ADHS ohne Ritalin in den Griff bekommen

  • Vielleicht könnte man das Medikament Ritalin etwas differenzieren. Schlußendlich geht es um Methylphenidat! Bei dem einen wirkt es, beim anderen nicht. Dafür ein anderes Präparat. Im übrigen scheint es, meiner Beobachtung nach, das überwiegend Medikenet eingesesetzt wird.Und das wirkt, jedenfalls bei meinen Schülern, entgegen aller theoretischen Studien, praktisch sogar sehr gut. Vorausgesetzt das die Rahmenbedingungen stimmen.

  • Im übrigen scheint es, meiner Beobachtung nach, das überwiegend Medikenet eingesesetzt wird.Und das wirkt, jedenfalls bei meinen Schülern, entgegen aller theoretischen Studien, praktisch sogar sehr gut. Vorausgesetzt das die Rahmenbedingungen stimmen.


    Hallo privat,


    wenn ich recht informiert bin, ist das von dir genannte Präparat von der Kasse zugelassen. Das dürfte die bei uns weite Verbreitung wohl erklären. Um MPH handelt es sich in jedem Fall, das ist ja der Wirkstoff, ob nun "Ritalin" oder was anderes auf der Packung steht. Von "Ritalin" reden Betroffene nicht gerne, weil die häufig schlecht informierte Bevölkerung (in Zeiten, in denen Scharlatane wie Hüther im ZDF zur besten Sendezeit ihren faktenbefreiten esoterischen Nonsens verkünden dürfen) das gleich mit "Kinder ruhig stellen" und "Modediagnose" etc. assoziieren.


    Anbei: Welche "theoretischen Studien" kennst bzw. meinst du, die die Wirksamkeit von Medikinet in Zweifel ziehen? Ich kenne keine, bin aber auch schon etwas aus dem Thema raus. Ist das Medikinet noch zugelassen kassenärztlich? Hab ich was verpasst?


    der Buntflieger

  • Was mich wundert ist die Aussage, ADHS-Betroffene hätten einen etwas niedrigeren IQ. Ich kenne eigentlich nur das Gegenteil, nämlich dass sie eher einen höheren IQ haben. Zumindest in den sozialpädiatrischen Kinderzentren diagnostiziert, wo das bei uns normalerweise durchgeführt wird.

  • Was mich wundert ist die Aussage, ADHS-Betroffene hätten einen etwas niedrigeren IQ. Ich kenne eigentlich nur das Gegenteil, nämlich dass sie eher einen höheren IQ haben. Zumindest in den sozialpädiatrischen Kinderzentren diagnostiziert, wo das bei uns normalerweise durchgeführt wird.


    Hallo lamaison,


    meines Wissens nach haben AD(H)S-Betroffene weder einen höheren noch niedrigeren IQ als der Rest der Menschen. Leute mit guter Begabung können ihre durch AD(H)S bedingten Probleme besser kompensieren und ggf. die z.B. Reizoffenheit im produktiven/kreativen Sinne nutzen. Aber das sind eher Ausnahmen.


    Wie bei allen Sachen konzentrieren sich die Leute eben auf die spektakulären Dinge. Was aber korrekt ist: AD(H)S drückt die Potentiale eines Menschen nach unten; insofern ist der im Schnitt bei stark Betroffenen etwas niedrigere Durchschnitts-IQ eben durch die Auswirkungen der Krankheit bedingt. Es gibt außerdem Zusammenhänge mit z.B. mangelhafter Sauerstoffzufuhr bei der Geburt oder Alkoholismus während der Schwangerschaft. Pauschale Aussagen sind also nur schwer möglich.


    der Buntflieger

    • Offizieller Beitrag

    . Es gibt außerdem Zusammenhänge mit z.B. mangelhafter Sauerstoffzufuhr bei der Geburt oder Alkoholismus während der Schwangerschaft. Pauschale Aussagen sind also nur schwer möglich.


    der Buntflieger

    WAS hat denn bitte diese Info hier in der Diskussion verloren?
    Willst du andeuten, dass Alkoholismus während der Schwangerschaft zu AD(H)S führt /führen kann?

  • Die theoretischen Studien belegen die Wirksamkeit von Ritalin (sorry dass ich immer den Markennamen benutze, aber es ist im Grunde alles dasselbe), sonst wäre es kaum zugelassen bei den Nebenwirkungen. ;)


    @chilipaprika: Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität sind Kernsymptome eines fetalen Alkoholsyndroms, der Zusammenhang ist gut belegt (Quelle 1, Quelle 2), allerdings kommen beim FAS halt noch ein paar mehr und massivere Schwierigkeiten dazu.

