Frage an die Latein-Kollegen

  • Liebe Kollegen und Freunde der lateinischen Sprache,


    am Freitag kam Töchterlein mit einer Latein-Klassenarbeit nach Hause, deren Ergebnis durchaus zufriedenstellend war. Das soll aber naheliegenderweise nicht Gegenstand dieser Frage sein, sondern die Tatsache, dass mir als Latein-Laien schon beim ersten Durchlesen der Vorlage mindestens drei Fehler aufgefallen sind. Ich würde mich freuen, wenn ein/e Latein-KollegIn sich die acht Sätzchen mal anschaut und mich bestätigt oder widerlegt. Im Spoiler benenne ich die (vermuteten) Fehler selbst.


    Hier erstmal der Text:


    1. Nero nonnullis hominibus virtutibus praestabat, quia a Seneca philosopho educatus est.
    2. Ferunt eum egregium ingenio fuisse.
    3. Itaque multis Romanis admirationi fuit, nemini invidiae odioque fuit.
    4. Romani Neronem blandis laudibus efferebant et ei libenter operam suam obtulerunt.
    5. Multis victoriis partis tanti honores ei tributi sunt, ut Nero clamans per domum erraret:
    6. "Quanto ardore vulgus me amat!"
    7. Tum autem Nero saevire coepit et multos cives interfecit.
    8. Nerone auctore etiam Seneca se ipsum necare debuit.



    Multas gratias tibi ago!



    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Hallo fossi!


    Ich habe ja Latein studiert und mein 2. StEx auch in Latein abgelegt.


    In Satz 1 liegt, wenn man mich fragt, ein ("Logik")Fehler in Bezug auf die Zeitenfolge vor:


    Nero übertraf (dauerhafte Handlung in der Vergangenheit, daher Imperfekt) einige Menschen hinsichtlich ihrer Tugenden, weil er vom Philosophen Seneca erzogen worden war (vorzeitig zu "praestabat", daher müsste im Lateinischen Plusquamperfekt "educatus erat" stehen).


    Die übrigen Sätze sind, so wie sie dastehen, korrekt und können folgendermaßen verstanden werden:


    In Satz 2 ist es entweder möglich, dass es sich um eine sog. constructio ad sensum handelt, d.h. dass der grammatikalische Bezug nicht dem inhaltlichen Bezug entspricht, in freier Übersetzung in etwa: "Man überliefert/sie überliefern, dass er (ein Mann) von ungewöhnlichem Talent gewesen ist."
    Oder: Es handelt sich um ein Prädikatsnomen und der Ablativ "ingenio" soll als Adverbiale verstanden werden (Ablativus limitationis).
    "Man überliefert/sie überliefern, dass er in Bezug auf sein Talent außergewöhnlich gewesen ist."


    In Satz 4 geht es um die unterschiedlichen Aspekte der Vergangenheitstempora: Das Imperfekt spiegelt den durativen, iterativ bzw. konativen Aspekt einer Handlung wider (Dauer, Wiederholung, Versuch), während das Perfekt eine einmalige, abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit ausdrückt.
    Es ist also gut möglich, dass die semantische Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungen zum Ausdruck kommen sollte.


    Ich hoffe, das hilft dir ein bisschen weiter :)

  • Die Tempora hätte ich so tatsächlich nicht gesetzt. Klassisch ist das ganz sicher nicht, aber irgendeinen spätantiken Kirchenvater kann man bestimmt heranziehen, der das auch schon mal so gemacht hat ...
    egregium ingenio geht auch: herausragend in Bezug auf seine Veranlagung


    Meine Vermutung: Im Lehrwerk wurde gerade ferre eingeführt, ohne dass das Plusquamperfekt schon bekannt ist ...

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

  • Achtung off-topic: Heute war der Vorspann der Sendung mit der Maus auf Lateinisch. Vielleicht ist das ja interessant für den ein oder anderen Latein-Lehrer.

  • Meine Vermutung: Die Kollegin hat den Unterschied zwischen dem Perfekt und dem Imperfekt nicht so richtig begriffen und hält die beiden Formen für irgendwie austauschbar. Das ist aber kein Lateinproblem, sondern ein Problem des grundsätzlichen Sprachverständnisses.


    SchmidtsKatze: Ich stimme mit Deiner Einschätzung von Satz 4 überein, halte den Satz aber gerade deshalb für ungrammatisch und letztlich falsch. Wie würdest Du ihn denn übersetzen?

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

  • Ja, entweder hat sie das nicht so richtig verstanden oder absichtlich so seltsam da reingebaut.

    4. Romani Neronem blandis laudibus efferebant et ei libenter operam suam obtulerunt.

    Die Römer priesen Nero (oft*) mit schmeichelnden Lobesworten und boten ihm (einmal*) ihre Dienste an.


