"Menschlichkeit fehlt" am Gymnasium - geht es nur ums Aussieben??

  • Ich schätze mich selbst so ein, dass ich heute netter bin als als Junglehrerin. Meine Kinder haben dazu geführt, dass ich in vielem entspannter bin und über manches hinwegsehe, was mich früher auf die Palme gebracht hätte.

    Bei meinem Kind (6. Klasse) habe ich den Übertritt von der kleinen einzügigen GS ans GY übrigens auch als entspannt erlebt.

  • Das nennt man altersmilde 😉 Ich bin mit Vielem in den vergangenen 7 Jahren geduldiger geworden, Lärm nervt mich aber mit jedem Jahr mehr.

  • Ich erinnere mich genau an den Elternabend in der 5. Klasse. Ich fragte den Englischlehrer, wie er denn den Übergang von der Grundschule aufs Gymnasium gestaltet (in der Grundschule war das noch sehr spielerisch).

    Er schaute mich an, als käme ich vom Mond und sprach. "Es gibt keinen Übergang. Wir sind am Gymnasium."


    Die Klassenlehrerin: "Es geht ums Abitur, nicht um Schmusepädagogik." (5. Klasse!)


    Und mein Kind sagte zu mir nach einem halben Jahr: "Ich glaube, die Lehrer interessieren sich gar nicht für uns."


    Jetzt ist er in der 8. und hat sich daran gewöhnt, eine Nummer zu sein. Und weiß, dass es dennoch einzelne Lehrer gibt, die sich doch als Pädagogen und nicht als Fachwissenschaftler fühlen und sich so verhalten.

  • Ganz ehrlich, solche Fragen nerven aber auch einfach nur. Übergang gestalten halte ich persönlich auch für Zippzapp und viel aufgeblasenes Gerede... was soll man da sagen? "Das Schulbuch hat am Anfang ein paar Seiten mit wiederholendem Grundschultrivialkram, mit denen wir losplänkeln, bevor wir dann hoffentlich zeitnah richtig einsteigen"? Denn so ist es ja faktisch.


    Trotzdem heißt das nicht, dass man nicht nett und schülerzugewandt mit den Kindern umgeht.

  • Ich fragte den Englischlehrer, wie er denn den Übergang von der Grundschule aufs Gymnasium gestaltet (in der Grundschule war das noch sehr spielerisch).

    Er schaute mich an, als käme ich vom Mond und sprach. "Es gibt keinen Übergang. Wir sind am Gymnasium."

    Was wäre denn deine Erwartung gewesen bzgl. Gestaltung des Übergangs?

  • Na ja, es gab noch nicht einmal eine Stunde, in der zusammengefasst wurde, was die Schüler schon aus der Grundschule wissen.

    Es wurde quasi von einem Tag auf den anderen gar nicht mehr gemalt, gar nicht mehr gesungen, nur noch Englisch geredet (statt langsam den Englischanteil zu erhöhen).


    Ich hätte erwartet, dass bis zu den Herbstferien der spielerische Teil langsam reduziert wird. das hätte mir schon gereicht.

    Der Spaß an der neuen Sprache war sichtbar weg, dies haben die anderen Eltern auch registriert (deshalb die Frage beim Elternabend, aber vielleicht haben wir nur Pech mit dem Lehrer gehabt). Das kann doch nicht Ziel des Gymnasiums sein.

  • Na ja, es gab noch nicht einmal eine Stunde, in der zusammengefasst wurde, was die Schüler schon aus der Grundschule wissen

    Das interessiert mich auch nicht. Unsere SuS kommen aus zwei verschiedenen Kantonen aus zig verschiedenen Schulhäusern, da hat jeder irgendwas anderes vorher gemacht. Ich fange dann einfach mal an und dann sehen wir schon, wer was kann.

  • German: Ein Lehrer, der regelmäßig in Klasse 5 unterwegs ist, sollte ein eigenes Interesse an einem guten Übergang haben, um an den Vorkenntnissen ansetzen zu können. Ein Lehrer, der nur alle paar Jahre mal in den niedrigen Klassen eingesetzt ist, tut sich da vlt. schwer, sein Fach so stark didaktisch zu reduzieren wie es die Jahrgangsstufe benötigt. In meinem Bundesland dürfen Gymnasiallehrer bei Mangel auch im H/R-Bereich unterrichten und jemand, der in klassischen Gymnasialklassen "zuhause" ist, wird sich am Anfang auch mit dem Unterricht auf Hauptschulniveau schwertun.

