Abendrealschule

  • Hallo zusammen,



    arbeitet hier jemand an einer Abendrealschule?
    Falls ja wäre ich über Erfahrungsberichte sehr dankbar.
    Mich reizt der Gedanke an einer solchen zu arbeiten und bin gerade dabei mich umzuhören.


    Vielen Dank und Grüße in die Runde


    Kopfschloss

  • Hallo,


    ich arbeite nicht an einer Abendrealschule, aber an einem Abendgymnasium. Was willst du denn konkret wissen? Die Arbeitszeiten sind ein Traum und ich liebe das Vorbereiten VOR dem Unterricht.


    Die Schüler sind natürlich ganz anders als am Regelgymnasium. Die typische Erziehungsarbeit entfällt quasi vollständig, was nicht heißt, dass die Schüler keine Probleme hätten, im Gegenteil. Die Probleme äußern sich allerdings sehr selten in den "üblichen" Unterrichtsstörungen. Man trifft aber die ganze Bandbreite an psychischen Störungen an, das Scheitern in der Regellaufbahn hat schon oft seine Gründe.


    Das Niveau ist niedriger, das muss man wissen, aber dafür ist der Alltag in der Regel entspannter. Die Lerngruppen sind zumindest bei uns auch in der Regel deutlich kleiner.

  • Vielen Dank für deine Schilderungen.
    Mein Anliegen konkret kann ich gar nicht benennen, da ich für mich herausfinden muss, ob es sich lohnt mich an einer Abendschule zu bewerben.
    Mich nerven zunehmend die ganzen Probleme und Herausforderungen der ganz "normalen" Realschule.
    Zudem fangen wir extrem früh, um 7.30 Uhr, an und auch das nervt mich.
    Ein entfernt bekannter Kollege erzählte mir von der Abendrealschule und vom ersten Hören klang das alles toll.
    Seitdem bin ich mit dem Gedanken schwanger...

  • Man trifft aber die ganze Bandbreite an psychischen Störungen an, das Scheitern in der Regellaufbahn hat schon oft seine Gründe.

    Muss man dabei ggf. differenzieren, ob es ein Kurs an einer VHS ist oder eine Abendschule als "Schulform"?


    Es ist ein Unterschied, ob man am Abend, womöglich neben/nach der Berufsausübung, den Abschluss zusätzlich nachholen möchte oder ob man nach mehreren Chanchen im Bildungssystem der staatlichen Schulen, einschließlich berufsbildenden Systems, einen Kurs als Maßnahme vom Amt erhält oder als eine weitere ungenutzte Chance, die jemand aus der Familie finanziert.

  • Muss man dabei ggf. differenzieren, ob es ein Kurs an einer VHS ist oder eine Abendschule als "Schulform"?...

    Alle weiter genannten Fälle kommen am Abendgymnasium vor. Kopfschloss wird ja auch nicht die VHS meinen, sondern eine staatliche Abendrealschule. Bei uns gibt's alles von motivierten Vollzeitarbeitenden, die direkt nach der Ausbildung bei uns anfangen, um beruflich mit dem Abitur weiterzukommen zum Knacki, der die Abendschule für den gewährten Freigang absitzt. Da fehlen jetzt allerdings alle sonstigen Schattierungen.

  • Zudem fangen wir extrem früh, um 7.30 Uhr, an und auch das nervt mich.

    Das muss echt so eine baden-württembergische Krankheit sein; aus Bayern kenne ich keinen Schulbeginn vor 7.45 Uhr, 8.00 ist weitestgehend üblich. Ich kenne hier in B-W aber eine RS, die um 7.10 Uhr anfängt. Völlig beknackt, wenn man mich fragt.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Das muss echt so eine baden-württembergische Krankheit sein; aus Bayern kenne ich keinen Schulbeginn vor 7.45 Uhr, 8.00 ist weitestgehend üblich. Ich kenne hier in B-W aber eine RS, die um 7.10 Uhr anfängt. Völlig beknackt, wenn man mich fragt.

    7:10 Uhr? Das ist ja einfach nur Folter für alle Beteiligten, für die Schüler noch mehr, die kommen doch in der Pubertät eh schon nicht aus dem Bett.

  • Ich arbeite an einem WBK im Abendrealschulbereich und stehe dir für Fragen gerne zur Verfügung.


