Umgang mit Flüchtlingskindern

  • Hallo!


    Während meines Praktikums in einer Brennpunktschule habe ich einige stark herausfordernde Situationen mit traumatisierten Flüchtlingskindern beobachten können. Die LuL dort sind sehr unterschiedlich damit umgegangen. Da solche Situationen ja oft recht unerwartet kommen, finde ich es herausfordernd, spontan "richtig" zu handeln, gerade weil es augenscheinlich auch sehr unterschiedliche Situationen sein können, die zudem teilweise echt gefährlich sind und/ oder rechtlich schwierig werden können.


    Zwei dieser Situationen waren die folgenden:
    1.: Während der Präsentation zu einem Buch rief ein Junge, der zunächst interessiert schien, plötzlich immer wieder ein arabisches Wort dazwischen und wurde sehr unruhig. Schließlich verließ der Schüler den Raum panisch, rannte durch den Flur, in das Klassenzimmer, trat gegen Wände, zerriss Bilder und Hefte, die in seiner Nähe lagen. Der Junge war völlig außer sich und erst nach einiger Zeit durch eine Lehrerin zu beruhigen, die ihm nachgelaufen war.


    2.: Ein Schüler bekam von einem Lehrer Ärger, weil er mit Gegenständen geworfen hatte. Zunächst stand der Junge wie angewurzelt auf einer Stelle, dann packte/ holte er unbemerkt seinen Ranzen, verließ das Schulgelände und lief in eine benachbarte, ihm bekannte Flüchtlingseinrichtung.


    - Wie erklärt ihr euch dieses Verhalten und wie würdet ihr damit umgehen, v.a. wenn so etwas regelmäßig passiert?
    - Habt ihr ähnliche Situationen erlebt? Welche?

  • Du beschreibst hier harmloses Verhalten, aber dieses ist schon unzumutbar. Beobachten und aufpassen, dass nichts schlimmeres passiert. Für alle Beteiligten ist dies eine unerträgliche Situation und wenn man nicht gerade vor christlicher Nächstenliebe, Selbstaufgabe und Philantrophie nur so strotzt, sollte man die Schule wechseln. Als Lehrer wird man hier allein gelassen. Diese Kinder brauchen erst einmal jemanden, der ihre Sprache spricht, dies muss nicht zwingend eine Lehrperson sein.

  • ...
    - Wie erklärt ihr euch dieses Verhalten und wie würdet ihr damit umgehen, v.a. wenn so etwas regelmäßig passiert?

    können wir nicht erklären, nur spekulieren, weil wir nicht dabei waren und die Kinder nicht kennen.


    Zu 1: Eltern einladen, Dolmetscher organisieren, Gespräche führen, eventuell Verfahren einleiten zur Überprüfung sonderpädagogischen Förderbedarfs.


    Zu 2: hinterherrufen, dass das Kind gerade unerlaubt das Schulgebäude verlässt, den Vorfall samt erfolgter Belehrung ins Klassenbuch eintragen. Anderes Kind mit Zettel ins Sekretriat schicken, dass die Eltern informiert werden. Ggf. später selbst noch mal anrufen. Am nächsten Tag Standpauke halten.


    Letztlich ist das Erfahrungssache. Für dich als "Rezept" für den Anfang: die Klasse nicht allein lassen, wenn nicht gerade Gefahr für Leib und Leben des Rausrennenden besteht- Aufsichtspflicht. Hilfe holen, wenn was zu eskalieren droht: ein Kind zum Nachbarkollegen schicken oder selber klopfen. Alles dokumentieren, Eltern informieren. In Ruhe dann später Lösungen suchen.


    Keine Sorge, wenn du erstmal selbst vorne stehst, fällt dir irgendwas ein, du erstarrst nicht zu Eis ;)


    Edit: ähnliche Situationen erlebt, klar, ständig, allerdings weniger bei Kindern von Flüchtlingen, sondern von Eltern der deutschen sozialen Unterschicht (sagt man das politisch korrekt so?). Besser wirds im Laufe des Schuljahres, wenn Beziehung entsteht. Ich erspar dir aber die Aufzählung, es ist nicht an Schulen gleich.

    Einmal editiert, zuletzt von Krabappel ()

  • Das wären alles Situationen, die ich wohl an unsere Sozialpädagogin und an die Schülerinsel weitergeben würde (die erreichen wir dann recht zügig übers Handy im Normalfall, was mich aber wieder daran erinnert, dass ich die Nummern unbedingt einspeichern muss), denn ich habe dann noch eine ganze Klasse voller Kinder, die dann mit der eben erlebten Situation umgehen müssen.

