Gamification im Unterricht

  • es geht nicht um Blut und Schmodder.es geht darum, ganz selbstverständlich andere Spieler zum (sei es auch nur virtuellen) Tod zu treiben.
    Und noch perverser:
    Strafe erfüllt= wieder zum Leben erweckt.


    Tut mir leid, so etwas möchte ich nicht unterstützen. Nicht, weil ich anti-digital eingestellt wäre.
    Sondern aus Prinzip nicht.


    Hallo Friesin,


    der virtuelle Tod wird von Spielern selbstverständlich symbolisch begriffen und übersetzt als Ausscheiden aus dem Spiel. In vielen Spielen wird man sogar nach dem virtuellen Tod nur für eine bestimmte kurze Zeitspanne am Weiterspielen gehindert und darf dann automatisch wieder teilnehmen. Das ist ein absolut gängiges Konzept.


    Man muss das ja nicht mögen und darf selbst darauf verzichten. Aber ich finde es etwas sonderbar, solche Lehrkräfte, die das mit Erfolg einsetzen (und sich die damit verbundene Mühe machen), moralisch in eine fragwürdige Ecke zu stellen.


    der Buntfliege

  • Die frage ist doch, ob ich das Spiel privat oder schulisch nutze.


    Privat spiele ich Pokemon go (habe gespielt), Minecraft und Fortnite mit meinen Kindern mit.
    Privat sehe ich Filme, die Gewaltszenen zeigen oder politisch nicht immer korrekt sind.
    Ich schätze auch sehr direktes Kabarett. Privat.


    Als Lehrkraft treffe ich aber nicht Entscheidungen für mich, sondern für meine Schüler.
    Und da gibt es neben den Super-Gamern, die mit dem metaphorischen Spieletod umgehen können, auch zarte Pflanzen, die im Alter von 15 noch nicht einmal Jurassic Park schauen wollen/dürfen, weil es ihnen zu gruselig ist. Das muss ich akzeptieren und in meine Entscheidung einfließen lassen.


    Ich würde einfach nicht fördern wollen, dass Schüler, die bisher keine Gamer waren, plötzlich durch mich/die Schule dazu genötigt werden, das doch zu tun.

  • Ich habe, nachdem das "Classcraft" im anderen Forum aufkam, versucht zu recherchieren und da gab es einen interessanten Artikel.

    Habe ich auch gemacht und bin vielleicht auf ähnliche Berichte gestoßen.
    Interessant war ein als Versuch dargestellter Bericht von Klasse und Lehrkraft auf dem Jahr 2014, wo unterschiedliche Bewertungen abgegeben wurden.


    Letztlich habe ich es inhaltlich jetzt so verstanden, dass Mitarbeit und Hausaufgaben bewertet und belohnt werden und das über ein Spiel-Setting, sodass es interessanter erscheinen soll.


    Neben den Hinweisen auf Datenschutz und Spielsucht frage auch ich mich, was daran anders ist als die üblichen "Programme" zur Einflussnahme auf das Verhalten der SuS, eben Smiley, Sternchen u.a., die schon in der Grundschule eingesetzt werden.


    Aber ich frage mich immer noch, wie die Leute dann zu den äquivalenten analogen Methoden stehen?
    Bspw. das von mir genannte Smiley-Rennen. Gibt es ja auch noch in ganz anderen Formen.
    Und um hier auch für Buntflieger in die Bresche zu springen: Ich habe ja nun auch schon viel Unterricht von vielen verschiedenen Personen gesehen. Alte und junge, erfahrene und unerfahrene Lehrkräfte. Ich würde behaupten, jede einzelne davon hat mit Gruppendruck gearbeitet. Sei es durch Belohnungen für Gruppentische ("Der Tisch, der am schnellsten fertig ist, kriegt einen Stern.") oder durch das Loben für die ersten Kinder, die beim Schweigefuchs helfen ("Lara hilft mir. Timo ist auch schon fertig. Danke Lukas.").

    Diese Sachen werden hier und da empfohlen, das bedeutet nicht, dass man sie einsetzen muss. Aber offenbar ist Gruppendruck immer noch verbreitet und bei einigen gern gesehen.


