3. Oktober 2020

  • Es geht mir nicht um ein verniedlichendes "es war nicht alles schlecht", ich will nicht die Diktatur gegen die schönen Kindheitserinnerungen oder Ostalgie aufrechnen. Es geht darum, wahrzunehmen und zu akzeptieren, dass 60 Jahre lang parallel zwei Gesellschaften entstanden sind, zwei Leben gelebt wurden. Mit dem kleinen Unterschied: Für "Westbürger" hat sich nichts verändert, für "Ostbürger" alles.


    Und: die Menschen, die hier verfolgt wurden und geflohen sind können genauso wenig dafür, wie diejenigen, die nach der Wende Zusammenhalt, Perspektive und Arbeit verloren haben. So'n bisschen mehr Interesse aneinander würde ich mir wünschen.

  • Es geht mir nicht um ein verniedlichendes "es war nicht alles schlecht", ich will nicht die Diktatur gegen die schönen Kindheitserinnerungen oder Ostalgie aufrechnen. Es geht darum, wahrzunehmen und zu akzeptieren, dass 60 Jahre lang parallel zwei Gesellschaften entstanden sind, zwei Leben gelebt wurden. Mit dem kleinen Unterschied: Für "Westbürger" hat sich nichts verändert, für "Ostbürger" alles.


    Und: die Menschen, die hier verfolgt wurden und geflohen sind können genauso wenig dafür, wie diejenigen, die nach der Wende Zusammenhalt, Perspektive und Arbeit verloren haben. So'n bisschen mehr Interesse aneinander würde ich mir wünschen.

    Ich denke, ich habe deutlich zwischen Menschen und Staat unterschieden. Ich bin neugierig und lerne gerne andere kennen. Ich habe an sehr vielen Schüleraustauschen teilgenommen (alleine 5mal je 3 Wochen in den Sommerferien mit Polen, dazwischen Briefe, deshalb die Fahrten durch die DDR), ich war ein Jahr in den USA, kürzere Austausche mit Tschechien, Großbritannien und Frankreich. Ich war bereits als Jugendliche politisch sehr interessiert (darüber haben sich sowohl Polen als auch Amerikaner gewundert) und habe mich auf alle möglichen Stipendien beworben, meine Eltern konnten es nur teilweise finanzieren.


    Aber am Staat DDR kann ich nichts gutes finden und der gute Zusammenhalt in der Bevölkerung kam vielleicht durch den äußeren Druck zustande (das habe ich ähnlich an meiner 1. Schule erlebt, extrem viel Gewalt von Schülerseite, das gesamte Kollegium hat zusammen gehalten und war eng befreundet, das habe ich nie mehr an anderen Schulen erlebt, das war auch nicht mehr notwendig). Und er war in der DDR vielleicht doch nicht so gut wie heute oft behauptet wird (Stasi). Ich weiß auch von Enttäuschungen wg. Stasiverrat und kenne Menschen, die sich nicht trauen, nachzufragen. All das prägt, all das habe ich im Westen nicht erleben müssen.


    Ich habe echtes Interesse an Ostbürgern gezeigt und einige sehr nette kennengelernt. Vor dem älteren Kollegen aus Sachsen habe ich richtig Respekt. Ich lehne Fremdenfeindlichkeit usw. aber ab und habe aktuell eher das Gefühl, dass einige im Osten sich abschotten wollen und mit ihrer guten Bildung argumentieren (noch einmal, es gab früher viel mehr MINT-FÄCHER-STUNDEN, aber viel weniger Gemeinschaftskunde etc. Stunden, natürlich hat das Folgen, ein Außenstehender weiß dies nicht, es gleicht sich in den letzten Jahren an, es gibt aber noch Unterschiede).


    Z. B. in sprachlichen bayerischen Gymnasien gab es früher nur ein Jahr Chemie in Kl. 11, Sachsen fängt aktuell sowohl mit Physik als auch Chemie ein Jahr früher an als z. B. Baden-Württemberg (Gymnasien) . PISA testet 15jährige, es fehlt uns ein Jahr. Dafür haben sie andere Fächer weniger (und ich denke inzwischen auch aufgrund der letzten Wahlen, Gemeinschaftskunde ist für eine Demokratie auch wichtig).

