Wechsel von SchülerInnen zum beruflichen Gymnasium

  • Humblebee


    Naja, besonders die technischen Fachrichtungen sind wohl so ziemlich die größten Mangelfächer überhaupt. Nicht ohne Grund können z.B. hier in Hessen Personen aus diesem Bereich ohne jegliche Berufserfahrung den Quereinstieg ins Referendariat machen. Die werden mit Kusshand genommen. Kann mir schwer vorstellen, dass das in anderen Bundesländern großartig anders ist.

    Da kommt es immer auf die Fachrichtung an. In diesem Bereich gibt es extrem wenig Absolventen und solche, die das auf Lehramt studiert haben, noch weniger.

    Dann ist es wohl bei uns zufällig so, dass die drei Kollegen, die am BG Technik unterrichten, Metall- oder Elektrotechnik als berufliche Fachrichtung studiert haben. In meinem Abschlussjahrgang am Studienseminar waren damals drei Absolventen mit der Fachrichtung Metall- und vier mit Elektrotechnik.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Ach so, ich dachte, das bezöge sich primär auf das berufliche Schwerpunktfach. Wenn am BG aber in allen Fächern so ein starker Bildungsgangbezug hergestellt wird (siehe auch die Beispiele aus dem Englischunterricht, die jemand hier beschrieb), dann frage ich mich, mit welcher Berechtigung die SuS dadurch eine Allgemeine Hochschulreife erlangen ... ?


    Soll keine Kritik sein, bin nur ernsthaft interessant, habe in diese Systeme ja selbst kaum Einblick ...

    In Niedersachsen ist es ja anders organisiert: da wir am Zentralabitur teilnehmen, sind die Schwerpunkte und auch die Abiklausuren in Mathe, Deutsch und Englisch gleich (da gibt es dann für's BG nur einen zusätzlichen Schwerpunkt, z. B. in Englisch für das Abi im kommenden Jahr den Film "Hidden Figures").

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  • Ach so, ich dachte, das bezöge sich primär auf das berufliche Schwerpunktfach. Wenn am BG aber in allen Fächern so ein starker Bildungsgangbezug hergestellt wird (siehe auch die Beispiele aus dem Englischunterricht, die jemand hier beschrieb), dann frage ich mich, mit welcher Berechtigung die SuS dadurch eine Allgemeine Hochschulreife erlangen ... ?


    Soll keine Kritik sein, bin nur ernsthaft interessant, habe in diese Systeme ja selbst kaum Einblick ...

    Um wieder mit Englisch zu kommen (da haben die meisten wohl eher selbst Erfahrungen mit, als mit Päda): warum ist ein Englischabi mit American Dream und Shakespeare denn allgemeiner als eins mit gesunder Ernährung und Gender roles, oder Umweltprobleme und Nachhaltigkeit?

    Die sprachlichen Anforderungen sind die gleichen... Aber der AFB 3 hat meist einen Berufsbezug, zB Kommentieren sie aus ihrer professionellen Sicht... oder in ihrer Einrichtung haben sie ein Kind, das ... stellen sie einen Plan auf um...

    in Sozialpädagogik machen wir zu großen Teilen die gleichen Theorien, aber halt auch Heimerziehung.

    Also wen es interessiert kann ja einfach mal in die Lehrpläne gucken.

    Only Robinson Crusoe had everything done by Friday.

  • warum ist ein Englischabi mit American Dream und Shakespeare denn allgemeiner als eins mit gesunder Ernährung und Gender roles, oder Umweltprobleme und Nachhaltigkeit?

    Weil das eine Allgemeinwissen ist und das andere Spezialwissen? Weil man ihm Rahmen der wissenschaftspropädeutischen Orientierung des Abiturs auch etwas von Klassikern der englischen Literaturgeschichte gehört haben sollte?

  • Weil das eine Allgemeinwissen ist und das andere Spezialwissen? Weil man ihm Rahmen der wissenschaftspropädeutischen Orientierung des Abiturs auch etwas von Klassikern der englischen Literaturgeschichte gehört haben sollte?