    Ich arbeite sehr gerne an dieser Schulform, da wie state_of_Trace bereits berichtet, die übliche Erziehungsarbeit und die Aufsichten wegfallen und die Klassen kleiner sind - diese Schulform ist auch immer ein Gradmesser der aktuellen Wirtschaftslage einer Gegend: Je besser sie ist, desto weniger Studierende haben wir. Daher gibt es aktuell kaum Stellen, in NRW haben die WBK einen deutlichen Lehrerüberhang.


    Es gibt auch unterschiedliche Zeitschienen an den Schulen: einige bieten Unterricht morgens und abends an, einige nachmittags und abends etc. Der Zusatz ABEND-Schule, zielt eigentlich darauf ab, das sie als Zweiter Bildungsweg fungiert. Es gibt reine Abendrealschulen, reine Abendgymnasien und Mischformen (WBK).


    An ARS sind mittunter auch Minderjährige zu finden, der Altersdurchschnitt liegt aber nach einer Studie der Bertelsmannstiftung um die 22 Jahre (p_fofoe_WP_115_2019.pdf) Die meisten haben keinen Schulabschluss oder einen schlechten HS9. Die Gründe dafür sind vielfältig: Förderschüler psychische oder familäre Probleme, frühe Elternschaft, schlechte Einflüsse, incl. Vorstrafen- ich habe in den letzten 11 Jahren nahezu alles gesehen und gehört, was einem Menschen in der Adoleszenzphase wiederfahren und ihn aus der Bahn werfen kann. Zwischen den vielen Studierenden, denen das Lernen schwer fällt, sind auch immer wieder sehr fleißige und begabte, die sich hervorragend fördern lassen. Das System lässt ein Überspringen, wie ein Verweilen in den einzelnen Semestern zu.


    Positiv finde ich, dass die Pubertät bei den meisten definitiv vorbei ist und die Klassen ruhiger sind, wenn auch nicht zwingend vernünftiger. Die meisten Studis wissen, dass der Zweite Bildungsweg für sie eine der letzten Möglichkeiten ist, einen Abschluss zu erlangen. Mobbing und gehässiges Verhalten untereinander sind seltener und gute Studierende werden auch innerhalb der Klassen für ihre fachlichen Kompetenzen geschätzt. In einigen Klassen ist ein sehr fürsorglicher Umgang miteinander zu beobachten, da werden Geburtstage gefeiert, es ist immer Nervennahrung für alle vorhanden und die Studierenden verabreden sich zum Lernen. Allerdings kann es auch knallen, dann aber gleich richtig.


    Fachlich ist die ARS mitunter dröge, da hier inhaltlich 'nur' die neunte und zehnte Klasse unterrichtet wird, teilweise auf einem sehr niedrigen Niveau, was wieder die didaktischen Fähigkeiten fordert.

  • Fachlich ist die ARS mitunter dröge, da hier inhaltlich 'nur' die neunte und zehnte Klasse unterrichtet wird, teilweise auf einem sehr niedrigen Niveau, was wieder die didaktischen Fähigkeiten fordert.

    Allerdings fehlen je nach Fach Grundlagen die teilweise bis in die Grundschulzeit zurückreichen.


    Aber ja, das ist ein wichtiger Punkt. Bei der fachlichen Arbeit sind Abstriche zu machen.


    Dass es kaum Stellen gibt, ist allerdings auch richtig. Die Schulen kämpfen in NRW fast alle mit den Schülerzahlen, wie die Erwachsenenbildung in BW organisiert ist, weiß ich allerdings überhaupt nicht.

  • Mich nerven zunehmend die ganzen Probleme und Herausforderungen der ganz "normalen" Realschule.

    In der Abendrealschule, wie ich sie in einer NRW-Großstadt kennengelernt habe, arbeitest du mit Lernern, die durch die Bank am Schulsystem gescheitert sind und oft ihren allerersten Schulabschluss überhaupt erwerben wollen. Viele befinden sich in einer Warteschleife, weil sie orientierungslos im Leben sind. Alphabetisierung ist ein großes Thema, ebenso wie die Gewöhnung an Lebensregelmäßigkeit und an Anfänge von intrinsisch angelegter Leistungsbereitschaft.


    Das ist für jemanden, der sich im Lehrerberuf in so eine Richtung orientieren möchte, sicherlich eine spannende und erfüllende pädagogische Aufgabe. Das Fachliche steht da hinter dem Pädagogischen zurück. Ich weiß nicht, ob du dort glücklich werden würdest, wenn dir pädagogische Probleme der "normalen" Realschule zu viel sind.

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