    Die Gymnasiallehrer könnten am Anfang etwas runter vom Gas gehen, sehen aber den Unterricht aus der fachlichen Brille und wollen auch den gymnasialen Anspruch haben. Vlt. wäre es auch andersherum möglich, dass die Englischlehrer bereits im 2. Halbjahr der 4. Klasse das Niveau schrittweise erhöhen, sodass die Kinder den Übergang ins 1. Halbjahr der 5. Klasse nicht so heftig empfinden.

  • Das Vorwissen aus der Grundschule ist ehrlich gesagt so marginal, dass es da nicht viel zusammenzufassen gibt. Die Kinder können ein paar Vokabeln zu bestimmten Wortfeldern, was auch schön ist, wo aber meist noch das Schriftbild zu fehlt. Dazu ein paar Phrasen, die man mal kurz wiederholen kann, die aber bereits für die allererste Unit eigentlich weder zielführend noch ausreichend sind. Man fängt sowieso bei null an, von daher finde ich diese Anknüpfungsseiten (wo ein paar Farben oder Tierbezeichnungen oder dergleichen wiederholt werden) nicht besonders sinnig und eher Zeitverschwendung. Klasse 5 ist in Englisch so überladen (ich hab noch NIE das Buch durchgeschafft und musste immer einen Teil mit in die 6 nehmen), dass ich gerade am Anfang zügig vorwärts kommen möchte. Malen und singen - finde ich nach der Grundschule im Fachunterricht jetzt auch nicht mehr so angebracht, kostet unverhältnismäßig viel Zeit ohne viel Lernzuwachs, und ist auch nicht mein Ding. Ich persönlich fange in Woche 2 mit wöchentlichen Vokabeltests an und erwarte auch, dass Kinder mit Gymnasialempfehlung mit halbwegs zügigem Lerntempo klarkommen.

    Der Kollege hat es vielleicht nicht sehr diplomatisch ausgedrückt, aber mit der Grundaussage hat er zumindest nicht Unrecht.

  • Ich fange dann einfach mal an und dann sehen wir schon, wer was kann.

    Aber vorher fragst du die Schüler ja schon, woher sie kommen, welche Erfahrungen sie mit der Sprache schon gemacht haben usw.

    Wir arbeiten mit kleinen Menschen (auch am Gymnasium). Ich sehe mich in der Rolle des Lehrers (u.a. am Beruflichen Gymnasium) eher als Pädagogen denn als Fachwissenschaftler. In der 5. Klasse, die es bei uns nicht gibt - wir fangen ab 8 an - erwarte ich das eben erst recht.


    Das interessiert mich auch nicht

    Genau diesen Eindruck hatten die Kinder und waren frustriert.

  • Ich persönlich fange in Woche 2 mit wöchentlichen Vokabeltests an und erwarte auch, dass Kinder mit Gymnasialempfehlung mit halbwegs zügigem Lerntempo klarkommen.

    Und wenn jeder Fachlehrer so das Tempo anzieht, fehlt meiner Meinung nach eben der Übergang. Nur um den geht es mir bei der Diskussion. Dass das Gymnasium kein Ponyhof ist, ist mir schon klar. Ich bereite meine Schüler auch aufs Abitur vor und singe und male dabei nicht.

  • Und wenn jeder Fachlehrer so das Tempo anzieht, fehlt meiner Meinung nach eben der Übergang. Nur um den geht es mir bei der Diskussion. Dass das Gymnasium kein Ponyhof ist, ist mir schon klar. Ich bereite meine Schüler auch aufs Abitur vor und singe und male dabei nicht.

    Ich finde das aber notwendig. In meiner letzten 5. Klassen hatte ich in den ersten 3 Vokabeltests 1/3 5en, weil die Kinder nicht gewohnt waren sich hinzusetzen und richtig zu lernen (inklusive korrektem Schriftbild). Das ist aber nunmal gerade am Anfang superwichtig, sonst sind sie ruckzuck abgehangen bevor wir überhaupt richtig angefangen haben. Die frühen Noten waren auch für die Eltern ein klares Signal, dass es so nicht funktioniert und sie sich umstellen müssen.