    Naja in der heutigen Zeit kann man auch genau Umgekehrt argumentieren! Nachhaltigkeit, gesunde Ernährung, gender roles sind wichtiger denn je für den Alltag ... sowas sollte man auch mehr an AG anbieten. Würde Schülerinnen und Schüler evtl. auch mehr interessieren ...(würde mir zumindest als Englischmuffel so gehen)

  • Weil das eine Allgemeinwissen ist und das andere Spezialwissen? Weil man ihm Rahmen der wissenschaftspropädeutischen Orientierung des Abiturs auch etwas von Klassikern der englischen Literaturgeschichte gehört haben sollte?

    Aha gesunde Ernährung, gender roles, Nachhaltigkeit und Umwelt sind Spezialwissen? Also Spezialwissen ist das Wissen, welches für ein sinnvolles handeln in der realen Welt notwendig ist?


    Mit diesen Themen muss sich jeder auseinandersetzen. Ich weiß beim besten Willen nicht was daran speziell sein soll.

  • Danke, genau darauf wollte ich hinaus... Wissenschaftspropädeutik weil man Shakespeare gelesen hat? Ich bin jedenfalls froh den Barden aktuell nicht unterrichten zu müssen und bereite eine Reihe zu being young vor, Schwerpunkt Identitätsfindung im Zeitalter von Social Media. Aber das ist wahrscheinlich auch Spezialwissen...

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  • Natürlich sollte man sich mit gesunder Ernährung, Umwelt, Nachhaltigkeit etc. auseinandersetzen. Aber in den Details, in dem das SuS, die einen Bildungsgang mit entsprechendem Schwerpunkt und Leistungskurs belegen, tun, ist es m. E. tatsächlich Spezialwissen. Sich einmal mit Goethe, Shakespeare, Cicero usw. befasst zu haben, gehört hingegen zum Allgemeinwissen. Nicht umsonst haben diese Inhalte ja Eingang in den Kanon des Allgemeinbildenden Gymnasiums gefunden.

  • Ähm ich rede von Inhalten des Englischunterrichts, in diesen Fällen GK Englisch! Und glaube mir, nur weil ich Englisch studiert habe, habe ich nicht zwingend Ahnung von gesunder Ernährung. Darüber weiß ich aber bei weitem mehr als über Shakespeare. Unterrichten muss ich die Themen alle, auch genetic engineer. Muss man sich genau so erarbeiten wie Nigeria, Indien oder was sonst gerade am Gym im Lehrplan steht...

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  • Wenn Wirtschaftslehre, Ernährung oder Nachhaltigkeit "Spezialwissen" sind, dann aber erst recht Shakespeare und Goethe. Das Wirtschaftssystem in dem wir leben, unsere Gesundheit, die wir mit unserer Ernährung maßgeblich beeinflussen und die Erde, mit der wir noch eine Weile auskommen müssen, sind allgemeinere Wissensgebiete, als tote Dichter.

  • Gibt es den Lehrplannavigator auch für die Berufskollegs?


    Ich habe jetzt einen Lehrplan für den Grundkurs Physik im Fachbereich Ingenieurwissenschaften gefunden, der die Themen

    11.1 Mechanik I (Kräfte und Bewegungen beschreiben und analysieren, Skalar- und Vektorbegriff)

    11.2 Mechanische Energie, Elektrostatik, elektrische Energie (Feldbegriff)

    12.1 Mechanik II (Superpositionsprinzip, Wurf, Kreisbewegungen, Drehimpuls, Rotationskräfte, -momente)

    12.2 Mechanische und elektromagnetische Schwingungen, Elektrodynamik (Induktion)

    13.1 Wellen (mechanisch, elektromagnetisch, optisch)

    13.2 Quantenphysik

    enthält.


    Also im Vergleich zum allgemeinen Gymnasium etwas intensivere Behandlung der Mechanik, dafür kaum Atomphysik, keine Kernphysik und keine Relativitätstheorie. Millikan, Fadenstrahlrohr, Oszilloskop, Massenspektrograph, Teilchenbeschleuniger, ... finde ich alles nicht.

