(...)Habt ihr Lehrer*innen, die euch geprägt haben? Und könntet ihr so einen Prozess benennen, bei dem ihr bewusst gemerkt habt, dass andere Personen einen ganz neuen Gedanken angestoßen haben? Und passierte das im Unterricht?
Ja, ich hatte einige solcher Lehrer und Lehrerinnen. Manches begleitet mich bis heute, wie eine Erkenntnis, die sich aus dem Ethikunterricht ergeben hat. Eine Herangehensweise, die genau das zusammengebracht hat, was bis dahin scheinbar widerstreitend in mir einander entgegenstand und das von meinem Ethiklehrer gelebt wurde. Sein Modell, die Art, wie er als- wie er sagte- bekennender Atheist alle Religionen wertschätzen konnte und als Quelle der Weisheit sah, hat mich sehr nachhaltig geprägt und begleitet mich bis heute. Ich sehe, während ich das schreibe direkt sein Gesicht wieder vor mir, wie es leuchtete, als er mit uns darüber diskutierte und wie er uns doch- ungeachtet seiner persönlichen Überzeugung- völlig den Raum lassen konnte unseren Weg zu finden und nicht missionieren musste oder gar wollte. So viel Weisheit, Toleranz und Respekt habe ich selten in Menschen gefunden.
Ich weiß selbst auch, dass ich die Wege mancher meiner Schützlinge sehr nachhaltig geprägt habe. Wegen meines anstehenden Wegzugs habe ich mich vorgestern von einigen Freunden verabschiedet, darunter einige ehemalige Schützlinge, die sich zusammengetan haben, um ein Album mit Erinnerungen zusammenzustellen, mit Wegen, die ich begleitet habe oder Haltungen die ich wohl geprägt habe. Einige erzählten mir von Ratschlägen, die ich ihnen teilweise noch in ihrer Kindheit vor über 10 Jahren gegeben hatte und die so wertvoll für sie waren und sind, dass diese sie bis heute- wörtlich (da war ich ziemlich fassungslos, als ein Mädchen mir ein komplettes Gespräch wiedergeben konnte, das so wichtig für sie war, dass dieses sich komplett eingeprägt hat)- begleiten im Leben. Auch im Vorbereitungsdienst- wo ich im Vergleich zu meiner vorherigen Stelle so viel kürzer an derselben Schule tätig war- gab es Schülerinnen und Schüler, die in den Abschiedsbriefen Dinge widergaben, die ich ein Jahr zuvor gesagt hatte, weil das eben einen Nerv getroffen hatte. Oft waren das Gespräche mal eben zwischendrin auf dem Gang gewesen, die sich so nachhaltig eingeprägt hatten (und die man keinesfalls unterschätzen sollte- ich erinnere mich umgekehrt auch an viele solcher Gespräche mit meinen Lehrern, manchmal schmerzhaft, manchmal dankbar). Am Wichtigsten aber war vielen in ihren Abschiedsbriefen, dass sie ihrer Aussage nach bei mir im Unterricht niemals Angst hätten haben müssen, dass ich sie demütigen oder anbrüllen würde, sie immer mit mir hätten sprechen können, wenn sie Probleme- im Unterricht oder im Leben- gehabt hätten. Ich hoffe, viele unserer Schülerinnen und Schüler machen diese Erfahrung mit uns allen hier. Denn gerade solche alltäglichen Erfahrungen, die man nicht unbedingt in 30 Jahren noch im Einzelnen benennen wird können, sind es, mittels derer wir alle unsere Schützlinge sehr nachhaltig prägen- im Guten, wie im Schlechten.
Mein Ethiklehrer lebt schon seit mehr als 10 Jahren nicht mehr. Meinem Gemeinschaftskundelehrer- der ähnlich prägend war für mich- habe ich vor einigen Wochen, als ich ihn eher zufällig am Telefon hatte (es gab schon während der Schulzeit eine private Verbindung, so dass wir uns außerhalb des Unterrichts geduzt haben), mal gesagt, wie prägend sein Unterricht und er als Mensch für mich waren, dass ich mich bis heute bei vielen Stunden exakt erinnere, wie sie aufgebaut ware, welche Fragen er gestellt hatte etc. und bei meinen eigenen Unterrichtsplanungen davon mit beeinflusst werde. Darüber hat er sich sehr gefreut, auch wenn es ihn gleichzeitig zum Lachen gebracht hat (spontanes Kopfkino, was ich da wohl an in seinen Worten "altbackenen OHP-Planungen" meinen SuS heutzutage noch antun würde ).