    In neueren Arbeiten werden FAS und ADHS nicht mehr als separate Störungen betrachtet; vielmehr unterscheidet man zunehmend zwischen ADHS mit und ohne pränatale Alkoholexposition.

    If you look for the light, you can often find it.
    But if you look for the dark that is all you will ever see.

    2 Mal editiert, zuletzt von Valerianus ()

  • WAS hat denn bitte diese Info hier in der Diskussion verloren?Willst du andeuten, dass Alkoholismus während der Schwangerschaft zu AD(H)S führt /führen kann?


    Hallo chilipaprika,


    nur weil du auf dem Moderatoren-Thron sitzt, musst du dich ja nicht gleich so herablassend äußern. Etwas mehr Sachlichkeit bitte, ich weiß jedenfalls, wovon ich hier spreche.


    der Buntflieger

  • Ich sehe es ähnlich. Ein Bekannter arbeitet als niedergelassener Kinder-und Jugendpsychologe und sagt das er heute, mit seinem ganzen Wissens- und Erfahrungsschatz, ganz anders testet als während seiner Anfangszeit. Wieso sollten sich Studien nicht auch täuschen? Kann vielleicht mal jemand eine Studie machen, wie viele Studien im Laufe der Menschheitsgeschichte schon als kompletter Unsinn entlarvt wurden???
    Die Aussage "AD(H)S drückt die Potentiale eines Menschen nach unten" halte ich für zu pauschalisierend. Wie misst man z.B. Kreativität? Wie soziale Intelligenz? Was nützt einem Asperger-Autisten ein extrem hoher IQ, wenn er im Gegenzug nicht alleine über die Straße laufen und vor lauter Verpeiltheit ins nächste Auto rennen würde? Ist es ein Zeichen von mangelnder oder hoher Intelligenz wenn ein AD(H)S'ler beruflich nur das macht was ihn wirklich interessiert? (Ich hab auch nur die Fächer studiert die mich interessieren. Ich kann programmieren, aber Mathe fand und finde ich immer noch kotzlangweilig) Oder ist es einfach nur eine andere Form?

  • Ich hab mich auf die Studie mit dem "etwas niedrigeren IQ" bezogen. BTW: Bin nicht so der Studienfreund. Ich sehe die Wirksamkeit von MPH täglich in der Praxis. "Ferngesteuerte Zombies" sind mir jedenfalls noch nie begegnet. Im Gegenteil. Ich habe Schüler, die nach dem "anfluten" gut im Unterricht mitarbeiten und Erfolgserlebnisse erleben können. Medikenet ist selbstverständlich zugelassen. Allerdings für Erwachsene erst seit April 2011! (Medikenet adult) Im Übrigen beinhalten Ritalin und Medikenet zwar den gleichen Wirkstoff MPH in der gleichen Dosierung (retadiert und unretadiert) haben aber Aufgrund der Bindemittel unterschiedliche Wirkungsweisen. Es ist also definitiv nicht das Gleiche. Die weite Verbreitung hat sicher auch Kostengründe. Medikenet ist etwas preiswerter.

    • Offizieller Beitrag

    Oh sorry, wusste ich tatsächlich nicht. und meine Frage bildete auch tatsächlich nicht ab, was in meinem Kopf beim Lesen angekommen war und zwar ‚wenn ein Kind ADHS hat, ist die Mutter schuld, sie hat vermutlich in der Schwangerschaft getrunken‘. Sorry für das empfindliche Überreagieren, ich halte trotzdem fest, dass ich nicht als Moderatorin gesprochen habe und ich als Userin auch mal (Nach)Fragen und Gefühle haben darf, nicht nur Antworten auf Fragen der Anderen.

  • Auch die von Buntflieger erwähnte "mangelhafter Sauerstoffzufuhr bei der Geburt " kann der Grund für AD(H)S (und natürlich noch für ganz andere Krankheitsbilder/Behinderungen-Frühkindlichen Hirnschädigung/Zerebalparese) sein

  • Ist es ein Zeichen von mangelnder oder hoher Intelligenz wenn ein AD(H)S'ler beruflich nur das macht was ihn wirklich interessiert? (Ich hab auch nur die Fächer studiert die mich interessieren. Ich kann programmieren, aber Mathe fand und finde ich immer noch kotzlangweilig) Oder ist es einfach nur eine andere Form?


    Hallo privat,


    viele stark von AD(H)S Betroffene führen ein sehr unstetes berufliches Leben als sogenannte "Underachiever" (=Minderleister).