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  • Die jungen Leute, und dazu zähle ich mich ausnahmsweise auch noch, weil ich beim Eintritt der DDR noch keine 10 Jahre alt war, haben keinen Bezug zum Wessi/Ossi Geplänkel. Wenn es nicht in der Schule und den Medien Thema wäre, würde niemand merken, dass es "im Osten" irgendwie anders sein soll, als "im Westen". In 50 Jahren hat sich das weitgehend erledigt, weil keiner der in der DDR Aufgewachsenen mehr lebt.

    Wirklich kennengelernt habe ich die Unterschiede zwischen Ost und West genau hier im Forum. Aussagen wie von alpha getroffen sind typisch Ost, es gibt aber auch ein paar andere User hier, die meine persönlichen Ost Klischees bestätigen. Nein, nicht du, samu. :aufgepasst:

  • Ich war Anfang der 2000er (da lebte ich in Brandenburg) mit einem Mann zusammen aus meinem Studiengang. Der hatte in der ehemaligen DDR nicht studieren dürfen (bzw. der politische "Preis" dafür war ihm zu hoch), sondern eine Ausbildung in der Forstwirtschaft zugewiesen bekommen. Ich erinnere mich an viele Gespräche, in denen er sich immer selbst unterbrochen hat und nur meinte "das interessiert dich doch gar nicht, du kommst doch aus dem Westen". "Ostmusik" die er gerne hörte, wollte er mich nicht mal hören lassen, weil er diese Schere im Kopf hatte, dass man als Mensch der im Westen sozialisiert worden war "Ostmucke" per se nicht gut finden könne, diese nur gut sei für Leute, die diese in der ehemaligen DDR gehört und erlebt hatten. Als mir eine Gruppe total gut gefiel und ich mir die CD von ihm ausleihen wollte, war für ihn klar, dass ich ihn verarsche. Total traurig, denn die Schere und die Klischees hatte er an der Stelle im Kopf und konnte einfach nicht darüber hinwegkommen. Ich hatte umgekehrt aber auch viele Studienfreundinnen und -freunde, die ebenfalls in der ehemaligen DDR groß geworden waren und die wie ich keine Klischees "so ticken Wessis/Ossis" im Kopf hatten, sondern imstande waren zu differenzieren und sich Menschen anzuschauen und diese individuell zu beurteilen. Wer die Klischees sucht, wird sie bestätigt finden, wer sich Individuen anschaut (im realen Leben, nicht bezogen aufs Forum), wird mehr sehen, als nur das eine kleine Momentum, das ein Klischee betsätigen bestätigen könnte.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

    Einmal editiert, zuletzt von CDL ()

  • Aber am Staat DDR kann ich nichts gutes finden

    Ich auch nicht.

    der gute Zusammenhalt in der Bevölkerung kam vielleicht durch den äußeren Druck zustande

    Sehr wahrscheinlich, es gab ihn aber (zumindest gefühlt) und jetzt wird er schmerzlich vermisst. Es gibt wenig, was ich öfter gehört habe von den verschiedensten Menschen, wenn sie von vor und nach der Wende sprechen. Noch mal, für uns hat die Wende nichts geändert, für den Osten ist eine Gesellschaft zerbrochen.

    Ich habe echtes Interesse an Ostbürgern gezeigt und einige sehr nette kennengelernt.

    Merkst du selbst, oder?;)

  • Was bedeutet, dass du dringend eine Reise von Weimar bis Wismar unternehmen musst :aufgepasst:

    Ich habe Freunde aus dem Osten, die ein oder andere ostdeutsche Stadt besucht und Urlaub bei Freunden dort gemacht. Mal abgesehen von regionalen Besonderheiten, die es überall gibt und ein paar ewig gestrigen, die so reden wie alpha gab es keine Auffälligkeiten. Die Leute leben im Westen wie im Osten und umgekehrt. Was soll es da, zumindest unter der jüngeren Bevölkerung, die nicht in die staattliche Bevormundung sozialisiert wurde, für großartige Unterschiede geben?