  • das hat mit flüchtling erstmal wenig zu tun, das ist einfach das verhalten besonders belasteter kinder. haste bei autisten manchmal, bildungsfernen herkunftsfamilien manchmal, bei adhs-fällen teilweise, bei fass-kindern, bei kindern mit belastenden erlebnissen (beliebt: häusliche gewalt, drogenabhängige eltern - gern auch die wohlhabenden, die nehmen nur anderes als die ohne geld -, wohlstandsverwahrlosung, bindungsstörungen...). probleme haben soviele ursachen, wie es kinder gibt.


    edit: "stark herausfordernd" ist das imo nicht. da ist tätlichkeit, selbstverletztendes verhalten (kopf gegen wand, ritzen...) und mobbing in meinen augen viel, viel herausfordernder (fremdgefährdung, akute eigengefährdung). depression im kindesalter und essstörungen sind auch übel. da biste dann so richtig hilflos oft.

  • Danke schon Mal für eure Antworten und die Tipps! :)


    Der Junge aus Situation 2 ist unbemerkt entwischt, als gerade Trubel war. Die Situation hat sich dann erst später aufgelöst.


    Ich frage mich halt, weshalb sie so reagieren, muss ja einen Grund haben. Und ob es was mit einem Trauma zutun haben könnte und man das irgendwie im Schulalltag berücksichtigen muss? Vielleicht auch um solchen Situationen vorzubeugen?



    Folgende Situationen beschäftigen mich auch noch ziemlich:
    3.: Nachdem ein Junge seine Schwester beleidigt sah (ein anderes Kind hatte etwas über sie gesagt und laut gelacht), packte er das andere Kind und schlug es immer wieder mit dem Kopf auf eine Tischplatte bis der Junge schließlich von zwei Lehrern festgehalten wurde.


    4.: Eine Schülerin hat eigentlich nie geweint. Einmal allerdings als sie vertieft ins Malen war und von einem Klassenkameraden versehentlich angestoßen wurde, fing das Mädchen daraufhin schmerzlichst an zu weinen und war ca. 20 Minuten lang nicht zu beruhigen.


    - Mich würden andere konkrete Situationen von euch interessieren, die ihr erlebt habt. Ich bin einfach beunruhigt und denke, wenn man auf mehr gefasst ist, kann man vielleicht besser damit umgehen und evtl. kann man da ja irgendwelche Schlüsse /Querverbindungen draus ziehen...



    - Gibt es außer Schülerinsel? und Sozialpädagogen noch Möglichkeiten Hilfe zu erhalten, auch für die Kinder? Und was mache ich, falls doch mal etwas passiert, z.B. ein Kind verletzt wird, während ich aufsichtspflichtig bin?



    - Baut sich die Beziehung zu geflüchteten Kindern normal auf oder gibt es Unterschiede zu anderen Kindern und etwas, was ich beachten könnte?


    Danke für eure Hilfe!

  • nochmal: es geht bei deinen fragen nicht um geflüchtete kinder sondern um kinder mit verhaltensauffälligkeiten im sozial-emotionalen bereich. das kann verschiedenste ursachen haben und verschiedenste kinder betreffen. die reaktionsmöglichkeiten und unterstützungsoptionen sind so unterschiedlich wie die kinder und schulen. so pauschal macht das wenig sinn. wir können dir jetzt ein paar anekdoten aus dem umgang mit sozial-emotional-auffälligen sus erzählen, aber das bringt dich nicht wirklich weiter. tipp: jedes pädagogik-lehrbuch bietet fallbeispiele.

  • Traumata und andere psychische Störungen kann man nicht in 3 Sätzen abhandeln. Für die Klasse, in der du da offenbar sitzt, brauchts vor allem erstmal eine feste Struktur. Wenn du dort Stunden halten sollst, probiere alles vorher aus. Leite alles an. Vermeide Sätze, wie "wir gehen jetzt alle zur Tür", "ihr dürft jetzt irgendwas spielen" oder "kommt in einen Sitzkreis". Drösele jede Arbeitsanweisung auf und bleib vorne stehen, um deren Umsetzung bei jedem einzelnen zu kontrollieren.


    Und nein, ich krame jetzt keine dramatischen Geschichten aus, das ist mir gerade zu "sensationsgeil". Nimms nicht übel :) Du kannst aber anfangen Fachbücher zu lesen, wenn's dich thematisch interessiert.

  • nochmal: es geht bei deinen fragen nicht um geflüchtete kinder sondern um kinder mit verhaltensauffälligkeiten im sozial-emotionalen bereich. ...

    Warum müssen Lehrer immer alles beschönigen. Doch, hier geht es um geflüchtete Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten. Wären sie nicht geflüchtet, könnte ich mich mit ihnen auf Deutsch unterhalten und vielleicht etwas über die Verhaltensauffälligkeit erfahren und sie eventuell sogar unterbinden.

