, verließ sie schreiend, weinend und türenknallend den Raum. Die KL sprach mich an, es gebe Unmut - wohl wg der Mappen. Ich sprach das in der nächsten Std an in Form einer Evaluation ( das gefällt mir am Unterricht/ gefällt mir nicht/ Ideen, Wünsche usw.) Ich führe das in meine Klassen regelmäßig durch und bisher war das immer eine gute Gesprächsgrundlage. Hier aber ging das nach hinten los. Es wurde sich beschwert, über die Tatsache, dass ich die Mappen eingesammelt habe ( meine Notizen, geht sie gar nichts an), darüber , wie AB ausgeteilt werden ( coronabedingt durch mich und nicht wie sonst durch Schüler), dass einige keine 1 haben (!), dass ich nicht jedesmal alle Sch. drannehme, die sich melden, Thema der Einheit usw. Einiges stellte ich klar z.B. Themenwahl usw. Zuhause lass ich die anonym ausgefüllten Zettel und erschrak: jede Menge persönliche Beleidigungen und Anfeindungen! Auch komplett unwahre Dinge. Z.B. schrieb einer, dass er mich komplett unsympathisch fände, der nächste ich hätte hässliche Schuhe, ich würde immer (!) alle (!) unterbrechen, ich sei eine aufdringliche Person. Und immer wieder Mappe, Mappe, Mappe. Ich weiß , dass diese Klasse bereits mehrere Lehrer massiv angegangen ist und beleidigt hat - auch aktuell. Die KL findet sie aber ganz putzig (O-Ton). Ich habe mit der Gym Leiterin darüber gesprochen. Meine Strategie jetzt, drüber weggehen, auf Nachfragen nach weiteren Diskussionen ( 3 UStd sind meiner Meinung nach genug) , werde ich sagen, dass ja ein Meinungsbild erstellt wurde und ich jetzt im Stoff gerne weitermachen möchte und gehe nicht mehr darauf ein. Klar und sachlich bleiben. Nicht mehr den Wortführern eine Plattform geben. Oder habt ihr eine bessere Idee? Sorry, aber das beschäftigt mich grade sehr.

  • Würdest du in irgendeinem anderen Kontext auf der Welt so mit dir umspringen lassen? Also nein, ich würde diese Truppe ganz sicher nicht nochmal fragen, was sie gerade an mir gut finden und ob ich im Stoff weitermachen darf. Ich würde ihnen Aufgaben geben, mit denen sie sehr viel sehr still zu tun haben, nicht mehr als nötig sprechen und jede unangemessene Antwort etwa mit "dein Ton passt mir nicht, noch eine Frage zur Aufgabe? Nein? Dann fang an." unterbinden. Und in 3 Wochen, wenn sie sich beruhigt haben, ein paar kurze Sätze dazu sagen, was du von ihnen in deinem Fach erwartest und wenn es noch mal lustig werden soll in diesem Schuljahr in deinem Fach, sie sich überlegen sollen, was sie beitragen können, dass das was wird.

  • Ich hatte so etwas auch einmal bei einer anonymen Abfrage kurz nach dem Ref in einer Gruppe, in der es etwas Missmut über (aus Schülersicht) zu viele Tests und Noten gab. Die negativen Kommentare bezogen sich überwiegend auf Leistungsabfragen und Methodisches, es waren aber auch Dinge dabei, die übergriffig und beleidigend waren und die ich so nicht stehen lassen wollte. Ich habe mich damals entschieden, das Ganze offensiv anzugehen, habe die Kommentare abfotografiert und über Beamer gezeigt - mit der Aufforderung, sich dazu bitte mal zu äußern und zu erklären, wie sie sich den weiteren Umgang miteinander hier zukünftig vorstellen. Für mich war erleichternd zu sehen, dass die überwiegende Mehrheit ziemlich empört reagiert hat und ähnlich schockiert war wie ich bei der Auswertung. Letztlich war es eine gute, "reinigende" Aussprache, bei der ich meine Entscheidungen und auch meine Erwartungen an den menschlichen Umgang miteinander noch einmal erklärt habe (und ja, auch dass mich manches verletzt hat). Danach wurde es auch tatsächlich besser.