  • Ich habe Freunde aus dem Osten

    Freunde suchst Du Dir aus, Familie nicht. Ich habe einen grossen Teil meiner Verwandtschaft im Osten, glaub mir, das ist was anderes. Trifft übrigens auch auf das ewig gestrige West-Gerede zu.

  • Ich auch nicht.

    Sehr wahrscheinlich, es gab ihn aber (zumindest gefühlt) und jetzt wird er schmerzlich vermisst. Es gibt wenig, was ich öfter gehört habe von den verschiedensten Menschen, wenn sie von vor und nach der Wende sprechen.


    Noch mal, für uns hat die Wende nichts geändert, für den Osten ist eine Gesellschaft zerbrochen.

    Merkst du selbst, oder?;)


    Zur letzten Bemerkung, ja ich habe nach dem abschicken das Missverständliche gesehen und überlegt, ob ich es ändern soll. Aber dann dachte ich, stimmt vielleicht doch. Ich gehe inzwischen nicht mehr bewusst auf Ostdeutsche wie in den 90er Jahren zu, sondern auf Menschen (ich gehe auch nicht bewusst auf Farbige zu) und wer den Unterschied betonen will, soll es tun, aber ich höre nur noch eine begrenzte Zeit zu.


    Ich schrieb bereits, ich habe das Gefühl, dass manche den Unterschied feiern und nicht sehen, dass wir alle Menschen sind. Ich habe immer noch Freunde, die in der DDR aufgewachsen sind, aber froh sind, dass diese auf Misstrauen (Stasi) aufgebaute Gesellschaft nicht mehr existiert (sonst würden sie vielleicht auch nicht im Westen wohnen). Von vielen (Kollegen, Bekannten) weiß ich nicht, woher sie kommen, manchmal erfährt man es zufällig (ich besuche meine Eltern in ...), manchmal hört man es am Dialekt, manchmal nicht. Ich kenne Kollegen von Fortbildungen aus Leipzig und natürlich spricht man miteinander aber genauso auch mit welchen aus Hamburg. Ich gehe immer noch auf Menschen zu.


    Ich lebe in einer Region mit vielen Arbeitsplätzen und wenig Arbeitslosigkeit. Viele Menschen ziehen hier her und werden heimisch. Ich liebe unser jährliches dreitägiges Stadtfest, dass dieses Jahr leider ausfallen musste, einfach wegen der Vielfalt, alle Kulturen beteiligen sich, es gibt z. B. 8 Bühnen (und dem Essen ;)).



    Zur zweiten Bemerkung. Ja, manchmal trauere ich auch meinem 1. Kollegium nach, aber der Zusammenhalt entstand aufgrund der vorhandenen Schülergewalt. Er war notwendig, um als Lehrer zu überleben. Und die ständig drohende Gewalt und die vielen zeitfressenden Konferenzen will ich definitiv nicht mehr, auch wenn das gemeinsame Essen, der gemeinsam verbracht (Kurz-)Urlaub manchmal fehlt.


    Wir Menschen sind halt so. Ich glaube, vieles wird verklärt, das schlechte vergessen und das gute hoch gejubelt. Und ich bin nicht mehr bereit, mir auf Dauer das anzuhören, ich sage nichts (ist als Westler auch nicht sinnvoll), aber ziehe mich zurück. Auch meine Zeit ist begrenzt und die möchte ich mit schönem füllen.

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  • ... Was soll es da, zumindest unter der jüngeren Bevölkerung, die nicht in die staattliche Bevormundung sozialisiert wurde, für großartige Unterschiede geben?

    Stimmt, da ist wohl ein Bruch zwischen den beiden Generationen.