  • Also die Kinder wissen eigentlich schon in der Grundschule, dass im Gymnasium einiges von ihnen erwartet wird und es wird ja nicht in der ersten Unterrichtswoche bereits seitenweise Vokabeln zum Lernen geben. Das Lerntempo nimmt schnell zu, aber das ist ja durchaus transparent und sagen wir den entsprechenden Kindern auch schon in Klasse 4.

  • hm, also ehrlich gesagt finde ich, dass wir einen wahnsinnigen Aufriss machen, um die Eingliederung der neuen 5er. Fängt schon mit dem Tag der offenen Tür an, dann die Anmeldungen, an denen ausführliche Aufnahmegespräche geführt werden, dann noch zwei Treffenvor den Sommerferien, damit sich die Klassen schomal kennenlernen, dann nach der ausfürlichen Einschulung mit Eltern, Gottesdienst und Luftballonaktion nochmal ne Woche nur mit den KlassenlehrerInnen, Paten aus der Oberstufe und vor den Herbstferien dann die 5-Tage-Klassenfahrt. Dazu dann eigener Schulhof für die Unterstufe, eigene Essenszeiten, schöner Neubau und Privilegien noch und nöcher. Dazu kommt, was eine Userin sco erwähnt hat, dass wir alle mit den Kleinen automatisch anders umgehen - ich krieg da auch immer ne ganz quitschige Stimme.


    Ich will nicht sagen, dass das alles unnötig ist und vielleicht reicht das alles noch nicht aus, aber ich bin vor 20 Jahren an meinem ersten Schultag am Gymnasium halt zur ersten Stunde hin (ohne Eltern), dann gabs ne Begrüßung durch die Schulleitung in der Aula, drei Stunden mit dem Klassenlehrer und die fünfte war dann Französisch, wo wir alle französiscen Wörter sagen durften, die wir konnten und in der sechsten haben wir dann halt mit der Lektion angefangen. Fand ich überhaupt nicht schlimm. Vielleicht ist der Übergang auch nur so schwierig, weil sich die Grundschulen in den letzten Jahren so extrem verändert haben. Bei uns in der Grundschule ist keiner mit Hausschuhen rumgelaufen, hat die Lehrerin gedutzt oder wurde als Gruppe mit "Du" angesprochen. Es gab weder einen offenen Anfang, noch einen Morgenkreis, noch nen Kakaodienst. Fand ich auch nicht schlimm. Meine Klassenlehrerin war zwar streng, wurde aber trotzdem verehrt und hat uns regelmäßig was vorgelesen und wir durften uns die Bücher selber per Abstimmung aussuchen. Lieder haben wir halt in Französisch und Musik gesungen.

  • Das IST ein Übergang und der hört sich gut an. Bei uns kam dazu, dass die Grundschule auf dem Dorf war, 12 Schüler in der Klasse und das Gymnasium in der Stadt, 30 Schüler, Riesengebäude. Das war zusätzlich noch ein Kulturschock. Daher war mir der Übergang auch so wichtig.

  • nur noch Englisch geredet

    Ich habe nun schon mehrfach an Grundschulen hospitiert (wir tauschen uns sehr regelmäßig aus): Gefühlt wird da zu 100% Englisch geredet. Natürlich mit entsprechender Unterstützung durch Mimik und Gestik sowie Lehrbuch. Und die Schüler verstehen es. Wenn man sich entsprechend als Lehrkraft anstrengt und die SuS aufpassen, ist es gar kein Problem, auch Klassenlehrergeschäfte auf Englisch darzustellen (wenn sie gerade in der Englischstunde relevant werden, z.B. Ankündigung des Zahnarztbesuches).


    Zum "Erfolg" des EN-Unterrichts der GS:

    Ansonsten haben wir die Lehrwerke der Grundschulen bei uns am Gymnasium angeschafft. Die SuS sind begeistert, wenn man Bumblebee aus der 3. oder 4. Klasse wieder hervorholt, ein Lied zu den Uhrzeiten abspielt. Alle singen auswendig mit. Will man danach das Thema mit den SuS intellektuell aufarbeiten, ist das wie Zähneziehen.