    Ist es Gruppendruck, wenn man einzelne Kinder lobt?
    Oder ist es erst dann Gruppendruck, wenn man über die Gruppe soziale Kontrolle erwirkt, weil man nur als Gruppe Ziele erreicht?
    Sind heterogen zusammengestellte Gruppen für Gruppenarbeiten das gleiche oder ist es ein probates Mittel, da sich SuS gegenseitig ergänzen oder auch erziehen?


    Die Fragen finde ich wichtig, man sollte sie für sich selbst reflektieren und vielleicht ist das ein oder andere nicht so offensichtlich, wie andere es denken oder sehen.


    Mir persönlich sind diese Smiley-Aktionen übrigens oft "zu viel".
    Die Aufwendung an Zeit im Unterricht muss dabei recht gering sein. Nichts nervt mich mehr, als am Ende einer jeden Stunde 5 min lang für die komplette Klasse Sternchen in Listen eintragen zu müssen. Danke, da spiele ich als Fach-Lehrkraft nicht mit, da muss die Klassenlehrkraft alleine durch.
    Natürlich möchte auch ich, dass die SuS mitarbeiten und ja, auch ich arbeite zeitweise mit Belohnungssystemen - ja, Stempel, gerne, und anderes, was aber in der Regel individuell ist, meint: jedes Kind hat die Möglichkeit, durch eigenes Zutun die Belohnung zu erhalten, egal, was die anderen SuS machen, tatsächlich auch mal mit individuellen Zielen.
    Gruppendruck entsteht dann, wenn sich die SuS miteinander vergleichen und so, wie die anderen, belohnt sein möchten.


    Aber auch da ist in meinem Kopf die Frage, ob das sein muss.
    Immer mehr Kinder wachsen mit diesen Vorgehensweisen auf, ein This-for-that in der Erziehung. Ob es das schon immer gab?
    Aus "Wenn du deinen Teller leer gegessen hast, bekommst du Nachtisch" ist ein "wenn du 2 Seiten gelesen hast, darfst du 5 min am Handy daddeln" geworden oder auch "wenn du jetzt leise bist, kaufe ich dir später ein teures Lego-Teil".
    Dabei sind manche Belohnungsszenarien ganz schön überzogen, finde ich, und zu früher vermutlich kommerzialisierter und mehr an Freizeitverhalten orientiert, dass man darüber forciert: Man muss sich persönlich mit teuren Dingen oder außergewöhnlichen Aktionen belohnen, dafür, dass man im Alltag ganz normale Aufgaben bewältigt.


    Smiley-Pläne als Rückmeldung über das Verhalten können mit klar umrissenen Zielen sehr wirksam sein, aber diese setze ich sehr dosiert ein, eben bei sehr auffälligen SuS, und beginne nicht, für jedes Kind nach jeder Stunde für 2-4 Ziele Zeichen zu setzen.
    Und ich habe immer den Eindruck, dass man darüber mehr und mehr vermittelt, dass man sich nur dann gut verhalten muss, wenn man dies auch belohnt bekommt. Dann sagt das Kind: "Was kriege ich dafür, wenn ich xxx erledige?", obwohl das eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass es gemacht wird.

  • Neben den Hinweisen auf Datenschutz und Spielsucht frage auch ich mich, was daran anders ist als die üblichen "Programme" zur Einflussnahme auf das Verhalten der SuS, eben Smiley, Sternchen u.a., die schon in der Grundschule eingesetzt werden....
    Smiley-Pläne als Rückmeldung über das Verhalten können mit klar umrissenen Zielen sehr wirksam sein, ...Und ich habe immer den Eindruck, dass man darüber mehr und mehr vermittelt, dass man sich nur dann gut verhalten muss, wenn man dies auch belohnt bekommt.


    Hallo Palim,


    stimmt meines Erachtens vollkommen, was du sagst. Es ist im Wesentlichen ein normales Belohnungssystem und es greift die übliche Kritik an solchen. Aus den von dir genannten Gründen sollte man sie auch nur dosiert und bei Bedarf einsetzen.