    Beispielsweise sind höhere Abschlüsse oft außer Reichweite, da die hierzu nötige Daueraufmerksamkeit beim Lernen schlicht nicht geleistet werden kann. Was du beschreibst, das wären die sogenannten "Spezialisten". Ob die aber ihre Spezialinteressen beruflich adäquat verwerten können, steht auf einem anderen Blatt.


    Man darf ja auch nicht vergessen, dass laut Studien das Risiko, kriminell zu werden, für Betroffene doppelt so hoch ist. Auch hier steckt ein komplexes Ursachengefüge dahinter; letztlich sind - das sehen wir beide so - pauschale Aussagen immer irreführend bei dem Thema.


    der Buntflieger

  • Passt nicht ganz zum Thema, aber ich hätte eine Frage:


    Was bringt die Diagnose ADHS?


    Hintergrund: Ich habe seit ein paar Wochen einen Schüler bei dem wir ADHS stark vermuten. Die Eltern sind Ärzte, weigern sich, mit ihm irgendwelche Untersuchungen durchführen zu lassen. Ich bin nicht so die Fachfrau, hätte aber gerne ein paar Argumente, um den Eltern entgegenzutreten, warum die Diagnose wichtig sei. Ich gehe davon aus, dass sie ihm keine Medikamente geben wollen, was ich auch verstehen kann, aber warum wäre es überhaupt wichtig, die Diagnose zu haben?


    Dass ich ihn Runden drehen lasse auf dem Schulhof? Ihn irgendwie anders besser unterstütze? Nicht mehr schimpfe, wenn er anstatt dem lang besprochenen blauen Hintergrund alles orange macht?

  • Passt nicht ganz zum Thema, aber ich hätte eine Frage:


    Was bringt die Diagnose ADHS?


    Hintergrund: Ich habe seit ein paar Wochen einen Schüler bei dem wir ADHS stark vermuten. Die Eltern sind Ärzte, weigern sich, mit ihm irgendwelche Untersuchungen durchführen zu lassen.


    Hallo lamaison,


    da sind uns wohl die Hände gebunden. Wir dürfen weder Diagnosen stellen (höchstens sehr dezent Verdachtsmomente äußern) noch eigenverantwortlich (z.B. per Klassenkonferenz beschlossen) alternative Behandlungen unterrichtsbegleitend beginnen. Wenn die Eltern sich verweigern, dann war es das.


    Ich habe unter meinen SuS zwei konkretere Verdachtsfälle von schwerem unbehandeltem AD(H)S. Bei beiden liegt zugleich ein totales Versagen des Elternhauses vor (Eltern nicht greifbar, kein Interesse am eigenen Kind...) und insofern sind uns auch hier die Hände gebunden.


    Meine SuS sind bei mir im Unterricht so aktiv wie möglich eingebunden (Assistenzlehrer), aber das hilft natürlich nur bedingt. Ich diszipliniere sie weniger streng als andere SuS, sofern dies im Sinne der Gerechtigkeit halbwegs tragbar ist. Trotz viel positiver Zuwendung können sie sich halt - was typisch ist - kaum selbst steuern. Nach dem Motto: "Wo bist du denn jetzt wieder, Max? Ach! Unterm Tisch von Lara - komm, setz dich mal bitte wieder an deinen Platz zurück!" Und das gefühlte 10x in einer Stunde... :pfeifen:


    der Buntflieger

  • Trotz viel positiver Zuwendung können sie sich halt - was typisch ist - kaum selbst steuern. Nach dem Motto: "Wo bist du denn jetzt wieder, Max? Ach! Unterm Tisch von Lara - komm, setz dich mal bitte wieder an deinen Platz zurück!" Und das gefühlte 10x in einer Stunde... :pfeifen:


    der Buntflieger

    Ja, das kommt mir sehr bekannt vor. Würdest du denn etwas anders machen, wenn du die Diagnose hättest? Bzw. wäre es für die Schüler besser, eine Diagnose zu haben?


    In ganz schweren Fällen würde man eine Lernbegleitung bekommen, wenigstens stundenweise, aber sonst?


    Ich meine, bei diagnostizierter LRS gibt es einen Ausgleich, bei Dyskalkulie bekommen die SuS mehr Zeit und Hilfsmittel bei Tests. Bei ADHS kann ich die SuS bei Tests evtl. vor die Tür setzen (weniger Reize?), aber gibt es da sonst irgendeinen "Bonus", den man verpasst bei nicht gestellter Diagnose?

  • Ja, das kommt mir sehr bekannt vor. Würdest du denn etwas anders machen, wenn du die Diagnose hättest? Bzw. wäre es für die Schüler besser, eine Diagnose zu haben?
    In ganz schweren Fällen würde man eine Lernbegleitung bekommen, wenigstens stundenweise, aber sonst?