    • Offizieller Beitrag

    "Kakaodienst" und "du, Frau..." hatte ich aber schon vor 40 Jahren in meiner Grundschulzeit. (Wobei ich fast glaube, dass es den Kakaodienst inzwischen nicht mehr so häufig gibt. Oder?)

  • Ich bereite meine Schüler auch aufs Abitur vor und singe und male dabei nicht.


    Schade! Ich bereite nicht auf's Abitur vor, sondern leite hin, nehme bei Bedarf auch an die Hand und stütze.


    In D singen meine SuS Balladen (auch nach Degenhard, Baez, Wegner, Mey, Reichel), zeichnen Comics dazu, spielen Theater und leben sich erzählend, disputierend, berichtend, schildernd, analysierend und interpretierend aus. Sehr entwicklungs- und leistungsfördernd!


    In ITG präsentieren sie schon in Klasse 5 selbst gestaltete Trickfilme und entwickeln zusammen Websites, basteln kleine "Viren", mit denen sie dann zuhause ganz unschädlich ihre Eltern schocken, was sie und die sensibilisiert im Umgang mit den privaten Digitalaktionen. Sehr entwicklungs- und leistungsfördernd!


    Zum KR schreib ich hier nix.


    Wer aber - wie die meisten GymKuK, denen ich auch in den hiesigen 200 Beiträgen begegne - die SuS kickt, wenn sie nicht spuren, wer keinen Blick für deren Lernbedürfnisse entwickelt und sich nach Schulschluss anschließend in Selbstbefriedigung ergeht, wenn er/sie das nicht wegen son ner lästigen Konferenz oder Dienstbesprechung grad noch ein bisschen aussitzen muss, wer so die tradierte gymnasiale Überlebenswelt unreflektiert stützt, trägt letztlich zu deren Schwund bei.

    #Zesame:!:


    Konzentrieren Sie sich ganz auf den Text, wenden Sie das Ganze auf sich selbst an. (J.A. Bengel)

  • Also ich weiß ehrlich gesagt noch sehr gut wie sehr ich mich auf das Gymnasium gefreut habe. Endlich mal anspruchsvolleres Arbeiten, endlich mehr. In der Grundschule hatten wir sehr viele Kinder mit Migrationshintergrund, auch sehr viele Geflüchtete Anfang der 90iger, die erst Deutsch lernen mussten und dementsprechend ging es im Unterricht teilweise sehr schleppend voran. Es gab ab der 3. Klasse Förderunterricht für die Guten, die eine Chance aufs Gymnasium hatten.

    Und obwohl der Bruch zwischen Grundschule und Gymnasium sehr hart gewesen sein muss und ich von überall 1-2 auf 2-3 ging, habe ich keine negativen Erinnerungen. Aus meiner Klasse sind von 25 Kindern 6 aufs Gymnasium gewechselt. Und wie schon erwähnt: meine Eltern haben kein Abitur und wir haben damals auch überlegt ob ich aufs Gymnasium oder in den bilingualen Zweig der Realschule soll.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

    • Offizieller Beitrag

    Ich habe in der 5. Klasse in Englisch eigentlich immer "voraussetzungslosen" Unterricht gemacht, gerade weil die Kinder von sechs oder sieben Grundschulen kamen und je nach Grundschule und Klasse die Vorkenntnisse extrem divergierten. Die Anfangsseiten im Lehrwerk können da mitunter einen Überblick geben, aber mir war immer wichtig, dass die Kinder mit "schlechtem Grundschulenglischunterricht" nicht sofort das Gefühl bekamen, sie wären so schlecht.

    Der Übergang von der Grundschule ans Gymnasium wird natürlich an allen Gymnasien als total sanft dargestellt - das ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit vor allem in städtischen Bereichen, wo die Konkurrenz groß ist und der Kuchen gefühlt klein.

    Anekdote am Rande:
    Wenn ich mich an meinen Übergang erinnere, dann war ich von meiner Grundschule aus hervorragend vorbereitet, so dass ich mehrere Themen in Deutsch oder Mathematik schon aus der Grundschule kannte, mit dem Ergebnis, dass meine Noten in der 5. Klasse besser waren als in der 4. Klasse der Grundschule. Dass jetzt der "Ernst des Lebens" begänne, war damals - Mitte der 80er - aber auch ein durchaus oft vorkommender Spruch.

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