    Dass extrinsische Motivation oft die einzige ist, mit der man SuS in gewissen Altersgruppen überhaupt noch zur (schulischen) Leistungsbereitschaft bewegen kann, werden die wenigsten Lehrer anzweifeln. Ich habe früher eine Sport-AG in Grundschulen (während dem Studium) angeboten und einmal - da war ich noch blutiger Anfänger - den Fehler gemacht, etwas mit Süßkram zu belohnen. Die Kinder wollten danach tatsächlich für jede Kleinigkeit wieder belohnt werden. Das war mir eine Lehre. Später habe ich herausgefunden, dass Grundschüler eigentlich gar keine Belohnung brauchen, sondern hier das Lehrerlob (wenn es auf die Leistung bezogen ist) schon Motivation genug ist.


    Für Jugendliche trifft das leider weniger zu. Als Jugendlicher drohte ich mal in Englisch in Richtung 5,0 abzurutschen. Mein Vater bot mir an, dass ich ein Computerspiel (!) geschenkt bekomme, wenn ich eine 2,0 nach Hause bringe. Ich habe das dann über Monate hinweg hartnäckig versucht, aber nicht geschafft. Am Ende stand aber die 4,0 im Zeugnis und ich bekam mein Spiel. Die Geschichte stimmt wirklich.


    der Buntflieger

  • Ich würde einfach nicht fördern wollen, dass Schüler, die bisher keine Gamer waren, plötzlich durch mich/die Schule dazu genötigt werden, das doch zu tun.

    Hallo Stille Mitleserin,


    es wurde glaube ich schon mehrfach (von mir und vom Threadersteller "drüben") darauf hingewiesen, dass eine Einverständniserklärung der Eltern durchaus ratsam ist, ebenso wie ggf. eine freiwillige Information an die Schulleitung/Kollegium. Wenn ein oder gar mehrere Eltern/Kinder da nicht mitmachen möchten oder die Kollegen Sturm laufen, lässt man es einfach bleiben. Der soziale Frieden geht vor. Ich würde selbstverständlich auch niemanden zum Mitmachen nötigen oder/und das psychische Wohl Einzelner "aufs Spiel" setzen.


    der Buntflieger


  • Also: Ziel ist es selbstverständlich von allen (davon gehe ich einfach mal aus) Lehrenden, dass sie mit ihren SuS "im Unterricht so oft wie möglich Freude am Lernen und auch Spaß haben". Weshalb das hier diskutierte "Classcraft" oder Gamifications generell diesen pädagogischen Elementarzielen entgegen stehen sollten, stellst du - wie auch deine Vorredner - leider nicht klar heraus.


    Hm. Mein oberstes Ziel ist, dass die Kinder etwas lernen. Der Spaßfaktor steht bei meiner Unterrichtsplanung nicht im Vordergrund. Natürlich ist es prima, wenn die Schülern beim Lernen Spaß haben, aber ehrlich gesagt kann dieses "Ziel" nicht jegliche Mittel erlauben.

  • Ich wollte hier nur mit bester Absicht diesem Ansatz etwas Positives abgewinnen und Gedanken dazu in der Diskussion beisteuern. Nun werde ich harsch angegangen, die Anti-Digital-Fraktion bejubelt sich wechselseitig (Belohnungssystem lässt grüßen) und ich gehe mal wieder seit vielen Beiträgen leer aus. Dabei sind sie nur in der besten Absicht verfasst und haben mir bis vorhin auch noch großen Spaß bereitet.


    Der ist mir nun freilich komplett im Hals stecken geblieben. Ich bin hier für heute Abend erst mal raus, das ist glaube ich höchste Zeit. Der Gruppendynamik hier habe ich nichts entgegen zu setzen.


    der Buntflieger

    Interessante Aussage von dir. Wie würdest du dich also fühlen, wenn du ein Schüler dieser Gamification-Klasse wärst und eines der schwächeren Teammitglieder?