    Wenn ich weniger Themen behandeln muss, kann ich mich natürlich auch mehr auf die Anwendung konzentrieren...

    Oder ist der Plan unvollständig?

  • Also im Vergleich zum allgemeinen Gymnasium etwas intensivere Behandlung der Mechanik, dafür kaum Atomphysik, keine Kernphysik und keine Relativitätstheorie.

    Ich unterrichte ja auch den profilbildenden LK in einem technischen Bildungsgang eines BKs. Wir haben auch Physik mit all diesen genannten Themen in diesem Bildungsgang.


    Das Abi am BK bereitet natürlich besser auf einen Studiengang in dem entsprechenden Schwerpunkt vor als als Gym. Das ist auch nicht verwerflich. Natürlich werden viele Absolventen des Studiengangs "Ingenieurswissenschaften" später ein Studium mit Ingenieursschwerpunkt belegen. Ich kann für mich sagen, dass aus meinem Physik-LK am Gym wenig bis gar nichts für den Elektrotechnikingenieur relevant war. Dürfte bei Maschinenbau und Bauingenieurswesen ähnlich sein. Wichtig ist, die Form des wissenschaftlichen Arbeiten kennenzulernen. Das mache ich entweder an allen möglichen Themen wie am Gym oder spezialisiert auf Schwerpunktthemen (wie am BK und später auch in der Uni).


    Die hier aufgekommene Frage, wieso man mit einem BK-Abi die allgemeine Hochschulreife erhält, ignoriert, dass ich mit einem Abi vom Gym auch alles studieren kann. Ich hatte seit der neunten Klasse kein Chemie und kein Bio mehr, Erdkunde seit der 10. Klasse nicht mehr. Ich hätte problemlos Biochemie studieren können.

  • Ich kann die "Sorge" der Gym-Kollegen total nachvollziehen. Auch ich hatte vor meiner Stelle an einer Beruflichen Schule mit BG durchaus Vorurteile, gerade weil es oft zu keinem Kontakt mit den BS kommt, wenn man dort nicht selbst Schüler war


    Ich selbst habe an einem allg. Gym mein Abi gemacht, Lehramt auf Gym studiert, Ref am Gym blabla. Als das Stellenangebot für die BS kam, dachte ich, dass ich das wohl kaum mit meinen fachlichen Ansprüchen vereinen könne. Nach dem Vorstellungsgespräch/Hospitation war für mich aber klar: Da will ich hin! Ich war (und bin auch heute noch meist) total begeistert von den Kollegen dort, das vermeintlich geringere Unterrichtsniveau nahm ich dann hin. Und: ich wurde eines Besseren belehrt; mein erster GK dort war eindeutig besser als die ehemaligen an den Gymnasien. Es gab natürlich auch Jahrgänge/Kurse, bei denen ich fast verzweifelt bin, aber mein diesjähriger LK war extrem fit (bei uns in Hessen gibt es ja eh Zentralabitur und alle Schüler schreiben identische Klausuren, egal ob Gym oder BG).

    Dafür wird aber in der E/11 ordentlich gesiebt. Die gänzlich Ungeeigneten merken bereits in den ersten Wochen, dass es vermutlich nichts wird. Das hat aber oft nichts mit ihrer vorherigen Schullaufbahn zu tun. Es sind schon Schüler, die vom Gym kamen, gescheitert, ich hatte aber auch schon einzelne(!) ehemalige BFS Schüler, die ein solides Abi hingelegt haben.


    Die Corona-Pandemie trägt die nächsten zwei Jahre leider dazu bei, dass Schüler nun für die 12 zugelassen sind, die eigentlich hätten wiederholen oder abgehen müssen. Ich wage zu beweifeln, dass es für diejenigen gut ausgehen wird. Meist liegt die Ursache für ein Scheitern in der E/11 an mangelnder Selbstdisziplin, fehlendem Arbeitswillen etc. Das wird aber an allg. Gymnasien nicht anders sein.


    Ich persönlich stehe zu 100% dahinter, dass an unserer Schule das Niveau von allg. Gym und BG identisch ist.