    Wenn ihr allerdings schon darüber gesprochen habt, würde ich das Ganze wohl auch abschließen und ohne viel weiteres Herumgerede sachlich-professionell weiter im Stoff gehen - und auch klar formulieren, dass sie im eigenen Interesse besser mitziehen.


    Ich habe danach übrigens nie wieder Evaluationen gemacht (was eigentlich schade ist, denn alle vorherigen waren immer überwiegend positiv und konstruktiv).

  • Es gibt in "Good Will Hunting" diese Szene, in der Will seinen Betreuer übel persönlich beleidigt und man für einen Moment glauben kann, dass der das zum Anlass nimmt, aufzugeben. Aber er sagt am nächsten Tag, dass er Will das nachsieht, weil er halt jung und dumm ist. Und wenn man später Wills Geschichte erfährt, sieht man das auch mit anderen Augen.


    Damit will ich nicht sagen, dass man diese persönlichen Beleidigungen durchgehen lassen darf. Aber: Man darf sie nicht persönlich nehmen, auch wenn das schwer fällt.


    Ich würde das auch nicht so stehen lassen und es ähnlich wie von Maylin geschildert angehen. So dass die Botschaft ganz klar ist: Auch anonyme Beleidigungen sind Beleidigungen, verletzend und nicht zielführend. Und wir gehen so nicht miteinander um, und wenn wir uns noch so sehr übereinander ärgern.


    Vielleicht wäre es trotzdem gut, mit dieser Aussprache noch ein wenig zu warten und die Stimmung in der Klasse zu beobachten. Um abzuschätzen, ob es nicht doch noch einmal nach hinten losgeht.


    Ich habe auch schon in einer ähnlichen Situation eine Beratungslehrerin hinzugezogen. Das hat auch geholfen.


    Und dass die KL sie "putzig" findet, sorry, das ist einfach bescheuert. Damit hat das geschilderte Verhalten nun so gar nichts zu tun.

  • dass er mich komplett unsympathisch fände, der nächste ich hätte hässliche Schuhe,

    Teile ihnen mit, dass auf der Ebene keine Gespräche möglich sind. Und dann wird nicht mehr diskutiert und 'rumgeeiert, sondern unterrichtet und gelernt.


    Die Damen und Herren hatte eine Chance, mit dir ins Gespräch zu kommen. Die haben sie abgelehnt.


    Zieh deinen Stoff durch und fertig. Schau, dass du die Noten ordentlich dokumentiert hast.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • Meine Strategie jetzt, drüber weggehen, auf Nachfragen nach weiteren Diskussionen ( 3 UStd sind meiner Meinung nach genug) , werde ich sagen, dass ja ein Meinungsbild erstellt wurde und ich jetzt im Stoff gerne weitermachen möchte und gehe nicht mehr darauf ein. Klar und sachlich bleiben. Nicht mehr den Wortführern eine Plattform geben. Oder habt ihr eine bessere Idee?

    Nee, so machen. bzw noch etwas deutlicher herausstellen, dass gewisse Dinge nicht gehen. Damit sie wissen, dass sie jetzt die Folgen ihres Handelns austragen müssen.

    „Fakten haben keine Lobby.“


    (Sarah Bosetti)

    Einmal editiert, zuletzt von O. Meier ()

  • Zuerst einmal trenn zwischen dir als Person und dir als Lehrer.

    Schau dir die Punkte in der Evaluation an, die unterrichtsrelevant sind. Das kann z.B. das Thema "Unterbrechen" sein, auch wenn es völlig pauschal geäußert wurde. Guck bei den unterrichtsrelevanten Punkten, ob sie eventuell nur kritisiert werden, weil sie den Schülern eine Anstrengung abverlangen (Mappen). Auch wenn ich hier zwei Beispiele aus deiner Schilderung herausgepickt habe, kannst nur du beurteilen, wie die einzuschätzen sind.