    Denn wie du anderswo schriebst:
    "Wird ein Teammitglied schwächer, hat das Auswirkungen auf die anderen Mitspieler. Wie das dann im Einzelnen genau aussieht, würde mich auch interessieren, hierzu habe ich noch nichts gelesen. Ich vermute, dass es eine interne (Klassen)Rangliste gibt."



    Also. Es gibt evtl. eine Rangliste. Die Gruppendynamik tut ihr übriges. Und plötzlich sind Schüler nicht mehr nur für sich alleine im Unterricht schwach, sondern bekommen für ihr Versagen auch noch Druck von der ganzen Klasse. Ich verwende mal deine Wortwahl aus den oberen Zitat, etwas umgemünzt auf eine fiktive Klassensituation: Die gute Fraktion bejubelt sich gegenseitig, und die schlechten gehen leer aus. Denen wird der Spaß im Halse stecken bleiben.


    Das mit der Kontrolle und dem Gruppenzwang erinnert mich fast schon an "Die Welle". Wer nicht in gefordertem Maße mitmacht, ist Außenseiter.

  • Also. Es gibt evtl. eine Rangliste. Die Gruppendynamik tut ihr übriges. Und plötzlich sind Schüler nicht mehr nur für sich alleine im Unterricht schwach, sondern bekommen für ihr Versagen auch noch Druck von der ganzen Klasse. Ich verwende mal deine Wortwahl aus den oberen Zitat, etwas umgemünzt auf eine fiktive Klassensituation: Die gute Fraktion bejubelt sich gegenseitig, und die schlechten gehen leer aus. Denen wird der Spaß im Halse stecken bleiben.


    Das mit der Kontrolle und dem Gruppenzwang erinnert mich fast schon an "Die Welle". Wer nicht in gefordertem Maße mitmacht, ist Außenseiter.

    Man könnte aber auch sagen, dass dies die SuS direkt auf das Berufsleben vorbereitet, denn dort existiert genau diese Gruppendynamik.
    So läuft es in allen Firmen und sogar im eigenen Kosmos des Lehrerberufs mit denen, die nicht im geforderten Maß mitmachen.
    Ich finde es immer interessant, wie man sich Sorgen um die armen schwachen, leistungsunwilligen und -unfähigen Schüler und deren Psyche macht, Rücksicht predigt, aber im Kollegium dann rumlästert, wenn jemand da so ist.
    Ist so ein bisschen wie in sozialen Berufen am besten noch unter christlicher Tägerschaft, wo der Umgang mit Mitarbeitern dann total asozial und unchristlich ist.

  • Man könnte aber auch sagen, dass dies die SuS direkt auf das Berufsleben vorbereitet, denn dort existiert genau diese Gruppendynamik.So läuft es in allen Firmen und sogar im eigenen Kosmos des Lehrerberufs mit denen, die nicht im geforderten Maß mitmachen.
    Ich finde es immer interessant, wie man sich Sorgen um die armen schwachen, leistungsunwilligen und -unfähigen Schüler und deren Psyche macht, Rücksicht predigt, aber im Kollegium dann rumlästert, wenn jemand da so ist.
    Ist so ein bisschen wie in sozialen Berufen am besten noch unter christlicher Tägerschaft, wo der Umgang mit Mitarbeitern dann total asozial und unchristlich ist.

    - Kinder sind keine Erwachsenen, von daher sollte man sie schon noch etwas vor der volle Härte der Gruppendynamik der Erwachsenenwelt schützen. Ich bin mir auch nicht sicher, ob wir die Vorbereitung bezüglich Gruppendynamik / Erwachsenenwelt übernehmen sollten.
    - Nur weil etwas in der Erwachsenenwelt vorkommt, heißt es nicht, dass es gut ist. Wenn es nicht gut ist, aber in der Erwachsenenwelt vorkommt ... muss ich es dann auch in der Kinderwelt vorkommen lassen mit der Begründung "Vorbereitung auf das Berufsleben"? Oder sollte man ihnen nicht das Rüstzeug in die Hand geben, zu sehen, dass man unter bestimmten Umständen Gruppenzwang auch nicht mitmachen muss?
    - "Vorbereitung auf das Berufsleben" steht für mich nicht an erster Stelle (übrigens auch nicht an erster Stelle im Lehrplan).
    - Schülerleistung und Schülerperson (und die leidet unter Gruppendruck) sollte man schon trennen können. Ich will nicht sagen, dass ich nicht auch schon über Schüler "gelästert" habe, aber auch die Tatsache, dass ich (Lehrer) etwas tue, das nicht in Ordnung ist, rechtfertigt es nicht. Zwischen leistungsunwillig, schwach und leistungsunfähig würde ich übrigens gern differenziert wissen, denn da liegt schon ein Unterschied in Bezug auf die Verantwortung, die ein Schüler trägt.