    Was ich aber absolut nicht vertreten kann, aber in den vergangenen Jahren immer weitere Kreise zieht, ist die angebliche Anpassung von Fachhochschulreife und Abitur. Zwischen FOS und BG liegen an unserer Schule Welten, die Zugangsberechtigungen zu Universitäten(!) wurden derart abgesenkt, dass ich nur mit dem Kopf schütteln kann.

  • Dass zwischen der FOS und dem BG "Welten" liegen, kann ich bei uns nicht bestätigen. So weit würde ich nicht gehen, aber ich stimme Alterra zu, dass die Fachhochschulreife, die die SuS an der Fachoberschule erlangen (die ja - zumindest in Niedersachsen - nach nur einem Jahr FOS Kl. 12 (mit vorausgegangener Berufsausbildung oder der Kl. 11 FOS) erreicht werden kann) vom Niveau her nicht ganz so hoch anzusiedeln ist wie die allgemeine Hochschulreife, die die SuS nach drei Jahren am BG erwerben.

    to bee or not to bee ;) - "Selbst denken erfordert ja auch etwas geistige Belichtung ..." (CDL)

  • Ich unterrichte ja auch den profilbildenden LK in einem technischen Bildungsgang eines BKs. Wir haben auch Physik mit all diesen genannten Themen in diesem Bildungsgang.

    Der Physik-Lehrplan für den LK enthält auch die gleichen Themen. Mich irritierte der sehr abgespeckte Grundkurs.

  • Der Physik-Lehrplan für den LK enthält auch die gleichen Themen. Mich irritierte der sehr abgespeckte Grundkurs.

    Je nach Bildungsgang ist ein GK auch mal nur zweistündig. Also da vielleicht noch mal in die Stundentafel des Bildungsganges gucken.

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  • Wenn ich in Hessen die ZAP der FOS im Fach Englisch mit dem Abitur vergleiche, sehe ich da zwei Welten aufeinander prallen. Ich behaupte, dass ein mittelmäßiger Zehntklässler des Gymnasiums die FOS Prüfung mindestens mit ausreichend besteht. Allerdings hat die neue FOS VO meiner Ansicht nach die Erlangung der FHS Reife allgemein etwas erschwert. Ein Schritt in die richtige Richtung.

  • Ich muss mal in Bezug auf Englisch fragen: Wenn sowas wie sustainability oder gender roles besprochen wird, sind das dann Unterrichtsthemen aus der anglophonen Welt oder eher globale Themen, die "nur" auf Englisch besprochen werden?

    Diese Themen sind sicherlich komplex, es hängt denke ich eher vom jeweiligen Fachverständnis ab. Was z.B. Englisch angeht, so würde ich sagen, dass der höchste Schulabschluss zumindest andeuten sollte, was die jeweilige Disziplin als Wissenschaft ausmacht. Durch das Studium (Bachelor/Master) sollte impliziert werden, dass es noch eine Steigerung gibt, aber neben der Methodik (Wissenschaftspropädeutik) sollten wenigstens in Auszügen Phänomene der Literaturgeschichte, Kultur- und Sprachwissenschaft aufgezeigt werden. Was die Komplexität angeht wird ja zumindest in meinem Bundesland auch noch einmal zwischen GK und LK unterschieden.

  • Sich einmal mit Goethe, Shakespeare, Cicero usw. befasst zu haben, gehört hingegen zum Allgemeinwissen. Nicht umsonst haben diese Inhalte ja Eingang in den Kanon des Allgemeinbildenden Gymnasiums gefunden.

    Das sehe ich auch so. Kanon ist hier das richtige Stichwort.

    Es gibt einfach im Deutschen ebenso wie im Englischen und wahrscheinlich fast jeder anderen Sprache bestimmte Werke, mit denen man schon einmal in Berührung gekommen sein sollte, wenn man einen Abschluss wie das Abitur macht. Ob allgemeines Gymnasium oder BG ist da m.E. völlig egal.


    Gender roles? Ich bin froh, dass mir sowas damals im Englisch LK nicht angetan wurde.

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