  • es geht bei verhaltensauffälligkeiten nicht darum, sie zu "unterbinden" sondern das leiden des betreffenden kindes zu lindern und damit das leben für alle beteiligten ein stück weit besser zu machen.


    edit: dem kollegen, der die von krabappel genannten sätze im alltag der primar- oder auch unterstufe verwendet, dem wünsche ich viel erfolg :D.


  • Warum müssen Lehrer immer alles beschönigen. Doch, hier geht es um geflüchtete Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten. Wären sie nicht geflüchtet, könnte ich mich mit ihnen auf Deutsch unterhalten und vielleicht etwas über die Verhaltensauffälligkeit erfahren und sie eventuell sogar unterbinden.

    Na, dann lade ich dich ganz herzlich zu mir ein. Dann kannst du dich mit den ausrastenden deutschen Kindern ( beide sogar blond) unterhalten.

  • viele flüchtlingskinder können schon deutsch, wenn sie in der gs ankommen (hallo kiindergarten, hallo ehrenamtliche), andere können ordentlich englisch, die anderen lernen es halt. vielleicht mal mit echten flüchtlingen arbeiten. sind menschen, unterschiedlichster art, alles dabei, von total unauffällig bis sehr, sehr schwierig.


    aber klar, wenn man nur einen hammer hat, sieht alles aus wie ein nagel.

  • viele flüchtlingskinder können schon deutsch, wenn sie in der gs ankommen (hallo kiindergarten, hallo ehrenamtliche), andere können ordentlich englisch, die anderen lernen es halt. vielleicht mal mit echten flüchtlingen arbeiten. sind menschen, unterschiedlichster art, alles dabei, von total unauffällig bis sehr, sehr schwierig.


    aber klar, wenn man nur einen hammer hat, sieht alles aus wie ein nagel.

    Nun, in meiner letzten Flüchtlingsklasse gab es rund 20 Schüler mit 20 Nationalitäten und 20 verschiedenen Sprachen, keine davon war Deutsch oder Englisch. Und nu?

  • Als Sensation war es, hinsichtlich von euch erlebten Situationen, keinesfalls gedacht aber ich verstehe schon, was du meinst. ;)


    - Falls es an einem Trauma liegt, könnte das aber doch einen anderen Umgang erfordern (wegen der anderen Ursache) als bei Kindern mit anderen Verhaltensauffälligkeiten, damit es nicht schlimmer wird, oder?


    - Habt ihr da schon was gelesen und könnt mir Literatur empfehlen?
    - Was gibt es noch für Hilfen?
    Regeln die Sozialarbeiter solche Situationen dann gemeinsam mit einem, wenn man sie hinzuruft? Und ist man ansonsten allein auf Erfahrung und Literatur angewiesen?


    - Bei uns in der Klasse ist das Klassengefüge aufgrund verschiedener Vorkommnisse und der Unruhe nicht ganz im Gleichgewicht. Wie sieht es mit dem Klassenklima bei euch aus, wurde es durch "diese Situationen" auch problematisch? Habt ihr da Ratschläge, wie man daran arbeiten könnte?

  • freakoid, das zeigt sehr schön meiner meinung nach, weshalb "flüchtlingsklassen" ein sch**** sind. so kann das wohl kaum was werden. ausgrenzung und noch mehr davon, sehr erfolgsversprechend (außer man hat eine einheitliche ausgangssprache und einen sprecher dieser sprache als lehrkraft, dann kann das was bringen, soweit ich weiß; dazu gibt es forschung in bezug auf gastarbeiterbeschulung in den siebzigern, glaube ich).




    caroli: red mit deinen betreuungslehrkräften, nimm mit, was sie dir sagen, bezieh das auf die literatur, die ihr hoffentlich im studium durchackert, nimm die erfahrungen mit ins begleitseminar, schreib eine hausarbeit dazu, lerne draus. so pauschal kann dir keiner was sinnvolles sagen, jenseits von "struktur, struktur, wärme, wärme, struktur".

  • Es gibt einige Handreichungen zum Umgang mit Traumata im schulischen Bereich. Ich persönlich empfinde die immer nur als bedingt hilfreich, weil sie meines Erachtens dazu verleiten sich jenseits der eigenen tatsächlichen Fachkompetenz als Lehrkraft zu betätigen. Gerade im Umgang mit Traumata muss man sich aber äußerst bewusst sein, wo eigene Grenzen (insbesondere Grenzen der Fachkompetenz) liegen, was der Job als Lehrkraft tatsächlich in diesem Zusammenhang ist (Struktur und Beziehungsarbeit- wie letztlich auch im Umgang mit allen anderen SuS) und was die Aufgabe von Therapeuten, Sozialarbeitern, Erziehungsberechtigten etc. ist.