    Ich meine, bei diagnostizierter LRS gibt es einen Ausgleich, bei Dyskalkulie bekommen die SuS mehr Zeit und Hilfsmittel bei Tests. Bei ADHS kann ich die SuS bei Tests evtl. vor die Tür setzen (weniger Reize?), aber gibt es da sonst irgendeinen "Bonus", den man verpasst bei nicht gestellter Diagnose?


    Hallo lamaison,


    natürlich wäre es auf jeden Fall sinnvoll, eine Diagnostik durchführen zu lassen und wenn der Verdacht sich bestätigt, kann eine gezielte Behandlung erfolgen. Ich wäre sogar dazu bereit, die Medikamentengabe zu übernehmen, sofern die Eltern das absegnen. Auch ein Nachteilsausgleich setzt eine Diagnose voraus, soweit ich weiß. Leider gibt es immer wieder auch Fälle von schwer betroffenen SuS, wo das Elternhaus sich einer medikamentösen Behandlung gegenüber sperrt.


    Ansonsten bleibt einem nur, die üblichen Maßnahmen im Rahmen des Classroom-Managements durchzuführen.


    Hier einige nützliche Hinweise aus ADHS-Pedia:


    • Selbstregulation und Selbstreflexion aktiv anregen: Aufkeimendes negatives Verhalten im Ansatz unterbrechen und zur Selbstreflexion anregen, jedoch auf Moralisierung verzichten.
    • Aufstellen fester und indiskutabler Regeln für den Unterricht: das Regelwerk überschaubar halten, die Einhaltung jedoch konsequent durchsetzen.
    • Kleine Fortschritte hervorheben: Fortschritte des Kindes bewusst wahrnehmen und hervorheben, auch vor der Klasse. Dabei die Fortschritte nicht betont mit den initialen Leistungsmängeln kontrastieren lassen. Überschwänglichkeit vermeiden, authentisch bleiben.
    • Die Individualität der persönlichen Lerndispositionen berücksichtigen und anerkennen.
    • Bei Stillarbeit Fragen an den Sitznachbarn nach Möglichkeit nicht als ablenkendes Verhalten bewerten und sanktionieren, sondern als positive soziale Interaktion mit Lerneffekt.
    • Klare und unmissverständliche Anweisungen geben: Dabei stets vom Schüler die Arbeitsanweisung wiedergeben lassen, um das Verständnis zu überprüfen.
    • Sicherstellen einer angstfreien Lernatmosphäre: Bloßstellung auch bei störendem Verhalten auf jeden Fall vermeiden.
    • Aufgaben überschaubar halten: Aufgaben in Abschnitte unterteilen, Zwischenziele erkennbar aufschlüsseln, um das Lösen komplexer Aufgaben zu erleichtern und Prinzipien erkennbar zu machen (Kleinschrittig-strukturierende Vorgehensweise).
    • Konsequente Überprüfung der Notierungen der Hausaufgaben.
    • Strafen und Vorwürfe nach Möglichkeit vermeiden, dabei den symptombedingten Ursprung des Problemverhaltens sich selbst vergegenwärtigen. Bei Notwendigkeit wertschätzend kritisieren, jedoch ohne zu moralisieren.
    • Zeichen vereinbaren, um den Schüler im Falle von Träumen in das Unterrichtsgeschehen zurückzuholen.
    • Aufgrund der zumeist geringen Ambiguitätstoleranz von ADHS-Kindern Doppeldeutigkeiten und / oder Ironie vermeiden.

    Quelle: https://www.adhspedia.de/wiki/ADHS_und_Schule


    der Buntflieger

    • Strafen und Vorwürfe nach Möglichkeit vermeiden, dabei den symptombedingten Ursprung des Problemverhaltens sich selbst vergegenwärtigen. Bei Notwendigkeit wertschätzend kritisieren, jedoch ohne zu moralisieren.


    Das ist eigentlich der Knackpunkt, oder?
    Wenn man weiß, dass ein Schüler tatsächlich eine angeborene Störung hat und sein Verhalten nicht immer steuern kann, kann und muss man auf ihn anders eingehen als auf Schüler, die ihr Verhalten unter Kontrolle haben (oder es zumindest theoretisch unter Kontrolle haben können).


    Alle anderen Punkte tun doch eigentlich jeder Klasse gut. Aber gerade aus dem von mir zitierten Abschnitt geht die Bedeutung einer Diagnose schon hervor.




    Medikamente wollten oben genannte Eltern ja nicht geben - und Medikamente jeglicher Art solltest du, Buntflieger, als Lehrer auch nicht verabreichen, wenn sie nicht in dem Moment akut lebensrettend sind, aber das hatten wir schon anderswo.

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