  • Ich habe immer noch Freunde, die in der DDR aufgewachsen sind, aber froh sind, dass diese auf Misstrauen (Stasi) aufgebaute Gesellschaft nicht mehr existiert (sonst würden sie vielleicht auch nicht im Westen wohnen)

    Man muss hier - finde ich - wirklich aufpassen, auf welchen Erfahrungen man sein Urteil begründet. Menschen, die die Heimat verlassen, sind per se aufgeschlossener, als Menschen, die das nicht tun. Was im Umkehrschluss nicht heissen soll, dass es nicht auch aufgeschlossene Menschen gibt, die für sich selbst einfach nie einen Grund sahen, die Heimat zu verlassen. Mein Eindruck ist schon auch, dass durch den Generationenwechsel die Unterschiede zwischen Ost und West immer kleiner werden. Mein Eindruck ist aber auch, dass die Unterschiede nicht so klein sind, wie sie gerne mal von Leuten dargestellt werden, die sich ihre Meinung nur aufgrund von Erfahrungen mit Freunden oder einem Städtetrip nach Dresden bilden. Meine Empfehlung an Leute, die keine Verwandtschaft im Osten haben: Fernwandern. Es hilft ungemein, mit wildfremden, ganz normalen Leuten in der sächsischen Wallapampa bei nem Bier am Abend zu reden um zumindest einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, was die so umtreibt.


    Wir sind an der Schule bei uns in der Fachschaft vier Deutsche aus ganz unterschiedlichen Regionen, haben auch ein "Ostkind" dabei, das ein gutes Stück älter ist als ich, den Osten also wirklich noch kennt und nach der Wende dann nach Hamburg gegangen ist. Ich bin selbst so vertraut mit dem Osten, dass mir direkt aufgefallen ist, wo die Person sozialisiert ist, alle anderen halten sie erst einmal für eine "echte" Hamburgerin. Das ist jetzt keine Bewertung, sondern nur die Feststellung, dass es immer noch diese typischen Merkmale und Unterschiede gibt, anhand derer man Personen nach Ost und West zuteilen kann. Wenn wir (ich schreibe als Deutsche ... nur zur Erinnerung ...) Glück haben, wird aus dem Ost/West-Ding irgendwann eine rein regionale Sozialisierung, also man wird sagen "oh, ein Sachse" wie man sagt "oh, ein Bayer". Speziell bei den Sachsen ist das ja eh häufig schon so ;) Ich denke aber, das wird noch mal 20 Jahre dauern, bis das eine das andere wirklich vollständig ersetzt hat. Die Generationen, die die DDR noch selbst kannten, haben einiges erlebt, was wirklich extrem prägend war/ist und dies zu einem grossen Teil auch an die eigenen Kinder noch weitergegeben. Dementsprechend wird es eben auch mindestens zwei bis drei Generationen lang dauern, bis das wirklich aus den Köpfen der Leute verschwunden und einfach nur Teil der gesamtdeutschen Geschichte ist.

  • Ach übrigens ... meine Lieblings-Anekdote zum 3. Oktober, die ich auch allen meinen Schülern erzähle: Ich sah mal ein längeres Interview von Herrn Kohl, das er irgendeinem öffentlich-rechtlichen Fernsehsehnder gegeben hat. Er erzählte so über den Mauerfall und wie es dann darum ging, mit den Alliierten die Verträge aufzusetzen. Irgendwann sei klar gewesen, es geht Richtung Herbst 1990 bis alles klar ist und dann rief er beim deutschen Wetterdienst an um zu fragen, wann im Herbst statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit für schönes Wetter besonders gross ist. Das sei wohl so um den 3. Oktober herum besonders günstig, meinten die. Bitte ... welches andere Land feiert seinen Nationalfeiertag an einem Tag, an dem statistisch gesehen das Wetter besonders gut ist? Ich meine, nicht zufällig, sondern weil ein entscheidender Politiker explizit danach gefragt hat? Ich finde das schon ziemlich cool. Gut, die Sache mit dem Rütli-Schwur ist sicher nicht ganz so gelaufen, wie die Legende es will und am 1. August ist halt statistisch gehen auch meistens schönes Wetter :)

  • Ich kenne Menschen, die genau aus diesem Grund den 17. Juni behalten wollten. Ich werde es ihnen erzählen. Aber 1. August liegt eindeutig besser. Obwohl immer in den Sommerferien, nie zusätzlich frei. :/

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  • Oder wir machen es wie die Australier: fällt ein Feiertag aufs Wochenende, wird er am nächsten Wochentag nachgeholt.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

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