  • Ich halte das Vermischen der Virtualität und der Realität für ...mir feht dafür ein Begriff. „Gefährlich“ finde ich zu übertrieben. Aber es bereitet mir Unbehagen.
    Dazu die Gruppendynamik. Soll das echt positiv sein, wenn ein Schüler bessere Leistung im Unterricht bringt, weil er sonst der Gruppenloser ist?
    Und was ist mit Schülern, die es einfach nicht besser können?


    Diese Art der Motivation wird doch auch nicht dauerhaft dem Lernen förderlich sein.
    Ich bin ja durchaus realistisch und weiß, dass die intrinsische Motivation für Mathe, Physik u.s.w. bei Pubertieren oft nicht sehr ausgeprägt ist. Aber manchmal ist sie durchaus da.
    Das macht man doch kaputt.


    Ja, die Schüler sind weniger lernbereit als früher. Sie sind auf schnelles Befriedigen von Bedürfnissen getrimmt, haben wenig Ausdauer...Aber soll ich das jetzt durch den Einsatz eines solchen Spieles auch noch unterstützen??


    Okay, bei meinen Schülern dürfte das eh nicht funktionieren‍♀️
    Da sind da diejenigen, die wenig bis gar nicht spielen. Altergerecht und kontrolliert. Mit denen könnte zwar funktionieren. Aber wozu? Das sind die, die im Unterricht mitarbeiten, Hausaufgaben machen und sich angemessen verhalten. Für die brauche ich kein Spiel.
    Und gibt die „Gamer“. Die 10jährigen, die alles spielen unkontrolliert und ohne zeitliche Beschränkung spielen dürfen. Die auf Nachfrage, was sie in den Ferien gemacht haben, „zocken“ antworten. Ich glaube nicht, dass sich die mit so einem Spiel locken lassen. (Alles unter FSK 16 ist schließlich Babykacke.)
    Und, so ein Zufall, das sind üblicherweise eher leistungsschwache Schüler, mit (großen) Problemen, sich an Regeln zu halten. Denen oft auch alles egal ist.
    Im Klassenspiel gestorben? Na, dann halt zurück zu Fortnite, WoW, ...

  • So wie ich das hier verfolgt habe, stellen sich doch zwei essentielle Fragen zum "Classcrafter" und ähnlichen Gamification-Programmen:


    1. Bin ich bereit, ein Tokensystem (denn nichts anderes scheint mir dieses "Spiel" zu sein) mit all seinen Vor- und Nachteilen in meinem Unterricht einzusetzen?


    Wenn ja, dann stellt sich Frage 2:


    2. Bin ich bereit, das Tokensystem als Spiel anzubieten?


    Achtung, jetzt wird es etwas Off-Topic:


    Ich glaube, das ist ganz klar Präferenz des Einzelnen, wobei man bei so Szenarien, wie der "Tod" und solche Ranking-Systeme, die sich auf die gesamte Gruppe auswirken, wirklich aufpassen muss, dass die positiven Aspekte eines Tokensystems nicht darunter leiden.
    Viele meiner Kollegen haben Sternchen-/Smiley-/Kaugummikugel-/Muggelstein-/[insert token here]-Systeme, die ganz hervorragend funktionieren. Es ist ganz klar, wofür man die Tokens bekommt und was passiert, wenn 5, 10 oder 20 Tokens für den Einzelnen oder die ganze Klasse erreicht sind.
    Dabei ist es vermutlich ziemlich gleich, ob man virtuell oder analog Punkte zählt (wobei ich mir schon vorstellen kann, dass der digitale Zähler mit dem Gaming-Layout für viele SuS ein wenig interessanter ist.)
    Ich persönlich bin überhaupt kein Freund von Belohnungs- und Bestrafungssystemen. Ich empfinde sie meist als Zeiträuber und sie haben für meinen Unterricht und den Lernerfolg der gesamten Klasse keinen nennenswerten Mehrwert.
    Für einzelne SuS gibt es Rückmeldungssysteme, die mit den Eltern abgesprochen sind und über bestimmte Zeiträume laufen und dann ausgewertet werden.