    Alles nicht unterrichtliche: Kleidung, Aussehen, Persönlichkeitsmerkmale etc. kannst du getrost beiseite schieben. Das sind Strohmann-Kritikpunkte, die falls ernst gemeint, eine allgemeine Unzufriedenheit und das Unvermögen diese präzise zu bennen, überdecken.


    Ich würde mit der Klasse jetzt da nicht weiter drüber diskutieren, sondern denen lediglich mitteilen: "Ich habe diese aus der Evaluation wahrgenommen, dass ihr euch das wünscht... "berechtigte unterrichtsrelevante Punkte". Gibt es keine, machst du das natürlich nicht.

    Eventuell kannst du zum Thema Mappen noch sagen, das diese zu den normalen Anforderungen sonstiger Mitarbeit gehören und betonen, dass das auch eine Chance ist gute Leistungen zu zeigen.


    Sollten dir gegenüber allerdings von Schülern der Klasse Beleidigungen geäußert werden oder respektloses Verhalten gezeigt werden, dann würde ich empfehlen konsequent pädagogische Maßnahmen zu verhängen, zu dokumentieren und ggf. den Schritt weiter zur Ordnungsmaßnahme zu gehen.


    Deine grundsätzliche Haltung muss dabei sein: Jede Stunde eine neue Chance für die Schüler. Du mußt ja zukunftsorientiert arbeiten. Aber das weißt du ja selbst.

    Leider hat man manchmal so ätzende Situationen. Meistens sind das aber zum Glück "Eingewöhnungsprobleme", die sich legen, sobald die Schüler wissen, was von ihnen erwartet wird. Insofern gib die Hoffnung nicht auf und lass dich nicht Demotivieren!

    • Offizieller Beitrag

    mich würde interessieren, was diesen "Stimmungswechsel" ausgemacht haben mag; du schreibst ja, dass es anfangs ganz gut lief mit der Klasse.


    Zur Evaluation: ich mache das immer mit einem recht eng gefassten Ankreuzkatalog, der ganz viele Details aus dem Unterricht erfasst. z.B. "Die Anzahl der HA war für mich zum Lernen ausreichend -- passned-- zu wenig-"


    etwas freier:

    "Ich hätte bessere Ergebnisse erzielt, wenn ich...."


    So ufert die Umfrage nicht zu sehr aus, und du hast unterscheidliche Unterrichtsbereiche erfasst.


    Am Ende gibts bei mir noch ein "was ich immer schon mal loswerden wollte", das wäre bei deiner jetzigen Klasse dann wohl weniger angebracht ;)

    • Offizieller Beitrag

    Der TE hat meines Erachtens einen taktischen Fehler gemacht.

    Wenn es breit angelegte Unzufriedenheit innerhalb einer Klasse gibt, dann wirkt sich das zwangsläufig auch auf die Evaluationsergebnisse aus. Dass SchülerInnen Evaluation mit "ich kotze mich aus" verwechseln bzw. die anonymisierten Zettel für so etwas missbrauchen, habe ich auch schon erlebt.
    Das sollte sich der TE nicht zu Herzen nehmen sondern drüber stehen.