    Du bist gerade mal Praktikantin @Caroli , also lern erstmal wie man guten, zielführenden Unterricht plant, wie Klassenführung/Classroom Management funktionieren, was es braucht für gelingende Beziehungsarbeit im Schulbereich und vor allem im Umgang mit verhaltenskreativen SuS aller Art, ehe du versuchst das Pferd von hinten aufzuzäumen anhand eines Spezialthemas wie Traumata. Glaub mir, davon wirst du in der Praxis mehr haben. Wenn du das alles gut beherrschst wirst du auch im Umgang mit traumatisierten SuS Lösungsansätze finden soweit diese überhaupt Teil deines Arbeitsbereichs sind. Dies gesagt gibt es an der Uni meist auch im Päd-Bereich Seminare zum Umgang mit Flüchtlingskindern.


    Als kleinen Anhaltspunkt, hier einige Handreichungen zum Einlesen:


    https://km-bw.de/site/pbs-bw-n…chtlingskinder-Screen.pdf


    https://www.landkreis-rastatt.…/Traumaleitfaden_2014.pdf


    https://km-bw.de/site/pbs-bw-n…n%20Gewalt_3_komplett.pdf



    https://www.google.com/url?sa=…Vaw1260B4O2fTcbt3diHVboss



    Das erste PDF könnte denke ich ganz informativ sein für dich, um Ansätze im schulischen Umgang zu finden, das zweite PDF erklärt einige Hintergründe zu Traumata, die das Verständnis erleichtern können, insbesondere um den Aspekt von Triggermomenten etwas besser erfassen zu können. Wobei es letztlich der/die Traumatisierte selbst ist der/die verstehen muss, was ihn/sie antriggert und Lösungen finden muss. Außenstehende- und damit meine ich nicht Lehrkräfte, sondern v.a. Traumatherapeuten- können diesen Prozess begleiten und unterstützen, Triggermomente aber nicht verhindern. Traumatherapie erfolgt nach dem Prinzip der Stabilisierung- Integration (so und soweit möglich)- Heilung (soweit möglich). Als Lehrkräfte können wir maximal einen Beitrag auf der Ebene der Stabilisierung leisten indem wir die bereits von keckks wiederholt angesprochene Struktur schaffen und verlässliche Beziehungsarbeit leisten. Das ist schon verdammt viel, wenn wir das als Schule hinbekommen und mehr als genug für den eigenen Unterricht generell (ganz gleich, ob im Umgang mit Flüchtlingen, Gewaltopfern, sozial vernachlässigten Kindern aller Schichten etc.).



    Und auch wenn es schon geschrieben wurde: Nicht jede Verhaltensauffälligkeit von Flüchtlingskindern ist Traumata geschuldet. Statistisch sitzt beispielsweise in jeder Schulklasse mindestens ein Kind, das Erfahrungen mit sexueller Gewalt machen musste- Kinder aller Schichten und Nationalitäten. Jedes dieser Kinder ist potentiell traumatisiert (Stichwort Resilienz). Insofern sind Traumata nicht erst durch Flüchtlinge ein Thema in Schulen und sollten nicht begrenzt auf diese betrachtet werden.

    "Benutzen wir unsere Vernunft, der wir auch diese Medizin verdanken, um das Kostbarste zu erhalten, das wir haben: unser soziales Gewebe, unsere Menschlichkeit. Sollten wir das nicht schaffen, hätte die Pest in der Tat gewonnen. Ich warte auf euch in der Schule." Domenico Squillace

  • viele flüchtlingskinder können schon deutsch, wenn sie in der gs ankommen (hallo kiindergarten, hallo ehrenamtliche), andere können ordentlich englisch, die anderen lernen es halt.

    Hm, dann läuft bei uns wohl was schief, da kann ungefähr ein Viertel der Erstklässler kein Deutsch und versteht es auch nicht und das sind nicht nur Flüchtlingskinder, sondern auch aus anderen EU-Ländern usw.


    Regeln die Sozialarbeiter solche Situationen dann gemeinsam mit einem, wenn man sie hinzuruft?

    Kommt darauf an, in der Regel nimmt sie die Kinder bei uns erstmal aus dem Raum mit zu sich und klärt es erst mit denen und erst später evtl. mit der Klasse oder uns und sie stellt auch evtl. notwendige Kontakte zu Jugendamt, Heimleitung usw. her.

  • Du streitest also ab, dass hier ein Problem- und Stressfakor, die mangelnde Kommunikationsfähigkeit, wegfällt?

    Wie gesagt, du bist eingeladen. Du kannst dir dann die Komminikationsfähigkeit von Paul (Name geändert) live ansehen.

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