    Dass das Loben einzelner SuS als Aufbau von Gruppendruck von Einigen empfunden wird, finde ich eine total interessante, wenn auch für mich nicht offensichtliche Perspektive: Ich lobe häufig einzelne Schüler, weil ich direktes und konstruktives Feedback für das Transparent-Machen von Lernzielen und auch für einen guten Beziehungsaufbau wichtig und angemessen empfinde.
    Dass ein solches Lob andere Kinder unter Druck setzen könnte, ist mir noch nie in den Sinn gekommen. Was wäre die Alternative? Nur noch pauschal Lob und Tadel aussprechen? Oder wie war das gemeint?

  • Also. Es gibt evtl. eine Rangliste. Die Gruppendynamik tut ihr übriges. Und plötzlich sind Schüler nicht mehr nur für sich alleine im Unterricht schwach, sondern bekommen für ihr Versagen auch noch Druck von der ganzen Klasse. Ich verwende mal deine Wortwahl aus den oberen Zitat, etwas umgemünzt auf eine fiktive Klassensituation: Die gute Fraktion bejubelt sich gegenseitig, und die schlechten gehen leer aus. Denen wird der Spaß im Halse stecken bleiben.
    Das mit der Kontrolle und dem Gruppenzwang erinnert mich fast schon an "Die Welle". Wer nicht in gefordertem Maße mitmacht, ist Außenseiter.


    Hallo Kathie,


    eine interessante Sichtumkehrung, die du da vornimmst - gefällt mir! :top:


    In einem der Videos, die ich über "Classcraft" geschaut habe, bedauert ein Schüler, dass seine Gruppe sehr stark sei, aber andere Gruppen so schlecht seien und immer kurz vorm Sterben wären. Er fand das wohl langweilig. Wenn also SuS nicht mitspielen, ist es wohl wie bei jedem Spiel - es funktioniert irgendwann nicht mehr (richtig).


    Wenn ein Schüler z.B. gestorben ist (virtuell!) und es ihm egal ist, weil er das Spiel kindisch findet oder ihm Regeln generell gegen den Strich gehen, scheidet er einfach aus dem Spiel aus. Das dürfte also unproblematisch sein. Wenn der Spieler bzw. Schüler oder eine Gruppe aber gerne erfolgreich mitspielen würde und sich bemüht, ihm/ihr aber die Mittel fehlen, wird ein guter Pädagoge dies wahrnehmen und entsprechend das Bemühen honorieren. Da kommt es wohl auf die Spielleitung und ihr Moderationstalent an. ;)


    der Buntflieger

  • ich wüsste gerne, wie es gemeint ist,


    muss aber auch nicht sein, wenn es den thread sprengt


    Hallo Friesin,


    ich habe ehrlich keine Ahnung, wo jetzt das (Verständnis?)Problem begraben liegt. Bitte klär mich auf, dann helfe ich liebend gerne weiter.


    der Buntflieger

  • Ja, das fasst es gut zusammen
    und dann kommt noch Frage 3:


    3. Bin ich bereit, für das Tokensystem ein digitales Angebot zur Verwaltung einzusetzen?

  • Diese Art der Motivation wird doch auch nicht dauerhaft dem Lernen förderlich sein.Ich bin ja durchaus realistisch und weiß, dass die intrinsische Motivation für Mathe, Physik u.s.w. bei Pubertieren oft nicht sehr ausgeprägt ist. Aber manchmal ist sie durchaus da.
    Das macht man doch kaputt.