    Nichtsdestotrotz sollte man als Lehrkraft klare Grenzen setzen und ein Mindestmaß an Respekt einfordern. Die Idee mit dem Spiegeln der respektlosen Antworten finde ich gut, ich würde allerdings nicht den Originalzettel nehmen sondern die Aussagen weiter anonymisieren. Dann würde ich schlicht rückfragen, wie die SchülerInnen es denn fänden, wenn man ihnen als Kommentare unter ihre Mappen oder Klassenarbeiten ähnlich schmeichelhafte Dinge geschrieben hätte. Die meisten kapieren es dann.
    Und manchmal muss man als Lehrkraft auch einfach einmal einen solchen akuten und in der Regel nicht lange anhaltenden Shitstorm aushalten. Und wenn die Bemühungen zur Verbesserung des Klimas nicht fruchten, muss man sich nicht per se infrage stellen, sondern zieht sich auf das Professionelle zurück. Einer meiner letzten Englisch LKs war dauerhaft so drauf mit dem Ergebnis, dass ich nicht auf den Abiball gegangen bin. Da waren die SchülerInnen auf einmal total betroffen bzw. getroffen, aber ich bin konsequent geblieben.

    Letztlich ist das aber alles Teil des großen Spiels mit dem Namen "Schule", in dem wir uns befinden.

  • Letztlich ist das aber alles Teil des großen Spiels mit dem Namen "Schule", in dem wir uns befinden.

    Nein, ist es nicht. Es ist ein Lernprozess, wann man was wie evaluiert, wie man mit Konflikten umgeht und wann man wie reagiert. Es muss ja nun nicht zwangsläufig eskalieren, auch mit schwierigen Gruppen nicht. Man lernt doch immer dazu.

  • Die KL sprach mich an, es gebe Unmut - wohl wg der Mappen. Ich sprach das in der nächsten Std an in Form einer Evaluation ( das gefällt mir am Unterricht/ gefällt mir nicht/ Ideen, Wünsche usw.)

    Vielleicht war der Zeitpunkt der Evaluation auch einfach ungünstig - sie waren ja schon angesäuert wegen der Mappen und haben dann praktisch eher nach negativen Dingen gesucht. Da hat sich das Vokabular untereinander vmtl. beim Gespräch mit der Klassenlehrerin auch noch aufgeschaukelt.


    Sie haben sich gerade über dich beschwert und du gibst ihnen Gelegenheit, jetzt nochmals alles in schriftlicher Form loszuwerden. Dass du da keine Lorbeeren erntest, war zu erwarten.

  • Ich kenne das an der Klinikschule ebenfalls, wenn auch in leicht veränderter Form. Bei uns gibt es ja keine Klassen, die mindestens ein Jahr praktisch unverändert zusammenbleiben, sondern nur Gruppen, die sich ständig verändern (also jetzt nicht täglich, manchmal auch nicht wöchentlich, aber doch permanent). Da reicht ein "Spaltpilz", und auf einmal ist alles scheiße in der Schule - die Unterrichtszeiten, die Lehrer, die Räume... Da muss man dann mal eine Weile auf Durchzug schalten, vielleicht auch mal eine deutliche Ansage machen, und dann ist auch wieder gut.

    Ähnliches ist übrigens bei den erwachsenen Patienten zu beobachten. Da geht es auch in schöner Einmütigkeit immer mal wieder gegen eine bestimmte Abteilung der Klinik. Mal ist die Küche dran, mal die Hauswirtschaft, mal die Therapeuten, und mal auch die Schule. Ich denke, das ist eine Art von Gruppendynamik, gegen die man nichts machen kann, verbunden mit den speziellen Problemen unserer Patienten.


    Übrigens: Bei weitem am unangenehmsten sind in der Regel die Privatpatienten und deren begleitende oder mittherapierte Eltern, die sich bei uns zu ca. 80% aus Lehrerinnen rekrutieren.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

    • Offizieller Beitrag

    Nein, ist es nicht. Es ist ein Lernprozess, wann man was wie evaluiert, wie man mit Konflikten umgeht und wann man wie reagiert. Es muss ja nun nicht zwangsläufig eskalieren, auch mit schwierigen Gruppen nicht. Man lernt doch immer dazu.

    Sag ich ja. Teil des großen Spiels. Ich bin irgendwann so weit gewesen, es als solches zu erachten. Und was Du beschreibst, gehört mit dazu.

Werbung