    Ist inhatlich sehr wackelig, aber möglich.

    • Offizieller Beitrag

    Ich hätte ihn hier auf klingonisch. Das ist eher meine Sprache.
    https://www.youtube.com/watch?v=rXjcHmKzZ-g


    "Latein" - Der Hinweis kam von Kiggie.
    ich habe aber gerade mal bei youtube, der WDR-Mediathek und auf der Mausseite nachgeschaut. Da findet sich/ich nichts.


    kl. grüner Elefant

  • Ja, entweder hat sie das nicht so richtig verstanden oder absichtlich so seltsam da reingebaut.

    Die Römer priesen Nero (oft*) mit schmeichelnden Lobesworten und boten ihm (einmal*) ihre Dienste an.
    Ist inhatlich sehr wackelig, aber möglich.

    Sorry, aber ich muss dir widersprechen. Du hast das Perfekt mit dem Präteritum wiedergegeben - das geht so nicht. Dass Dir keine bessere Lösung eingefallen ist (ging mir natürlich genauso!), zeigt, dass der Satz so eben falsch ist.


    Sehr schön ist der Unterschied zwischen Perfekt und Präteritum übrigens an dem bekannten Satz aus dem Märchen zu erkennen: "Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute." "Starben" wäre hier komplett unangebracht.

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  • @fossi74, da muss ich als Altphilologin jetzt aber mal aufklären :


    Das lateinische Perfekt ist gerade KEIN Äquivalent zum deutschen Perfekt und darf standardmäßig in der deutschen Übersetzung mit Perfekt oder Präteritum (welches im Lateinischen so nicht gibt) wiedergegeben werden.


    Die von mir beschriebenen Aspekte der lateinischen Tempora existieren in der deutschen Sprache nicht als solche.


    Der Unterschied zwischen dem deutschen Perfekt und Präteritum liegt in seinem Gebrauch als mündliches bzw. schriftliches Erzähltempus. Da ist das Lateinische ganz anders aufgebaut.

  • unterrichte zwar kein Latein, aber können tu ichs trotzdem... das Imperfekt beschreibt eine andauernde Tätigkeit in der Vergangenheit, das Perfekt eine punktuelle, abgeschlossene Handlung.
    Das ist bei der Übersetzung nicht immer so einfach wie gewünscht

    Der Zyniker ist ein Schuft, dessen mangelhafte Wahrnehmung ihn Dinge sehen lässt wie sie sind, nicht wie sie sein sollten. (Ambrose Bierce)
    Die Grundlage des Glücks ist die Freiheit, die Grundlage der Freiheit aber ist der Mut. (Perikles)
    Wer mit beiden Füßen immer felsenfest auf dem Boden der Tatsachen steht, kommt keinen Schritt weiter. (Miss Jones)
    Wenn der Klügere immer nachgibt, haben die Dummen das Sagen - das Schlamassel nennt sich dann Politik (auch Miss Jones)

  • Im Deutschen gibt es - das vergisst man gerne vor lauter mündlich/schriftlich - durchaus das “Präsensperfekt”, was Gemeinsamkeiten mit dem englischen Perfekt aufweist. Das ist der von fossi genannte Fall “gestorben sind”, in dem das lat. Perfekt korrekt nur mit deutschem Perfekt wiedergegeben werden kann. Der ist aber die Ausnahme (und bei mündlichen Aussagen muss man sich keine Gedanken darüber machen). Der Umkehrschluss, Perfekt immer mit Perfekt wiederzugeben, ist leider falsch.


    Vielleicht hat die Kollegin die Klassenarbeit, so wie ich immer wieder, spätabends übermüdet erstellt. Da sind dann Details schnell mal übersehen.


    @MissJones: Imperfekt drückt Zustand, Dauer, Wiederholung oder Versuch aus, wie Schmidtskatze in Beitrag 2 schreibt.

  • Zitat

    Da kommen Konjunktiv und Partizip vor, aber kein Plusquamperfekt? Das kann ich mir, selbst bei den ganz schrägen Lehrwerken, nicht vorstellen.

    Ok. War einen Versuch wert, die Lapsus temporis nicht auf die Inkompetenz des Kollegen zurückführen zu müssen und diese Erklärung vermeiden zu können:

    Meine Vermutung: Die Kollegin hat den Unterschied zwischen dem Perfekt und dem Imperfekt nicht so richtig begriffen und hält die beiden Formen für irgendwie austauschbar. Das ist aber kein Lateinproblem, sondern ein Problem des grundsätzlichen Sprachverständnisses.

    Denn eigentlich mag man sich das nicht vorstellen. :tot:

    Dödudeldö ist das 2. Futur bei Sonnenaufgang.

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