    Hallo hanuta,


    ich denke auch nicht, dass diese Methode immer und überall sinnvoll ist.
    Man muss halt wie so oft abwägen: Fördere ich die extrinsische Motivation der schwächeren SuS durch eine Maßnahme wie "Classcraft" (bzw. ein anderes Belohnungssystem) oder konzentriere ich mich auf die Minderheit der von selbst aus motivierten (in der Regel leistungsstärkeren) SuS und erspare ihnen und mir solche Spielereien? Evtl. gibt es auch einen Weg dazwischen?


    Nicht zuletzt kann ja auch aus extrinsischer Motivation eine intrinsische entstehen. So abwegig ist es nicht, dass ein Schüler anfangs seine Anstrengungen verstärkt, weil er im Spiel gut dastehen will und irgendwann merkt, dass er ja doch was kann im Fach XY.


    der Buntflieger

  • Wenn der Spieler bzw. Schüler oder eine Gruppe aber gerne erfolgreich mitspielen würde und sich bemüht, ihm/ihr aber die Mittel fehlen, wird ein guter Pädagoge dies wahrnehmen und entsprechend das Bemühen honorieren. Da kommt es wohl auf die Spielleitung und ihr Moderationstalent an.

    Ja, weil das die Aufgabe eines jeden Lehrers ist, egal ob er Tokensysteme hat oder Classcrafter oder gar nix. Er sollte immer dafür sorgen, dass möglichst viele Kinder mitmachen wollen und können.
    Irgendwie ist mir persönlich der Mehrwert nicht klar.


    Zu Computerspielen allgemein im Unterricht:


    -> Lernspiele setze ich in wohlproportionierten Dosen ein. Da gibt es supertoll gestaltete Webseiten, wie kahoot, learningapps, quizlet oder learningsnacks. Aber da geht es auch immer um das Erarbeiten, Vertiefen oder Üben von Lerninhalten. Das hat für mich wirklich einen Mehrwert.


    -> Ich habe das Gefühl, "Classcraft" wird um seiner Selbst willen gespielt und es gibt für die Kinder außer Punkten in einem virtuellen Spiel, die nur für dieses Spiel und in diesem Spiel existieren, keinen Mehrwert. Das finde ich persönlich sogar eher demotivierend. Denn was passiert, wenn ein Kind/eine Lerngruppe/die Klasse eine bestimmte Zahl an Punkten erreicht hat? Klatschen sich dann alle gegenseitig analog ab? Oder was passiert dann?


    Evtl. gibt es auch einen Weg dazwischen?

    Auf jeden Fall gibt es einen Weg dazwischen! Es gibt so einige Möglichkeiten, Schüler dazu zu motivieren, am Unterricht teilzunehmen.
    Ich glaube, dass so ein raumnehmendes Klassenraumspiel zwar oberflächlich den Eindruck vermittelt, die Motivation zu erhöhen. Bricht man es aber auf seine paar Grundbestandteile, abgesehen von der wirklich gelungenen RP-Graphik, herunter, muss man sich eben überlegen, ob es notwendig ist, ein solches Ambiente zu schaffen.


    Ein gesunder Mittelweg ist eben, allen Schülern einen möglichst attraktiven Unterricht (auch in so Scheusalfächern wie Mathe, Physik oder Latein [no hate, bin ja selbst Lateinlehrerin]) zu bieten, die die motivierten in ihrer Haltung bestärkt und auch den Drömels die Chance gibt, kleine Erfolge zu feiern. Denn das macht doch Schule motivierend, wenn man das Gefühl hat, man kriegt was hin. Und zwar im "echten (Schul-)Leben"!

  • Und plötzlich sind Schüler nicht mehr nur für sich alleine im Unterricht schwach, sondern bekommen für ihr Versagen auch noch Druck von der ganzen Klasse.

    Das ist ja nun nix entscheidend neues. Das Phänomen wussten meine Sportlehrer vor 30 Jahren schon trefflich für sich zu nutzen.

    „Think of how stupid the average person is, and realize half of them are stupider than this.“ - George Carlin

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